Trendthema Arktis
Vom Aufbruch einer eiskalten Herzenslandschaft: Mit seinem Sachbuch-Debüt "Der Neue Norden" legt Matthias Hannemann die große Reportage zu einem der aufregendsten Themen der aktuellen Geo-Politik vor.
Der Nordeuropa-Experte Matthias Hannemann nimmt uns mit auf eine Reise durch die europäische Arktis. Im hohen Norden werden gewaltige Rohstoffreserven vermutet. Ihre Erschließung, die nicht zuletzt der Klimawandel ermöglicht, könnte Nordeuropa und das Polarmeer zu einer geopolitischen Schlüsselregion machen. Jahrzehnte des Wartens auf den großen Aufbruch hätten damit ein Ende. Aber lässt sich der Wunsch nach industriellem Fortschritt überhaupt mit der Sehnsucht nach der unberührten Natur und einem Leben fern der Zivilisation vereinbaren? Und welche Konsequenzen hätte eine Erschließung für das Ökosystem?
Der Autor hat sich auf den Weg gemacht, den unwirtlichen Norden aus der Sicht einer Generation zu erkunden, die endlich aus dem Schatten des Kalten Krieges heraustreten möchte. Überall zwischen Grönland, Nordkap und russischer Grenze fand er Männer und Frauen, die so fest an die Zukunft glauben wie einst die Siedler Amerikas. Sie bauen Fabriken im Meer, planen Eisenbahnen und Häfen, hoffen auf Touristen, gewaltige Fischvorkommen und sogar auf die Erschließung des Weltalls. Während das Eis schmilzt, beschwören sie den Aufbruch in ein Zukunftsland, in dem alles möglich ist - auch das Nebeneinander von Natur, alten Traditionen und industriellem Fortschritt.
Vom Aufbruch einer eiskalten Herzenslandschaft: Mit seinem Sachbuch-Debüt "Der Neue Norden" legt Matthias Hannemann die große Reportage zu einem der aufregendsten Themen der aktuellen Geo-Politik vor.
Der Nordeuropa-Experte Matthias Hannemann nimmt uns mit auf eine Reise durch die europäische Arktis. Im hohen Norden werden gewaltige Rohstoffreserven vermutet. Ihre Erschließung, die nicht zuletzt der Klimawandel ermöglicht, könnte Nordeuropa und das Polarmeer zu einer geopolitischen Schlüsselregion machen. Jahrzehnte des Wartens auf den großen Aufbruch hätten damit ein Ende. Aber lässt sich der Wunsch nach industriellem Fortschritt überhaupt mit der Sehnsucht nach der unberührten Natur und einem Leben fern der Zivilisation vereinbaren? Und welche Konsequenzen hätte eine Erschließung für das Ökosystem?
Der Autor hat sich auf den Weg gemacht, den unwirtlichen Norden aus der Sicht einer Generation zu erkunden, die endlich aus dem Schatten des Kalten Krieges heraustreten möchte. Überall zwischen Grönland, Nordkap und russischer Grenze fand er Männer und Frauen, die so fest an die Zukunft glauben wie einst die Siedler Amerikas. Sie bauen Fabriken im Meer, planen Eisenbahnen und Häfen, hoffen auf Touristen, gewaltige Fischvorkommen und sogar auf die Erschließung des Weltalls. Während das Eis schmilzt, beschwören sie den Aufbruch in ein Zukunftsland, in dem alles möglich ist - auch das Nebeneinander von Natur, alten Traditionen und industriellem Fortschritt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2010Durch die Region der Zukunft
Eis schmilzt, die Natur lockt, die vielen Bodenschätze auch: Matthias Hannemann entfaltet in seinen Reportagen ein faszinierendes Panorama des Nordens.
