Johannes Overbecks Antike Schriftquellen zur Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen sind seit ihrem Erscheinen (Leipzig 1868) ein Standardwerk nicht nur für alle Disziplinen der Altertumswissenschaft, sondern auch für die Kunstgeschichte und affine Kulturwissenschaften. Die vollständige Neubearbeitung in fünf Bänden geht über eine Revision und Erweiterung der Zeugnisse weit hinaus und berücksichtigt neben den Ergebnissen der archäologischen Forschung seit Overbeck auch die Veränderung der Kenntnisse und Bedürfnisse der künftigen Benutzer des Handbuchs. Neben der Vervollständigung des Materials werden alle literarischen und epigraphischen Zeugnisse übersetzt, philologisch und archäologisch kommentiert und der Forschungsstand zu den einzelnen Kunstwerken zusammengefasst; zu jedem bedeutenden Künstler findet der Leser am Ende der Testimonien ein Resümee und weiterführende Literatur. Dort, wo es die archäologische Überlieferung erlaubt, werden die in den Schriftquellen genannten Kunstwerke bzw. ihre Repliken abgebildet, ebenso die zahlreichen Künstlerinschriften. Dazu kommen Einleitung, Indices und Konkordanzen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.09.2015Wie man Statuen zum Sprechen bringt
Epochal: Der „Neue Overbeck“ in fünf Bänden schafft eine neue Grundlage für die Archäologie und die Bildwelten der antiken Griechen
Seit 1853 lehrte der Altertumswissenschaftler Johannes Overbeck Klassische Archäologie an der Universität Leipzig. An diesem Standort seines Faches – der aktuell von der Wissenschaftspolitik bedroht ist – baute Overbeck ein Museum von Gipsabgüssen antiker Skulpturen auf, wie es damals üblich war; später kamen auch Originale zum Universitätsmuseum hinzu, das gleich neben der berühmten Nikolaikirche bis heute besichtigt werden kann. Aber auch Johannes Overbecks Publikationen waren bahnbrechend: Im Jahr 1868 erschien unter dem Titel „Die antiken Schriftquellen zur Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen“ sein Werk mit der größten Wirkung.
Es war Overbecks Absicht, schrieb er damals im Vorwort, „ein nützliches Stück Arbeit zu liefern“. Und er lieferte: 2438 gesammelte Stellen aus der antiken Literatur. Das Buch ist oft nachgedruckt worden, denn es war lange Zeit die Grundlage für alle, die sich für die antiken Künstler interessierten. Aber die Lage der „klassischen“ Archäologie hat sich inzwischen stark verändert, in zweierlei Hinsicht: Die aktuelle Forschung orientiert sich deutlich weniger an einzelnen Kunstwerken und Künstlerschicksalen als am Urbanismus und am größeren Kontext von Grabungsfunden. Die Methoden des Faches sind heute öfter quantifizierend, seltener kunstgeschichtlich qualifizierend.
Und zweitens, nicht ohne Zusammenhang damit: In Zeiten des Posthumanismus schwinden die Kenntnisse der Alten Sprachen – und damit auch der Bedarf an Handbüchern, die die Quellen nur im antiken Original bieten. Das gewaltige Projekt von Forschern der Freien Universität Berlin, „den Overbeck“ komplett neu zu bearbeiten – es heißt abgekürzt DNO, Der Neue Overbeck –, ist mutig. Es steuert gegen den Strom, indem es den Blick zurücklenkt auf die Basisdaten, auf Skulpturen, Malereien und deren Künstler. Alle antiken Texte sind nun ins Deutsche übersetzt. Jedes erwähnte Kunstwerk erhält einen archäologischen Kommentar, jede Quelle ihre philologisch-historische Beurteilung, alles versehen mit der aktuellen Sekundärliteratur. So wuchs das Kompendium auf fünf Bände an.
Die literarischen Texte waren schon vor 150 Jahren weithin bekannt, aber neu integriert sind zahlreiche Inschriften, besonders des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit, die seither bei Ausgrabungen zutage kamen – so erklärt sich der Anstieg auf jetzt 4280 gelistete Quellen. Damit ist übrigens ein weiteres Standardwerk des 19. Jahrhunderts komplett ersetzt, die „Inschriften griechischer Bildhauer“ von Emanuel Loewy (1885).
