Die Geschichte eines Mordes und seiner schicksalhaften FolgenDer Journalist Reto Zumbach recherchiert das Verbrechen eines Papierfabrikanten, der auf seinem Anwesen in den einsamen Weiten im Norden Irlands eine grausame Tat beging. Er macht sich auf den Weg an den Ort des Geschehens und verstrickt sich in eine Geschichte, die sein Leben verändern wird. - Ein literarisches Meisterwerk, ausgezeichnet mit dem Preis für »neue deutsche literatur« 2003."Ein fesselnder Roman über menschliche Abgründe" Berner Zeitung"Ein sprachlich brillantes Werk" Go München"In einer Sprache erzählt, die genau benennt und Stimmungen so gut zu schaffen weiß, wie sie Faktisches anschaulich macht. Mehr als nur ein spannender Roman!" Neue Luzerner Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2004Mord und Möwenflug
Befremdliche Selbstfindung: Hansjörg Schertenleibs neuer Roman
Was macht ein erfolgloser Journalist, der mit achtunddreißig Jahren noch immer nach seinem Ich sucht? Er nimmt sich vor, eine Mord-Recherche zu einem Roman auszuweiten. So behauptet es jedenfalls Hansjörg Schertenleibs neuer Roman "Der Papierkönig". Im Mittelpunkt steht Reto Zumbach, ein mehrfach gescheiterter Journalist, der den Spuren eines Mordfalls nach Irland folgt. Dabei liegt die Geschichte mittlerweile zwei Jahre zurück und ist kriminalistisch wie journalistisch längst abgeschlossen: Richard Kolk, ein deutscher Papierfabrikant, hatte seinerzeit den Torwart des FC Zürich in seinem irischen Ferienhaus ermordet, dessen Freundin sechs Tage gefangengehalten und brutal vergewaltigt.
Mittlerweile ist der "Papierkönig" in Irland verurteilt und inhaftiert; Nathalie Stüssy, das überlebende Opfer, befindet sich in psychiatrischer Behandlung. Zumbach setzt sich mit beiden in Verbindung, reist nach Irland und folgt dem Reiseweg der Opfer bis zum Ferienhaus des Papierkönigs, als ließe sich im mörderischen Herzen der Finsternis zugleich die eigene Seele entdecken. In diesen Reiseweg werden Briefe, die Kolk aus dem Gefängnis an ihn richtet, ein Interview mit Nathalie Stüssy und allerlei Erinnerungen an eigene Demütigungen eingestreut.
Mit dem Einbruch ins mittlerweile verlassene Ferienhaus des Mörders ist der Roman allerdings nicht zu Ende. Statt dessen begegnet Zumbach wenig später dem überlebenden Opfer: Nathalie Stüssy ist aus der Psychiatrie geflohen, um gleichfalls an den Ort des Verbrechens zurückzukehren. Die Begegnung trägt alle Anzeichen eines märchenhaften Zufalls - aber es folgt kein märchenhafter Schluß. Die beiden lassen sich von einem jungen Paar mitnehmen, werden betäubt und in ein verlassenes Haus verschleppt. Als Zumbach aufwacht, findet er nur noch ein Videoband vor, auf dem in Ausschnitten zu sehen ist, wie Nathalie von den maskierten jungen Leuten gefoltert und vergewaltigt wird.
Hansjörg Schertenleib gibt die wenigen Details dieser Szene mit der gleichen präzisen Sachlichkeit wie das Flimmern der Irischen See oder den Flug der Möwen. Das ist professionell gemacht. Dennoch ist "Der Papierkönig" kein überzeugender Roman: Er bietet Einblicke in die Psychen eines Mörders, eines Vergewaltigungsopfers und eines lethargischen Beobachters, der unausgesetzt um seine Lebensniederlagen kreist. Es gibt viele Möglichkeiten, aus dieser Konstellation einen Roman zu machen. Aber Schertenleib hat sich für keine entscheiden können. Erst läßt er die Geschichten des Papierkönigs und seiner Opfer versanden, dann reicht er ausgesuchte Bestialitäten nach, um seinem Protagonisten zu einer erbärmlichen Sinnstiftung zu verhelfen, die niemand nachvollziehen mag.
Die geradezu perverse Zumutung des Romans besteht darin, daß die Vergewaltigung als substantielle Selbstfindungsetappe des Protagonisten inszeniert wird. Der sitzt zuletzt in einem Caravan vor der irischen Steilküste, meditiert über auffliegende Plastiktüten, spannt eine leere Seite in seine Schreibmaschine und will gelernt haben, "daß jeder, der eine Geschichte erzählt, die eigene Geschichte erzählt". Was für eine fade poetologische Moral. Dem Geschichtenerzähler Hansjörg Schertenleib tut man jedenfalls keinen Gefallen, wenn man sie ernst nimmt und auf seinen Text bezieht. Ein verunglücktes Buch.
