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Kaum ein Fluss hat die Menschen derart in den Bann gezogen wie der Nil. Schon aufgrund seiner gewaltigen Länge stellte er Anwohner und Reisende bis ins 19. Jahrhundert hinein vor Rätsel: 6800 Kilometer windet er sich durch Regenwälder, Sumpfgebiete und schließlich die Wüsten Ägyptens, wo man sich wunderte, woher all das Wasser kam. An den Ufern des Nils herrschten Pharaonen, osmanische Kalifen und britische Gouverneure, er wurde zum Rückgrat der kolonialen Erschließung Afrikas und zu einem Schauplatz des Kalten Krieges. In den letzten Jahren wiederum hat sich das Flussbecken so schnell und…mehr

Produktbeschreibung
Kaum ein Fluss hat die Menschen derart in den Bann gezogen wie der Nil. Schon aufgrund seiner gewaltigen Länge stellte er Anwohner und Reisende bis ins 19. Jahrhundert hinein vor Rätsel: 6800 Kilometer windet er sich durch Regenwälder, Sumpfgebiete und schließlich die Wüsten Ägyptens, wo man sich wunderte, woher all das Wasser kam. An den Ufern des Nils herrschten Pharaonen, osmanische Kalifen und britische Gouverneure, er wurde zum Rückgrat der kolonialen Erschließung Afrikas und zu einem Schauplatz des Kalten Krieges. In den letzten Jahren wiederum hat sich das Flussbecken so schnell und radikal verändert wie nie zuvor in seiner Geschichte - mit unabsehbaren Auswirkungen auf Natur und Gesellschaften. Terje Tvedt, einer der besten Kenner des Nils, nimmt uns mit auf eine historische und geografische Reise von der Mündung ins Mittelmeer über den Äquator bis zu den Quellen im Herzen Afrikas. So entsteht die faszinierende Biografie eines Flusses, ohne die auch aktuelle Konflikte wieder Staudammbau in Äthiopien nicht zu verstehen sind.
Autorenporträt
Jahrgang 1951, ist Professor an der Geografischen Fakultät der Universität Bergen und Professor für Globalgeschichte an der Universität Oslo. Er gehört zu den weltweit führenden Experten für den Nil und die Nilregion. Neben seinen Büchern hat er preisgekrönte TV-Dokumentationen veröffentlicht, die weltweit ausgestrahlt wurden.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz begeistert bespricht Rezensent Harald Eggebrecht diese "seltene Mischung" aus Geschichte und Geografie, in dem von biblischen Bildern über die Bilder Hollywoods bis zu den heutigen Kämpfen um das Wasser des Nil kaum etwas ausgelassen scheint. Hinzukommen, so der faszinierte Kritiker, die eigenen Reisebeschreibungen und Überlegungen des norwegischen Geografen, der jedoch nie den Fehler mache, sie als abschließende Wahrheiten auf alle anderen Geschichten oben drauf zu setzen. So entstehe ein ungemein umfassendes Bild nicht nur Ägyptens, das immerhin ein Viertel des Buches ausmache, wie Eggebrecht anmerkt, sondern auch aller anderen Nilanrainer, deren nicht selten blutige Geschichte ebenfalls vom gewaltigen Strom bestimmt wurde, dessen Wassermassen vom Kolonialismus bis zum Kalten Krieg eine große Rolle spielten. Das Fazit des Kritikers: "Unaufdringliche Eleganz, gewinnende Beredsamkeit und Klarheit des Denkens."

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2020

Dieser Fluss ist hart umkämpft

Von der Mündung bis zu den Quellen: Terje Tvedt zeichnet die Geschichte des Nils in einem gelehrten Reisebuch nach.

