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Die Erzählung handelt vom jüdisch-arabischen Konflikt. Denn Daniel und Obadja sind Halbbrüder, die zwar denselben jüdischen Vater, aber nicht dieselbe Mutter haben. In ihrer Jungend voneinander getrennt, treffen sie sich nach Jahren in Erez Israel wieder. Daniel kommt als Einwanderer ins gelobte Land, kauft einen Obstgarten und heiratet Luna, die stumme Tochter des arabischen Vorbesitzers. Aber sein Halbbruder Obadja erhebt ebenfalls Ansprüche auf die geheimnisvolle Schöne.

Produktbeschreibung
Die Erzählung handelt vom jüdisch-arabischen Konflikt. Denn Daniel und Obadja sind Halbbrüder, die zwar denselben jüdischen Vater, aber nicht dieselbe Mutter haben. In ihrer Jungend voneinander getrennt, treffen sie sich nach Jahren in Erez Israel wieder.
Daniel kommt als Einwanderer ins gelobte Land, kauft einen Obstgarten und heiratet Luna, die stumme Tochter des arabischen Vorbesitzers. Aber sein Halbbruder Obadja erhebt ebenfalls Ansprüche auf die geheimnisvolle Schöne.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.1999

Nacht über dem Morgenland
Benjamin Tammuz's Trauer über einen geplünderten Obstgarten

Aus dem Nahen Osten kommen keine frohen Botschaften mehr. Auch Benjamin Tammuz (1919 bis 1989), einer der älteren israelischen Autoren, hat ein bitteres Buch über sein Land der unerfüllten Träume geschrieben. "Den Obstgarten erwarben Spekulanten", heißt es auf der letzten Seite seiner Novelle. "Bald werden dort Landvermesser eintreffen, um ihn zu parzellieren. Dann werden sie mit Traktoren kommen und die Bäume fällen. Danach werden dort Siedlungen errichtet, mit Strommasten, die aus ihren Dächern ragen, und schmutzigen Kleidern, die im Wind auf ihren Balkonen flattern wie die Wimpel des städtischen Pöbels. Neue Leute werden kommen, um in den neuen Häusern zu wohnen."

Der das erzählt, ist kein Freund der neuen Leute, die ihre Slums an die Stelle der Obstgärten gesetzt haben. Seine Familiensaga der beiden Halbbrüder, die den gleichen Garten bebauen und die gleiche Frau lieben, legt Tammuz einem alten, halb wahnsinnigen Agronomen in den Mund, einem Juden, der noch vor der Jahrhundertwende aus Rußland nach Palästina eingewandert ist und der am Ende der fünfziger Jahre auf eine lange Geschichte zurückblickt. Sie beginnt vor dem Ersten Weltkrieg und führt bis zur Staatsgründung Israels; sie ist aufs engste mit den historischen Ereignissen dieser Periode verknüpft; und sie ist eine Geschichte voller Enttäuschungen: Schon zu Anfang zerstören Heuschrecken die Plantage des Erzählers, sie rauben ihm den Verstand und färben die erschreckende Perspektive der Novelle.

Die beiden Halbbrüder, Söhne eines russischen Juden, gehören verschiedenen Völkern an. Der Ältere trägt einen doppelten Namen - auf hebräisch heißt er Obadja, auf arabisch Abdallah, beides bedeutet "Gottesknecht" -, der Vater hat ihn mit einer muslimischen Türkin gezeugt; der Jüngere, Sohn einer Rabbinertochter, trägt den biblischen Namen Daniel. Der Ältere fühlt sich im Haus seines Vaters nicht wohl und wandert nach Palästina aus. Jahre später kommt auch Daniel nach Erez Israel. Er kauft den Obstgarten, den sein Halbbruder verwaltet, und er heiratet Luna, ein taubstummes Waisenkind, das immer in diesem Garten gelebt hat und von dem man nicht weiß, ob es von jüdischen oder arabischen Eltern abstammt.

Diese Frage der Abstammung, auf die es keine Antwort gibt, bildet den Kern der Novelle. Als der alte Agronom die Geschichte aus seinem lückenhaften Gedächtnis holt, sind die beiden Halbbrüder schon tot. Der eine fällt dem Kampf seiner beiden Völker zum Opfer, der andere erstickt an der eigenen Hoffnungslosigkeit. Es gibt keine Zeugen mehr, und immer wieder betont der Erzähler die Verwirrung seines Geistes, macht deutlich, daß wir aus seiner Perspektive keine Erhellung erwarten dürfen.

