Die Pionierinnen des Deutschen Bundestages.
Als am 7. September 1949 die 410 frisch gewählten Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages zusammenkamen, waren darunter 28 Frauen. Während der Legislaturperiode wuchs deren Zahl auf 38, doch hatten sie es schwer, politisch in Erscheinung zu treten. Dennoch behaupteten sie sich in ihren Fraktionen und in den Ausschüssen. Die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel wurde zur ersten weiblichen Partei- und Fraktionsvorsitzenden gewählt, die SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff stieß als bekennende Jüdin und Holocaust-Überlebende mit ihren Forderungen nach Entschädigung der jüdischen Opfer im Parlament auf viel Unverständnis. Und die Theologin und CDU-Abgeordnete Anne Marie Heiler war eine typische Hinterbänklerin und hielt am 12. Mai 1950 ihre erste Rede. "Der nächste Redner ist eine Dame", kündigte Bundestagspräsident Erich Köhler sie an.
Mit einem Vorwort von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, 38 Kurzporträts und Texten vonHelene Bukowski, Julia Franck, Shelly Kupferberg, Terézia Mora und Juli Zeh.
Als am 7. September 1949 die 410 frisch gewählten Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages zusammenkamen, waren darunter 28 Frauen. Während der Legislaturperiode wuchs deren Zahl auf 38, doch hatten sie es schwer, politisch in Erscheinung zu treten. Dennoch behaupteten sie sich in ihren Fraktionen und in den Ausschüssen. Die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel wurde zur ersten weiblichen Partei- und Fraktionsvorsitzenden gewählt, die SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff stieß als bekennende Jüdin und Holocaust-Überlebende mit ihren Forderungen nach Entschädigung der jüdischen Opfer im Parlament auf viel Unverständnis. Und die Theologin und CDU-Abgeordnete Anne Marie Heiler war eine typische Hinterbänklerin und hielt am 12. Mai 1950 ihre erste Rede. "Der nächste Redner ist eine Dame", kündigte Bundestagspräsident Erich Köhler sie an.
Mit einem Vorwort von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, 38 Kurzporträts und Texten vonHelene Bukowski, Julia Franck, Shelly Kupferberg, Terézia Mora und Juli Zeh.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Kim Maurus findet den vom Deutschen Bundestag selbst herausgegebenen Band über die Frauen im Parlament höchst wichtig. Wer weiß schon, dass der Deutsche Bundestag 1949 unter seinen 410 Abgeordneten nur 28 Frauen zählte und wer genau diese waren. Der Band macht diese Frauen "sichtbar", jedenfalls teilweise, meint Maurus. Wie die fünf Schriftstellerinnen im Band von Terezia Mora bis Helene Bukowski sich den Einzelbiografien widmen, mal in direkter Ansprache, mal essayistisch, findet Maurus mitunter gewöhnungsbedürftig, aber im Ganzen zielführend. Weniger gut gefallen ihr die angehängten, "nüchternen" Kurzbiografien. Damit, so Maurus, leistet der Band den Parlamentarierinnen einen Bärendienst, denn sie bleiben weitgehend "blass".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.05.2024Blumen, Unkraut, ganze Kerle
Dem ersten Nachkriegsparlament gehörten 382 Männer an und 28 Frauen.
Wer waren diese Frauen? Ein Porträtbuch liefert Aufklärung.
Der erste Deutsche Bundestag hatte bereits vor mehreren Monaten seine Arbeit aufgenommen, als am 12. Mai 1950 der damalige Bundestagspräsident Erich Köhler ans Mikrofon trat. Es ging um die Haushaltsberatungen, mehrere männliche Abgeordnete hatten gesprochen, nun sagte Köhler diesen einen Satz: „Der nächste Redner ist eine Dame.“
Der nächste Redner, eine Dame?
Als der Bundestag im September 1949 zum ersten Mal zusammenkam, saßen im Bonner Plenarsaal 410 Abgeordnete, unter ihnen 382 Männer und 28 Frauen. Während die Männer selbstverständlich zu Abendveranstaltungen eingeladen wurden, konnten die Frauen mit der Ehefrau des Bundespräsidenten Tee trinken. Während die Männer selbstverständlich das Wort ergriffen, war eine Frau am Mikrofon die Ausnahme zur Regel, wie in der 64. Sitzung die Marburger CDU-Abgeordnete Anne Marie Heiler.