FRIEDHELM MARX
Hansjörg Schertenleib: "Der Papierkönig". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2003. 343 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Befremdliche Selbstfindung: Hansjörg Schertenleibs neuer Roman
Was macht ein erfolgloser Journalist, der mit achtunddreißig Jahren noch immer nach seinem Ich sucht? Er nimmt sich vor, eine Mord-Recherche zu einem Roman auszuweiten. So behauptet es jedenfalls Hansjörg Schertenleibs neuer Roman "Der Papierkönig". Im Mittelpunkt steht Reto Zumbach, ein mehrfach gescheiterter Journalist, der den Spuren eines Mordfalls nach Irland folgt. Dabei liegt die Geschichte mittlerweile zwei Jahre zurück und ist kriminalistisch wie journalistisch längst abgeschlossen: Richard Kolk, ein deutscher Papierfabrikant, hatte seinerzeit den Torwart des FC Zürich in seinem irischen Ferienhaus ermordet, dessen Freundin sechs Tage gefangengehalten und brutal vergewaltigt.
Mittlerweile ist der "Papierkönig" in Irland verurteilt und inhaftiert; Nathalie Stüssy, das überlebende Opfer, befindet sich in psychiatrischer Behandlung. Zumbach setzt sich mit beiden in Verbindung, reist nach Irland und folgt dem Reiseweg der Opfer bis zum Ferienhaus des Papierkönigs, als ließe sich im mörderischen Herzen der Finsternis zugleich die eigene Seele entdecken. In diesen Reiseweg werden Briefe, die Kolk aus dem Gefängnis an ihn richtet, ein Interview mit Nathalie Stüssy und allerlei Erinnerungen an eigene Demütigungen eingestreut.
Mit dem Einbruch ins mittlerweile verlassene Ferienhaus des Mörders ist der Roman allerdings nicht zu Ende. Statt dessen begegnet Zumbach wenig später dem überlebenden Opfer: Nathalie Stüssy ist aus der Psychiatrie geflohen, um gleichfalls an den Ort des Verbrechens zurückzukehren. Die Begegnung trägt alle Anzeichen eines märchenhaften Zufalls - aber es folgt kein märchenhafter Schluß. Die beiden lassen sich von einem jungen Paar mitnehmen, werden betäubt und in ein verlassenes Haus verschleppt. Als Zumbach aufwacht, findet er nur noch ein Videoband vor, auf dem in Ausschnitten zu sehen ist, wie Nathalie von den maskierten jungen Leuten gefoltert und vergewaltigt wird.
Hansjörg Schertenleib gibt die wenigen Details dieser Szene mit der gleichen präzisen Sachlichkeit wie das Flimmern der Irischen See oder den Flug der Möwen. Das ist professionell gemacht. Dennoch ist "Der Papierkönig" kein überzeugender Roman: Er bietet Einblicke in die Psychen eines Mörders, eines Vergewaltigungsopfers und eines lethargischen Beobachters, der unausgesetzt um seine Lebensniederlagen kreist. Es gibt viele Möglichkeiten, aus dieser Konstellation einen Roman zu machen. Aber Schertenleib hat sich für keine entscheiden können. Erst läßt er die Geschichten des Papierkönigs und seiner Opfer versanden, dann reicht er ausgesuchte Bestialitäten nach, um seinem Protagonisten zu einer erbärmlichen Sinnstiftung zu verhelfen, die niemand nachvollziehen mag.
Die geradezu perverse Zumutung des Romans besteht darin, daß die Vergewaltigung als substantielle Selbstfindungsetappe des Protagonisten inszeniert wird. Der sitzt zuletzt in einem Caravan vor der irischen Steilküste, meditiert über auffliegende Plastiktüten, spannt eine leere Seite in seine Schreibmaschine und will gelernt haben, "daß jeder, der eine Geschichte erzählt, die eigene Geschichte erzählt". Was für eine fade poetologische Moral. Dem Geschichtenerzähler Hansjörg Schertenleib tut man jedenfalls keinen Gefallen, wenn man sie ernst nimmt und auf seinen Text bezieht. Ein verunglücktes Buch.
FRIEDHELM MARX
Hansjörg Schertenleib: "Der Papierkönig". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2003. 343 S., geb., 19,90 [Euro].
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»Ein kunstvoll gewebter und dramatischer Roman über Liebe und Gewalt, sexuelle Obsessionen, verlorene Unschuld und die Gespenster der Vergangenheit, über Freiheit und Abhängigkeit und nicht zuletzt über das Erzählen.« Passauer Neue Presse 20040907