Voller Ungeduld wartet das bengalische Ehepaar Ashima und Ashoke auf einen Brief von der Großmutter aus Kalkutta. Denn sie muss für den Erstgeborenen des nach Amerika ausgewanderten Paares einen Namen auswählen, so will es die Tradition. Doch welcher Name dem Enkel zugedacht war, wird die Familie nie erfahren. Der Brief ist verloren gegangen und die Großmutter kurz nach der Geburt gestorben. Ashoke nennt seinen Sohn aus einem Impuls heraus Gogol, nach Nikolai Gogol, seinem Lieblingsautor. So beginnt der Junge sein Leben unter falschen Vorzeichen. Eine großes Unglück, glauben seine Eltern, denn nur der richtige, der schicksalhafte Name kann dem Leben Halt geben. Und schließlich wird es das Kind, das in einem fremden Land aufwachsen muss, schon schwer genug haben.
Ashima und Ashoke setzen alles daran, ihren Sohn in der indischen Kultur zu verwurzeln. Doch für Gogol gilt nur eines: Er möchte ein richtiger Amerikaner werden. Er drängt seine Eltern dazu, Thanksgiving zu feiern und isst lieber Roastbeef statt Samosas. Später studiert er Architektur, hat immer wieder neue Freundinnen und trinkt Alkohol - alles gegen den Willen der Eltern. Bis sein Vater stirbt. Mit Ashokes Tod beginnt Gogols so umsichtig konstruierte amerikanische Fassade zu bröckeln.
"Lahiris Sätze sind einfach, elegant und voller suggestiver Kraft." Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Die Erzählungen sind auf ganz wundersam warme Weise melancholisch. Ein besonderer Zauber liegt über 'Melancholie der Ankunft'." Cosmopolitan
"Der Namensvetter erfüllt mehr als alle Erwartungen an die Pulitzerpreisträgerin Jhumpa Lahiri. [...] Es ist ihr gelungen, den unvergesslich schönen Ton, der ihre Erzählungen charakterisiert, erneut erklingen zu lassen und ihn zusammen mit den Themen ihrer Prosa, Exil und Identität, zu einem großen Werk zu orchestrieren. Doch dieses Mal hat sie nicht nur Kammermusik komponiert, Der Namensvetter ist eine Symphonie." New York Times
Ashima und Ashoke setzen alles daran, ihren Sohn in der indischen Kultur zu verwurzeln. Doch für Gogol gilt nur eines: Er möchte ein richtiger Amerikaner werden. Er drängt seine Eltern dazu, Thanksgiving zu feiern und isst lieber Roastbeef statt Samosas. Später studiert er Architektur, hat immer wieder neue Freundinnen und trinkt Alkohol - alles gegen den Willen der Eltern. Bis sein Vater stirbt. Mit Ashokes Tod beginnt Gogols so umsichtig konstruierte amerikanische Fassade zu bröckeln.
"Lahiris Sätze sind einfach, elegant und voller suggestiver Kraft." Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Die Erzählungen sind auf ganz wundersam warme Weise melancholisch. Ein besonderer Zauber liegt über 'Melancholie der Ankunft'." Cosmopolitan
"Der Namensvetter erfüllt mehr als alle Erwartungen an die Pulitzerpreisträgerin Jhumpa Lahiri. [...] Es ist ihr gelungen, den unvergesslich schönen Ton, der ihre Erzählungen charakterisiert, erneut erklingen zu lassen und ihn zusammen mit den Themen ihrer Prosa, Exil und Identität, zu einem großen Werk zu orchestrieren. Doch dieses Mal hat sie nicht nur Kammermusik komponiert, Der Namensvetter ist eine Symphonie." New York Times
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2004Tante Jutta in Kalkutta
Jhumpa Lahiris großes Familienepos über die indische Diaspora
Die amerikanische Schriftstellerin Jhumpa Lahiri, als Tochter bengalischer Eltern in London geboren und in den Vereinigten Staaten aufgewachsen, wurde mit ihrem ersten Buch, dem Erzählungenband "Melancholie der Ankunft", schlagartig berühmt. Im Jahr 1999 erhielt sie dafür den Pulitzerpreis. Die Erwartungen an ihren ersten Roman waren entsprechend hoch. Die Erzählungen kreisten um das Schicksal der indischen Einwanderer an der Ostküste Amerikas, zwei waren in Kalkutta, der Heimat von Lahiris Eltern, angesiedelt. Der Roman bleibt diesen geographischen Bezügen treu, gleich ist ebenso die Erzählhaltung, nämlich eine ruhige, stets mitfühlende, um Verständnis bemühte Betrachtung der Figuren, die das epische Ausmalen nicht scheut.