Über die Jahre, die der Vater in der Türkei und in Rußland verbracht hat, berichtet uns der Agronom nur vom Hörensagen. Eines Tages geht der Vater aus Konstantinopel fort, verläßt seine türkische Frau und kehrt nach Rußland zurück, wo später Daniel zur Welt kommen wird. Doch Obadja, so lesen wir, "nahm er mit, denn das Herz eines Juden hängt an seinen Nachkommen, auch wenn sie Söhne einer schamlosen Fremden sind. Obadjas Mutter hatte sie von der Schwelle ihres Hauses beobachtet und war dann weinend hinter den Pferden hergelaufen, als die Kutsche sich von dem Haus zu entfernen begann. Obadjas Vater drückte den Jungen ans Herz und bemühte sich, ihn mit liebevollen Worten abzulenken. Obadjas Augen hingen jedoch an seiner weinenden Mutter, die lange hinter der Kutsche herlief, bis sie den Hafen erreichten und das Fallreep hinaufstiegen. Seitdem hat Obadja seine Mutter nie mehr gesehen."

In der Bibel hatte Abraham seine Magd Hagar gemeinsam mit ihrem Sohn Ismael verstoßen, hier behält der Vater das Kind der Fremden bei sich. Zugleich aber läßt die Schilderung keinen Zweifel daran, daß die Trennung von Mutter und Sohn die Ursünde ist, aus der die Ereignisse der Novelle folgen. Es ist der Fluch der bösen Tat: Daniel wird die taubstumme Luna heiraten, die Jüdin oder Araberin ist, aber auch Obadja-Abdallah wird mit ihr schlafen. Als um das Jahr 1925 ihr Kind zur Welt kommt, trägt es keinen Namen, wird immer nur "Lunas Sohn" heißen.

Das Land der Väter ist zum Land der Mutter geworden. Tammuz kehrt die patriarchalische Linie des biblischen Mythos um und macht den verlorenen Garten zum Reich des Matriarchats. "Er stand in der Blüte seiner Jugend", heißt es über Lunas Sohn. "Wenn ich seine Schönheit beschreiben wollte, würden die Worte durch die Berührung seines Wesens dahinschmelzen. Wenn er in seine Studien vertieft war, blätterten sich die Bücher wie von selbst vor ihm auf; wenn er sich amüsierte, lagen ihm die Straßen zu Füßen wie ein Teppich; und wenn er ins Wasser sprang, schien es vor ihm zurückzuweichen."

Lunas Sohn ist der Liebling des Erzählers. Er ist die schönste Blüte des Obstgartens, der am Ende den Spekulanten weichen muß, ein Mensch, dessen Genealogie sich nicht mehr nachzeichnen läßt; er entstammt den Völkern seines umkämpften Landes, ohne daß eines dieser Völker ihn für sich beanspruchen darf, und er mag das Wunschbild eines geistig verwirrten alten Mannes sein, aber er ist auch das Ideal der Schriftstellergeneration, zu der Benjamin Tammuz gehört: Wie Lunas Sohn ist auch er in den Zwischenkriegsjahren herangereift, wie der alte Agronom blickt auch er auf die Träume seiner Jugend zurück und muß erkennen, daß sie nicht gereift sind.

Im hebräischen Original erschien die Novelle zuerst im Jahre 1973, und es ist bezeichnend, daß sie 1994, in den Jahren der israelisch-palästinensischen Annäherung neu aufgelegt wurde. An der Aktualität ihres traurigen Endes, das selbst den Messias ins Grau des Fatalismus hüllt, hat das leider nichts geändert. "Neue Leute werden kommen, um in den neuen Häusern zu wohnen", sagt der Erzähler. "Und nach einer Generation oder zwei werden auch diese Menschen Staub und Asche sein, und die Häuser werden verfallen. Vor meinem inneren Auge sehe ich Auferstehung und Zerstörung, Zerstörung und Auferstehung, ohne Ende. Bis derjenige kommt, der alle Rätsel löst und so auch dieses am Ende aller Zeiten lösen wird." JAKOB HESSING

Benjamin Tammuz: "Der Obstgarten". Erzählung. Aus dem Hebräischen von Monika Zemke. Bleicher Verlag, Gerlingen 1999. 148 S., geb., 29,80 DM.

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