Ein kluger und charmanter Schelmenroman über einen Mann, der den realsozialistischen Alltag mit Witz, Chuzpe und einem Schuß Anarchie ins Wanken bringt.
Der junge Mann sieht aus wie der ideale Schwiegersohn: nett, freundlich und mit einem ordentlichen Haarschnitt. Und ausserdem kann er noch so treu aus der Wäsche gucken. Aber irgendwie will es ihm nicht so recht gelingen, die Autoritäten im Staat und bei der Armee, so wichtig zu nehmen, wie sie sich fühlen. Mit seiner subversiven Naivität bringt das einstige Hätschelkind die Genossen ganz schön in Rage. Und dann ist der Spass schnell vorbei. Stephan Krawczyk beschreibt mit umwerfender Situationskomik die grotesken Seiten des realsozialistischen Alltags. Er erzählt aber auch mit grosser Behutsamkeit vom Vater, von der grossen Liebe und von Menschen mit Zivilcourage.
Der junge Mann sieht aus wie der ideale Schwiegersohn: nett, freundlich und mit einem ordentlichen Haarschnitt. Und ausserdem kann er noch so treu aus der Wäsche gucken. Aber irgendwie will es ihm nicht so recht gelingen, die Autoritäten im Staat und bei der Armee, so wichtig zu nehmen, wie sie sich fühlen. Mit seiner subversiven Naivität bringt das einstige Hätschelkind die Genossen ganz schön in Rage. Und dann ist der Spass schnell vorbei. Stephan Krawczyk beschreibt mit umwerfender Situationskomik die grotesken Seiten des realsozialistischen Alltags. Er erzählt aber auch mit grosser Behutsamkeit vom Vater, von der grossen Liebe und von Menschen mit Zivilcourage.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2003Vom Maßanzug zur Zwangsjacke
Auf der Hut vor Horch und Guck: Stephan Krawczyk blickt zurück
Nicht nur für die jüngeren Leute in seinem Land muß der Liedermacher Stephan Krawczyk in den achtziger Jahren wenn nicht ein Idol, so doch zumindest die Verkörperung eines coolen Typen gewesen sein: Mit seinem Lada fuhr er kreuz und quer durch die Zone, trat wegen Berufsverbots ab 1985 nur noch in Kirchen auf und sang dort, zu Gitarre und Bandoneon, riskante deutsche Lieder. "Wieder stehen" hieß sein letztes regimekritisches Liedprogramm, das Ende 1987 aufgenommen wurde, bevor Krawczyk ins Gefängnis kam und schließlich in den Westen entlassen wurde. Das war im Februar 1988.
Fünfzehn Jahre danach legt der Bürgerrechtler aus der Spätphase der DDR nun seinen stark autobiographisch gefärbten, dritten Roman vor. "Der Narr" ist die Beschreibung einer erst staatstreuen, später widerspenstigen Künstlernatur, deren Leben sich im Bannkreis von Spitzelunwesen, Gesinnungspolizei und politischer Paranoia abspielt. Anders als Titel und Klappentext ("umwerfende Situationskomik", "kluger und charmanter Schelmenroman") vermuten lassen, beschwört das Buch keineswegs jenen Alltag im Realsozialismus herauf, von dem man neuerdings immer häufiger hört, er sei im großen und ganzen gemütlich und eigentlich lustig gewesen.
Doch wo man vom Autor Krawczyk erwarten könnte, daß er wenigstens durch den zeitlichen Abstand zum Geschehen einen Schritt zurücktreten oder die Ereignisse in einem anderen Licht betrachten würde, läßt er seinen Ich-Erzähler Stephan noch einmal ganz und gar in das damalige Gefühl eintauchen. Keinerlei Beschreibung der Außenwelt, obwohl er permanent herumfährt. Kein Wort von Solidarnosc, von den Ereignissen, die parallel in Polen stattfinden. Statt dessen eine anspielungsreiche, fast hermetische Innenansicht der DDR-Künstlerszene, zunächst in der Kleinstadt, danach im Prenzlauer Berg. Kein Kneipengespräch über Westkontakte, keine Fahrzeugkontrolle, die zu unwichtig wäre, um nicht en detail rekapituliert zu werden. Das wilde Leben des Sohnes schlesischer Flüchtlinge aus der thüringischen Provinz, das um 1975 bei der Nationalen Volksarmee seinen Ausgang nimmt, formt sich allmählich zum Porträt des DDR-Liedermachers unterwegs.