Als der römische Feldherr und Politiker Julius Cäsar zum ersten Mal in Ägypten den Nil erblickte, soll er gefragt haben, wo all das Wasser herkomme, das jeden Sommer, gerade wenn es am heißesten und trockensten war, aus der Wüste heranströmte und eine der fruchtbarsten Gegenden erschuf. Noch im europäischen Spätmittelalter war das Rätsel des Flusses von mythischen Vorstellungen geprägt, die etwa besagten, der Nil ströme direkt aus dem Paradies sowie über eine Treppe aus goldenen Stufen. In seinem neuen Buch beschreibt der norwegische Geograph und Historiker Terje Tvedt, wie dem Nil seither Stück für Stück seine Geheimnisse entrissen wurden. Und wer immer den Fluss in der Folge kontrollierte, zeigt er, besaß Macht. Daher werde der Kampf um seine Nutzung Afrika und die Welt insgesamt auch in der Zukunft und wahrscheinlich mehr denn je prägen.

Seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts setzten intensive Vermessungen des Nils durch europäische Geographen, Hydrologen und Wasserbauingenieure ein, die sich eng mit dem kolonialen Projekt verknüpften. Skrupellose "Entdecker" wie Henry Morton Stanley machten sich auf, die Quellen des Nils zu suchen und die Gebiete auf dem Weg dorthin für die europäische Fremdherrschaft zu sichern. Unter dem ägyptischen Herrscher Muhammad Ali Pascha war bereits in den Jahren nach 1818 unter massiver Nutzung von Zwangsarbeit im Norden des Nildeltas ein Damm angelegt worden, durch den der Wasserstand in Flüssen und Kanälen anstieg, so dass an vielen Orten das ganze Jahr hindurch Landwirtschaft betrieben werden konnte.

Der Bau oder zumindest die Planung von Staudämmen, den "Pyramiden der Moderne", bestimmte auch im folgenden Jahrhundert die Geschichte des Flusses, aber bis vor kurzem war der größte Teil des Gewässers naturbelassen und ungezähmt und entzog sich der Kontrolle. Seit der Jahrtausendwende jedoch suchen die meisten Anrainerstaaten von Ägypten bis Ruanda den Nil plötzlich mit großem Eifer zu messen, zu regulieren und sich dienstbar zu machen. Zahlreiche Projekte zur Stromgewinnung und Bewässerung erblickten das Licht der Welt. Zuletzt nahm die äthiopische Regierung den Bau einer riesigen Talsperre am Blauen Nil in Angriff, die das Land in das "Kraftwerk" des östlichen Afrikas verwandeln und es elektrifizieren und einigen soll. Aber auch Länder, die wie Tansania in der allgemeinen Wahrnehmung wenig mit dem Nil assoziiert werden, entwickeln sich derzeit zu wichtigen Akteuren in der "Nil-Diplomatie", dem komplexen Austarieren der Nutzungsrechte am Wasser.

Tvedt, ausgewiesener Kenner des Nils und darüber hinaus Autor zahlreicher Werke über die Geschichte des Wassers, hat eine faszinierende und informative Biographie des wohl längsten Flusses der Erde von der prähistorischen Zeit bis in die unmittelbare Gegenwart vorgelegt. Sein Buch ist eine Art gelehrtes historisches Reisebuch, mit Tvedt als kenntnisreichem, gelegentlich ein wenig geschwätzigem Reiseleiter, der gern abschweift, sich ab und zu wiederholt, bisweilen irritierende Interpretationen liefert - und dem man trotzdem bis zum Ende zuhören möchte. Seine Darstellung folgt dem Nil gleichsam flussaufwärts, von der Mündung bis zu den Quellen, und verbindet historische Analysen, philosophische Reflexionen und ökologische Erörterungen mit vielen aufschlussreichen Anekdoten und persönlichen Reiseeindrücken.

An einigen Stellen gelingt es Tvedt durch die systematische Einbeziehung "hydropolitischer" Aspekte, bekannten Ereignissen und Entwicklungen neue Perspektiven abzugewinnen, so etwa bezüglich der britischen Besatzung des Sudan Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Die Briten proklamierten diesen Feldzug als Rache für General Gordon, der einige Jahre zuvor von Anhängern des muslimischen Revolutionärs Muhammad Ahmad, dem Mahdi des Sudan, ermordet worden war, und propagierten ihn als Kampf zwischen Bibel und Koran. Dieser Deutung ist zuletzt noch Niall Ferguson gefolgt, als er die Schlacht auf dem Nil vor Orduman 1898 zwischen dem britischen Heer und islamischen Kämpfern mit dem Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban zu Beginn des 21. Jahrhunderts verglich. Tvedt hingegen deutet diese Aktion zuvörderst "als Ergebnis einer kühlen und kalkulierenden imperialen Wasserpolitik". London ging es vor allen um die Kontrolle des Nils an einer strategisch bedeutsamen Stelle, aber mit diesem Argument hätte sich "die viktorianische Flamme der Empörung nicht so leicht entzündet", die britische Öffentlichkeit also nicht ausreichend mobilisiert werden können.

