Von Leipzig bis in die Harems Konstantinopels: Ein opulenter historischer Roman über die Welt und Weltpolitik des Barock und das abenteuerliche Leben des Johann Jacob Bach, Oboist des Königs von Schweden und älterer Bruder von Johann Sebastian Bach. Der frühe Tod der Eltern lässt Johann Jacob Bach mit seinem jungen genialischen Bruder Johann Sebastian als Waisen zurück. Gemeinsam wachsen sie auf und werden zusammen ausgebildet. Schneller noch als alle anderen der weitverzweigten Musikerfamilie Bach sichert sich Johann Sebastian eine einträgliche Kantorenstelle - Johann Jacob dagegen schert aus: Er zieht als wandernder Musikant durch die Lande, trifft Händel, Telemann und andere, wird Mitglied des Collegium Musicum in Leipzig. Bis ihn die weltpolitischen Umwälzungen erfassen, die damals ganz Europa erschüttern: Der tollkühne schwedische Abenteurerkönig Karl XII. erobert große Teile Mitteleuropas. Auch Sachsen ist besetzt - und durch eine Fügung des Schicksals verschlägt es JohannJacob als Regimentsmusiker in dessen Leibgarde.So gerät er mit auf dessen Russlandfeldzug, der nach sagenhaften Anfangserfolgen in russischen Weiten und Wintern scheitert und in der verheerenden Schlacht bei Poltawa endet, bei der die ausgehungerte schwedische Armee fast vollständig vernichtet wird und der verletzte König Karl und seine Leibgarde sich nur mit Müh und Not retten können - in die Türkei, wo der macht- und mittellose Karl auf Vergeltung sinnt und seine Depressionen mit Musik zu heilen sucht; und wo der Musiker Johann Jacob Bach neue musikalische Welten entdeckt.Raffiniert mischt Olaf Schmidt Fakten und Fiktion. Geschichtliche Figuren und Ereignisse sind minutiös recherchiert, biografische Leerstellen werden fiktional gefüllt. Schmidt verarbeitet geschickt Zitate aus Literatur und anderem Schrifttum der Zeit in Passagen und Dialoge seines Romans.
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Schmidt, der historisch wie religionswissenschaftlich kundig ist, weitet sein Buch, das wie eine klassische Biografie beginnt, schon bald zu einem politischen Panorama Europas im 18. Jahrhundert aus. (...) Von Johann Sebastian Bach bleibt die Musik. Von Johann Jacob, dank Schmidt, eine große Erzählung. Tim Caspar Boehme taz 20190824
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2019Ein Musiker in denkbar böser Zeit
Olaf Schmidt schreibt das Leben des älteren Bach-Bruders Johann Jacob als Roman: "Der Oboist des Königs" ist aber viel mehr als eine fiktionale Biographie.
Von Jan Brachmann
Ratlos und scheu tritt Johann Jacob Bach am Karsamstag des Jahres 1715 vor das Haus seines Bruders Johann Sebastian, des Konzertmeisters der herzoglichen Hofkapelle in Weimar. Acht Jahre lang haben sie sich nicht gesehen und kaum etwas voneinander gehört. Geredet, einander das Herz ausgeschüttet, von Bruder zu Bruder - wann hätten sie das je getan?
Der kleine Sebastian war für Jacob schon früh der große Sebastian gewesen: blitzschnell, entschlossen und wortkarg. Einer, der unerreichbar blieb für ihn, der aber immer einen Ausweg wusste und ein Beschützer war. Mit einem gezielten Peitschenhieb hatte dieser kleine Sebastian ihn in Ohrdruf erlöst von der Folter des Kantors Arnold am Gymnasium. Als dieser pädophile Sadist in der Lateinstunde sein Geschlechtsteil entblößte, hieb Sebastian es entzwei. Mit Arnolds eigenem Folterinstrument, dem Siebenstriemer. Arnold wurde gefeuert.
