»Die bisherige, europa-zentrische Ordnung des Völkerrechts geht heute unter. Mit ihr versinkt der alte Nomos der Erde. Er war aus der märchenhaften, unerwarteten Entdeckung einer Neuen Welt hervorgegangen, aus einem unwiederholbaren geschichtlichen Ereignis. Eine moderne Wiederholung könnte man sich nur in phantastischen Parallelen denken, etwa so, daß Menschen auf dem Wege zum Mond einen neuen, bisher völlig unbekannten Weltkörper entdeckten, den sie frei ausbeuten und zur Entlastung ihres Erdenstreites benutzen könnten. Die Frage eines neuen Nomos der Erde ist mit solchen Phantasien nicht beantwortet. Ebensowenig wird sie durch weitere naturwissenschaftliche Erfindungen gelöst werden. Das Denken der Menschen muß sich wieder auf die elementaren Ordnungen ihres terrestrischen Daseins richten. Wir suchen das Sinnreich der Erde. Das ist das Wagnis dieses Buches und das Vorgebot unserer Arbeit.
Es sind die Friedfertigen, denen das Erdreich versprochen ist. Auch der Gedanke eines neuen Nomos der Erde wird sich nur ihnen erschließen.«
Aus dem Vorwort, Carl Schmitt im Sommer 1950
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Es sind die Friedfertigen, denen das Erdreich versprochen ist. Auch der Gedanke eines neuen Nomos der Erde wird sich nur ihnen erschließen.«
Aus dem Vorwort, Carl Schmitt im Sommer 1950
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2003Neuer Nomos
In den vergangenen Jahren ist in den Vereinigten Staaten die Aufmerksamkeit für das Werk von Carl Schmitt stetig gewachsen, angestoßen nicht zuletzt durch die erste von Joseph Bendersky verfaßte intellektuelle Biographie des umstrittenen Rechtsgelehrten. Jetzt ist eines seiner späten Werke, "Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum" (1950), in der Übersetzung von G. L. Ulmen in New York bei Telos Press erschienen. Da das Buch von der Entstehung neuer Raum- und Weltordnungen handelt und ausdrücklich von der "Neuen Weltordnung" spricht, die von den Amerikanern schubweise und schwankend seit der Monroe-Doktrin im Jahre 1823 gefördert wurde, liegt die aktuelle Bedeutung des Buches auf der Hand, auch wenn sie sich nicht unmittelbar aufdrängt. G. L. Ulmen, der in Deutschland vor Jahren ein gelehrtes Werk über Carl Schmitt und Max Weber publiziert hat ("Politischer Mehrwert", 1991), ist sich dessen in seinem Vorwort durchaus bewußt. Er akzentuiert zu Recht die Bedeutung, die die Beobachtung des amerikanischen Eintritts in die Weltpolitik seit den zwanziger Jahren für Carl Schmitt gehabt hat. Die von Schmitt seit seinen frühesten völkerrechtlichen Arbeiten ins Auge gefaßte Rolle der Vereinigten Staaten bei der Entstehung einer neuen Weltordnung ist merkwürdigerweise bisher nicht zusammenhängend dargestellt worden. Die amerikanische Ausgabe "The Nomos of the Earth in the International Law of the Ius Publicum Europaeum" weist auf dieses Desiderat hin.
Von besonderer Aktualität sind die letzten Abschnitte des mehr als fünfzig Jahre alten Buches. Dessen Schlußteil trägt die Überschrift: "Der Krieg der modernen Vernichtungsmittel" und fußt naturgemäß auf den Erfahrungen, die im Zweiten Weltkrieg gemacht werden konnten. Der Abschnitt über den "Wandel des Raumbildes der Kriegsschauplätze" schließt mit einer Feststellung, die über den damaligen Erfahrungsstand hinausgreift: "Die selbständige Luftwaffe bringt eine ebenso selbständige, neue Art von Gewaltausübung mit sich, deren spezifische Folgen für die Begriffe von Feind und Krieg und Beute wir uns zum Bewußtsein bringen müssen." Der "selbständige Luftkrieg", liest man im weiteren, sei keine zu den Waffen und Methoden des bisherigen Land- und Seekrieges hinzutretende, sondern eine "völlig neue Kriegsart", die sich von den bisherigen vor allem dadurch unterscheide, daß sie ein "reiner Vernichtungskrieg" ist. Diese Erkenntnis konnte sich schon aus dem Bombenkrieg gegen die deutschen Städte zwingend ergeben, wenn man, wie es auch die Geschichtswissenschaft heute weitgehend tut, andere damit verbundenen Kriegsziele, wie die Einflußnahme auf den Willen der Bevölkerung, die Vorbereitung des Einmarsches und anderes für unerheblich hält.