Wer ist diese Frau? Wer sind die anderen Frauen, die ihr Mandat nur dann antreten durften, wenn ihre Ehemänner es erlaubten? Und was wollen sie erreichen mit ihrer Arbeit im Parlament?
Wenn Deutschland in diesem Mai 75 Jahre Grundgesetz feiert, wird viel geredet werden über Demokratie und Freiheit, vielleicht auch über den Wiederaufbau dieses Landes aus den Trümmern. Umso wichtiger, dass fast gleichzeitig „Der nächste Redner ist eine Dame – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag“ erscheint, ein Buch, das an all die weiblichen Abgeordneten erinnert, die bei diesem Wiederaufbau mithalfen, der auch ein politischer war, und deren Namen heute kaum jemand kennt.
Das Buch bietet auf 250 Seiten einen sehr guten Überblick darüber, was die Frauen verbunden hat: Viele waren die ersten, die ein Studium begonnen hatten, die ersten, die sich politisch engagieren konnten. Während manche schon in der Weimarer Zeit ein Amt innehatten, mussten im Bonner Bundestag alle um ihren Platz kämpfen. „Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut“, sagte 1949 etwa ein CSU-Politiker.
Und so kämpften sie füreinander – etwa bei der Neuregelung des Mutterschutzes, bei dem die CDU-Frauen dafür sorgten, dass ihre Fraktion einem von den SPD-Frauen eingebrachten Entwurf zustimmte –, aber auch für ihre eigenen Themen, wie die Autorinnen der einzelnen Biografien zeigen.
Da ist etwa die Sozialdemokratin Jeannette Wolff, die erste und einzige jüdische Abgeordnete, die ein Vernichtungslager der Nazis überlebt hat. Ihre Tochter Juliane war im KZ Buchenwald ermordet worden, ihr Ehemann wohl auf einem Todesmarsch nach Flossenbürg gestorben, und sie entscheidet sich nach dem Krieg, nach Berlin zurückzukehren, ins Land der Täter. „Ein neues Deutschland mit Menschen, die geistig und selig erneuert werden müssen“, das sei ihr Ziel, so sagte es Jeanette Wolff einmal. Als die gelernte Erzieherin 1952 in den Bundestag nachrückte, setzte sie sich dort für die Entschädigung der Opfer ein, Entschädigung, das war ihr wichtig, denn keine materielle Leistung könne die Verbrechen der Nazis „wiedergutmachen“. Bis heute, so heißt es im Buch, wäre die Konstituierung unserer Demokratie, die Aufklärung und Aufarbeitung ohne ihre Politik nicht möglich gewesen.
Da ist aber auch die CSU-Abgeordnete Maria Probst, die im Dezember 1965 zur ersten Vizepräsidentin des Bundestags gewählt wurde. Kurz vor Kriegsende war ihr Mann bei Danzig gefallen, in ihrem Lebenslauf schreibt sie, da sie nun keine Gehaltszahlung mehr erhalte, „war ich gezwungen den Lebensunterhalt für mich und meine zwei Kinder (jetzt 8 und 16 Jahre alt) selbst zu verdienen“. Das tut sie erst als Lehrerin, dann als Abgeordnete im Landtag, in den sie auch deshalb gewählt wird, weil sie sich für Kriegswitwen eingesetzt hat. Als sie 1949 in den Bundestag einzieht, bleibt dieses Thema wichtig für sie: Während eines Mittagessens soll sie den damaligen Finanzminister Franz Etzel überzeugt haben, den Etat für die Versorgung der Kriegsversehrten von 550 Millionen Mark zu verdoppeln. Die Zeit schrieb über sie: „Die höchste Frau: ein ganzer Kerl“.
