Das globale Netz des islamistischen Terrors erreicht eine neue Qualität der Bedrohung durch die Verbindung von nichtstaatlicher Gewalt mit Massenvernichtungswaffen. Der Westen kann diese Herausforderung nur bestehen, wenn er seine politische, ökonomische und moralische Stärke wiedererlangt, vor allem aber, indem er politisch reagiert und dem Terror den Nährboden entzieht. Auch wenn Europa gegenwärtig ein Bild der Uneinigkeit abgibt, so muß es doch, dringender denn je, seine moralische, politische und wirtschaftliche Stärke wiederfinden, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik formulieren und sich auf humanistische Werte berufen. Allerdings muß Europa bereit sein, diese auch zu verteidigen. Nur so kann es sich erfolgreich gegenden Islamismus -die dritte große totalitäre Herausforderung der freien Welt - zur Wehr setzen. Friedbert Pflüger beschreibt das weltweit gespannt al-Qaida-Netz, dessen Geschichte und ideologischen Ziele. Die Antwort auf diese ungeheure Gefahr ist für den führenden Außenpolitiker der CDU klar: Europa muß sich erneuern, muß weltweit die Demokratie fördern, darf korrupte Regime nicht mehr als Partner akzeptieren, muß seine Märkte öffnen und bei der Lösung regionaler Konflikte helfen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Durchaus instruktiv findet Alexander Görlach dieses Buch Friedbert Pflügers, das sich mit dem Problem des militanten Islamismus aus innenpolitischer Perspektive und im Blick auf die Situation in Europa befasst. Gegen die Ideologie der Islamisten, die den Westen zur Kampfzone ausgerufen haben, setze der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag die religiösen und kulturellen Ursprünge Europas, die es als Fundament des Zusammenlebens auch gegen Gefahr zu verteidigen gelte. Am meisten fehle den Europäern laut Pflüger der Glaube an die Zukunft, die Bereitschaft, zu investieren und mitzugestalten, und vor allem der Mut zum Kinderkriegen. Entsprechend stelle der Autor den Zuwachs der muslimischen Weltbevölkerung dem Schwund Europas gegenüber. Zudem werfe er die Frage nach einem Anschlag mit ABC-Waffen in Deutschland durch islamische Terroristen auf, eine Gefahr, die er für wahrscheinlich erachtet. Görlach sieht in Pflügers Buch eine "Bestandsaufnahme, die auf verschiedene fachliche Darstellungen über den Islam in Deutschland und Europa zurückgreift". Das Buch biete somit einen "wertvollen Überblick". "Will man darüber hinaus etwas aus der Lektüre ziehen", resümiert der Rezensent, "muss man überoffen sein für moralische Deutungen gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Probleme. Sonst ist man diesem Buch nicht gewachsen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2005Global und radikal
Wie ein Journalist und ein CDU-Politiker den Islam beurteilen
Jason Burke: Al-Qaida. Wurzeln, Geschichte, Organisation. Aus dem Englischen von Christoph Trunk. Artemis & Winkler im Patmos Verlag, Düsseldorf 2004. 416 Seiten, 28,- [Euro].
Friedbert Pflüger: Ein neuer Weltkrieg? Die islamistische Herausforderung des Westens. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 303 Seiten, 19,90 [Euro].
Al Qaida gibt es nicht. Die islamistische Terrorgruppe ist eine Fiktion des Westens. Der das behauptet, muß es wissen: Jason Burke arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Afghanistan, Pakistan und dem Nahen Osten als Reporter für eine englische Zeitung. Al Qaida, so beschreibt er es, entspringt dem Wunsch, der neuen terroristischen Bedrohung durch einige Muslime einen Namen zu geben. Diese Fiktion sei mit der Hoffnung verbunden, die islamisch motivierte Gewalt mit einer bestimmten Gruppe zu identifizieren, die man dingfest machen und schließlich überwinden könnte.
