Dieser Band beschäftigt sich mit den verschiedenen Visionen und Versionen des Neuen Menschen: dem individualisierten, dem kommunizierenden, dem genetisch verbesserten Menschen. Alle Essays haben gemeinsam, daß sie den sozialen Utopien und Atopien der letzten Jahre ihre Grenzen aufweisen. Karl Otto Hondrich zeigt, daß die sozialen Prozesse und Gesetzmäßigkeiten, die unweigerlich kultur- und fortschrittsunabhängig ablaufen, wo immer Menschen miteinander in Beziehung treten, letztlich alle Ideen eines grundsätzlich anderen Menschen oder anderen Lebens zunichte machen. Die Tatsache der Sozialität selbst, die Eigengesetzlichkeit der Gesellschaft ist mächtiger als alle Politik, Pädagogik, Technologie, ja sogar Genetik. Mit der Ausarbeitung dieser Grundthese, aus der alle Essays ihren Zusammenhang beziehen, erdet Hondrich die Zeitdiagnostik an der Zeitlosigkeit elementarer soziologischer Einsichten und gewinnt damit der Soziologie im öffentlichen Diskurs eine Relevanz zurück, deren Verlust sie sonst immer larmoyant beklagt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001Piff, paff - der neue Mensch
Karl Otto Hondrich sucht Josef Pieper / Von Christian Geyer
Was gibt's Neues von der anthropologischen Front? Nun, im großen und ganzen geht es dem Menschen gut, zu vermelden ist derzeit lediglich ein Frankfurter Warnruf vor dem "Neuen Menschen". Der Soziologe Otto Hondrich hat Indizien gesammelt, die zeigen sollen, daß immer mehr "Tagträume vom Neuen Menschen" entstehen, und zwar regelrecht "wildwüchsig": "Die neuesten Tagträume vom Neuen Menschen verheißen Befreiung nicht nur von der lästigen Tatsache der Gesellschaft, sondern auch von der des Leibes und der Lebenszeit: Der geklonte Mensch lebt in einem anderen Körper weiter, der computerisierte in einer Menschmaschine, die seine Fähigkeiten, als künstliche Intelligenz, ins Unermeßliche steigert. Die Visionen überschlagen sich; Entfaltung, Entäußerung und Vernichtung des Selbst sind in ihnen kaum noch unterscheidbar."
Hondrich ist eindeutig gegen solche Visionen. Er hat nichts gegen den Menschen der neueren Zeit, wie er versichert, wohl aber gegen seine falschen Interpreten: "Ich schreibe nicht gegen ihn, sondern gegen ein falsches Bild von ihm; genauer, gegen das falsche Bild, das seine Theoretiker in den Sozial- und Naturwissenschaften von ihm entwerfen." Auch wenn nicht ganz klar wird, gegen wen genau Hondrich schreibt (gegen suggestive Exzentriker wie Bill Joy, sprunghafte Lobbyisten wie Ernst-Ludwig Winnacker oder philosophierende Neurobiologen wie Gerhard Roth), so ist die Stoßrichtung doch klar: Es geht gegen Reduktionisten jeder Couleur, die vorgeben, der Mensch könne - piff, paff - in seinen ehernen Konstanten verändert werden. Das ist in seinem konservativen Grundzug ein rundherum sympathischer Zwischenruf: Wenn schon - wie derzeit überall zu hören ist - nichts mehr so ist, wie es früher einmal war, dann ist es beruhigend zu hören, daß wenigstens beim Menschen selbst offenbar alles beim alten bleiben soll.