Jeannette Wolff und Maria Probst, das sind nur zwei der Abgeordneten, die von verschiedenen Autorinnen – etwa den Schriftstellerinnen Terézia Mora und Juli Zeh – vorgestellt werden. In 38 Porträts und Kurzbiografien zeigt das Buch, was die Politikerinnen in der noch jungen Bundesrepublik bewirken konnten, allen Widerständen zum Trotz, und einmal dann auch, was in der Berliner Gegenwart zu tun ist. Wie können Amt und Familie besser vereinbar sein? Wie können Politikerinnen besser vor Anfeindungen geschützt werden? „Wir werden nur vorankommen auf dem Weg zur Parität, wenn wir unsere Erfahrungen weitergeben“, schreibt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, und macht damit klar: Die Erfahrungen der ersten Generation mögen nun aufgeschrieben sein, aber ein guter Teil des Weges ist noch zu gehen.
GIANNA NIEWEL
Deutscher Bundestag (Hg.):
Der nächste Redner ist eine Dame. Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag. Ch. Links Verlag, Berlin, 256 Seiten, 25 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Dem ersten Nachkriegsparlament gehörten 382 Männer an und 28 Frauen.
Wer waren diese Frauen? Ein Porträtbuch liefert Aufklärung.
Der erste Deutsche Bundestag hatte bereits vor mehreren Monaten seine Arbeit aufgenommen, als am 12. Mai 1950 der damalige Bundestagspräsident Erich Köhler ans Mikrofon trat. Es ging um die Haushaltsberatungen, mehrere männliche Abgeordnete hatten gesprochen, nun sagte Köhler diesen einen Satz: „Der nächste Redner ist eine Dame.“
Der nächste Redner, eine Dame?
Als der Bundestag im September 1949 zum ersten Mal zusammenkam, saßen im Bonner Plenarsaal 410 Abgeordnete, unter ihnen 382 Männer und 28 Frauen. Während die Männer selbstverständlich zu Abendveranstaltungen eingeladen wurden, konnten die Frauen mit der Ehefrau des Bundespräsidenten Tee trinken. Während die Männer selbstverständlich das Wort ergriffen, war eine Frau am Mikrofon die Ausnahme zur Regel, wie in der 64. Sitzung die Marburger CDU-Abgeordnete Anne Marie Heiler.
Wer ist diese Frau? Wer sind die anderen Frauen, die ihr Mandat nur dann antreten durften, wenn ihre Ehemänner es erlaubten? Und was wollen sie erreichen mit ihrer Arbeit im Parlament?
Wenn Deutschland in diesem Mai 75 Jahre Grundgesetz feiert, wird viel geredet werden über Demokratie und Freiheit, vielleicht auch über den Wiederaufbau dieses Landes aus den Trümmern. Umso wichtiger, dass fast gleichzeitig „Der nächste Redner ist eine Dame – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag“ erscheint, ein Buch, das an all die weiblichen Abgeordneten erinnert, die bei diesem Wiederaufbau mithalfen, der auch ein politischer war, und deren Namen heute kaum jemand kennt.
Das Buch bietet auf 250 Seiten einen sehr guten Überblick darüber, was die Frauen verbunden hat: Viele waren die ersten, die ein Studium begonnen hatten, die ersten, die sich politisch engagieren konnten. Während manche schon in der Weimarer Zeit ein Amt innehatten, mussten im Bonner Bundestag alle um ihren Platz kämpfen. „Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut“, sagte 1949 etwa ein CSU-Politiker.
Und so kämpften sie füreinander – etwa bei der Neuregelung des Mutterschutzes, bei dem die CDU-Frauen dafür sorgten, dass ihre Fraktion einem von den SPD-Frauen eingebrachten Entwurf zustimmte –, aber auch für ihre eigenen Themen, wie die Autorinnen der einzelnen Biografien zeigen.
Da ist etwa die Sozialdemokratin Jeannette Wolff, die erste und einzige jüdische Abgeordnete, die ein Vernichtungslager der Nazis überlebt hat. Ihre Tochter Juliane war im KZ Buchenwald ermordet worden, ihr Ehemann wohl auf einem Todesmarsch nach Flossenbürg gestorben, und sie entscheidet sich nach dem Krieg, nach Berlin zurückzukehren, ins Land der Täter. „Ein neues Deutschland mit Menschen, die geistig und selig erneuert werden müssen“, das sei ihr Ziel, so sagte es Jeanette Wolff einmal. Als die gelernte Erzieherin 1952 in den Bundestag nachrückte, setzte sie sich dort für die Entschädigung der Opfer ein, Entschädigung, das war ihr wichtig, denn keine materielle Leistung könne die Verbrechen der Nazis „wiedergutmachen“. Bis heute, so heißt es im Buch, wäre die Konstituierung unserer Demokratie, die Aufklärung und Aufarbeitung ohne ihre Politik nicht möglich gewesen.
