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Als die Französische Revolution Europas Throne ins Wanken und Napoleon an die Macht brachte, bedeutete das für die Zeitgenossen im deutschen Süden und Südwesten vor allem eins: den permanenten Kriegszustand. Truppen aus aller Herren Länder machten Baden, Württemberg und Bayern zum Kriegsschauplatz. Einquartierungen und Durchmärsche, Plünderungen und Requisitionen, Seuchen und wirtschaftliche Not brachten die Einwohner an die Grenzen ihrer Leistungs- und Leidenskraft. Wie die Menschen vor 200 Jahren den Kriegsalltag zu meistern suchten, beschreibt Ute Planert in ihrem überaus eindrucksvollen…mehr

Produktbeschreibung
Als die Französische Revolution Europas Throne ins Wanken und Napoleon an die Macht brachte, bedeutete das für die Zeitgenossen im deutschen Süden und Südwesten vor allem eins: den permanenten Kriegszustand. Truppen aus aller Herren Länder machten Baden, Württemberg und Bayern zum Kriegsschauplatz. Einquartierungen und Durchmärsche, Plünderungen und Requisitionen, Seuchen und wirtschaftliche Not brachten die Einwohner an die Grenzen ihrer Leistungs- und Leidenskraft. Wie die Menschen vor 200 Jahren den Kriegsalltag zu meistern suchten, beschreibt Ute Planert in ihrem überaus eindrucksvollen Buch. Sie zeigt auch, wie sich der Krieg, seine Wahrnehmung und seine Bedeutung nach 1815 in den Köpfen veränderten und wie die ehemaligen Rheinbundstaaten ihre Vergangenheit neu erfanden. Aus Verbündeten Napoleons wurden jetzt Feinde, die alles daran setzten, durch symbolische Politik ihre französische "Mesalliance" zu überdecken und ihre Geschichte in den neuen nationalen Mythos vom Befreiungskrieg zu integrieren.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Ute Planert geb. 1964, Dr. phil., Professorin für Geschichte und ihre Didaktik am Historischen Seminar der Bergischen Universität Wuppertal
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2008

Der erste Weltkrieg
Ute Planerts große Studie zu den Revolutionskriegen
Das weniger überraschende Resultat dieses wichtigen Buches steht im Haupttitel: „Der Mythos vom Befreiungskrieg”. Dass die antinapoleonische Kriege seit 1809 von deutschpatriotischen Aufwallungen nur begleitet, aber nicht getragen wurden, dass diese selbst im preußischen Norddeutschland nur von einer studentisch-städtischen Minderheit geteilten franzosenfeindlichen Emotionen im Süden Deutschlands kaum ein Rolle spielten, das ist wenig überraschend. In der Ausnahmesituation des Krieges steht die Naherfahrung immer im Vordergrund, und weiträumige Sinngebungen bleiben der Nachwelt vorbehalten. „Patriotismus” blieb auch nach 1800 auf Regionen und Dynastien gerichtet, und der moderne, französisch beeinflusste Appell an Volk und Vaterland, nicht zuletzt zur Begründung der allgemeinen Wehrpflicht, war in Deutschland ohnehin die Angelegenheit sich reformierender Obrigkeiten. Dazu kommen im Falle Süddeutschlands – also der seit 1806 neu formierten Flächenstaaten Baden, Württemberg und Bayern – Umstände, die mit dem Untertitel von Ute Planerts Studie zu tun haben: „Frankreichs Krieg und der deutsche Süden: Alltag – Wahrnehmung – Deutung. 1792-1841”.
Im Gegensatz zu Norddeutschland, das sich 1795 durch einen Sonderfrieden aus den europäischen Revolutioskriegen entfernt und bis 1806 Ruhe hatte, erlebte der Alpenraum zwischen Rhein, Donau, Oberitalien und Böhmen ein Vierteljahrhundert ununterbrochener Feldzüge zwischen Frankreich und den verschiedenen, meist von Österreich geführten antirevolutionären Koalitionen. Der deutsche Süden war spätestens nach 1812, nachdem der Russlandfeldzug noch einmal ungeheure Opfer mit Hunderttausenden von Toten gefordert hatte, viel zu erschöpft und kriegsmüde für landstürmerischen Patriotismus, den vor allem die wilhelminische Gedenkhistoriographie hundert Jahre später gern imaginierte.