Es sind durchschnittliche Familien, die Lahiri beschreibt, Familien, die Indien verließen, um in Amerika beruflichen Erfolg zu haben und ein angenehmes Leben zu führen. Gewiß wachsen die Einwanderer an der Herausforderung, unter fremden Menschen zu leben und zumindest teilweise eine Kultur zu tolerieren, die viele ihrer moralischen und sozialen Prinzipien brüskiert. Jhumpa Lahiri zeichnet mit zarter Feder einen Kosmos voller Melancholie, in dem sowohl das konservative bengalische Mittelstandsmilieu von Kalkutta wie auch die Isolation der Neuankömmlinge einen Platz findet. Sie versuchen, die eigenen Traditionen zu bewahren und gleichzeitig in der Neuen Welt zu reüssieren. Man spürt, die Autorin hat erlebt, wovon sie spricht, und sie kann darum aus einer erstaunlich reichen Detailkenntnis beider Milieus schöpfen. Das gibt dem Roman eine Authentizität, die bisher kein ähnlicher Versuch, das indische Einwandererschicksal zu beschreiben, erreicht hat. "Der Namensvetter" ist der exemplarische Roman über die indische Diaspora in den Vereinigten Staaten geworden.
Geschildert wird das Leben zweier Generationen. Da ist zunächst Ashoke Ganguli aus Kalkutta, der als Student nach Boston geht und bleibt. Er kehrt nur zurück, um in Kalkutta Ashima zu heiraten. Es ist eine von den beiden Elternpaaren arrangierte Heirat. Die Braut lernt Ashoke erst kurz zuvor kennen, und ein paar Wochen später nimmt er sie nach Amerika mit zurück. Dort ist sie entsetzlich einsam und weiß sich erst nach Jahren in die amerikanische Gesellschaft einzufinden, ohne sich allerdings jemals integriert zu fühlen. Erst mit der Geburt ihres Sohnes erhält ihr Leben einen Inhalt. Die Eltern nennen ihn "Gogol" nach dem russischen Dichter. Das sollte nur ein Kosename sein; bengalische Eltern geben ihren Kindern davon etliche. Doch wird er dann offizieller Name, denn was einmal im amerikanischen Geburtsregister steht, kann so rasch nicht gelöscht werden.
An dieser Situation hängt Lahiri den gesamten Roman auf, bis hin zum Titel: Der bengalische Gogol ist der "Namensvetter" des großen Russen. Doch weil es kein üblicher Name ist, schon gar kein Vorname, und er anders als sein Vater keine Beziehung zu dem großen Namensgeber entwickeln kann, beginnt Gogol seinen Namen zu hassen. Als Student ändert er seinen Namen in "Nikhil". Diese Geschichte durchzieht als - etwas dünn geratener - roter Faden die Handlung.