Daß es das gefürchtetste Terrornetzwerk der Welt gar nicht gibt, ist für den Autor kein Grund zur Freude: Al Qaida sei "keine real existierende Organisation, sondern eine Strategie". Das arabische Wort bedeutet "starkes Fundament", "Grundsatz", "Maxime" und "Modell". So gesehen, ist Al Qaida überall. Die globale Drehscheibe islamistischen Terrors rankt sich deshalb nicht um Usama Bin Ladin, sondern wird gebildet von Hundertschaften kleiner, gewaltbereiter Gruppen. Bin Ladin kam im Kontext des 11. September 2001 die Bedeutung zu, einen Teil dieser Gruppen unter seine Führung zu bringen und zu organisieren. Heute ist Al Qaida ein weltweites Netz verschiedener ideologisch dem Islam verpflichteten Gruppen, die weitgehend unabhängig voneinander agieren können, wenn sie wollen. "Neue Gruppen sind entstanden, die mit bin Laden kaum etwas zu tun haben." Sein Tod wäre damit nicht das Ende des Terrors im Namen Allahs.
Burke versteht es, in einem packenden Stil dem Leser jene Region nahezubringen, in denen islamische Gotteskrieger aller Nationen bis zur Vertreibung der Taliban eine systematische militärische Ausbildung erhalten haben. Die Reise, die er mit dem Leser antritt, führt von Afghanistan nach Saudi-Arabien, in die Heimat Usama Bin Ladins. Er zeichnet Bin Ladin nicht als einen ideologischen Einzelgänger, sondern verortet seine Interpretation des Islams in einem gängigen islamischen Selbstverständnis und in der theologischen Tradition, die ihren Ursprung im Leben und Wirken von Muhammad selbst hat: Im Anschluß an Denker wie al-Wahhab, Ibn Taimiya und al-Banna sieht Bin Ladin "den Islam als ein vollkommenes, vollständiges und allumfassendes System, das für jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens der Gläubigen Regeln vorgibt". Diese Standortbestimmung erklärt, warum Bin Ladin überall auf der Welt Sympathisanten bei den Muslimen hat. Dieses totalitäre Denken führt in die Ablehnung alles Nichtislamischen und in die totale Kriegserklärung gegen die christliche, jüdische, buddhistische und areligiöse Welt. Burke liefert in seiner Lebensbeschreibung Usama Bin Ladins keine fundamental neuen Einsichten, er versteht es aber, das Umfeld und die Arbeitsweise des Topterroristen näherzubringen.
Friedbert Pflüger beleuchtet demgegenüber das Problem des militanten Islamismus aus der innenpolitischen Perspektive der Bundesrepublik und im Blick auf die Situation in Europa. Der verheerenden Ideologie der Islamisten, die alte, christlich geprägte Welt zu einer Kampfzone erklären zu wollen beziehungsweise als Feld der Bekehrungen zum Islam und seiner Staatsdoktrin zu sehen, kann nur begegnet werden, indem der Kontinent sich seiner religiösen und kulturellen Ursprünge erinnert und als unverbrüchliches Fundament des Zusammenlebens auch gegen Gefahr verteidigt. Das ist die These Pflügers. Was den Europäern am meisten fehle, sei der Glaube an die Zukunft, die Bereitschaft, zu investieren und mitzugestalten - vor allem fehle der Mut zum Kinderkriegen.
Pflüger stellt den Zuwachs der muslimischen Weltbevölkerung dem Schwund Europas gegenüber: "Im Jahr 1980 stellten die Muslime 18 Prozent der Weltbevölkerung, heute sind es knapp 25 Prozent (1,3 Milliarden Menschen), und im Jahr 2025 wird fast ein Drittel der Menschheit sich zum Islam bekennen. Die Hälfte aller Muslime ist unter 21. Wir haben ein stetiges Minus-Wachstum und werden von heute 83 Millionen auf unter 70 Millionen im Jahre 2025 zurückgehen." Über die begrenzte Aussagefähigkeit solcher Erhebungen ist viel gesagt worden. Dieselben Zahlen setzen indes islamische Prediger im Sinne ihrer Stimmungsmache in Deutschland und im islamisch geprägten Ausland ein. Der selbsternannte Mullah Mohamed Selin aus Köln schreibt ungeniert auf seiner Homepage: "Die Muslime, die den Wert der Familie hochgehalten haben, werden noch die Retter in der Not sein, denn sie werden in absehbarer Zeit die alten, kinderlosen Deutschen ernähren. Deutschland wird ein islamisches Land." Das zitiert Pflüger.
Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wirft zudem die Frage auf, ob ein Anschlag mit ABC-Waffen in Deutschland durch islamische Terroristen wahrscheinlich ist. Seine Antwort darauf ist dreimal ja. Beklagt man heute noch, daß islamische Gemeinden von ihren Heimatländern abhängig sind und finanziert werden, was beispielsweise zu einem Einfluß saudiarabischer Politik auf die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik führt, so zeichnet sich laut Pflüger der Islamismus durch eine Verselbständigung jenseits jeden staatlichen Einflusses aus. Das führt zu der Annahme, daß der Islamismus sich globalisiere und zugleich radikalisiere.
Pflüger liefert eine Bestandsaufnahme, die auf verschiedene fachliche Darstellungen über den Islam in Deutschland und Europa zurückgreift - und damit einen wertvollen Überblick. Will man darüber hinaus etwas aus der Lektüre ziehen, muß man überoffen sein für moralische Deutungen gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Probleme. Sonst ist man diesem Buch nicht gewachsen.
ALEXANDER GÖRLACH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie ein Journalist und ein CDU-Politiker den Islam beurteilen
Jason Burke: Al-Qaida. Wurzeln, Geschichte, Organisation. Aus dem Englischen von Christoph Trunk. Artemis & Winkler im Patmos Verlag, Düsseldorf 2004. 416 Seiten, 28,- [Euro].
Friedbert Pflüger: Ein neuer Weltkrieg? Die islamistische Herausforderung des Westens. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 303 Seiten, 19,90 [Euro].
Al Qaida gibt es nicht. Die islamistische Terrorgruppe ist eine Fiktion des Westens. Der das behauptet, muß es wissen: Jason Burke arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Afghanistan, Pakistan und dem Nahen Osten als Reporter für eine englische Zeitung. Al Qaida, so beschreibt er es, entspringt dem Wunsch, der neuen terroristischen Bedrohung durch einige Muslime einen Namen zu geben. Diese Fiktion sei mit der Hoffnung verbunden, die islamisch motivierte Gewalt mit einer bestimmten Gruppe zu identifizieren, die man dingfest machen und schließlich überwinden könnte.
Daß es das gefürchtetste Terrornetzwerk der Welt gar nicht gibt, ist für den Autor kein Grund zur Freude: Al Qaida sei "keine real existierende Organisation, sondern eine Strategie". Das arabische Wort bedeutet "starkes Fundament", "Grundsatz", "Maxime" und "Modell". So gesehen, ist Al Qaida überall. Die globale Drehscheibe islamistischen Terrors rankt sich deshalb nicht um Usama Bin Ladin, sondern wird gebildet von Hundertschaften kleiner, gewaltbereiter Gruppen. Bin Ladin kam im Kontext des 11. September 2001 die Bedeutung zu, einen Teil dieser Gruppen unter seine Führung zu bringen und zu organisieren. Heute ist Al Qaida ein weltweites Netz verschiedener ideologisch dem Islam verpflichteten Gruppen, die weitgehend unabhängig voneinander agieren können, wenn sie wollen. "Neue Gruppen sind entstanden, die mit bin Laden kaum etwas zu tun haben." Sein Tod wäre damit nicht das Ende des Terrors im Namen Allahs.
