Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 47,00 €
  • Broschiertes Buch

Bis heute gilt das Mittelalter als Zeitalter des Glaubens, in dem Menschen, die an der Existenz Gottes zweifelten, systematisch verfolgt wurden. Dorothea Weltecke weist nach, dass diese Annahme ein Mythos ist, der in der Neuzeit entstand. Sie untersucht die Verwendung der Begriffe "Unglauben " und "Zweifel" in den zeitgenössischen Schriften und belegt: Der Gedanke, dass Gott nicht ist, existierte durchaus. Er wurde in der Beichte geäußert und in der spirituellen Literatur beschrieben. Allerdings waren es nicht, wie oft angenommen, vorrangig die Intellektuellen, die an der Existenz Gottes…mehr

Produktbeschreibung
Bis heute gilt das Mittelalter als Zeitalter des Glaubens, in dem Menschen, die an der Existenz Gottes zweifelten, systematisch verfolgt wurden. Dorothea Weltecke weist nach, dass diese Annahme ein Mythos ist, der in der Neuzeit entstand. Sie untersucht die Verwendung der Begriffe "Unglauben " und "Zweifel" in den zeitgenössischen Schriften und belegt: Der Gedanke, dass Gott nicht ist, existierte durchaus. Er wurde in der Beichte geäußert und in der spirituellen Literatur beschrieben. Allerdings waren es nicht, wie oft angenommen, vorrangig die Intellektuellen, die an der Existenz Gottes zweifelten. Denn da der Atheismus theologischen und philosophischen Grundannahmen widersprach, nahmen die Gelehrten ihn lange Zeit nicht ernst. Diese beiden Befunde - dass der Unglaube schon im Mittelalter existierte, aber keineswegs eine Sache der Gelehrten war - eröffnen einen gänzlich neuen Blick auf das Mittelalter wie auf die Geschichte des Atheismus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.01.2011

Sezierte
Zweifel
Dorothea Weltecke spürt dem
Unglauben im Mittelalter nach
Der Kulturpessimismus ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Das späte 18. und das 19. Jahrhundert, ja, das waren noch Zeiten für Trübsalbläser: Im Vergleich zur Gegenwart mit ihren vergleichsweise überschaubaren technischen Neuerungen wie Internet und Kernspintomographie gaben die Aufklärung und ihre langfristigen Folgen, die die Welt vollständig aus den Angeln hoben, noch wirklich Anlass zu Menetekeln. Wer dem historischen Umbruch abhold war, fand es logisch, dass zumindest das Abendland, wenn nicht gar der ganze Erdkreis jäh verrottete und sich Johannes’ Offenbarung demnächst bewahrheiten würde. Man sehnte sich nach der mittelalterlichen, vor-reformatorischen Ordnung. Denn das Mittelalter war, so glaubte man, die Epoche, in welcher Gott und die Welt klar gepolt waren und kein vernünftiger Mensch auf die Idee gekommen wäre, sich Zweifel an der Existenz Gottes zu erlauben. Ernsthaft nicht an Gott zu glauben, schreibt die Konstanzer Religionshistorikerin Dorothea Weltecke, wurde vor dem Jahr 1500 eher als ein Leiden denn als eine Lebenshaltung betrachtet. Es gab noch keine atheistischen Theorien, dennoch – und hier räumt sie mit einem alten Vorurteil auf – wurde die Glaubensfrage diskutiert.
Dorothea Weltecke ordnet die Geschichte des Glaubens und des Glaubenszweifels. Sie arbeitet heraus, wie Aufklärer und ihre Gegner die wenigen schriftlichen Quellen missdeuteten, die Informationen über mittelalterliche Glaubenszweifler überliefern. Dem Stauferkaiser Friedrich II. zum Beispiel wurde wegen seiner Auseinandersetzungen mit der Kurie von Anfang an eine religionskritische Haltung angedichtet. Solche Interpretationen sowie ihre Rezeptionsgeschichte schlüsselt Weltecke bis ins Detail auf. Die Analysen fügen sich zu einer umfassenden historischen Reflexion über Glauben und Unglauben zusammen.
Das Buch ist denen zu empfehlen, die es sehr genau wissen wollen, denn die Autorin geht so akribisch vor, dass sie lateinische Texte grammatikalisch seziert. Wer die Studie durcharbeitet, wird allerdings belohnt. Denn sie macht den Wandel menschlichen Glaubens nachvollziehbar. Der Gottlose ist – gottseidank – längst kein Narr mehr. RUDOLF NEUMAIER
DOROTHEA WELTECKE: „Der Narr spricht: Es ist kein Gott“. Atheismus, Unglauben und Glaubenszweifel vom 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit. Campus Verlag, Frankfurt am Main und New York 2010. 578 Seiten, 49,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2011