Ashoke bleibt als Lehrer an der Universität, er macht Karriere, er zieht eine Familie auf. Die Beschreibung, wie die junge Ehefrau sich Stück für Stück die amerikanische Wirklichkeit erobert, beschwört die Seelennot einer konservativen Mentalität, die sich plötzlich öffnen soll. Ashima gewinnt aber keine einzige amerikanische Freundin; erst nach dem Tod des Ehemannes bemüht sie sich um Kontakte unter Amerikanern. Gogol ist ein Vertreter der zweiten Generation, die schon in Amerika geboren wurde. Die Eltern erwarten von ihrem Sohn dennoch eine Lebenshaltung, die ihrer indischen Tradition entspricht, und versuchen sein Leben zu steuern. Doch Gogol wächst anders auf, bevorzugt amerikanisches Essen und amerikanische Freunde. Wenn die Eltern ihn und seine Schwester Sonia alle paar Jahre nach Kalkutta mitnehmen, sind beide irritiert von der Neugier und der Zensur ihrer Tanten und Onkel, Vettern und Cousinen, die erwarten, daß sie deren eingeschränktes Leben teilen. Der Sohn verläßt schließlich das Elternhaus - ein Trauma jeder indischen Familie -, studiert und beginnt ein unabhängiges Leben.
Die Spannung zwischen indischer Tradition und amerikanischem Freiheitsanspruch flackert neu auf, sobald Gogol mit einer Freundin zusammenlebt, zunächst heimlich ,natürlich. Jhumpa Lahiri schildert teilnahmsvoll dessen drei verschiedene Beziehungen - mit Ruth, der Tochter einer Hippiefamilie, mit Maxine, der künstlerisch und intellektuell anregenden, begüterten Kunstexpertin, sowie mit der bengalischen Französischlehrerin Moushumi, die er schließlich heiratet. Die Episode mit Maxine ist dabei besonders aussagekräftig. Durch Maxine und ihre liberalen, feinsinnigen Eltern präsentiert sich die amerikanische Gesellschaft als kultiviert und aufgeklärt. Mit dieser Verbindung scheint zugleich eine Vermählung des indischen mit dem amerikanischen Element zu gelingen.
Als jedoch Gogols Vater plötzlich und allein an Herzschlag stirbt, ist die Harmonie gestört. Seine indischen Wurzeln werden nun viel wichtiger. Jedes Wochenende besucht er seine untröstliche und einsame Mutter, täglich ruft er sie an. Er fliegt nach Kalkutta, um die Asche des Vaters in den Ganges zu streuen. Gogol und Maxine entfremden sich dadurch. Die Mutter hat als Witwe wieder Macht über ihren Sohn gewonnen, die sie dazu ausnützt, um eine Beziehung mit Moushumi einzufädeln, einem Kind bengalischer Immigranten wie er. Gogol läßt sich höchst unwillig darauf ein, doch sie gelingt, weil auch Moushimi kein konventionelles bengalisches Mutterkind ist, sondern schon kräftig durch die Mühle liberaler westlicher Lebensweise gedreht worden ist. Sie finden zusammen als gebrannte Kinder. Da auch beide Elternpaare die Verbindung gutheißen, gilt Heirat als die natürliche Folge. Die Autorin beschreibt die bengalische Hindu-Heirat in amerikanischer Umgebung knapp und distanziert, als sei dieser Festrausch unpassend in einer vergleichsweise nüchternen Umgebung.
Es ist typisch für die melancholische Ironie von Lahiris Prosa, daß der Roman mit dieser Heirat nicht sein eigentlich konsequentes Happy-End findet. Sie dreht statt dessen die Schraube eine Windung weiter. Das indische Fundament ihrer Heirat scheint nicht stark genug zu sein. Die frankophile Moushumi strebt nach Paris, sie will eine Karriere und sucht Geselligkeit. Für Gogol sind dies fremde Welten. Sie hintergeht ihn, es folgt die Scheidung; Gogol empfindet ein "tiefes, anhaltendes Gefühl von Versagen und Scham", was rückblickend die gesamte Romanhandlung überschattet. Doch erlaubt sich Lahiri nicht einmal versteckt, entweder die indische oder die amerikanische Lebensweise zu verurteilen. Beide beschreibt sie mit Sympathie, und wo Kritik durchscheint, etwa bei der Beschreibung des antiliberalen Mittelstands von Kalkutta, fehlt jede Schärfe.