Da ist aber auch die CSU-Abgeordnete Maria Probst, die im Dezember 1965 zur ersten Vizepräsidentin des Bundestags gewählt wurde. Kurz vor Kriegsende war ihr Mann bei Danzig gefallen, in ihrem Lebenslauf schreibt sie, da sie nun keine Gehaltszahlung mehr erhalte, „war ich gezwungen den Lebensunterhalt für mich und meine zwei Kinder (jetzt 8 und 16 Jahre alt) selbst zu verdienen“. Das tut sie erst als Lehrerin, dann als Abgeordnete im Landtag, in den sie auch deshalb gewählt wird, weil sie sich für Kriegswitwen eingesetzt hat. Als sie 1949 in den Bundestag einzieht, bleibt dieses Thema wichtig für sie: Während eines Mittagessens soll sie den damaligen Finanzminister Franz Etzel überzeugt haben, den Etat für die Versorgung der Kriegsversehrten von 550 Millionen Mark zu verdoppeln. Die Zeit schrieb über sie: „Die höchste Frau: ein ganzer Kerl“.
Jeannette Wolff und Maria Probst, das sind nur zwei der Abgeordneten, die von verschiedenen Autorinnen – etwa den Schriftstellerinnen Terézia Mora und Juli Zeh – vorgestellt werden. In 38 Porträts und Kurzbiografien zeigt das Buch, was die Politikerinnen in der noch jungen Bundesrepublik bewirken konnten, allen Widerständen zum Trotz, und einmal dann auch, was in der Berliner Gegenwart zu tun ist. Wie können Amt und Familie besser vereinbar sein? Wie können Politikerinnen besser vor Anfeindungen geschützt werden? „Wir werden nur vorankommen auf dem Weg zur Parität, wenn wir unsere Erfahrungen weitergeben“, schreibt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, und macht damit klar: Die Erfahrungen der ersten Generation mögen nun aufgeschrieben sein, aber ein guter Teil des Weges ist noch zu gehen.
GIANNA NIEWEL
Deutscher Bundestag (Hg.):
Der nächste Redner ist eine Dame. Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag. Ch. Links Verlag, Berlin, 256 Seiten, 25 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ein kurioses, aber überaus erhellendes Lesebuch über diese Zeit.« Salzburger Nachrichten 20240601
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2024Der Vater war ihr Vorbild
Wer waren 1949 die ersten Parlamentarierinnen? Der Bundestag stellt sie vor - mit einem zwiespältigen Ansatz
Um ein Bankkonto zu öffnen, braucht jemand wie Friederike Mulert die Zustimmung ihres Mannes. Das Vermögen verwaltet er, auch den Teil, das sie mit in die Ehe gebracht hat. Ob sie seinen Nachnamen annehmen will, steht nicht zur Debatte - das Gesetz sieht es so vor. Um einen Beruf zu ergreifen, braucht sie seine Zustimmung, selbst wenn sie in den Bundestag gewählt wird. Ist sie beides, berufstätig und verheiratet, gilt sie als argwöhnisch zu betrachtende "Doppelverdienerin". Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist abwegig. Jemand wie Margot Kalinke ist berufstätig und unverheiratet, sie muss immer befürchten, von einem Mann ersetzt zu werden, der ja seine Familie ernähren muss. Jemand wie Luise Dieckerhoff (später Rehling) ist Lehrerin, sie muss sich entscheiden: heiraten oder den Job behalten? Das "Lehrerinnenzölibat" untersagt Zweigleisigkeit.
Nach 1945 lag Deutschland in Trümmern. Intakt waren die Regeln, die den meisten Menschen das Leben erschwerten: Nach Kriegsende in Westdeutschland galt zunächst weiter die Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900.