Eine gewisse Beunruhigung stellt sich erst ein, wenn man fragt, woher Hondrich seinen Glauben an die konstanten Konturen des Menschen denn nun eigentlich nimmt. Hondrich nimmt ihn mit einem dezidiert antiphilosophischen Affekt - aus der Soziologie. Es ist die "Macht elementarer sozialer Prozesse", mit der Hondrich den Menschen vor dem Konstrukt eines Neuen Menschen bewahren will. "In Zeiten schwindelerregender Veränderungen" sei die Konstellation der Gesellschaft "die bewegende Konstante", "stärker als alle individuellen Intentionen". Unabhängig von der empirischen Triftigkeit einer solchen Annahme gilt, daß der Soziologe sich hier zum Metaphysiker gewandelt hat. Statt, wie es seines Amtes wäre, den Menschen als eine "black box" zu nehmen und ihn lediglich in seinen gesellschaftlichen Bezügen zu studieren, nimmt Hondrich die soziale Existenz des Menschen nun kurzerhand für dessen Essenz. Rätselhaft bleibt, warum er bei dieser Prämisse zu grundlegend anderen Schlußfolgerungen meint kommen zu können als die philosophischen Existentialisten. Der Mensch ist nichts anderes, als was er aus sich macht - das ist Sartres plausible Konsequenz der Ansicht, daß die Existenz der Essenz vorangeht. Auch Hondrich knüpft an diese Ansicht an - um dann paradoxerweise aber gerade die Möglichkeit zu verneinen, daß der Mensch etwas wirklich Neues aus sich machen könnte. Da weiß er offenbar mehr über die Architektur seiner Gattung, als die harten (sozialen) Tatsachen hergeben, auf die er sich in seinem "soziologischen Manifest" (Hondrich) gegen den Neuen Menschen beruft.
Wenn es darum geht, anthropologische Konstanten zu gewinnen, den Menschen gewissermaßen alt aussehen zu lassen, ist Karl Otto Hondrichs Konzept der Sozialität in Wirklichkeit nicht weniger metaphysisch als Josef Piepers emphatisches Konzept der Kreatürlichkeit, ja sucht es vielleicht sogar. Die Idee des Menschen als Geschöpf hat der verstorbene Münsteraner Philosoph im Anschluß an Thomas von Aquin so weit entfalten wollen, wie es die Grenzen der Philosophie zulassen. "Wenn die Menschen heute so beharrlich von der Gefahr des ,Identitätsverlustes' reden", so Pieper im neuen Band der Werkausgabe, "dann ist zu fragen, ob sie nicht vielleicht allein zu bannen wäre durch ebenjene Erfahrung, zu existieren aus dem unwiderruflichen Gewolltsein durch Gott selbst. Verglichen jedenfalls mit der Stabilität dieses Fundamentes, erscheint der oftmals gerühmte ,Boden der harten Tatsachen' wahrhaftig als ein schwankender Grund."
Nicht, daß eine solche funktionale Überlegung irgend etwas bei Pieper als "zwingend" erscheinen ließe. Aber Hondrichs Forderung, in Zeiten extremer anthropologischer Verunsicherung die Frage nach dem Wesen des Menschen zu rehabilitieren, scheint in der Philosophie doch allemal den besseren Klangkörper zu finden als in der Soziologie. Nichts anderes hatte wohl auch Jürgen Habermas im Sinn, als er in seiner Friedenspreisrede für einen Typus Säkularisierung plädierte, der sich "ein Gespür für die Artikulationskraft religiöser Sprachen" bewahrt und so für "ein fast schon Vergessenes, aber implizit Vermißtes" eine Übersetzung findet. Da mochte Habermas eher von Pieper als von Hondrich inspiriert gewesen sein.
Karl Otto Hondrich: "Der Neue Mensch". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 222 S., br., 19,90 DM.
Josef Pieper: "Darstellungen und Interpretationen: Thomas von Aquin und die Scholastik". Hrsg. von Berthold Wald. Werkausgabe, Bd. 2. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2001. 490 S., geb., 136,- DM.
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Karl Otto Hondrich sucht Josef Pieper / Von Christian Geyer
Was gibt's Neues von der anthropologischen Front? Nun, im großen und ganzen geht es dem Menschen gut, zu vermelden ist derzeit lediglich ein Frankfurter Warnruf vor dem "Neuen Menschen". Der Soziologe Otto Hondrich hat Indizien gesammelt, die zeigen sollen, daß immer mehr "Tagträume vom Neuen Menschen" entstehen, und zwar regelrecht "wildwüchsig": "Die neuesten Tagträume vom Neuen Menschen verheißen Befreiung nicht nur von der lästigen Tatsache der Gesellschaft, sondern auch von der des Leibes und der Lebenszeit: Der geklonte Mensch lebt in einem anderen Körper weiter, der computerisierte in einer Menschmaschine, die seine Fähigkeiten, als künstliche Intelligenz, ins Unermeßliche steigert. Die Visionen überschlagen sich; Entfaltung, Entäußerung und Vernichtung des Selbst sind in ihnen kaum noch unterscheidbar."