"Namensvetter" ist aber auch deswegen so gelungen, weil Jhumpa Lahiri ihre Personen gerade so viel individualisiert, daß sie nicht als bloße Typen erscheinen. Doch keine Figur transzendiert ihr Immigrantendasein. Allerdings interessiert Lahiri weder die soziale Situation Kalkuttas oder die der Ostküste Amerikas und ihre Entwicklung in den letzten dreißig Jahren. Weder Kalkutta noch New York werden als Orte außerhalb der begrenzten Immigrantenperspektive plastisch, obwohl die Autorin mit Einzelheiten - Namen von Orten und Straßen, von Speisen und Festen - nicht spart. Diese Details irritieren aber eher, als daß sie zur Verdichtung des Milieus beitragen, zumal sie auf indischer Seite nicht durchgehend erklärt sind. Ein Glossar hätte geholfen. Aber diese Einwände verblassen angesichts der souveränen, bedächtigen, einfühlsam nuancierten Erzählführung, die bis zum Schluß in ihren Bann zieht.
MARTIN KÄMPCHEN.
Jhumpa Lahiri: "Der Namensvetter". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Barbara Heller. Blessing Verlag, München 2003. 351 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jhumpa Lahiris großes Familienepos über die indische Diaspora
Die amerikanische Schriftstellerin Jhumpa Lahiri, als Tochter bengalischer Eltern in London geboren und in den Vereinigten Staaten aufgewachsen, wurde mit ihrem ersten Buch, dem Erzählungenband "Melancholie der Ankunft", schlagartig berühmt. Im Jahr 1999 erhielt sie dafür den Pulitzerpreis. Die Erwartungen an ihren ersten Roman waren entsprechend hoch. Die Erzählungen kreisten um das Schicksal der indischen Einwanderer an der Ostküste Amerikas, zwei waren in Kalkutta, der Heimat von Lahiris Eltern, angesiedelt. Der Roman bleibt diesen geographischen Bezügen treu, gleich ist ebenso die Erzählhaltung, nämlich eine ruhige, stets mitfühlende, um Verständnis bemühte Betrachtung der Figuren, die das epische Ausmalen nicht scheut.
Es sind durchschnittliche Familien, die Lahiri beschreibt, Familien, die Indien verließen, um in Amerika beruflichen Erfolg zu haben und ein angenehmes Leben zu führen. Gewiß wachsen die Einwanderer an der Herausforderung, unter fremden Menschen zu leben und zumindest teilweise eine Kultur zu tolerieren, die viele ihrer moralischen und sozialen Prinzipien brüskiert. Jhumpa Lahiri zeichnet mit zarter Feder einen Kosmos voller Melancholie, in dem sowohl das konservative bengalische Mittelstandsmilieu von Kalkutta wie auch die Isolation der Neuankömmlinge einen Platz findet. Sie versuchen, die eigenen Traditionen zu bewahren und gleichzeitig in der Neuen Welt zu reüssieren. Man spürt, die Autorin hat erlebt, wovon sie spricht, und sie kann darum aus einer erstaunlich reichen Detailkenntnis beider Milieus schöpfen. Das gibt dem Roman eine Authentizität, die bisher kein ähnlicher Versuch, das indische Einwandererschicksal zu beschreiben, erreicht hat. "Der Namensvetter" ist der exemplarische Roman über die indische Diaspora in den Vereinigten Staaten geworden.