Es gibt ein Wort, das sich wie ein roter Faden durch dieses Buch zieht: Visionen. Bei diesem Wort denkt man eigentlich an spektakuläre Bauvorhaben in den Emiraten oder China, die sehr viel Geld kosten und irrwitzige Rekorde aufstellen wollen. Aber darum geht es hier nicht, ganz im Gegenteil, es geht um den Norden, den Neuen Norden, um Norwegen, Finnland, Schweden, Grönland, wohin sich der Skandinavienexperte und Journalist Matthias Hannemann aufgemacht hat, um dem Aufbruch dort nachzuspüren, den Träumereien der Glückssucher. "Der Neue Norden" ist also ein Reportagen-Buch, es ist aber auch ein Wirtschaftsbuch, eine Kulturgeschichte und eine Liebeserklärung. Es ist, auf den Punkt gebracht, eine feine Sammlung von Begegnungen.
Der Norden hat das große Glück, eine Gegend zu sein, in der noch Pläne geschmiedet, noch Spuren hinterlassen werden können. Er verändert sich permanent, was stark mit dem Klimawandel zusammenhängt. Die Temperaturen steigen, in der Arktis um durchschnittlich sechs Grad in den vergangenen fünfzig Jahren, sie lassen das Eis schmelzen und den Permafrostboden auftauen. So eröffnet sich dem Menschen eine neue Welt, die sich vor noch nicht allzu langer Zeit unter Eismassen verbarg, unzugänglich, trotz modernster Technik.
Gigantische Rohstoffvorkommen scheinen nun nur auf ihre Vergoldung zu warten, es entstehen neue Straßen und Fährverbindungen, und Konzerne rammen ihre Fabriken in die Landschaft. Auf den Schiffen der Tourismusunternehmen sind sämtliche Kabinen ausgebucht, da der Mensch noch rasch eine Natur bestaunen möchte, die immer mehr verschwindet. Und irgendwann, auch dies macht Hannemanns Buch klar, werden die Begehrlichkeiten einzelner Staaten wohl deutlicher zutage treten als heute, besonders, wenn es um lukrative Gebiete geht, deren völkerrechtlicher Status umstritten ist.
Matthias Hannemann ist ein talentierter Erzähler. Den Menschen, die er aufsucht im weiten hohen Norden, begegnet er mit derselben Neugierde, demselben Respekt, mit dem er auch der Landschaft begegnet, die nichts von der bunten Ikea-Welt oder den leichten Stockholmer Sommertagen hat, sondern karg ist, abweisend, unwirtlich. "Vier Stunden ging es über eine Landstraße nach Nordwesten, vier Stunden schwarzer Himmel zu schwarzem Asphalt, darauf bloß fahles Licht. (...) hinter Myre, mit seinem Plastikwal an der Kreuzung wurde die Strecke noch enger, rauer, einsamer: Behelfsmäßig nur schlängelte sich die Straße nach Nyksund an den Bergrücken entlang wie das Seil eines Extremkletterers, der unbedingt zwischen Brandung und Fels vorankommen möchte. Rechts schoss der Fels nach oben, links schoss er steil nach unten (...)."
Diese Region heißt die Menschen nicht willkommen. Sie sind trotzdem da, in Iqaluit, in Kiruna, in Harstad. Sie leiden unter der Kälte, der Dunkelheit, der Trostlosigkeit, die über allem liegt. Viele flüchten sich in den Alkohol, doch sie bleiben, weil dort ihr Leben ist, die Zukunft. Und nicht selten werden die Menschen für ihre Zähigkeit belohnt. Zum Beispiel in Nyksund.
,"Ein zum Tode verurteilter Fischereihafen auf den Vesterålen.' Das schrieb das überregionale Dagbladet 1971, als die Zeitung noch ein Accessoire des liberalen Nordeuropas war und nicht im Boulevard-Format erschien." Doch allen düsteren Prognosen zum Trotz, Nyksund starb nicht. Und dies "nicht nur der beiden hier gedrehten Spielfilme ,Insomnia' und ,Etter ,Rubicon' wegen. Von Nyksund, dem verfallenen Fischerort, ging ein seltsamer Optimismus aus wie von so vielen Orten, die als morbide gelten und attraktiv. Mit einem Male jedenfalls blühte der Ort wieder auf. Mal für eine Stunde. Mal für einen Tag. Mal für einen Monat."