Den Vorfall hat Olaf Schmidt sich in seinem Roman "Der Oboist des Königs - Das abenteuerliche Leben des Johann Jacob Bach" ausgedacht. Aber die Akten belegen tatsächlich, dass Johann Heinrich Arnold, der Lateinlehrer der Bach-Brüder, wegen moralischen Fehlverhaltens die Schule verlassen musste und dass sich nach dieser Entlassung jede Spur von ihm verliert. Er muss Unaussprechliches getan haben. Von Olaf Schmidt gilt das Gleiche wie von seiner Figur des Cartaphile, des ewigen Juden, dem Jacob Bach im Osmanischen Reich begegnen wird: Er weiß "von Ereignissen und Gestalten vergangener Zeiten so glaubhaft und lebendig zu erzählen, als hätte er wahrhaftig diesen Ereignissen beigewohnt". Und wo es um geschichtliche Fakten geht, stimmen sie mit den gesicherten Quellen überein. Er mag "ein Lügner und Gauner sein, aber ein überaus gelehrter Lügner und Gauner".
Johann Jacob Bach, der uns durch diesen Roman führt oder besser: durch die Geschehnisse des Buchs taumelt, war der drei Jahre ältere Bruder des Komponisten Johann Sebastian Bach. Er brach mit vierzehn Jahren, wohl um der Familie des älteren Bruders Johann Christoph, bei dem er und Johann Sebastian nach dem frühen Tod der Eltern Obhut gefunden hatten, nicht zur Last zu fallen, die Schule ab. Jacob wurde Stadtpfeifer in Eisenach. Wir wissen nicht viel über ihn, aber das Wenige ist spektakulär: Er wurde 1704 Feldoboist des schwedischen Königs Karl XII., nahm an dessen verschiedenen Kriegen in Polen und im Baltikum teil, auch in der denkwürdigen Schlacht von Poltawa mit den verbündeten ukrainischen Kosaken gegen Zar Peter I., floh mit dem König ins Osmanische Reich an den Sultanshof und begab sich danach quer durch Europa zu Pferde und zu Fuß nach Stockholm. Dort starb er als Oboist der königlich-schwedischen Kapelle 1722 mit vierzig Jahren.
Schmidt macht aus diesen dürftigen Fakten ein großes, kluges, mutiges Buch, das mit anderen großen Büchern ein Gespräch führt: mit Leo Tolstois "Krieg und Frieden", nach dessen Vorbild die Schlachtszenen detailliert beschrieben werden; mit Jean Pauls "Siebenkäs", dessen "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei" er wörtlich zitiert; mit Gottfried Wilhelm Leibniz' "Theodizee", die in den Jahren von Karls Kriegen verfasst wurde. Leibniz, der in Karl XII. eine Lichtgestalt für eine vernünftig eingerichtete Welt sah, hatte den Sieg des Schweden gegen den barbarischen Russen prophezeit. Er sollte sich gewaltig täuschen. Eine Seitenbemerkung in Schmidts Roman rechnet Leibniz wie alle Gelehrten und Künstler unter die Huren.
Wie "die beste aller möglichen Welten" auf empirischer Ebene aussah, beschreibt der Feldlagerbericht des Thüringers Tobias, der sich bei Schmidt "Voland" nennt, als Reverenz an Michail Bulgakows Teufel aus "Der Meister und Margarita". Während Voland in der Kirche in Dorpat die Kantate für Christi Himmelfahrt 1704 probt, trifft eine russische Bombe sein Haus. Als er heimkommt, sind seine Frau und seine drei Kinder tot, seine ganze Habe vernichtet. Wie Hiob im Alten Testament fragt sich Voland, warum Gott ihn am Leben ließ: "Etwa aus Gnade? Tat er es zum Hohn? Das dachte ich lange. Heute weiß ich, er tat es einzig und allein, weil er es konnte."
Die Kernfrage der Theodizee, wie das Böse in die Welt kommt, wenn Gott zugleich allmächtig und allgütig sei, wird ausdrücklich erörtert, als Johann Jacob Bach der Geist des Selbstmörders Theophilus Lessing als Engel erscheint - ein Bote ohne Botschaft, denn auch mit den Engeln redet Gott nicht mehr. Lessing hat eine physikotheologische Lösung für das Theodizee-Problem: Als Gott sich entschloss, etwas außer sich selbst zu erschaffen, musste er, der Unendliche, sich in sich selbst zusammenziehen, Platz machen für die Endlichkeit. Er zog sich in sich selbst zurück, und dieser Rückzug geht weiter. "Denn nur sein anhaltender Rückzug bewahrt die Schöpfung davor, sich wieder in der Unendlichkeit zu verlieren. Mit anderen Worten: Die Welt kann nur durch die Abwesenheit Gottes bestehen." Gott habe, so Lessing, die Existenz der Schöpfung erkauft durch seine eigene Ohnmacht. "Er hat seine Herrschaft um unseretwillen preisgegeben." Somit ist er zwar allgütig, aber nicht allmächtig. Das Böse ist "Menschenwerk".