Hondrich ist eindeutig gegen solche Visionen. Er hat nichts gegen den Menschen der neueren Zeit, wie er versichert, wohl aber gegen seine falschen Interpreten: "Ich schreibe nicht gegen ihn, sondern gegen ein falsches Bild von ihm; genauer, gegen das falsche Bild, das seine Theoretiker in den Sozial- und Naturwissenschaften von ihm entwerfen." Auch wenn nicht ganz klar wird, gegen wen genau Hondrich schreibt (gegen suggestive Exzentriker wie Bill Joy, sprunghafte Lobbyisten wie Ernst-Ludwig Winnacker oder philosophierende Neurobiologen wie Gerhard Roth), so ist die Stoßrichtung doch klar: Es geht gegen Reduktionisten jeder Couleur, die vorgeben, der Mensch könne - piff, paff - in seinen ehernen Konstanten verändert werden. Das ist in seinem konservativen Grundzug ein rundherum sympathischer Zwischenruf: Wenn schon - wie derzeit überall zu hören ist - nichts mehr so ist, wie es früher einmal war, dann ist es beruhigend zu hören, daß wenigstens beim Menschen selbst offenbar alles beim alten bleiben soll.
Eine gewisse Beunruhigung stellt sich erst ein, wenn man fragt, woher Hondrich seinen Glauben an die konstanten Konturen des Menschen denn nun eigentlich nimmt. Hondrich nimmt ihn mit einem dezidiert antiphilosophischen Affekt - aus der Soziologie. Es ist die "Macht elementarer sozialer Prozesse", mit der Hondrich den Menschen vor dem Konstrukt eines Neuen Menschen bewahren will. "In Zeiten schwindelerregender Veränderungen" sei die Konstellation der Gesellschaft "die bewegende Konstante", "stärker als alle individuellen Intentionen". Unabhängig von der empirischen Triftigkeit einer solchen Annahme gilt, daß der Soziologe sich hier zum Metaphysiker gewandelt hat. Statt, wie es seines Amtes wäre, den Menschen als eine "black box" zu nehmen und ihn lediglich in seinen gesellschaftlichen Bezügen zu studieren, nimmt Hondrich die soziale Existenz des Menschen nun kurzerhand für dessen Essenz. Rätselhaft bleibt, warum er bei dieser Prämisse zu grundlegend anderen Schlußfolgerungen meint kommen zu können als die philosophischen Existentialisten. Der Mensch ist nichts anderes, als was er aus sich macht - das ist Sartres plausible Konsequenz der Ansicht, daß die Existenz der Essenz vorangeht. Auch Hondrich knüpft an diese Ansicht an - um dann paradoxerweise aber gerade die Möglichkeit zu verneinen, daß der Mensch etwas wirklich Neues aus sich machen könnte. Da weiß er offenbar mehr über die Architektur seiner Gattung, als die harten (sozialen) Tatsachen hergeben, auf die er sich in seinem "soziologischen Manifest" (Hondrich) gegen den Neuen Menschen beruft.
Wenn es darum geht, anthropologische Konstanten zu gewinnen, den Menschen gewissermaßen alt aussehen zu lassen, ist Karl Otto Hondrichs Konzept der Sozialität in Wirklichkeit nicht weniger metaphysisch als Josef Piepers emphatisches Konzept der Kreatürlichkeit, ja sucht es vielleicht sogar. Die Idee des Menschen als Geschöpf hat der verstorbene Münsteraner Philosoph im Anschluß an Thomas von Aquin so weit entfalten wollen, wie es die Grenzen der Philosophie zulassen. "Wenn die Menschen heute so beharrlich von der Gefahr des ,Identitätsverlustes' reden", so Pieper im neuen Band der Werkausgabe, "dann ist zu fragen, ob sie nicht vielleicht allein zu bannen wäre durch ebenjene Erfahrung, zu existieren aus dem unwiderruflichen Gewolltsein durch Gott selbst. Verglichen jedenfalls mit der Stabilität dieses Fundamentes, erscheint der oftmals gerühmte ,Boden der harten Tatsachen' wahrhaftig als ein schwankender Grund."
Nicht, daß eine solche funktionale Überlegung irgend etwas bei Pieper als "zwingend" erscheinen ließe. Aber Hondrichs Forderung, in Zeiten extremer anthropologischer Verunsicherung die Frage nach dem Wesen des Menschen zu rehabilitieren, scheint in der Philosophie doch allemal den besseren Klangkörper zu finden als in der Soziologie. Nichts anderes hatte wohl auch Jürgen Habermas im Sinn, als er in seiner Friedenspreisrede für einen Typus Säkularisierung plädierte, der sich "ein Gespür für die Artikulationskraft religiöser Sprachen" bewahrt und so für "ein fast schon Vergessenes, aber implizit Vermißtes" eine Übersetzung findet. Da mochte Habermas eher von Pieper als von Hondrich inspiriert gewesen sein.