Welche Frau sucht zwischen diesen einschnürenden Regeln den Weg in die Politik, gar in den Bundestag? Nach zwei Weltkriegen, nach Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, die beispiellose menschliche Abgründe offenbarte, in die bis heute Überzeugte hinabsteigen. Im Jahr 1952 war unter den Politikerinnen, die das geschriebene und subtile Regelkorsett nicht lähmte, auch eine, die den Nationalsozialismus überlebt hatte: die Jüdin und SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff.
Im September 1949 kam erstmals der Deutsche Bundestag zusammen, die insgesamt 410 Abgeordneten zählten nur 28 Frauen, während der ersten Legislaturperiode sollten zehn weitere hinzukommen. Angesichts zweier Jubiläen, 75 Jahre Deutscher Bundestag und 25 Jahre Parlament in Berlin, will das Gremium selbst als Herausgeber von "Der nächste Redner ist eine Dame" die Frauen sichtbar machen, die sich jedweden Umständen zum Trotz in der Politik herumtrieben.
Das gelingt nur teilweise, in diesen Fällen aber eindrücklich. Zu Beginn des Buches widmen sich fünf Schriftstellerinnen, darunter Terézia Mora und Juli Zeh, fünf Politikerinnen auf essayistisch-emotionale Weise. Helene Bukowski schreibt über die FDP-Abgeordnete Friederike Mulert, indem sie die Ärztin durchgängig direkt anspricht, etwa als deren Mann nach Kriegsbeginn eingezogen wurde: "Hast du dich an diesen Zustand gewöhnt? Das Alleineschlafen? Martins Abwesenheit?" Wer sich nur für politische Fakten interessiert, könnte das kitschig oder gar vermessen finden, aber jemandem eine historische Figur näherzubringen gelingt so allemal.
Dann Jeanette Wolff. "Wolff hat fast alles verloren, was ein Mensch verlieren kann", schreibt Julia Franck über ihr Leben nach der Stunde Null. Wolffs Mann, zwei Töchter, mindestens eine Enkelin, ihre Geschwister und deren Familien, die Nazis haben sie alle ermordet. Demnach ist Wolff bis heute die einzige jüdische Bundestagsabgeordnete, die eine NS-Gefangenschaft überlebt hat. Sie schreibt ein Buch darüber, es heißt: "Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in den deutschen Konzentrationslagern im Osten". Wolff hätte nach New York gehen können, sie hatte ein Arbeitsangebot. Sie entscheidet sich, in Berlin zu bleiben, gründet mit anderen die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Politisch kämpft sie für Entschädigungszahlungen an Holocaustüberlebende - während Beamte und Angestellte trotz nationalsozialistischer Vergangenheit gute Renten bekommen. Auch den Abgeordneten Luise Rehling (CDU), Maria Probst (CSU) und Grete Thiele (KPD) werden längere Kapitel gewidmet. Der Stil ist je nach Autorin anders, aber langweilt nie.
Dann verliert das Buch rapide an Fahrt, weil 38 Kurzbiographien folgen, auch derer fünf, über die man schon informiert ist. Das ist der Hauptgrund, warum die Frauen in diesem Buch bis auf wenige Ausnahme trotz ihres beeindruckenden Werdegangs blass bleiben. Die jeweilig dreiseitigen Abhandlungen sind zu kurz, ihre Aneinanderreihung erzeugt ein nüchternes Nachschlagwerk, was teilweise natürlich auch an nicht vorhandenen Quellen liegt.
Und doch verstecken sich darin Hinweise, weshalb viele von ihnen jahrelang weitermachten, ungeachtet der Regeln und der Kommentare der Männer, etwa dem von Michael Horlacher, Präsident des Bayerischen Landtags im Jahr 1949: "Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut." Viele der Parlamentarierinnen waren mit einem Mann groß geworden, der es ein bisschen anders sah als der Rest. "Der Vater war ihr Vorbild", heißt es in den Biographien immer wieder und man kann ohne Mühe Parallelen zur heutigen Form von Feminismus ziehen, die sagt: Ohne die Männer geht es nicht. Es waren damals die Väter, die den Töchtern schon vor der Schule Lesen beibrachten, sie ermutigten zu studieren oder in die Politik zu gehen, Väter, die ihre Töchter mit auf Reisen nahmen, weil sie nicht daran glaubten, dass Frauen auf See Unglück brachten.