Olaf Schmidt treibt Theologie im Gewand der Belletristik, stellt alle großen und letzten Fragen, deren Klärung die gelassene Skepsis der Postmoderne längst aufgegeben hatte, abermals in einem intertextuellen Spiel, das ihm eine ernste Sache ist. Dabei schwingt auch die Frage mit, ob Johann Sebastian Bach sein großes Werk nur hat schaffen können, weil er ein Leben führte, das von den allergrößten Grausamkeiten seiner Zeit abgeschirmt war. In einer Schlusspointe von gespenstischer Ironie lässt er den Schlächter-König Karl einen biblischen Beleg für die Musik als Gnadengabe Gottes ausgerechnet im zweiten Buch der Chronik, Kapitel fünf, im Alten Testament finden. Es ist die Stelle, die Johann Sebastian Bach in seiner Calov-Bibel kommentiert hat mit dem Satz "Bey einer andächtigen Musique ist allezeit Gott mit seiner Gnaden gegenwärtig".
Olaf Schmidt: "Der Oboist des Königs". Das abenteuerliche Leben des Johann Jacob Bach.
Galiani Verlag, Berlin 2019. 544 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Olaf Schmidt schreibt das Leben des älteren Bach-Bruders Johann Jacob als Roman: "Der Oboist des Königs" ist aber viel mehr als eine fiktionale Biographie.
Von Jan Brachmann
Ratlos und scheu tritt Johann Jacob Bach am Karsamstag des Jahres 1715 vor das Haus seines Bruders Johann Sebastian, des Konzertmeisters der herzoglichen Hofkapelle in Weimar. Acht Jahre lang haben sie sich nicht gesehen und kaum etwas voneinander gehört. Geredet, einander das Herz ausgeschüttet, von Bruder zu Bruder - wann hätten sie das je getan?
Der kleine Sebastian war für Jacob schon früh der große Sebastian gewesen: blitzschnell, entschlossen und wortkarg. Einer, der unerreichbar blieb für ihn, der aber immer einen Ausweg wusste und ein Beschützer war. Mit einem gezielten Peitschenhieb hatte dieser kleine Sebastian ihn in Ohrdruf erlöst von der Folter des Kantors Arnold am Gymnasium. Als dieser pädophile Sadist in der Lateinstunde sein Geschlechtsteil entblößte, hieb Sebastian es entzwei. Mit Arnolds eigenem Folterinstrument, dem Siebenstriemer. Arnold wurde gefeuert.
Den Vorfall hat Olaf Schmidt sich in seinem Roman "Der Oboist des Königs - Das abenteuerliche Leben des Johann Jacob Bach" ausgedacht. Aber die Akten belegen tatsächlich, dass Johann Heinrich Arnold, der Lateinlehrer der Bach-Brüder, wegen moralischen Fehlverhaltens die Schule verlassen musste und dass sich nach dieser Entlassung jede Spur von ihm verliert. Er muss Unaussprechliches getan haben. Von Olaf Schmidt gilt das Gleiche wie von seiner Figur des Cartaphile, des ewigen Juden, dem Jacob Bach im Osmanischen Reich begegnen wird: Er weiß "von Ereignissen und Gestalten vergangener Zeiten so glaubhaft und lebendig zu erzählen, als hätte er wahrhaftig diesen Ereignissen beigewohnt". Und wo es um geschichtliche Fakten geht, stimmen sie mit den gesicherten Quellen überein. Er mag "ein Lügner und Gauner sein, aber ein überaus gelehrter Lügner und Gauner".
Johann Jacob Bach, der uns durch diesen Roman führt oder besser: durch die Geschehnisse des Buchs taumelt, war der drei Jahre ältere Bruder des Komponisten Johann Sebastian Bach. Er brach mit vierzehn Jahren, wohl um der Familie des älteren Bruders Johann Christoph, bei dem er und Johann Sebastian nach dem frühen Tod der Eltern Obhut gefunden hatten, nicht zur Last zu fallen, die Schule ab. Jacob wurde Stadtpfeifer in Eisenach. Wir wissen nicht viel über ihn, aber das Wenige ist spektakulär: Er wurde 1704 Feldoboist des schwedischen Königs Karl XII., nahm an dessen verschiedenen Kriegen in Polen und im Baltikum teil, auch in der denkwürdigen Schlacht von Poltawa mit den verbündeten ukrainischen Kosaken gegen Zar Peter I., floh mit dem König ins Osmanische Reich an den Sultanshof und begab sich danach quer durch Europa zu Pferde und zu Fuß nach Stockholm. Dort starb er als Oboist der königlich-schwedischen Kapelle 1722 mit vierzig Jahren.
