Am 6. Mai 2013 beginnt in München der größte Strafprozess in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Am 11. Juli 2018 wird das Urteil gesprochen. Eine Frau und vier Männer werden beschuldigt, die Terrororganisation NSU gegründet oder unterstützt zu haben - eine rechtsradikale Gruppe, die zehn Menschen ermordet, drei Sprengstoffanschläge verübt einen Brandstiftung und 15 Raubüberfälle begangen haben soll. Das Verfahren wird mehr als fünf Jahre dauern, mehr als 600 Zeugen und Sachverständige kommen zu Wort, über 60 Anwälte vertreten die fünf Angeklagten und 93 Nebenkläger an 437 Prozesstagen.Annette Ramelsberger, Tanjev Schultz und Rainer Stadler gehören zu den wenigen Journalisten, die Zutritt zum Gerichtssaal hatten und die Verhandlung vom ersten Tag an lückenlos verfolgt haben. Aus ihren täglichen Mitschriften ist ein umfangreiches Protokoll entstanden, das in diesen fünf Büchern dokumentiert wird: Ein Stück deutscher Geschichte.Es handelt sich um Originaltöne aus der Verhandlung, die gekürzt, aber sonst unverändert wiedergegeben werden. Durch die Stimmen des Richters, der Zeugen, der Sachverständigen, der Anwälte und der Angeklagten entsteht ein Gesamtbild von zehn Jahren Terror, dem nicht endenden Schmerz der Opfer, dem eiskalten Vorgehen der Täter, dem Dilettantismus der Ermittler und der schwierigen Suche nach der Wahrheit, die doch so offensichtlich zu sein scheint.Band 1-3: BeweisaufnahmeBand 4: Plädoyers und UrteilBand 5: Materialien (Register, Chronologie und kurze Portraits der Beteiligten)
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Stefan Aust und Dirk Laabs sehen die Veröffentlichung der Protokolle zum NSU-Prozess kritisch. Ein Effekt wie etwa bei den Stammheim-Protokollen stellt sich für die Rezensenten nicht ein, schon da die aus den Verhandlungstagen ausgewählten Abschnitte weitgehend bereits veröffentlicht beziehungsweise bekannt sind, wie sie feststellen. Etwas ratlos lassen die fünf Bände die Rezensenten auch deshalb zurück, weil die Auswahl der Aussagen der Hinterbliebenen künstlich ist, wie Aust und Laabs erkennen, und den wichtigen Vergleich mit anderen Zeugenaussagen gar nicht zulässt. Das Dilemma, mit den Lügen des Verfassungsschutzes umzugehen, können die Herausgeber zudem nicht lösen, finden Aust/Laabs. Ihre bloße Protokollierung führt ihrer Meinung nach in eine Sackgasse. Eine gut vernetzte Recherche ersetzt das Buch nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2018VON SZ-AUTOREN
Das Protokoll
des NSU-Prozesses
Das glaubt erst mal niemand: Es gibt kein offizielles Protokoll des wichtigsten Prozesses seit der Wiedervereinigung. Keine Homepage, auf der man nachlesen kann, was in den fünf Jahren des NSU-Prozesses geschah, keine Tonaufnahme, und auch kein Stenograf hat mitgeschrieben. Der Richter hat das abgelehnt. Deswegen haben die vier SZ-Autoren Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler die Mühe auf sich genommen und jeden einzelnen der 438 Tage mitgeschrieben, im Wortlaut.
Daraus ist ein Werk von 2020 Seiten entstanden, das mehr ist als eine Prozessdokumentation. Es ist eine Tiefenbohrung in die Gesellschaft, ein Lehrstück deutscher Geschichte. Es erklärt, warum Verfassungsschützer 13 Jahre lang nicht erkannten, wer da mordend durch das Land zog, und warum in Chemnitz heute Neonazis Seit an Seit mit besorgten Bürgern marschieren. Dieses Werk zeigt, wie tief der Hass des NSU in die Gesellschaft eingedrungen ist. Es erhellt nicht nur die Vergangenheit, es zeigt, von welchen Kräften die Zukunft geprägt ist. Man hört die Demokratieverächter und ihre Opfer im Originalton. Danach kann keiner mehr sagen, er hätte nicht gewusst, was da passiert.
SZ
Annette Ramelsberger, Tanjev Schultz, Rainer Stadler, Wiebke Ramm: Der NSU-Prozess. Das Protokoll. Verlag Antje Kunstmann, München 2018. Fünf Bände, zus. 2020 Seiten, 80 Euro.
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Das Protokoll
des NSU-Prozesses
Das glaubt erst mal niemand: Es gibt kein offizielles Protokoll des wichtigsten Prozesses seit der Wiedervereinigung. Keine Homepage, auf der man nachlesen kann, was in den fünf Jahren des NSU-Prozesses geschah, keine Tonaufnahme, und auch kein Stenograf hat mitgeschrieben. Der Richter hat das abgelehnt. Deswegen haben die vier SZ-Autoren Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler die Mühe auf sich genommen und jeden einzelnen der 438 Tage mitgeschrieben, im Wortlaut.
Daraus ist ein Werk von 2020 Seiten entstanden, das mehr ist als eine Prozessdokumentation. Es ist eine Tiefenbohrung in die Gesellschaft, ein Lehrstück deutscher Geschichte. Es erklärt, warum Verfassungsschützer 13 Jahre lang nicht erkannten, wer da mordend durch das Land zog, und warum in Chemnitz heute Neonazis Seit an Seit mit besorgten Bürgern marschieren. Dieses Werk zeigt, wie tief der Hass des NSU in die Gesellschaft eingedrungen ist. Es erhellt nicht nur die Vergangenheit, es zeigt, von welchen Kräften die Zukunft geprägt ist. Man hört die Demokratieverächter und ihre Opfer im Originalton. Danach kann keiner mehr sagen, er hätte nicht gewusst, was da passiert.
SZ
Annette Ramelsberger, Tanjev Schultz, Rainer Stadler, Wiebke Ramm: Der NSU-Prozess. Das Protokoll. Verlag Antje Kunstmann, München 2018. Fünf Bände, zus. 2020 Seiten, 80 Euro.
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