Zu den Teilnehmern der Sudan-Expedition gehörte auch Winston Churchill, der seinem berühmten zweibändigen Werk über den Feldzug den Titel "Der Flusskrieg" gab. Kein internationaler Staatsmann, konstatiert Tvedt, taucht häufiger in der neueren Geschichte des Nils auf als er. Im Jahr 1907 bereiste er als Staatssekretär im Kolonialministerium den gesamten Fluss und schrieb ein weiteres Buch darüber. Und Churchill lebte lange genug, um auch das vielleicht größte Desaster der Briten am Nil zu erleben, als nämlich Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser 1956 den Suezkanal verstaatlichen ließ, der britische militärische Gegenschlag in einem Fiasko endete und Londons Rolle als "Lord of the Nile" endgültig der Geschichte angehörte.

Churchill und Nasser sind Beispiele für das in Tvedts Buch versammelte umfassende, ganz überwiegend männliche Ensemble von bekannten und weniger bekannten Politikern, Militärs, Künstlern, Experten und Abenteurern, die alle die Geschichte des Nils prägten und vom Fluss geprägt wurden. Dazu zählen übliche Verdächtige wie Cleopatra, Napoleon, Gustave Flaubert, Nagib Machfus oder Haile Selassie, aber etwa auch die im nordatlantischen Raum weitgehend unbekannte große Sängerin Ägyptens und der arabischen Welt, Umm Kulthum, deren Lied Tahil-al-Nil eine Hymne auf den Assuan-Staudamm war. Und die Leser erfahren, dass der Norweger Mensen Ernst, einer der berühmtesten Langstreckenläufer seiner Zeit, 1843 versuchte, nur mit Gebäck und Marmelade als Proviant zu den Quellen des Nils zu laufen, aber nicht weiter als bis Assuan kam, wo ihn die Ruhr niederstreckte - die vielleicht am schlechtesten geplante Expedition aller Zeiten und ein gutes Beispiel für die menschliche Hybris, die in der langen Geschichte des Flusses eine markante Rolle spielte.

ANDREAS ECKERT

Terje Tvedt: "Der Nil".

Fluss der Geschichte.

Aus dem Norwegischen von A. Brunstermann, G. Haefs und N. H. Schulz. Christoph Links Verlag, Berlin 2020. 591 S., geb., Abb., 35,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2021