Der Bogen der antiken Künstler reicht von den fiktiven Konstruktionen, die sich die Griechen für die mythische Vorzeit schufen – etwa über Daidalos, dessen Statuen sehen, laufen und obendrein sprechen konnten –, bis hin zur spätantiken bronzenen Reiterstatue des Kaisers Theodosios in Konstantinopel, geschaffen von einem gewissen Patrophilos im 5. Jahrhundert nach Christus. Natürlich kommen auch die bekannten Namen wie Myron, Phidias oder Polyklet vor, jeweils auf einhundert Textseiten und mehr. Zu den Beiträgen mit besonderem Gewinn zählen viele aus der Epoche des Hellenismus, so etwa der über den Bildhauer Damophon. Dessen Werk wurde erst in den vergangenen Jahren durch Neufunde von Inschriften und Skulpturen in Messene auf der Peloponnes in Umrissen deutlich; Damophon schuf mit der riesigen Kultbildgruppe von Lykosura in der Bergwelt Arkadiens das wohl bedeutendste heute noch großteils erhaltene Skulpturenensemble hellenistischer Zeit auf griechischem Boden.
Neben der wertvollen faktischen Information wird der „Neue Overbeck“ auch die Forschung anregen. Manch bedeutsames, aber bis jetzt namenloses Kunstwerk könnte nun in das dichter gewordene Koordinatennetz einsortiert werden und vielleicht einmal einen Urheber finden. Ohne Zweifel wird dieses große Handbuch, das in Berlin innerhalb eines Jahrzehntes entstand, für kommende Generationen die Grundlage zur Forschung über griechische, römische und ägyptische Künstler und ihre überlieferten Arbeiten bleiben. Und durch die Übersetzung der Quellen sind überhaupt alle angesprochen, die sich für die Geschichte der Kunst interessieren. Eine epochale Leistung.
MARTIN FLASHAR
Der Neue Overbeck. Die antiken Schriftquellen zu den bildenden Künsten der Griechen. Herausgegeben von S. Kansteiner, K. Hallof, L. Lehmann, B. Seidensticker und K. Stemmer. De Gruyter Verlag, Berlin 2015. 5 Bände, ca. 3000 Seiten, 399 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Epochal: Der „Neue Overbeck“ in fünf Bänden schafft eine neue Grundlage für die Archäologie und die Bildwelten der antiken Griechen
Seit 1853 lehrte der Altertumswissenschaftler Johannes Overbeck Klassische Archäologie an der Universität Leipzig. An diesem Standort seines Faches – der aktuell von der Wissenschaftspolitik bedroht ist – baute Overbeck ein Museum von Gipsabgüssen antiker Skulpturen auf, wie es damals üblich war; später kamen auch Originale zum Universitätsmuseum hinzu, das gleich neben der berühmten Nikolaikirche bis heute besichtigt werden kann. Aber auch Johannes Overbecks Publikationen waren bahnbrechend: Im Jahr 1868 erschien unter dem Titel „Die antiken Schriftquellen zur Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen“ sein Werk mit der größten Wirkung.
Es war Overbecks Absicht, schrieb er damals im Vorwort, „ein nützliches Stück Arbeit zu liefern“. Und er lieferte: 2438 gesammelte Stellen aus der antiken Literatur. Das Buch ist oft nachgedruckt worden, denn es war lange Zeit die Grundlage für alle, die sich für die antiken Künstler interessierten. Aber die Lage der „klassischen“ Archäologie hat sich inzwischen stark verändert, in zweierlei Hinsicht: Die aktuelle Forschung orientiert sich deutlich weniger an einzelnen Kunstwerken und Künstlerschicksalen als am Urbanismus und am größeren Kontext von Grabungsfunden. Die Methoden des Faches sind heute öfter quantifizierend, seltener kunstgeschichtlich qualifizierend.
Und zweitens, nicht ohne Zusammenhang damit: In Zeiten des Posthumanismus schwinden die Kenntnisse der Alten Sprachen – und damit auch der Bedarf an Handbüchern, die die Quellen nur im antiken Original bieten. Das gewaltige Projekt von Forschern der Freien Universität Berlin, „den Overbeck“ komplett neu zu bearbeiten – es heißt abgekürzt DNO, Der Neue Overbeck –, ist mutig. Es steuert gegen den Strom, indem es den Blick zurücklenkt auf die Basisdaten, auf Skulpturen, Malereien und deren Künstler. Alle antiken Texte sind nun ins Deutsche übersetzt. Jedes erwähnte Kunstwerk erhält einen archäologischen Kommentar, jede Quelle ihre philologisch-historische Beurteilung, alles versehen mit der aktuellen Sekundärliteratur. So wuchs das Kompendium auf fünf Bände an.