In voller, beständiger Blüte steht bereits das schwedische Kiruna. Ganz in der Nähe nämlich liegt ein Raketenstartplatz, von dem Forschungsraketen in den Weltraum geschossen werden. Und das ist erst der Anfang. Die Menschen des Nordens glauben -- und daran besteht kein Zweifel -, dass ihre Region die Region der Zukunft sein wird. "Der Aufbruch kommt, sagen sie (...). Vielleicht kommt er nicht heute. Vielleicht kommt er nicht morgen. Vielleicht kommt er ganz anders als gedacht. Aber er kommt."
Jeder Mensch hat eine Landschaft, in der er sich zu Hause fühlt, weil sie ihm etwas über seine innere Landschaft verrät. Matthias Hannemanns Landschaft ist der Norden. Und genau darin besteht der Trick dieses Buchs, denn wie fern einem diese Gegend auch sein mag, man entkommt ihrer Faszination beim Lesen keinen Augenblick lang.
MELANIE MÜHL
Matthias Hannemann: "Der Neue Norden." Die Arktis und der Traum vom Aufbruch.
Scoventa Verlag, Bad Vilbel 2010. 215 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eis schmilzt, die Natur lockt, die vielen Bodenschätze auch: Matthias Hannemann entfaltet in seinen Reportagen ein faszinierendes Panorama des Nordens.
Es gibt ein Wort, das sich wie ein roter Faden durch dieses Buch zieht: Visionen. Bei diesem Wort denkt man eigentlich an spektakuläre Bauvorhaben in den Emiraten oder China, die sehr viel Geld kosten und irrwitzige Rekorde aufstellen wollen. Aber darum geht es hier nicht, ganz im Gegenteil, es geht um den Norden, den Neuen Norden, um Norwegen, Finnland, Schweden, Grönland, wohin sich der Skandinavienexperte und Journalist Matthias Hannemann aufgemacht hat, um dem Aufbruch dort nachzuspüren, den Träumereien der Glückssucher. "Der Neue Norden" ist also ein Reportagen-Buch, es ist aber auch ein Wirtschaftsbuch, eine Kulturgeschichte und eine Liebeserklärung. Es ist, auf den Punkt gebracht, eine feine Sammlung von Begegnungen.
Der Norden hat das große Glück, eine Gegend zu sein, in der noch Pläne geschmiedet, noch Spuren hinterlassen werden können. Er verändert sich permanent, was stark mit dem Klimawandel zusammenhängt. Die Temperaturen steigen, in der Arktis um durchschnittlich sechs Grad in den vergangenen fünfzig Jahren, sie lassen das Eis schmelzen und den Permafrostboden auftauen. So eröffnet sich dem Menschen eine neue Welt, die sich vor noch nicht allzu langer Zeit unter Eismassen verbarg, unzugänglich, trotz modernster Technik.
Gigantische Rohstoffvorkommen scheinen nun nur auf ihre Vergoldung zu warten, es entstehen neue Straßen und Fährverbindungen, und Konzerne rammen ihre Fabriken in die Landschaft. Auf den Schiffen der Tourismusunternehmen sind sämtliche Kabinen ausgebucht, da der Mensch noch rasch eine Natur bestaunen möchte, die immer mehr verschwindet. Und irgendwann, auch dies macht Hannemanns Buch klar, werden die Begehrlichkeiten einzelner Staaten wohl deutlicher zutage treten als heute, besonders, wenn es um lukrative Gebiete geht, deren völkerrechtlicher Status umstritten ist.