Schmidt macht aus diesen dürftigen Fakten ein großes, kluges, mutiges Buch, das mit anderen großen Büchern ein Gespräch führt: mit Leo Tolstois "Krieg und Frieden", nach dessen Vorbild die Schlachtszenen detailliert beschrieben werden; mit Jean Pauls "Siebenkäs", dessen "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei" er wörtlich zitiert; mit Gottfried Wilhelm Leibniz' "Theodizee", die in den Jahren von Karls Kriegen verfasst wurde. Leibniz, der in Karl XII. eine Lichtgestalt für eine vernünftig eingerichtete Welt sah, hatte den Sieg des Schweden gegen den barbarischen Russen prophezeit. Er sollte sich gewaltig täuschen. Eine Seitenbemerkung in Schmidts Roman rechnet Leibniz wie alle Gelehrten und Künstler unter die Huren.
Wie "die beste aller möglichen Welten" auf empirischer Ebene aussah, beschreibt der Feldlagerbericht des Thüringers Tobias, der sich bei Schmidt "Voland" nennt, als Reverenz an Michail Bulgakows Teufel aus "Der Meister und Margarita". Während Voland in der Kirche in Dorpat die Kantate für Christi Himmelfahrt 1704 probt, trifft eine russische Bombe sein Haus. Als er heimkommt, sind seine Frau und seine drei Kinder tot, seine ganze Habe vernichtet. Wie Hiob im Alten Testament fragt sich Voland, warum Gott ihn am Leben ließ: "Etwa aus Gnade? Tat er es zum Hohn? Das dachte ich lange. Heute weiß ich, er tat es einzig und allein, weil er es konnte."
Die Kernfrage der Theodizee, wie das Böse in die Welt kommt, wenn Gott zugleich allmächtig und allgütig sei, wird ausdrücklich erörtert, als Johann Jacob Bach der Geist des Selbstmörders Theophilus Lessing als Engel erscheint - ein Bote ohne Botschaft, denn auch mit den Engeln redet Gott nicht mehr. Lessing hat eine physikotheologische Lösung für das Theodizee-Problem: Als Gott sich entschloss, etwas außer sich selbst zu erschaffen, musste er, der Unendliche, sich in sich selbst zusammenziehen, Platz machen für die Endlichkeit. Er zog sich in sich selbst zurück, und dieser Rückzug geht weiter. "Denn nur sein anhaltender Rückzug bewahrt die Schöpfung davor, sich wieder in der Unendlichkeit zu verlieren. Mit anderen Worten: Die Welt kann nur durch die Abwesenheit Gottes bestehen." Gott habe, so Lessing, die Existenz der Schöpfung erkauft durch seine eigene Ohnmacht. "Er hat seine Herrschaft um unseretwillen preisgegeben." Somit ist er zwar allgütig, aber nicht allmächtig. Das Böse ist "Menschenwerk".
Olaf Schmidt treibt Theologie im Gewand der Belletristik, stellt alle großen und letzten Fragen, deren Klärung die gelassene Skepsis der Postmoderne längst aufgegeben hatte, abermals in einem intertextuellen Spiel, das ihm eine ernste Sache ist. Dabei schwingt auch die Frage mit, ob Johann Sebastian Bach sein großes Werk nur hat schaffen können, weil er ein Leben führte, das von den allergrößten Grausamkeiten seiner Zeit abgeschirmt war. In einer Schlusspointe von gespenstischer Ironie lässt er den Schlächter-König Karl einen biblischen Beleg für die Musik als Gnadengabe Gottes ausgerechnet im zweiten Buch der Chronik, Kapitel fünf, im Alten Testament finden. Es ist die Stelle, die Johann Sebastian Bach in seiner Calov-Bibel kommentiert hat mit dem Satz "Bey einer andächtigen Musique ist allezeit Gott mit seiner Gnaden gegenwärtig".
Olaf Schmidt: "Der Oboist des Königs". Das abenteuerliche Leben des Johann Jacob Bach.
Galiani Verlag, Berlin 2019. 544 S., geb., 25,- [Euro].
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