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Antal Tombor, Bürgermeister von Kandor, hat sich eingerichtet. Soeben hat er das Haus, in dem sein Urgroßvater gelebt hat, erworben, damit auch sein Urenkel noch hier wohnen kann. Tombor ist von vielen Freunden umgeben, und er hat einiges getan für seine Stadt, hat nach der politischen Wende Verantwortung übernommen - er könnte also zufrieden sein. Gäbe es da nicht seine Geschichten, die ihn immer wieder erinnern, daß man 1944 seine Eltern abgeholt hat, daß er 1956 einen großen Teil seiner Freunde verloren hat und daß er, obschon Mittelpunkt für viele, letzten Endes einsam ist. György Konrad…mehr

Produktbeschreibung
Antal Tombor, Bürgermeister von Kandor, hat sich eingerichtet. Soeben hat er das Haus, in dem sein Urgroßvater gelebt hat, erworben, damit auch sein Urenkel noch hier wohnen kann. Tombor ist von vielen Freunden umgeben, und er hat einiges getan für seine Stadt, hat nach der politischen Wende Verantwortung übernommen - er könnte also zufrieden sein. Gäbe es da nicht seine Geschichten, die ihn immer wieder erinnern, daß man 1944 seine Eltern abgeholt hat, daß er 1956 einen großen Teil seiner Freunde verloren hat und daß er, obschon Mittelpunkt für viele, letzten Endes einsam ist. György Konrad erzählt eine Geschichte von Verlusten und davon, wie schwer es Menschen mit den Realitäten haben können. "Der Nachlaß" ist, indem sich sein Protagonist mal ironisch, oft melancholisch und durchweg listig philosophisch erinnert, nicht nur die Geschichte eines Mannes und seiner Stadt, sondern ein Roman über die ungarische Geschichte der letzten fünfzig Jahre.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2000

Die Schlingen der Dummen
Nichts Gutes im Nachlaß: György Konrád rechnet ab

Der "Nachlaß", den dieses Buch im Titel trägt, ist ein Erbe fataler Art; man kann es nicht ausschlagen. Denn es geht nicht um materielle Güter, die Eltern und Großeltern ihren Nachkommen hinterlassen. "Nachlaß" ist hier, was die jeweils gegenwärtige Generation tut oder zu tun versäumt und was schicksalhafte Folgen zeitigen wird für die Nachgeborenen.

Am Ernst dieses Themas gemessen, scheint György Konráds Geschichte eher munter daher zu fließen. Der ungarische Erzähler begegnet uns launig, manchmal spöttisch malt er sein Bild von den Erdenwürmern, die sich für die Krone der Schöpfung halten. Konrád selber nimmt sich dabei nicht aus, denn er hat eine Zentralfigur nach dem eigenen Bild geformt: Der Romanheld Anatol Tombor, so gut wie gleichaltrig mit dem 1933 geborenen Autor, stammt wie dieser aus jüdischer Familie, überstand die antisemitischen Verfolgungen durch deutsche Nationalsozialisten und ungarische Pfeilkreuzler und Stalins zweite Große Säuberung, die unter antizionistischen Vorzeichen. Als wir ihn kennenlernen, hat seine Heimat Ungarn ihre Abkehr vom Kommunismus hinter sich, und Tombor ist voll Glauben an eine bessere Welt. Es ist kein fester Glaube, und Tombor wundert sich nicht, als er enttäuscht wird. Er selber enttäuscht andere ja auch.

Tombor, von Beruf Theaterregisseur, führt nach der ungarischen Wende auf eine andere Weise Regie, als Bürgermeister seiner Heimatstadt Kandor. In dieser Eigenschaft begegnet er uns auf der ersten Seite, und dieser Anfang scheint ermutigend, läßt er doch an Befreiung, bessere Zeiten denken. Tombors Freunde und Verwandte, Parteigänger und Mitstreiter stützen den Eindruck. Wie es aussieht, bieten sie einander Zuhause und Geborgenheit. Manche Bürger mögen nicht, wenn einer mächtiger ist als sie, und da kein totalitärer Maulkorb sie hindert, geben sie ihrem Groll Ausdruck. Doch Tombor ist ihresgleichen, lügt und betrügt zum eigenen Vorteil, und nach seinen außerehelichen Eskapaden fragt man besser nicht. Immer wieder nimmt der Bürgermeister uns mit in seine elysischen Gefilde, bestehend aus der Geborgenheit im Städtchen, der landschaftlichen Schönheit, dem Miteinander von Gleichgesinnten.