Burke versteht es, in einem packenden Stil dem Leser jene Region nahezubringen, in denen islamische Gotteskrieger aller Nationen bis zur Vertreibung der Taliban eine systematische militärische Ausbildung erhalten haben. Die Reise, die er mit dem Leser antritt, führt von Afghanistan nach Saudi-Arabien, in die Heimat Usama Bin Ladins. Er zeichnet Bin Ladin nicht als einen ideologischen Einzelgänger, sondern verortet seine Interpretation des Islams in einem gängigen islamischen Selbstverständnis und in der theologischen Tradition, die ihren Ursprung im Leben und Wirken von Muhammad selbst hat: Im Anschluß an Denker wie al-Wahhab, Ibn Taimiya und al-Banna sieht Bin Ladin "den Islam als ein vollkommenes, vollständiges und allumfassendes System, das für jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens der Gläubigen Regeln vorgibt". Diese Standortbestimmung erklärt, warum Bin Ladin überall auf der Welt Sympathisanten bei den Muslimen hat. Dieses totalitäre Denken führt in die Ablehnung alles Nichtislamischen und in die totale Kriegserklärung gegen die christliche, jüdische, buddhistische und areligiöse Welt. Burke liefert in seiner Lebensbeschreibung Usama Bin Ladins keine fundamental neuen Einsichten, er versteht es aber, das Umfeld und die Arbeitsweise des Topterroristen näherzubringen.
Friedbert Pflüger beleuchtet demgegenüber das Problem des militanten Islamismus aus der innenpolitischen Perspektive der Bundesrepublik und im Blick auf die Situation in Europa. Der verheerenden Ideologie der Islamisten, die alte, christlich geprägte Welt zu einer Kampfzone erklären zu wollen beziehungsweise als Feld der Bekehrungen zum Islam und seiner Staatsdoktrin zu sehen, kann nur begegnet werden, indem der Kontinent sich seiner religiösen und kulturellen Ursprünge erinnert und als unverbrüchliches Fundament des Zusammenlebens auch gegen Gefahr verteidigt. Das ist die These Pflügers. Was den Europäern am meisten fehle, sei der Glaube an die Zukunft, die Bereitschaft, zu investieren und mitzugestalten - vor allem fehle der Mut zum Kinderkriegen.
Pflüger stellt den Zuwachs der muslimischen Weltbevölkerung dem Schwund Europas gegenüber: "Im Jahr 1980 stellten die Muslime 18 Prozent der Weltbevölkerung, heute sind es knapp 25 Prozent (1,3 Milliarden Menschen), und im Jahr 2025 wird fast ein Drittel der Menschheit sich zum Islam bekennen. Die Hälfte aller Muslime ist unter 21. Wir haben ein stetiges Minus-Wachstum und werden von heute 83 Millionen auf unter 70 Millionen im Jahre 2025 zurückgehen." Über die begrenzte Aussagefähigkeit solcher Erhebungen ist viel gesagt worden. Dieselben Zahlen setzen indes islamische Prediger im Sinne ihrer Stimmungsmache in Deutschland und im islamisch geprägten Ausland ein. Der selbsternannte Mullah Mohamed Selin aus Köln schreibt ungeniert auf seiner Homepage: "Die Muslime, die den Wert der Familie hochgehalten haben, werden noch die Retter in der Not sein, denn sie werden in absehbarer Zeit die alten, kinderlosen Deutschen ernähren. Deutschland wird ein islamisches Land." Das zitiert Pflüger.
Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wirft zudem die Frage auf, ob ein Anschlag mit ABC-Waffen in Deutschland durch islamische Terroristen wahrscheinlich ist. Seine Antwort darauf ist dreimal ja. Beklagt man heute noch, daß islamische Gemeinden von ihren Heimatländern abhängig sind und finanziert werden, was beispielsweise zu einem Einfluß saudiarabischer Politik auf die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik führt, so zeichnet sich laut Pflüger der Islamismus durch eine Verselbständigung jenseits jeden staatlichen Einflusses aus. Das führt zu der Annahme, daß der Islamismus sich globalisiere und zugleich radikalisiere.
Pflüger liefert eine Bestandsaufnahme, die auf verschiedene fachliche Darstellungen über den Islam in Deutschland und Europa zurückgreift - und damit einen wertvollen Überblick. Will man darüber hinaus etwas aus der Lektüre ziehen, muß man überoffen sein für moralische Deutungen gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Probleme. Sonst ist man diesem Buch nicht gewachsen.
ALEXANDER GÖRLACH
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