Die gesamte zweite Hälfte des Buches erzählt von einem ständigen Manövrieren, vom unaufhörlichen "Auf-der-Hutsein vor der "Firma Horch und Guck". Für Stephan, großgeworden in der DDR-Singebewegung und Genosse seit seiner Jugend, war die Partei allmählich "zu einer Jacke geworden, die nicht mehr paßte". Entgegen den sozialistischen Losungen am Straßenrand, die ja mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmten, sollten Wort und Tat nun "vertrauenswürdige Geschwister sein".
Er beantragt seinen Austritt, doch die SED kommt ihm zuvor und verbietet ihm ab sofort, öffentlich aufzutreten. Mehr und mehr Männer namens Horst, Dieter, Werner, Günter und Lutz dringen in sein Leben ein ("bei den Decknamen fehlte der Stasi die Phantasie"). Und eine sogenannte Frau Mascha Anders fertigt auf jeder Künstlerparty in Prenzlauer Berg eifrig Notizen an. Wolf Biermann muß dem Chansonnier Krawczyk oft als "großer Bruder" vorgehalten worden sein. Zumindest arbeitet sich Stephan häufig an dem älteren, viel erfolgreicheren Konkurrenten ab, der später "zum Veteranen seiner selbst" wurde.
Krawczyks Roman konserviert in seinen vielen mündlichen Passagen Idiome, Redewendungen, Witze, die nur in der DDR gebräuchlich waren: "Alle Räder stehen still, wenn der Keilriemen nicht will" oder "Alkohol getrunken, Unglück im Nu, bedenke vorher, den Schaden hast Du". Nach solchen Absurditäten kippt die Darstellung dann meist gleich wieder ins Böse um, weil die Staatsmacht ins Spiel kommt. Geht es um Natur, wird die Sprache kitschig, ebenso beim Thema Frauen: "Eine Frau, die ihrem Mann vertraut, ihn ermuntert, ist wie Wasser für die Steppe. Blüten kommen zum Vorschein, deren Samen Jahrzehnte geschlafen haben."
Mit seinen männlichen Autorenkollegen wie Falko Hennig, Ahne oder Jakob Hein, die in den letzten Jahren durch ihre ostdeutsche Erinnerungsliteratur bekannt wurden, hat der um eine Generation ältere Krawczyk allenfalls die sehr kurz geschnittenen Haare gemeinsam. Wo jene auf Berliner Lesebühnen eine flotte Story, ein Couplet nach dem anderen vom Stapel lassen - den Publikumserfolg in laughs-per-minute, Lacher pro Minute, messend -, erzählt Krawczyk langsam, fast behäbig, ganz angenehm vernünftig.
STEFANIE PETER
Stephan Krawczyk: "Der Narr". Roman. Pendo Verlag, Zürich 2003. 302 S. geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf der Hut vor Horch und Guck: Stephan Krawczyk blickt zurück
Nicht nur für die jüngeren Leute in seinem Land muß der Liedermacher Stephan Krawczyk in den achtziger Jahren wenn nicht ein Idol, so doch zumindest die Verkörperung eines coolen Typen gewesen sein: Mit seinem Lada fuhr er kreuz und quer durch die Zone, trat wegen Berufsverbots ab 1985 nur noch in Kirchen auf und sang dort, zu Gitarre und Bandoneon, riskante deutsche Lieder. "Wieder stehen" hieß sein letztes regimekritisches Liedprogramm, das Ende 1987 aufgenommen wurde, bevor Krawczyk ins Gefängnis kam und schließlich in den Westen entlassen wurde. Das war im Februar 1988.
Fünfzehn Jahre danach legt der Bürgerrechtler aus der Spätphase der DDR nun seinen stark autobiographisch gefärbten, dritten Roman vor. "Der Narr" ist die Beschreibung einer erst staatstreuen, später widerspenstigen Künstlernatur, deren Leben sich im Bannkreis von Spitzelunwesen, Gesinnungspolizei und politischer Paranoia abspielt. Anders als Titel und Klappentext ("umwerfende Situationskomik", "kluger und charmanter Schelmenroman") vermuten lassen, beschwört das Buch keineswegs jenen Alltag im Realsozialismus herauf, von dem man neuerdings immer häufiger hört, er sei im großen und ganzen gemütlich und eigentlich lustig gewesen.