Karl Otto Hondrich: "Der Neue Mensch". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 222 S., br., 19,90 DM.
Josef Pieper: "Darstellungen und Interpretationen: Thomas von Aquin und die Scholastik". Hrsg. von Berthold Wald. Werkausgabe, Bd. 2. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2001. 490 S., geb., 136,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Christian Geyer setzt sich mit zwei Neuerscheinungen zu anthropologischen Fragestellungen auseinander:
1.) Karl Otto Hondrich: "Der Neue Mensch"
Otto Hondrichs Studie enthält für Christian Geyer Kassandra-Rufe zum Schöpfungsglauben der Gentechnik. Hondrich fürchte sich vor immer mehr falschen Interpreten der Lebenswissenschaft, die vorgeben, die Konstanten menschlichen Lebens ändern zu können. Geyer bewertet Hondrichs Mahnruf zwar als "in seinem konservativen Grundzug rundherum sympathisch". Aber einige Mängel an Hondrichs Argumentation bleiben für Geyer unübersehbar. Der Autor habe sich nicht an das empirische Handwerk des Soziologen gehalten, sondern auf metaphysische Spekulationen eingelassen. So bleibt für Geyer dieses "soziologisches Manifest" eine überzeugende Beweisführung schuldig.
2.) Josef Pieper: "Darstellungen und Interpretationen: Thomas von Aquin und die Scholastik"
Wenn es um anthropologische Konstanten und metaphysische Sinnentwürfe geht, verlässt sich Geyer lieber auf den Philosophen Josef Pieper. Auf der Grundlage der Lehren Thomas von Aquin diskutiere Pieper die Schöpfungsidee, "soweit es die Grenzen der Philosophie zulassen". In Zentrum von Piepers Existenzialphilosophie stehe die Auseinandersetzung mit der heute vielseits beschworenen Gefahr des Identitätsverlusts des Menschen. Piepers Plädoyer für ein theologisch fundiertes Schöpfungsverständnis erachtet Geyer "in Zeiten extremer anthropologischer Verunsicherung" für hilfreich. Schließlich findet Geyer Piepers "inspirierende" Handschrift auch in der Rede des diesjährigen Friedenspreisträgers Jürgen Habermas wieder.
© Perlentaucher Medien GmbH"
1.) Karl Otto Hondrich: "Der Neue Mensch"
Otto Hondrichs Studie enthält für Christian Geyer Kassandra-Rufe zum Schöpfungsglauben der Gentechnik. Hondrich fürchte sich vor immer mehr falschen Interpreten der Lebenswissenschaft, die vorgeben, die Konstanten menschlichen Lebens ändern zu können. Geyer bewertet Hondrichs Mahnruf zwar als "in seinem konservativen Grundzug rundherum sympathisch". Aber einige Mängel an Hondrichs Argumentation bleiben für Geyer unübersehbar. Der Autor habe sich nicht an das empirische Handwerk des Soziologen gehalten, sondern auf metaphysische Spekulationen eingelassen. So bleibt für Geyer dieses "soziologisches Manifest" eine überzeugende Beweisführung schuldig.
2.) Josef Pieper: "Darstellungen und Interpretationen: Thomas von Aquin und die Scholastik"
Wenn es um anthropologische Konstanten und metaphysische Sinnentwürfe geht, verlässt sich Geyer lieber auf den Philosophen Josef Pieper. Auf der Grundlage der Lehren Thomas von Aquin diskutiere Pieper die Schöpfungsidee, "soweit es die Grenzen der Philosophie zulassen". In Zentrum von Piepers Existenzialphilosophie stehe die Auseinandersetzung mit der heute vielseits beschworenen Gefahr des Identitätsverlusts des Menschen. Piepers Plädoyer für ein theologisch fundiertes Schöpfungsverständnis erachtet Geyer "in Zeiten extremer anthropologischer Verunsicherung" für hilfreich. Schließlich findet Geyer Piepers "inspirierende" Handschrift auch in der Rede des diesjährigen Friedenspreisträgers Jürgen Habermas wieder.
© Perlentaucher Medien GmbH"