Geschildert wird das Leben zweier Generationen. Da ist zunächst Ashoke Ganguli aus Kalkutta, der als Student nach Boston geht und bleibt. Er kehrt nur zurück, um in Kalkutta Ashima zu heiraten. Es ist eine von den beiden Elternpaaren arrangierte Heirat. Die Braut lernt Ashoke erst kurz zuvor kennen, und ein paar Wochen später nimmt er sie nach Amerika mit zurück. Dort ist sie entsetzlich einsam und weiß sich erst nach Jahren in die amerikanische Gesellschaft einzufinden, ohne sich allerdings jemals integriert zu fühlen. Erst mit der Geburt ihres Sohnes erhält ihr Leben einen Inhalt. Die Eltern nennen ihn "Gogol" nach dem russischen Dichter. Das sollte nur ein Kosename sein; bengalische Eltern geben ihren Kindern davon etliche. Doch wird er dann offizieller Name, denn was einmal im amerikanischen Geburtsregister steht, kann so rasch nicht gelöscht werden.
An dieser Situation hängt Lahiri den gesamten Roman auf, bis hin zum Titel: Der bengalische Gogol ist der "Namensvetter" des großen Russen. Doch weil es kein üblicher Name ist, schon gar kein Vorname, und er anders als sein Vater keine Beziehung zu dem großen Namensgeber entwickeln kann, beginnt Gogol seinen Namen zu hassen. Als Student ändert er seinen Namen in "Nikhil". Diese Geschichte durchzieht als - etwas dünn geratener - roter Faden die Handlung.
Ashoke bleibt als Lehrer an der Universität, er macht Karriere, er zieht eine Familie auf. Die Beschreibung, wie die junge Ehefrau sich Stück für Stück die amerikanische Wirklichkeit erobert, beschwört die Seelennot einer konservativen Mentalität, die sich plötzlich öffnen soll. Ashima gewinnt aber keine einzige amerikanische Freundin; erst nach dem Tod des Ehemannes bemüht sie sich um Kontakte unter Amerikanern. Gogol ist ein Vertreter der zweiten Generation, die schon in Amerika geboren wurde. Die Eltern erwarten von ihrem Sohn dennoch eine Lebenshaltung, die ihrer indischen Tradition entspricht, und versuchen sein Leben zu steuern. Doch Gogol wächst anders auf, bevorzugt amerikanisches Essen und amerikanische Freunde. Wenn die Eltern ihn und seine Schwester Sonia alle paar Jahre nach Kalkutta mitnehmen, sind beide irritiert von der Neugier und der Zensur ihrer Tanten und Onkel, Vettern und Cousinen, die erwarten, daß sie deren eingeschränktes Leben teilen. Der Sohn verläßt schließlich das Elternhaus - ein Trauma jeder indischen Familie -, studiert und beginnt ein unabhängiges Leben.
Die Spannung zwischen indischer Tradition und amerikanischem Freiheitsanspruch flackert neu auf, sobald Gogol mit einer Freundin zusammenlebt, zunächst heimlich ,natürlich. Jhumpa Lahiri schildert teilnahmsvoll dessen drei verschiedene Beziehungen - mit Ruth, der Tochter einer Hippiefamilie, mit Maxine, der künstlerisch und intellektuell anregenden, begüterten Kunstexpertin, sowie mit der bengalischen Französischlehrerin Moushumi, die er schließlich heiratet. Die Episode mit Maxine ist dabei besonders aussagekräftig. Durch Maxine und ihre liberalen, feinsinnigen Eltern präsentiert sich die amerikanische Gesellschaft als kultiviert und aufgeklärt. Mit dieser Verbindung scheint zugleich eine Vermählung des indischen mit dem amerikanischen Element zu gelingen.