Doch wo man vom Autor Krawczyk erwarten könnte, daß er wenigstens durch den zeitlichen Abstand zum Geschehen einen Schritt zurücktreten oder die Ereignisse in einem anderen Licht betrachten würde, läßt er seinen Ich-Erzähler Stephan noch einmal ganz und gar in das damalige Gefühl eintauchen. Keinerlei Beschreibung der Außenwelt, obwohl er permanent herumfährt. Kein Wort von Solidarnosc, von den Ereignissen, die parallel in Polen stattfinden. Statt dessen eine anspielungsreiche, fast hermetische Innenansicht der DDR-Künstlerszene, zunächst in der Kleinstadt, danach im Prenzlauer Berg. Kein Kneipengespräch über Westkontakte, keine Fahrzeugkontrolle, die zu unwichtig wäre, um nicht en detail rekapituliert zu werden. Das wilde Leben des Sohnes schlesischer Flüchtlinge aus der thüringischen Provinz, das um 1975 bei der Nationalen Volksarmee seinen Ausgang nimmt, formt sich allmählich zum Porträt des DDR-Liedermachers unterwegs.
Die gesamte zweite Hälfte des Buches erzählt von einem ständigen Manövrieren, vom unaufhörlichen "Auf-der-Hutsein vor der "Firma Horch und Guck". Für Stephan, großgeworden in der DDR-Singebewegung und Genosse seit seiner Jugend, war die Partei allmählich "zu einer Jacke geworden, die nicht mehr paßte". Entgegen den sozialistischen Losungen am Straßenrand, die ja mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmten, sollten Wort und Tat nun "vertrauenswürdige Geschwister sein".
Er beantragt seinen Austritt, doch die SED kommt ihm zuvor und verbietet ihm ab sofort, öffentlich aufzutreten. Mehr und mehr Männer namens Horst, Dieter, Werner, Günter und Lutz dringen in sein Leben ein ("bei den Decknamen fehlte der Stasi die Phantasie"). Und eine sogenannte Frau Mascha Anders fertigt auf jeder Künstlerparty in Prenzlauer Berg eifrig Notizen an. Wolf Biermann muß dem Chansonnier Krawczyk oft als "großer Bruder" vorgehalten worden sein. Zumindest arbeitet sich Stephan häufig an dem älteren, viel erfolgreicheren Konkurrenten ab, der später "zum Veteranen seiner selbst" wurde.
Krawczyks Roman konserviert in seinen vielen mündlichen Passagen Idiome, Redewendungen, Witze, die nur in der DDR gebräuchlich waren: "Alle Räder stehen still, wenn der Keilriemen nicht will" oder "Alkohol getrunken, Unglück im Nu, bedenke vorher, den Schaden hast Du". Nach solchen Absurditäten kippt die Darstellung dann meist gleich wieder ins Böse um, weil die Staatsmacht ins Spiel kommt. Geht es um Natur, wird die Sprache kitschig, ebenso beim Thema Frauen: "Eine Frau, die ihrem Mann vertraut, ihn ermuntert, ist wie Wasser für die Steppe. Blüten kommen zum Vorschein, deren Samen Jahrzehnte geschlafen haben."
Mit seinen männlichen Autorenkollegen wie Falko Hennig, Ahne oder Jakob Hein, die in den letzten Jahren durch ihre ostdeutsche Erinnerungsliteratur bekannt wurden, hat der um eine Generation ältere Krawczyk allenfalls die sehr kurz geschnittenen Haare gemeinsam. Wo jene auf Berliner Lesebühnen eine flotte Story, ein Couplet nach dem anderen vom Stapel lassen - den Publikumserfolg in laughs-per-minute, Lacher pro Minute, messend -, erzählt Krawczyk langsam, fast behäbig, ganz angenehm vernünftig.
STEFANIE PETER
Stephan Krawczyk: "Der Narr". Roman. Pendo Verlag, Zürich 2003. 302 S. geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der wackere Liedermacher Stephan gegen die böse "Firma Horch und Guck" - so geht es Stefanie Peter zufolge in Stephan Krawczyk' Roman "Der Narr" zu, der die Geschichte einer widerspenstigen Künstlernatur "im Bannkreis von Spitzelunwesen, Gesinnungspolizei und politischer Paranoia" erzählt. Die autobiografische Färbung macht Peters ihm indes gar nicht zum Vorwurf, sehr wohl aber die fehlende Distanz zum damaligen Geschehen. Ebenfalls stört sie, dass Krawczyk sich selbst zwar als "Liedermacher unterwegs" darstelle, doch keinen Blick in die Außenwelt riskiere, etwa nach Polen. Statt dessen liefere er eine "anspielungsreiche, fast hermetische Innenansicht der DDR-Künstlerszene", die sich manchmal absurd lese, manchmal "ganz angenehm vernünftig", doch manchmal ziemlich "kitschig".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"So müsste man erzählen können: so einfach, so genau und so voller unverwechselbarer Details." (Brigitte)