Der SPD-Abgeordneten Elisabeth Selbert ist der Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" im Grundgesetz zu verdanken. Die meisten Politikerinnen damals setzten sich in ihrer Fraktion und im Parlament für eine gerechtere Frauen-, Familien- oder Sozialpolitik ein. All ihr Wirken über einen Kamm zu scheren wäre verkürzend, aber wer die Biographien liest, kommt zu dem Schluss: Betroffenheit macht politisch, in der politischen Arbeit selbstlos zu bleiben ist eine Kunst.
"Von den meisten weiblichen Abgeordneten im ersten Deutschen Bundestag ist nicht einmal der Name einem größeren Publikum bekannt", schreibt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in ihrem Vorwort. Und man möchte ihr entgegnen, dass Sichtbarkeit schon im Inhaltsverzeichnis beginnen kann. Nach den fünf längeren Porträts steht dort namenlos: 38 Kurzbiographien. KIM MAURUS
Deutscher Bundestag (Hrsg): Der nächste Redner ist eine Dame. Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag.
Ch. Links Verlag, Berlin 2024. 256 S., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Wer waren 1949 die ersten Parlamentarierinnen? Der Bundestag stellt sie vor - mit einem zwiespältigen Ansatz
Um ein Bankkonto zu öffnen, braucht jemand wie Friederike Mulert die Zustimmung ihres Mannes. Das Vermögen verwaltet er, auch den Teil, das sie mit in die Ehe gebracht hat. Ob sie seinen Nachnamen annehmen will, steht nicht zur Debatte - das Gesetz sieht es so vor. Um einen Beruf zu ergreifen, braucht sie seine Zustimmung, selbst wenn sie in den Bundestag gewählt wird. Ist sie beides, berufstätig und verheiratet, gilt sie als argwöhnisch zu betrachtende "Doppelverdienerin". Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist abwegig. Jemand wie Margot Kalinke ist berufstätig und unverheiratet, sie muss immer befürchten, von einem Mann ersetzt zu werden, der ja seine Familie ernähren muss. Jemand wie Luise Dieckerhoff (später Rehling) ist Lehrerin, sie muss sich entscheiden: heiraten oder den Job behalten? Das "Lehrerinnenzölibat" untersagt Zweigleisigkeit.
Nach 1945 lag Deutschland in Trümmern. Intakt waren die Regeln, die den meisten Menschen das Leben erschwerten: Nach Kriegsende in Westdeutschland galt zunächst weiter die Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900.
Welche Frau sucht zwischen diesen einschnürenden Regeln den Weg in die Politik, gar in den Bundestag? Nach zwei Weltkriegen, nach Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, die beispiellose menschliche Abgründe offenbarte, in die bis heute Überzeugte hinabsteigen. Im Jahr 1952 war unter den Politikerinnen, die das geschriebene und subtile Regelkorsett nicht lähmte, auch eine, die den Nationalsozialismus überlebt hatte: die Jüdin und SPD-Abgeordnete Jeanette Wolff.
Im September 1949 kam erstmals der Deutsche Bundestag zusammen, die insgesamt 410 Abgeordneten zählten nur 28 Frauen, während der ersten Legislaturperiode sollten zehn weitere hinzukommen. Angesichts zweier Jubiläen, 75 Jahre Deutscher Bundestag und 25 Jahre Parlament in Berlin, will das Gremium selbst als Herausgeber von "Der nächste Redner ist eine Dame" die Frauen sichtbar machen, die sich jedweden Umständen zum Trotz in der Politik herumtrieben.