Matthias Hannemann ist ein talentierter Erzähler. Den Menschen, die er aufsucht im weiten hohen Norden, begegnet er mit derselben Neugierde, demselben Respekt, mit dem er auch der Landschaft begegnet, die nichts von der bunten Ikea-Welt oder den leichten Stockholmer Sommertagen hat, sondern karg ist, abweisend, unwirtlich. "Vier Stunden ging es über eine Landstraße nach Nordwesten, vier Stunden schwarzer Himmel zu schwarzem Asphalt, darauf bloß fahles Licht. (...) hinter Myre, mit seinem Plastikwal an der Kreuzung wurde die Strecke noch enger, rauer, einsamer: Behelfsmäßig nur schlängelte sich die Straße nach Nyksund an den Bergrücken entlang wie das Seil eines Extremkletterers, der unbedingt zwischen Brandung und Fels vorankommen möchte. Rechts schoss der Fels nach oben, links schoss er steil nach unten (...)."
Diese Region heißt die Menschen nicht willkommen. Sie sind trotzdem da, in Iqaluit, in Kiruna, in Harstad. Sie leiden unter der Kälte, der Dunkelheit, der Trostlosigkeit, die über allem liegt. Viele flüchten sich in den Alkohol, doch sie bleiben, weil dort ihr Leben ist, die Zukunft. Und nicht selten werden die Menschen für ihre Zähigkeit belohnt. Zum Beispiel in Nyksund.
,"Ein zum Tode verurteilter Fischereihafen auf den Vesterålen.' Das schrieb das überregionale Dagbladet 1971, als die Zeitung noch ein Accessoire des liberalen Nordeuropas war und nicht im Boulevard-Format erschien." Doch allen düsteren Prognosen zum Trotz, Nyksund starb nicht. Und dies "nicht nur der beiden hier gedrehten Spielfilme ,Insomnia' und ,Etter ,Rubicon' wegen. Von Nyksund, dem verfallenen Fischerort, ging ein seltsamer Optimismus aus wie von so vielen Orten, die als morbide gelten und attraktiv. Mit einem Male jedenfalls blühte der Ort wieder auf. Mal für eine Stunde. Mal für einen Tag. Mal für einen Monat."
In voller, beständiger Blüte steht bereits das schwedische Kiruna. Ganz in der Nähe nämlich liegt ein Raketenstartplatz, von dem Forschungsraketen in den Weltraum geschossen werden. Und das ist erst der Anfang. Die Menschen des Nordens glauben -- und daran besteht kein Zweifel -, dass ihre Region die Region der Zukunft sein wird. "Der Aufbruch kommt, sagen sie (...). Vielleicht kommt er nicht heute. Vielleicht kommt er nicht morgen. Vielleicht kommt er ganz anders als gedacht. Aber er kommt."
Jeder Mensch hat eine Landschaft, in der er sich zu Hause fühlt, weil sie ihm etwas über seine innere Landschaft verrät. Matthias Hannemanns Landschaft ist der Norden. Und genau darin besteht der Trick dieses Buchs, denn wie fern einem diese Gegend auch sein mag, man entkommt ihrer Faszination beim Lesen keinen Augenblick lang.
MELANIE MÜHL
Matthias Hannemann: "Der Neue Norden." Die Arktis und der Traum vom Aufbruch.
Scoventa Verlag, Bad Vilbel 2010. 215 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine exquisite Reportagesammlung aus Norwegen, Finnland, Schweden und Grönland hat Melanie Mühl in Matthias Hannemanns Buch "Der Neue Norden" gefunden. Der Skandinavienkenner und Journalist versammelt darin Beobachtungen und Reflexionen seiner Reisen und über allem schwebt, so empfindet es die Rezensentin, der Glaube an die Zukunft noch der abgelegensten Region. Sie lobt den Autor als versierten Erzähler und besonders einnehmend findet sie, dass hinter seinen Schilderungen stets die Begeisterung für die Landschaft und Sympathie für deren Bewohner hindurch klingt. Und so überträgt sich auf seine Leser ohne weiteres die "Faszination", die Hannemann an den Norden fesselt, versichert die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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