Die literarischen Texte waren schon vor 150 Jahren weithin bekannt, aber neu integriert sind zahlreiche Inschriften, besonders des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit, die seither bei Ausgrabungen zutage kamen – so erklärt sich der Anstieg auf jetzt 4280 gelistete Quellen. Damit ist übrigens ein weiteres Standardwerk des 19. Jahrhunderts komplett ersetzt, die „Inschriften griechischer Bildhauer“ von Emanuel Loewy (1885).
Der Bogen der antiken Künstler reicht von den fiktiven Konstruktionen, die sich die Griechen für die mythische Vorzeit schufen – etwa über Daidalos, dessen Statuen sehen, laufen und obendrein sprechen konnten –, bis hin zur spätantiken bronzenen Reiterstatue des Kaisers Theodosios in Konstantinopel, geschaffen von einem gewissen Patrophilos im 5. Jahrhundert nach Christus. Natürlich kommen auch die bekannten Namen wie Myron, Phidias oder Polyklet vor, jeweils auf einhundert Textseiten und mehr. Zu den Beiträgen mit besonderem Gewinn zählen viele aus der Epoche des Hellenismus, so etwa der über den Bildhauer Damophon. Dessen Werk wurde erst in den vergangenen Jahren durch Neufunde von Inschriften und Skulpturen in Messene auf der Peloponnes in Umrissen deutlich; Damophon schuf mit der riesigen Kultbildgruppe von Lykosura in der Bergwelt Arkadiens das wohl bedeutendste heute noch großteils erhaltene Skulpturenensemble hellenistischer Zeit auf griechischem Boden.
Neben der wertvollen faktischen Information wird der „Neue Overbeck“ auch die Forschung anregen. Manch bedeutsames, aber bis jetzt namenloses Kunstwerk könnte nun in das dichter gewordene Koordinatennetz einsortiert werden und vielleicht einmal einen Urheber finden. Ohne Zweifel wird dieses große Handbuch, das in Berlin innerhalb eines Jahrzehntes entstand, für kommende Generationen die Grundlage zur Forschung über griechische, römische und ägyptische Künstler und ihre überlieferten Arbeiten bleiben. Und durch die Übersetzung der Quellen sind überhaupt alle angesprochen, die sich für die Geschichte der Kunst interessieren. Eine epochale Leistung.
MARTIN FLASHAR
Der Neue Overbeck. Die antiken Schriftquellen zu den bildenden Künsten der Griechen. Herausgegeben von S. Kansteiner, K. Hallof, L. Lehmann, B. Seidensticker und K. Stemmer. De Gruyter Verlag, Berlin 2015. 5 Bände, ca. 3000 Seiten, 399 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"[...] ist nun eine Neufassung von Johannes Overbecks Antiken Schriftquelten zur Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen (Leipzig 1868) unter dem Titel Der Neue Overbeck (DNO) erschienen, deren Publikation man gar nicht enthusiastisch genug begrüßen kann. [...] Der im Rahmen eines DFG-Projekts entstandene Neue Overbeck stellt im wahrsten Sinne des Wortes ein opus maximum dar: Auf knapp 4000 Seiten präsentiert er, über fünf Bände verteilt, fast 4300 schriftliche Quellen, zusammen mit deutscher Übersetzung, Literaturverweisen und philologisch/epigraphischern sowie archäologischem Kommentar. [...] In jedem Fall steht zu erwarten, dass der neue ähnlich wie der alte Overbeck auf lange Zeit Vertretern verschiedener Disziplinen von großem Nutzen sein wird."
Regina Höschele in: Gymnasium. Zeitschrift für Kultur der Antike und Humanistische Bildung Band 123 (2016) Heft 3, 312-313
"Ohne Zweifel wird dieses große Handbuch, das in Berlin innerhalb eines Jahrzehntes entstand, für kommende Generationen die Grundlage zur Forschung über griechische, römische und ägyptische Künstler und ihre überlieferten Arbeiten bleiben. [...] Eine epochale Leistung." Flashar, Martin, In: Süddeutsche Zeitung, 10.09.2015
Regina Höschele in: Gymnasium. Zeitschrift für Kultur der Antike und Humanistische Bildung Band 123 (2016) Heft 3, 312-313
"Ohne Zweifel wird dieses große Handbuch, das in Berlin innerhalb eines Jahrzehntes entstand, für kommende Generationen die Grundlage zur Forschung über griechische, römische und ägyptische Künstler und ihre überlieferten Arbeiten bleiben. [...] Eine epochale Leistung." Flashar, Martin, In: Süddeutsche Zeitung, 10.09.2015