All das könnte eine Lebensszenerie herkömmlicher Art sein, in der Leistung und Versagen, Sünde und Reue, Geburt und Tod ihren gottgewollten Platz haben. Es könnte sein - wenn nicht das Weltbild in Trümmern läge. Tombor und die Seinen vergessen das zuweilen, der Autor nie, weshalb sein Roman nur oberflächlich vom heilen Bild handelt, im wesentlichen vom Trümmerhaufen. Immer wenn er das deutlich machen will, wechselt Konrád die Perspektive: Dann ergeht sich nicht mehr der Ich-Erzähler Tombor in seinen Erinnerungen, sondern ein mitleidloser Dritter porträtiert ihn in Not und Ausweglosigkeit: "Seine größte Arbeit besteht darin, den Tod zu vertreiben, der Mensch ist von einer nicht zu unterdrückenden Wachsamkeit besessen, mit allem versucht er sich zu beschäftigen. Die Garantie, mein Gott, ist abgelaufen, Viren, Katastrophen, es bleibt sich einerlei. Das namenlose Schicksal knotet schon die Schlinge, die ihm um den Hals gelegt werden wird . . ."

Dies ist es, was Antal Tombor, dem Überlebenden zweier Verfolgungen, geschah. Was immer er tut, es trägt unter dem Zeichen des Erlebten seinen Unwert in sich selbst. Jedes Lachen, mit dem Tombor die glücklichen Stunden quittiert, wandelt sich früher oder später in Hohngelächter. Und bitter ist das Ende, das er nehmen muß. An unheilbarem Muskelschwund erkrankt, gewinnt Tombor unwillkommene Gelegenheit, das Flackerlicht seiner Existenz gründlich zu überdenken. Die Menschen um ihn herum begehen ihre alten Dummheiten, als sei nichts geschehen. Ihnen ist ja auch nichts geschehen, noch nicht. Tombors kleine Tochter treibt im Angesicht des Sterbenden ihre kindlichen Spielchen. Auf sie und ihresgleichen wird der Nachlaß kommen, den der Vater und seinesgleichen bereitet haben. Es gilt als beruhigend, sich in Erben fortzusetzen zu dürfen. Aber was setzt sich da fort? Und wozu?

SABINE BRANDT

György Konrád: "Der Nachlaß". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Hans-Henning Paetzke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 395 S., geb. 42,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Karl-Markus Gauß hätte György Konrad gern gelobt, sich für den neuen Roman begeistert, etwas Positives geschrieben. Allein, im "Nachlaß" findet er nichts Gutes. Deshalb lobt er ausführlich Konrads frühere Meisterwerke, den Rang des Autors. Vielleicht aber auch, um die Fallhöhe noch dramatischer zu machen. Jedenfalls wird Gauss dann um so ehrlicher, nein gnadenloser: "Der Nachlass ist ein literarisches Desaster", Konrad an seinem "künstlerischen Tiefpunkt" angekommen, schreibt Gauß. Hellauf entsetzt zeigt er sich von Allgemeinplätzen und Allerweltsweisheiten, die Konrad seiner Meinung nach einfallslos aneinanderreiht: "Als wäre er nie ein Kritiker, sondern Protokollchef des bürokratischen Staates gewesen". Fast über eine ganze Seite schüttet Gauß seinen Ärger, sein Hohn wird immer lakonischer, sein Spott von Zeile zu Zeile beißender. Einige Passagen des Buches, lästert Gauß, könnten auch im Lyrik-Bändchen eines evangelischen Frauentages stehen. Nur Konrad wird über diesen Verriss gar nicht lachen können.

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