In "Nomos der Erde" deutete Carl Schmitt das Neuartige des Luftkrieges aus den Folgen, die er für den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam haben mußte. Die neue Art der Kriegführung beschränkte sich, wie die Atombombe am deutlichsten zeigt, auf die Vernichtung des Gegners. Der neue Krieg, der mit diesen Mitteln geführt wurde, kannte keinen Kriegsschauplatz mehr wie der "gehegte Krieg" des klassischen europäischen Völkerrechts, und so entfielen auch "alle Institutionen und Grundsätze, auf denen bisher ein Kriegsrecht" möglich gewesen war. Der Luftkrieg durchbrach außerdem alle Bemühungen um eine Einschränkung der Vernichtungsmittel, und gegenwärtig ist am Irak-Krieg zu sehen, wie eine enorm weiterentwickelte Kriegstechnik eine echte Gegenseitigkeit zwischen den Kriegsparteien, mit der die traditionelle Lehre vom Krieg rechnete, ausschließt. Wer nicht aus der Luft Krieg führen kann, hat nicht das Minimum einer Chance zu gewinnen, auch wenn die andere Kriegspartei vielleicht am Boden nicht erfolgreich Fuß fassen kann. Die Anstrengungen der Amerikaner und Briten, im Irak eine Beziehung zur Bevölkerung aufzubauen, zeigt die Schwierigkeiten des Übergangs von einem hochmodernen technischen zu einem Krieg, der das eroberte Land sichern soll.
Die technische Überlegenheit interessierte seinerzeit Carl Schmitt wegen der moralischen Folgen technischer Überlegenheit. Er hielt es für unausweichlich, daß der technisch Überlegene "seine Waffen-Überlegenheit für einen Beweis seiner justa causa" halte und deswegen den Feind für einen Verbrecher erklärt, "weil man den Begriff des justus hostis nicht mehr zu realisieren vermag". Dieser Zusammenhang von technischer Kriegführung und Unmöglichkeit einer "Hegung" des Krieges ist in der Diskussion um den "gerechten Krieg", die in den Vereinigten Staaten akademisch ihren Aufstieg nach dem Vietnam-Desaster erlebte, kaum berücksichtigt worden. Dabei ist der Zusammenhang doch einigermaßen plausibel: Vernichtungswaffen wie die Atombombe einzusetzen, läßt sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn man die Menschen, die einem solchen Angriff zum Opfer fallen, als moralisch verworfen diskreditiert.
Für diesen Zusammenhang führt Carl Schmitt einen historischen Beleg aus dem Mittelalter an. Das Verbot der "Fernwaffen", das vom zweiten Laterankonzil erlassen wurde, beschränkte sich auf den Krieg zwischen Christen, während die Fernwaffen im Kampf gegen nicht-christliche Feinde weiterhin erlaubt blieben. Dem Vertreter des Rechts dürfe, so argumentierte man damals, nicht verboten werden, gegen das Unrecht jedes wirksame Mittel zu gebrauchen. Wenn diese Logik auch heute noch gilt, kann der "gerechte Krieg" also unter Bedingungen der Verwendung technischer Vernichtungsmittel nicht realisiert werden. Maßstäbe des gerechten Krieges anzuwenden, ist also eine Irreführung.
HENNING RITTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In den vergangenen Jahren ist in den Vereinigten Staaten die Aufmerksamkeit für das Werk von Carl Schmitt stetig gewachsen, angestoßen nicht zuletzt durch die erste von Joseph Bendersky verfaßte intellektuelle Biographie des umstrittenen Rechtsgelehrten. Jetzt ist eines seiner späten Werke, "Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum" (1950), in der Übersetzung von G. L. Ulmen in New York bei Telos Press erschienen. Da das Buch von der Entstehung neuer Raum- und Weltordnungen handelt und ausdrücklich von der "Neuen Weltordnung" spricht, die von den Amerikanern schubweise und schwankend seit der Monroe-Doktrin im Jahre 1823 gefördert wurde, liegt die aktuelle Bedeutung des Buches auf der Hand, auch wenn sie sich nicht unmittelbar aufdrängt. G. L. Ulmen, der in Deutschland vor Jahren ein gelehrtes Werk über Carl Schmitt und Max Weber publiziert hat ("Politischer Mehrwert", 1991), ist sich dessen in seinem Vorwort durchaus bewußt. Er akzentuiert zu Recht die Bedeutung, die die Beobachtung des amerikanischen Eintritts in die Weltpolitik seit den zwanziger Jahren für Carl Schmitt gehabt hat. Die von Schmitt seit seinen frühesten völkerrechtlichen Arbeiten ins Auge gefaßte Rolle der Vereinigten Staaten bei der Entstehung einer neuen Weltordnung ist merkwürdigerweise bisher nicht zusammenhängend dargestellt worden. Die amerikanische Ausgabe "The Nomos of the Earth in the International Law of the Ius Publicum Europaeum" weist auf dieses Desiderat hin.