Über Säkularisierung muss neu gesprochen werden
Nichts Menschliches war dem Mittelalter fremd: Dorothea Weltecke über vormoderne Formen des Atheismus

Was ist ein Atheist? Ist das jemand, der davon ausgeht, dass es keinen Gott gibt, der Gottes Interesse an der Welt bestreitet oder der im traditionellen Sinne ein gottloser Schurke ist? In der Geschichte hat man alle drei Bedeutungen mit dem Begriff des Atheismus verbunden. Die erste Bedeutung ist die in der Moderne geläufige (die sich dann weiter ausdifferenzierte), die zweite haben schon in der Antike die Epikureer vertreten (weshalb sie von ihren Gegnern als "Atheisten" gescholten wurden), und die dritte darf man voraussetzen, wenn es in Psalm 14,1 und 53,2 heißt: "Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott."

Die Atheismusforschung der Gegenwart orientiert sich in erster Linie an der erstgenannten Bedeutung. Wenn sie historisch orientiert ist, stößt sie dann aber auf die Schwierigkeit, "Atheisten" ausmachen zu müssen, bevor die moderne Bedeutung des Begriffs in Gebrauch kommt. So kam man in der einschlägigen religions- und philosophiegeschichtlichen Forschung der letzten Jahrzehnte zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, in welchen Quellentexten man eine Bestreitung der Existenz Gottes dokumentiert sah. Die Betriebstemperatur der Diskussion ist dabei erstaunlich hoch, da sehr schnell weltanschauliche Voraussetzungen der einzelnen Wissenschaftler ins Spiel kommen. Darunter leidet dann schnell die historische Präzision.

Die Konstanzer Religionshistorikerin Dorothea Weltecke hingegen entwickelt in diesem Buch mit kühlem Blick ein hochdifferenziertes methodologisches Besteck, um den Gottesleugnern auf die Spur zu kommen. Damit führt sie den Untersuchungsgegenstand endgültig aus falschen polemischen Frontstellungen heraus. Sie untersucht die atheistischen "causes célèbres" wie den Grafen Jean von Soissons, der in die Schusslinie des Abtes Guibert von Nogent (1053 bis 1124) geriet, oder den Stauferkaiser Friedrich II., den Papst Gregor IX. 1239 der Gotteslästerung beschuldigte, und stellt dabei fest, dass hier meist zeitgenössische oder spätere Verzeichnungen vorliegen. Mancher "Atheist" erweist sich als religiöser Dissident, der zwar anders denken mag als die Verwalter des öffentlichen Diskurses, aber eben doch "fromm" ist.

Nach diesen Abriss- und Aufräumarbeiten werden dann Begriffe vorgestellt, über die man sich dem Phänomen durchaus nähern kann: Zu diesen zählen unter anderem der "Zweifel", die "Anfechtung" und die "acedia", ein Lehnwort aus dem Griechischen, das mit "Trägheit" oder gar "Faulheit" nur unzureichend wiedergegeben ist, vielmehr auch geistliche "Laxheit" bezeichnen kann und dann zu den sieben Todsünden gerechnet wird. Auch das "Murren" bei der Beichte und auf der Straße gehört zu diesen Ausdrucksformen des vormodernen Atheismus und ist häufig ein Protest gegen eine allzu selbstzufriedene Glaubensgewissheit der Gelehrten.

Wer unter diesen Aspekten die mittelalterliche Literatur durchforstet, kann etwa in Trostbüchern und "Artes moriendi", in Tugendfibeln, Lasterkatalogen, Beichtspiegeln und Exempelsammlungen auf erstaunliche (indirekte) Belege für atheistische Gesinnungen stoßen. So brachen Zweifel an der Existenz Gottes vor allem im Zusammenhang der Frage nach dem Ursprung des Bösen und nach der Herkunft von Ungerechtigkeit und Krankheit auf, und die amtskirchlichen Prediger hatten ausweislich der homiletischen Manuale so manches Mal ihre liebe Not, diese Zweifel zu entkräften.