Das gelingt nur teilweise, in diesen Fällen aber eindrücklich. Zu Beginn des Buches widmen sich fünf Schriftstellerinnen, darunter Terézia Mora und Juli Zeh, fünf Politikerinnen auf essayistisch-emotionale Weise. Helene Bukowski schreibt über die FDP-Abgeordnete Friederike Mulert, indem sie die Ärztin durchgängig direkt anspricht, etwa als deren Mann nach Kriegsbeginn eingezogen wurde: "Hast du dich an diesen Zustand gewöhnt? Das Alleineschlafen? Martins Abwesenheit?" Wer sich nur für politische Fakten interessiert, könnte das kitschig oder gar vermessen finden, aber jemandem eine historische Figur näherzubringen gelingt so allemal.
Dann Jeanette Wolff. "Wolff hat fast alles verloren, was ein Mensch verlieren kann", schreibt Julia Franck über ihr Leben nach der Stunde Null. Wolffs Mann, zwei Töchter, mindestens eine Enkelin, ihre Geschwister und deren Familien, die Nazis haben sie alle ermordet. Demnach ist Wolff bis heute die einzige jüdische Bundestagsabgeordnete, die eine NS-Gefangenschaft überlebt hat. Sie schreibt ein Buch darüber, es heißt: "Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in den deutschen Konzentrationslagern im Osten". Wolff hätte nach New York gehen können, sie hatte ein Arbeitsangebot. Sie entscheidet sich, in Berlin zu bleiben, gründet mit anderen die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Politisch kämpft sie für Entschädigungszahlungen an Holocaustüberlebende - während Beamte und Angestellte trotz nationalsozialistischer Vergangenheit gute Renten bekommen. Auch den Abgeordneten Luise Rehling (CDU), Maria Probst (CSU) und Grete Thiele (KPD) werden längere Kapitel gewidmet. Der Stil ist je nach Autorin anders, aber langweilt nie.
Dann verliert das Buch rapide an Fahrt, weil 38 Kurzbiographien folgen, auch derer fünf, über die man schon informiert ist. Das ist der Hauptgrund, warum die Frauen in diesem Buch bis auf wenige Ausnahme trotz ihres beeindruckenden Werdegangs blass bleiben. Die jeweilig dreiseitigen Abhandlungen sind zu kurz, ihre Aneinanderreihung erzeugt ein nüchternes Nachschlagwerk, was teilweise natürlich auch an nicht vorhandenen Quellen liegt.
Und doch verstecken sich darin Hinweise, weshalb viele von ihnen jahrelang weitermachten, ungeachtet der Regeln und der Kommentare der Männer, etwa dem von Michael Horlacher, Präsident des Bayerischen Landtags im Jahr 1949: "Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut." Viele der Parlamentarierinnen waren mit einem Mann groß geworden, der es ein bisschen anders sah als der Rest. "Der Vater war ihr Vorbild", heißt es in den Biographien immer wieder und man kann ohne Mühe Parallelen zur heutigen Form von Feminismus ziehen, die sagt: Ohne die Männer geht es nicht. Es waren damals die Väter, die den Töchtern schon vor der Schule Lesen beibrachten, sie ermutigten zu studieren oder in die Politik zu gehen, Väter, die ihre Töchter mit auf Reisen nahmen, weil sie nicht daran glaubten, dass Frauen auf See Unglück brachten.
Der SPD-Abgeordneten Elisabeth Selbert ist der Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" im Grundgesetz zu verdanken. Die meisten Politikerinnen damals setzten sich in ihrer Fraktion und im Parlament für eine gerechtere Frauen-, Familien- oder Sozialpolitik ein. All ihr Wirken über einen Kamm zu scheren wäre verkürzend, aber wer die Biographien liest, kommt zu dem Schluss: Betroffenheit macht politisch, in der politischen Arbeit selbstlos zu bleiben ist eine Kunst.
"Von den meisten weiblichen Abgeordneten im ersten Deutschen Bundestag ist nicht einmal der Name einem größeren Publikum bekannt", schreibt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in ihrem Vorwort. Und man möchte ihr entgegnen, dass Sichtbarkeit schon im Inhaltsverzeichnis beginnen kann. Nach den fünf längeren Porträts steht dort namenlos: 38 Kurzbiographien. KIM MAURUS
Deutscher Bundestag (Hrsg): Der nächste Redner ist eine Dame. Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag.
Ch. Links Verlag, Berlin 2024. 256 S., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.