Von besonderer Aktualität sind die letzten Abschnitte des mehr als fünfzig Jahre alten Buches. Dessen Schlußteil trägt die Überschrift: "Der Krieg der modernen Vernichtungsmittel" und fußt naturgemäß auf den Erfahrungen, die im Zweiten Weltkrieg gemacht werden konnten. Der Abschnitt über den "Wandel des Raumbildes der Kriegsschauplätze" schließt mit einer Feststellung, die über den damaligen Erfahrungsstand hinausgreift: "Die selbständige Luftwaffe bringt eine ebenso selbständige, neue Art von Gewaltausübung mit sich, deren spezifische Folgen für die Begriffe von Feind und Krieg und Beute wir uns zum Bewußtsein bringen müssen." Der "selbständige Luftkrieg", liest man im weiteren, sei keine zu den Waffen und Methoden des bisherigen Land- und Seekrieges hinzutretende, sondern eine "völlig neue Kriegsart", die sich von den bisherigen vor allem dadurch unterscheide, daß sie ein "reiner Vernichtungskrieg" ist. Diese Erkenntnis konnte sich schon aus dem Bombenkrieg gegen die deutschen Städte zwingend ergeben, wenn man, wie es auch die Geschichtswissenschaft heute weitgehend tut, andere damit verbundenen Kriegsziele, wie die Einflußnahme auf den Willen der Bevölkerung, die Vorbereitung des Einmarsches und anderes für unerheblich hält.
In "Nomos der Erde" deutete Carl Schmitt das Neuartige des Luftkrieges aus den Folgen, die er für den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam haben mußte. Die neue Art der Kriegführung beschränkte sich, wie die Atombombe am deutlichsten zeigt, auf die Vernichtung des Gegners. Der neue Krieg, der mit diesen Mitteln geführt wurde, kannte keinen Kriegsschauplatz mehr wie der "gehegte Krieg" des klassischen europäischen Völkerrechts, und so entfielen auch "alle Institutionen und Grundsätze, auf denen bisher ein Kriegsrecht" möglich gewesen war. Der Luftkrieg durchbrach außerdem alle Bemühungen um eine Einschränkung der Vernichtungsmittel, und gegenwärtig ist am Irak-Krieg zu sehen, wie eine enorm weiterentwickelte Kriegstechnik eine echte Gegenseitigkeit zwischen den Kriegsparteien, mit der die traditionelle Lehre vom Krieg rechnete, ausschließt. Wer nicht aus der Luft Krieg führen kann, hat nicht das Minimum einer Chance zu gewinnen, auch wenn die andere Kriegspartei vielleicht am Boden nicht erfolgreich Fuß fassen kann. Die Anstrengungen der Amerikaner und Briten, im Irak eine Beziehung zur Bevölkerung aufzubauen, zeigt die Schwierigkeiten des Übergangs von einem hochmodernen technischen zu einem Krieg, der das eroberte Land sichern soll.
Die technische Überlegenheit interessierte seinerzeit Carl Schmitt wegen der moralischen Folgen technischer Überlegenheit. Er hielt es für unausweichlich, daß der technisch Überlegene "seine Waffen-Überlegenheit für einen Beweis seiner justa causa" halte und deswegen den Feind für einen Verbrecher erklärt, "weil man den Begriff des justus hostis nicht mehr zu realisieren vermag". Dieser Zusammenhang von technischer Kriegführung und Unmöglichkeit einer "Hegung" des Krieges ist in der Diskussion um den "gerechten Krieg", die in den Vereinigten Staaten akademisch ihren Aufstieg nach dem Vietnam-Desaster erlebte, kaum berücksichtigt worden. Dabei ist der Zusammenhang doch einigermaßen plausibel: Vernichtungswaffen wie die Atombombe einzusetzen, läßt sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn man die Menschen, die einem solchen Angriff zum Opfer fallen, als moralisch verworfen diskreditiert.
Für diesen Zusammenhang führt Carl Schmitt einen historischen Beleg aus dem Mittelalter an. Das Verbot der "Fernwaffen", das vom zweiten Laterankonzil erlassen wurde, beschränkte sich auf den Krieg zwischen Christen, während die Fernwaffen im Kampf gegen nicht-christliche Feinde weiterhin erlaubt blieben. Dem Vertreter des Rechts dürfe, so argumentierte man damals, nicht verboten werden, gegen das Unrecht jedes wirksame Mittel zu gebrauchen. Wenn diese Logik auch heute noch gilt, kann der "gerechte Krieg" also unter Bedingungen der Verwendung technischer Vernichtungsmittel nicht realisiert werden. Maßstäbe des gerechten Krieges anzuwenden, ist also eine Irreführung.
HENNING RITTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Beschäftigt man sich ernsthaft mit internationaler Politik, dann sollte man den 'Nomos' gelesen haben. [...] Nur das Schwierig regt uns an; nur der Widerstand befördert Erkenntnis. Dieser Text hat das Zeug dazu." Prof. Dr. Raimund Krämer, in: WeltTrends, 86/2012