Das ändert in der historischen Langsicht nichts an der Bedeutung des elitären, intellektuellen Nationalismus wie ihn vor allem Fichte in folgenreicher – zum Beispiel auf Italien und Mazzini ausstrahlender – Weise formuliert hat; er hat das 19. und 20. Jahrhundert in wachsendem Maß geprägt. Aber um 1810 war er die Sache einer fanatisierten Avantgarde und wurde selbst von der preußischen Obrigkeit nur in schwacher Dosis instrumentalisiert. Dass Planert all dies für Süddeutschland och einmal im Einzelnen zurechtrückt, ist verdienstvoll, zumal ihr dabei so schöne Funde gelingen wie der Nachweis, dass etwa in der Pfalz bis 1870 napoleonische Veteranenvereine existierten. Aber Wucht erhält diese erdrückend materialreiche Tübinger Habilitationsschrift durch die Entfaltung der Kriegserfahrungen während der zwei Jahrzehnte vor den erst später so genannten Befreiungskriegen.
Hier wird dem Geschichtsbewusstsein ein vergessenes, unbekanntes Terrain zurückerobert, das auch die oft diskutierte Frage nach dem Verhältnis der Deutschen zur Französischen Revolution neu zu kartographieren zwingt. Denn für den einfachen Mann (und seine Frau) kam die neue Zeit in Gestalt überwiegend schrecklicher Ausnahmeerfahrungen: riesige Armeen brachen ein und ernährten sich vom Land, durch das sie zogen, requirierten Vorräte, Vieh, Feldfrüchte, Wein, zwangen zu Schanz- und Transportleistungen, brachten Krankheiten und Seuchen für Mensch und Tier mit, nahmen sich gar nicht selten Mädchen und Frauen, plünderten Kirchen und Klöster, zündeten Häuser und Städte an.
Süddeutschland hatte seit dem 1715 beendeten Spanischen Erbfolgekrieg in Frieden gelebt, umso erschreckender waren die Erfahrungen mit dem modernen französischen Volkskrieg, in dem nicht mehr wohlgeschonte absolutistische Militärmaschinen mit sorgfältiger Logistik und Magazinversorgung aufeinanderstießen, sondern unordentlich uniformierte, struppige, aber hochmotivierte Wehrpflichtige ganze Landstriche kahlfraßen.
Planert tut alles, um Verhaltensweisen und Umstände der Kriegsführung differenziert darzustellen; sie kennt zahllose Beispiele von Schonung und Courtoisie, sie weist darauf hin, dass die antifranzösischen, auf heimischem Boden operierenden Heere nicht gnädiger verfuhren als der revolutionäre Feind; aber das Gesamtbild dieses schon numerisch, gemessen an den mobilisierten Menschenmassen, größten Krieges der bisherigen Weltgeschichte bleibt niederschmetternd. Die von den dicht aufeinanderfolgenden Feldzügen bewirkten Verluste erreichten – gemessen an den damaligen Bevölkerungszahlen – bereits die Dimensionen des Ersten Weltkrieges. Friedrich Gentz, der große, Napoleon aus tiefstem Herzen hassende Publizist, sprach vom „grausamsten Weltkrieg, der je die Gesellschaft erschütterte und auseinanderiss”.
Und was brachten Reformen und Modernisierungen nach dem Ende der verschachtelten, zerstreuten Herrschaften des Alten Reiches? Nicht nur die kalte Zugluft von Gewerbefreiheit, bürgerlicher Selbständigkeit – mit der Liquidierung geistlicher Herrschaften übrigens auch die Abschaffung vielfältiger sozialstaatlicher Institutionen – Rechtsgleichheit und französischen Staatsrationalismus, sondern vor allem eine nun lückenlos gedachte, in der Realität aber fast nur die wenig gebildeten Volksschichten betreffende Wehrpflicht – die greifbarste Folge der „Egalität”. Als gewiefte Alltagshistorikerin beschreibt Planert die Tricks und Täuschungen, um dem staatlichen Zugriff zu entgehen, Geburtstagsschwindeleien, Versteckspiele, vorgeschützte Krankheiten, Heiraten.
Aber auch das konnte nichts daran ändern, dass allein Bayern 1812 in Russland 30 000 Männer opfern musste, und wenn es nach Napoleons Willen gegangen wäre, im Jahr darauf gleich nocheinmal die selbe Zahl hätte stellen sollen. Neben allem, was der Kaiser der Franzosen war und bedeutete, war er eben auch das, was seine fanatischen Feinde ihm vorwarfen: ein Menschenfresser.