Eine ganze Welt
am Fluss
Terje Tvedts Buch über die Geschichte des Nils – und
die Machtkämpfe Afrikas, die er bis heute beeinflusst
Dem norwegischen Historiker und Geografen Terje Tvedt, Jahrgang 1951, ist mit seinem Buch über den Nil eine seltene Mischung gelungen aus fundierter Geschichtsschreibung, Geografie und politischen Betrachtungen, hydrologischen Beschreibungen und Biografien von Gestalten welthistorischer Bedeutung, von Pharao Cheops, Julius Cäsar und Napoleon bis Osama Bin Laden, bevor der sich dem islamistischen Terror verschrieb. Auch die Spuren des Mahdi-Aufstands und der in den Augen der damaligen Europäer so heroische Untergang Charles Gordons (der aber viel mehr an der eigenen Verblendung aus eingebildetem Kreuzrittergeist scheiterte), wird in seinen Nachwirkungen bis in die Gegenwart bedacht. Und man staunt mit dem Autor über die monumentalen Staumauern des Hohen Damms bei Assuan und über andere Stauwerke, mit denen die Unberechenbarkeit des Nils allmählich gebändigt und der Fluss zum Energieproduzenten ebenso wurde, wie seine Wasser nun geregelt in landwirtschaftliche Bewässerungssysteme fließen.
Entdecker, Politiker, Abenteurer, Filmleute, aber auch Ingenieure, Kartografen und andere Forscher tauchten am Nil auf, suchten nach seinen Ursprüngen oder herrschten und herrschen dort, oft brutal, mörderisch und unmenschlich. Also begegnet man Figuren wie Winston Churchill oder dem grausamen belgischen König Leopold II., der den Kongo als Privatkolonie rücksichtslos und massenmörderisch ausbeutete. Der berüchtigte Diktator Idi Amin tritt ebenso auf wie der Sensationsjournalist Henry Morton Stanley oder der von ihm gefundene Nilquellensucher David Livingstone. Moderne Despoten wie Yoweri Museveni in Uganda fehlen nicht, auch nicht Stars wie Humphrey Bogart und Catherine Hepburn, die in den Fünfzigern mit John Huston „African Queen“ drehten, ebenso wenig Literaten wie der Großwild jagende Ernest Hemingway oder Joseph Conrad.
Gut 150 Seiten von Tvedts Nilreise gelten dem bekanntesten Land am Strom, Ägypten. Den weitaus größten Raum nehmen die afrikanischen Anrainer rund um den Viktoriasee und am Oberlauf der Nil-Arme ein. So liefert Tvedt einen Panorama-Blick auf die Ausmaße des afrikanischen Kontinents entlang des großen Stromes. Vielfach tauchen auch die Sagen und Ursprungsmythen der schwarzafrikanischen Völker am oberen Nil auf. Auch Kuriosa werden berichtet wie der Versuch des im 19. Jahrhundert berühmten Langstreckenläufers Mensen Ernst aus Norwegen, die Quellen des Nils zu erlaufen auf Anregung des Fürsten Pückler-Muskau, täglich gestärkt nur mit etwas Marmelade und Gebäck. Der so kühne wie ahnungslose Läufer wurde schließlich tot bei Assuan in der Wüste gefunden, dehydriert und wohl an einer Art Ruhr jämmerlich gestorben.
Die Geschichte des Nils ist die Geschichte eines Stromes, der nicht nur das Reich der Pharaonen ermöglicht hat, die mächtigste und über Jahrtausende stabilste Zivilisation der Antike, sondern bis heute die Machtpolitik der Anliegerstaaten beeinflusst. Im Zeitalter des Kolonialismus war er für die europäischen Großmächte so bedeutsam wie später im Kalten Krieg für die USA und die Sowjetunion. Heute spielt er ein bedeutende Rolle in den politischen Auseinandersetzungen zwischen Ägypten, Sudan, Äthiopien, Uganda, Kenia, Tansania und Zentralafrika. Nur wenn der Nil von den Quellen bis zum Delta von allen als ein unteilbares System verstanden wird, können alle von der Kraft seines Wassers profitieren.