Was ist die Quintessenz von Welteckes glänzend geschriebener Studie? Zunächst einmal wird man in der Säkularisierungsdebatte noch einmal ganz neu ansetzen müssen. Weltecke zeigt, dass der Atheismus als solcher kein Produkt der Moderne ist, sondern das ganze Mittelalter hindurch bestand. Modern ist vielmehr die Entwicklung einer Theorie desselben und die "Entdifferenzierung und Entgrenzung" der älteren Diskurse. In der Neuzeit wird als weltanschauliche Position salonfähig, was vorher weithin marginalisiert war und nach angemessenem Ausdruck suchte, was im Untergrund, in klandestinen Pamphleten, verborgen hinter Chiffren und Camouflagen, im Abendland immer schon existierte.

Während es im Mittelalter genügte, den Glaubenszweifel der einfachen Leute zu beschwichtigen, ja lächerlich zu machen, stehen sich in der Moderne Glaube und Unglaube gewissermaßen Auge in Auge mit hochgeklapptem Visier gegenüber. Das ist für beide Seiten unbequem: Dem Glauben ist die unhinterfragte soziale Akzeptanz entzogen, er muss sich neue, intellektuell befriedigendere Formen der Plausibilisierung suchen; der Unglaube, der die Existenz Gottes grundsätzlich leugnet, kann sich nicht länger ins Halbdunkel der Hinterzimmerzirkel zurückziehen, sondern muss seine Diskursfähigkeit im hellen Licht der Öffentlichkeit unter Beweis stellen und sich als legitime Strategie zur Weltbewältigung bewähren.

WOLFRAM KINZIG.

Dorothea Weltecke: "Der Narr spricht: Es ist kein Gott". Atheismus, Unglauben und Glaubenszweifel vom 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit.

Campus Verlag, Frankfurt 2011. 578 S., geb., 49,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als Hauptlernergebnis nimmt Wolfram Kinzig, Professor für Kirchengeschichte in Bonn, aus diesem Buch die Erkenntnis mit, dass Atheismus keineswegs ein Produkt der Moderne sei. Lange vorher, im Mittelalter, gab es Manifestationen des Unglaubens an Gott, die sich etwa als "Murren bei der Beichte" oder in andere Formen des Protestes äußerten. Ungerechtigkeit und die Existenz des Bösen waren seit je die stärksten Antriebe des Zweifels, referiert Kinzig. Nur war der Atheismus im Mittelalter noch keine ausformulierte Doktrin. Dafür dass Kinzig dieses Buch mit Gewinn gelesen hat, spricht schon die Ausführlichkeit seines Referats. Zwar sagt er nicht viel über Strukturierung und "Moral" von Welteckes Darlegungen, aber er attestiert der Autorin, dass sie glänzend schreibe und mit methodischer Finesse Atheismusbegriffe differenziere, die allzu lange Zeit gleich gesetzt wurden.

© Perlentaucher Medien GmbH
Gott oder doch nicht Gott?
"Mit ihrer bahnbrechenden Studie zum Unglauben ist Dorothea Weltecke eine Neuschreibung der Geschichte des Atheismus gelungen." (Berliner Zeitung, 04.01.2011)

Sezierte Zweifel
"Das Buch ist denen zu empfehlen, die es sehr genau wissen wollen ... Wer die Studie durcharbeitet, wird belohnt. Denn die Autorin macht den Wandel menschlichen Glaubens nachvollziehbar." (Süddeutsche Zeitung, 14.01.2011)

Über Säkularisierung muss neu gesprochen werden
"Die Konstanzer Religionshistorikerin Dorothea Weltecke entwickelt in diesem Buch mit kühlem Blick ein hochdifferenziertes methodologisches Besteck, um den Gottesleugnern auf die Spur zu kommen. Damit führt sie den Untersuchungsgegenstand endgültig aus falschen polemischen Frontstellungen heraus ... eine glänzend geschriebene Studie." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.07.2011)

Eine intensive Rezeption ist dem gelungenen Buch unbedingt zu wünschen. (H-Soz-u-Kult, 10.08.2011)