Der berühmte Anfangssatz von Thomas Nipperdeys deutscher Geschichte im 19. Jahrhundert „Im Anfang war Napoleon” müsste – jedenfalls für die Masse der stummen Zeitgenossen, deren Stimmen die Nachwelt nicht hört – wohl eher heißen: Im Anfang war der Krieg. Dass Planert diese oft übersehene Dimension sowohl in ihrer zeitlichen Erstreckung – seit 1792 – wie in ihrer kapillaren, den Alltag bis ins letzte Dorf erfassenden Gewalt, sichtbar gemacht hat, ist ein enormes Verdienst. Dafür musste sie hunderte von Archivbeständen, Akten von Städten, Dörfern, Herrschaften, Kirchenbücher, Pfarrchroniken, Lebenszeugnisse durcharbeiten. Sie stieß dabei auf oft archaische Verhältnisse, zum Beispiel eine von der Aufklärung unberührte Volksfrömmigkeit, die unter den Krisen des Alltags eine neue Blüte erlebte.
Bezeichnend auch der Umstand, dass viele Chroniken überhaupt erst niedergeschrieben wurden, um den Nachfahren zu erklären, woher die vielen Schulden kommen, an denen sie zu tragen hatten: Es waren die Schulden der Franzosenzeit, mit denen die Heere der Revolution und ihres genialen Kaisers finanziert wurden. In manchen Ortschaften Mitteldeutschlands verschwanden die letzten Verbindlichkeiten aus den napoleonischen Requisitionen erst durch die Inflation von 1923 – ein Faktum, das den Begriff der „Erbfeindschaft” mit einem ganz eigenen Beigeschmack von Wahrheit versetzt. Und wenn von der deutschen Verspätung die Rede ist, mag man auch an einen fühlbaren Kapitalmangel denken, der die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland hemmte.
Umso wichtiger bleibt Planerts Befund der weitgehenden Abwesenheit antifranzösischer Emotionen in der Kriegszeit selbst. Gleichwohl räumt ihr Buch mit einer verklärenden Sicht auf, die die Jahre um 1800 vor allem unter dem Gesichtspunkt von Fortschritt und Modernisierung beschreibt. Deutschlands kulturell beste Zeit war von Flammenhorizonten umgeben, und man weiß nach diesem Buch den Wert des „Friedens des klassischen Weimar” zwischen 1795 und 1806 neu zu würdigen. Planerts Werk, in einzelnen Passagen glänzend geschrieben und farbig belegt, zeigt als Ganzes die Mühseligkeit einer akademischen Qualifikationsschrift. Die Autorin sollte aus ihrem gewaltigen Material einen charakteristischen, womöglich lokalen Beispielfall – warum nicht die in fast allen Kapiteln herangezogene Bodenseegemeinde Bodman? – herausziehen und dem allgemeinen Publikum in einer schlankeren Erzählung vorstellen, mit all den hinreißenden Quellenzitaten, die sie ausgegraben hat.GUSTAV SEIBT
UTE PLANERT: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden: Alltag-Wahrnehmung-Deutung 1792-1841. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2007. 739 Seiten, 68 Euro.
N. A. Taunay: Einmarsch Napoleons in München, 1805 Abb.: bpk/SZ Photo
Die Wehrpflicht war die greifbarste Folge der „Egalität”
Napoleon war auch, was sein Feinde sagten: ein Menschenfresser
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gustav Seibt preist Ute Planerts Habilitationsschrift über die Revolutionskriege Frankreichs in ihren Auswirkungen auf Süddeutschland von 1792 bis 1841 als höchst verdienstvoll und rühmt vor allem die akribischen Alltagsbeobachtungen, womit die Autorin "unbekanntes Terrain" beschreite. Dass die Historikerin in ihrem Buch mit dem "Mythos der Befreiungskriege" aufräumt, wie der Untertitel verkündet, ist für den Rezensenten zwar keine Sensation, doch die Klarheit, mit der Planert deutlich macht, dass es abgesehen von einer unbedeutenden "nationalistischen Avantgarde" keine allgemeine Franzosenfeindschaft im deutschen Süden gab, findet er lobenswert. Die eigentliche Wirkung erziele Planerts Studie aber in der Nachzeichnung der furchtbaren Kriegserfahrungen der einfachen Menschen und in der plastischen Darstellung der Gewalt, die das gesamte Land "bis ins letzte Dorf" überrollte, so Seibt beeindruckt. Er zeigt sich bei aller Begeisterung für die passagenweise äußerst plastische und brillant geschilderte Studie etwas erschöpft von der schieren Materialfülle, mit der die Autorin aufwartet.

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