Terje Tvedts Buch liefert auch die Beschreibung einer Individualreise, an deren Haltepunkten der Autor seine Überlegungen anstellt, ohne je den Zeigefinger des Besserwissers zu erheben oder vermeintlich abschließend zu urteilen. Unaufdringliche Eleganz, gewinnende Beredsamkeit und Klarheit des Denkens und Assoziierens zeichnen dieses Werk aus. Wenn Tvedt den Vater aller Geschichts- und Geschichtenschreiber, Herodot, würdigt, umreißt er insgeheim auch sein Vorbild: lebendig zu schreiben, auf eigener Beobachtung fußend, aufmerksam Dokumente studierend, Funde und Zeugnisse sammelnd, all das ohne Scheuklappen. So wird seine Fahrt den Nil aufwärts eine der so behutsamen wie kritischen Vergewisserung von Geschichte und Geschichten, des immerwährenden Staunens über den wundersamen Strom, seiner Windungen und Katarakte und der vielen Versuche, ihn zu nutzen.
Exemplarisch zeugt davon eine mächtige Skulptur: Mitte des 17. Jahrhunderts stellte Gian Lorenzo Bernini bei seinem Vierflüsse-Brunnen auf der Piazza Navona in Rom die Ströme als wuchtige männliche Gottheiten dar: „Aber ein Flussgott schert aus. Er hält sich ein Stück Stoff vor das Gesicht. Er weiß nicht, wo er entsprang, und wir können ihm nicht in die Augen sehen. Das ist der Gott des Nils. Nur der Nil besaß in der europäischen Vorstellungswelt des 17. Jahrhunderts diese geheimnisvolle Aura. Von diesem Fluss war in der Bibel so viel die Rede, er wurde als Fluss des Paradieses bezeichnet und bewässerte die Kornkammer der Antike, aber woher er kam, war noch unbekannt. Die Menschen zu Berninis Zeit begriffen nicht, woher diese märchenhafte Fruchtbarkeit stammte, aber ihnen war klar, dass wer immer das Wasser dieses Flusses kontrolliert, große Macht besitzt.“
Alle Nilreisen der Europäer beginnen seit alters im Delta und bewegen sich flussaufwärts. Auch Tvedt bricht dort zu seiner Tour bis in die Tiefen Afrikas auf. Vom Delta und damit dem alten Ägypten, seiner Ausstrahlung auf das Mittelmeer und die antiken europäischen Mächte geht es nach Süden zu den Katarakten, von dort weiter nach Nubien und in den Sudan. Napoleons kläglich gescheitertes Abenteuer zu Füßen der Pyramiden, Muhammad Ali, der im Auftrag des Osmanischen Reiches Ägypten im 19. Jahrhundert umkrempelte und modernisierte bis hin zum charismatischen Gamal Abdel Nasser und der Wucht des unter ihm von den Sowjets errichteten Assuan-Staudamms fasst Tvedt prägnant zusammen.
Der „Kuss der Flüsse“ in der Vereinigung von Weißem und Blauem Nil bei Khartum, die ungeheuren von Papyrusdickichten überwucherten Sumpflandschaften des Südsudan, das riesige Binnenmeer namens Victoriasee, in den die verschiedenen Quellwasser des Nils einlaufen, den See durchqueren und erst nach zwanzig Jahren wieder austreten – all das und die Vielfalt der afrikanischen Völker stellt Tvedt beobachtungsreich dar. So hört er einem Gespräch der Passagiere an Bord eines Flussbootes im Südsudan zu, in dem verschiedene Ansichten zur Kulturentwicklung Afrikas geäußert werden. Schließlich fragt er nach der „Rolle des hiesigen Wassersystems“ und folgert für die nilotischen Gesellschaften: „Dieses Flusssystem hat den Rahmen dafür gebildet, welche gesellschaftliche Entwicklung möglich war, auch wenn der Fluss nicht bestimmt hat, was tatsächlich passiert ist.“
Man kann in diese Fülle überall einsteigen, muss nicht im Delta starten, sondern kann auch mit Eritrea und Äthiopien beginnen oder sich zu den zentralafrikanischen Quellen des Nil in Ruanda, Kongo und Burundi begeben. Immer gelingt es Terje Tvedt die jeweiligen Verflechtungen von Wasserwirtschaft, Kulturgeschichte und politischer Gegenwart erhellend aufzudröseln. So ist dieses so imponierend erzählte Buch auch ein profundes Nachschlagewerk für das Afrika, durch das der Nil fließt.
HARALD EGGEBRECHT
„Klar war, dass wer immer das
Wasser dieses Flusses kontrolliert,
große Macht besitzt.“
Die Quellwasser, die in den
Victoriasee einlaufen, treten erst
nach 20 Jahren wieder aus
Garant märchenhafter Fruchtbarkeit: Blick auf den Nil in Ägypten bei Beni Suef.
Foto: Nariman El-Mofty/AP
Terje Tvedt: Der Nil – Fluss der Geschichte.
Aus dem Norwegischen von Andreas Brunstermann, Gabriele Haefs und Nils Hinnerk Schulz. Christoph Links Verlag, Berlin 2020. 592 Seiten, 35 Euro.
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