Als jedoch Gogols Vater plötzlich und allein an Herzschlag stirbt, ist die Harmonie gestört. Seine indischen Wurzeln werden nun viel wichtiger. Jedes Wochenende besucht er seine untröstliche und einsame Mutter, täglich ruft er sie an. Er fliegt nach Kalkutta, um die Asche des Vaters in den Ganges zu streuen. Gogol und Maxine entfremden sich dadurch. Die Mutter hat als Witwe wieder Macht über ihren Sohn gewonnen, die sie dazu ausnützt, um eine Beziehung mit Moushumi einzufädeln, einem Kind bengalischer Immigranten wie er. Gogol läßt sich höchst unwillig darauf ein, doch sie gelingt, weil auch Moushimi kein konventionelles bengalisches Mutterkind ist, sondern schon kräftig durch die Mühle liberaler westlicher Lebensweise gedreht worden ist. Sie finden zusammen als gebrannte Kinder. Da auch beide Elternpaare die Verbindung gutheißen, gilt Heirat als die natürliche Folge. Die Autorin beschreibt die bengalische Hindu-Heirat in amerikanischer Umgebung knapp und distanziert, als sei dieser Festrausch unpassend in einer vergleichsweise nüchternen Umgebung.
Es ist typisch für die melancholische Ironie von Lahiris Prosa, daß der Roman mit dieser Heirat nicht sein eigentlich konsequentes Happy-End findet. Sie dreht statt dessen die Schraube eine Windung weiter. Das indische Fundament ihrer Heirat scheint nicht stark genug zu sein. Die frankophile Moushumi strebt nach Paris, sie will eine Karriere und sucht Geselligkeit. Für Gogol sind dies fremde Welten. Sie hintergeht ihn, es folgt die Scheidung; Gogol empfindet ein "tiefes, anhaltendes Gefühl von Versagen und Scham", was rückblickend die gesamte Romanhandlung überschattet. Doch erlaubt sich Lahiri nicht einmal versteckt, entweder die indische oder die amerikanische Lebensweise zu verurteilen. Beide beschreibt sie mit Sympathie, und wo Kritik durchscheint, etwa bei der Beschreibung des antiliberalen Mittelstands von Kalkutta, fehlt jede Schärfe.
"Namensvetter" ist aber auch deswegen so gelungen, weil Jhumpa Lahiri ihre Personen gerade so viel individualisiert, daß sie nicht als bloße Typen erscheinen. Doch keine Figur transzendiert ihr Immigrantendasein. Allerdings interessiert Lahiri weder die soziale Situation Kalkuttas oder die der Ostküste Amerikas und ihre Entwicklung in den letzten dreißig Jahren. Weder Kalkutta noch New York werden als Orte außerhalb der begrenzten Immigrantenperspektive plastisch, obwohl die Autorin mit Einzelheiten - Namen von Orten und Straßen, von Speisen und Festen - nicht spart. Diese Details irritieren aber eher, als daß sie zur Verdichtung des Milieus beitragen, zumal sie auf indischer Seite nicht durchgehend erklärt sind. Ein Glossar hätte geholfen. Aber diese Einwände verblassen angesichts der souveränen, bedächtigen, einfühlsam nuancierten Erzählführung, die bis zum Schluß in ihren Bann zieht.
MARTIN KÄMPCHEN.
Jhumpa Lahiri: "Der Namensvetter". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Barbara Heller. Blessing Verlag, München 2003. 351 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Auch wenn die "Botschaft in Jhumpa Lahiris Roman weder neu noch Originell" sei, ist Rezensentin Irene Binal sehr angetan von der Geschichte, die sowohl "Familiensaga" als auch "Entwicklungsroman" und "Gesellschaftsbetrachtung" ist - und das auf eine sehr unprätentiöse, leserfreundliche und doch vielschichtige Art und Weise. Anders als das in der indischen Literatur oft der Fall ist, präsentiert die Autorin, die für eine frühere Arbeit schon einmal den Putlitzerpreis gewonnen hat, die Lebensgeschichte eines in den USA lebenden bengalischen Einwanderers in einer nüchternen, schlichten Sprache. Das macht den Roman in den Augen der Rezensentin umso eindringlicher: "Nicht oft findet man ein Buch, das das Sujet des innerfamiliären Kulturkampfes und die Schwierigkeiten jener, die zwischen zwei Kontinenten stehen, so nachvollziehbar macht."
© Perlentaucher Medien GmbH
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