Der Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Kardinal Müller, ermöglicht in seinem neuen Buch einen Zugang zu den theologischen und historischen Dimensionen eines einzigartigen Amtes in der Welt. Aus einem sehr persönlichen Blickwinkel heraus und aus der konkreten täglichen Erfahrung an der Seite des Papstes werden alle Dimensionen angesprochen, die notwendig sind für ein tieferes Verstehen dieses sichtbaren Prinzips der Einheit der Kirche. Im Jahr des Gedenkens an die Reformation wird auch die kontroverse Auseinandersetzung der Jahrhunderte in ihren jeweiligen historischen Kontext gestellt. Ein Amt, das fasziniert und provoziert, das die Welt bewegt und mitreißt. Dieses Buch entlarvt Vorurteile und Klischees und legt den wahren Grund des Papstamtes frei.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2017Wider den deutschen Hang zur Rom-Kritik
Doch hat das Petrusamt auch seine Grenzen: Gerhard Kardinal Müller, Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, erläutert seine Auffassung von der Rolle des Papstes.
Alles fließt, sagt Heraklit, der Felsen Petri, der fließt mit." So reimte bald nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil der kritische Katholik Carl Schmitt. Fünfzig Jahre später sind Fließgeschwindigkeiten und Abtrag nicht geringer geworden. Ihnen entgegenzuwirken ist die Aufgabe der vatikanischen Glaubenskongregation. Wenn ihr aktueller Präfekt Kardinal Gerhard Kardinal Müller ein Buch über Sendung und Auftrag des Papstes publiziert, ist daher nicht in erster Linie eine Spezialstudie zu erwarten. Der Leser ahnt: Es wird um theologischen Erosionsschutz gehen.
Das bestätigt die lateinische Widmung, die der Autor seinem Werk voranstellt. Wer ein Papstbuch der "Heiligen Römischen Kirche, Mutter und Lehrmeisterin aller Kirchen" dediziert, die "durch ihren obersten Hirten lehrt und ihren Willen kundtut", spricht als Bewahrer katholischer Überzeugungen. Und er führt eine subtile Differenzierung ein: Der Papst ist für die Kirche da und hat ihr zu dienen. Der päpstliche Primat wird dadurch bestätigt und zugleich begrenzt.
Sündigen, sagten die alten Moraltheologen, kann man per defectum und per excessum - offenbar auch in der Bewertung des Papstamtes. Zwischen den Untiefen des antirömischen Affekts einerseits und des blinden Lehramtspositivismus andererseits möchten die zwölf Kapitel Müllers einen Weg bahnen. Nicht alles ist darin aus einem Guss, weil auch bereits vorliegende Texte eingearbeitet wurden, die nur mittelbar das Petrusamt betreffen. Aber die Thesen, um die es dem Verfasser geht, sind nicht zu übersehen.
Das Buch setzt persönlich, ja bekenntnishaft an. Im ersten Kapitel spricht Müller, der am kommenden Silvestertag siebzig werden wird, über seine geistliche Biographie, die mit dem Wirken von mittlerweile sieben Päpsten in zunehmender Intensität verflochten ist. Dem Genus der confessiones geschuldet ist es wohl, dass in dieser dankbaren Rückschau der tonus solemnior vorherrscht und schon Kindheitserlebnisse zum Anlass für längere dogmatische Exkurse dienen können.
Die Päpste des zwanzigsten Jahrhunderts in all ihrer Unterschiedlichkeit charakterisiert Müller als authentische Glaubenszeugen, deren Stärken er betont und über deren Schwächen er schweigt. Die eigene Lebensgeschichte wird als Ausweis jener "Hermeneutik der Kontinuität" vorgestellt, die nach Benedikt XVI. für die Identität der Kirche unverzichtbar ist. Müllers Nähe zur Theologie Benedikts, dessen Werkausgabe er betreut, wird auch in vielen anderen Punkten deutlich. Das trinitarische "Geheimnis des Seins als Liebe" am Urgrund der Wirklichkeit, die wurzelhafte Einheit von Vernunft und Glaube, das eucharistische Verständnis der Kirche, die untrennbare Einheit von Schrift, Amt und Tradition, der Ruf nach "Entweltlichung", die Kritik an der gegenwärtigen "Diktatur des Relativismus" - das alles sind Motive Joseph Ratzingers, die der Kardinal aufgreift.
In den Kernkapiteln seines Buches behandelt Müller klassische Themen katholischer Papst-Traktate. Es geht um biblische Begründung und dogmatische Relevanz des Petrusamtes sowie um die Stufen seiner theologiegeschichtlichen Entfaltung von der Väterzeit bis in die Gegenwart. "Kontinuität" ist auch hier das Leitwort der Darstellung. Wenn Müller die "Theorie vom Kontinuitätsbruch zwischen dem I. und II. Vatikanum" als "historisch dreist und ignorant", ja sogar als "häretisch" brandmarkt, bestätigt er, wie sehr die katholische Theologie weiterhin Kampf ums Konzil ist.
Der Kardinal argumentiert im Ausgang von der Fundamentalüberzeugung, dass die Entwicklung der Kirche vom beständigen Wirken des auferstandenen Christus und des von ihm verheißenen Geistes getragen ist. Im Licht dieser Prämisse wird eine innere Plausibilität des Wegs von den Aussagen über Petrus im Neuen Testament bis zum elaborierten Primatsdogma verteidigt, die durch isolierte Schrift- oder Traditionsargumente nicht zu erreichen ist und sich durch Einwände von Exegeten und Historikern nicht beeindrucken lässt.
Das Amt des Papstes, so betont Müller in vielen Variationen, kann letztlich nicht als geschichtlich kontingentes Resultat der Suche nach einer möglichst funktionalen Kirchenleitung verstanden werden, sondern ist integraler Bestandteil der übernatürlichen Offenbarung. Weil Gott sich in der historischen Gestalt des Menschen Jesus von Nazareth abschließend mitgeteilt hat, wird diese Offenbarung durch eine sichtbare Kirche sakramental vergegenwärtigt. Deren Einheit garantiert das persönliche, auf den Willen Christi selbst zurückzuführende Lehr- und Leitungsamt des Papstes.
So dezidiert äußern sich auch katholische Theologen nur noch selten. Erst recht widerspricht diese Sicht der protestantischen Option für den Vorrang der unsichtbaren Kirche der Glaubenden vor allen real existierenden Kirchentümern. Müller gibt dies in seinem Kapitel über die ökumenische Bedeutung des Papstamtes auch offen zu. Ein "Durchbruch" in der Ökumene werde "erst gelingen, wenn wir wieder zu einer gemeinsamen theologischen Erkenntnislehre finden". Ob dies jemals zu erwarten ist, sei dahingestellt.
Neben dem dogmatisch Grundsätzlichen findet man in Müllers Papstbuch auch Äußerungen zu kirchenpolitisch Aktuellem. So wird die besondere Bedeutung der Glaubenskongregation für die Ausübung des päpstlichen Lehramts mit Nachdruck in Erinnerung gerufen und ihre nachkonziliare Unterordnung unter das Staatssekretariat beklagt. Der Präfekt wird wissen, wovon er hier spricht.
Die polemische Provokation ist eingeplant, wenn Müller den deutschen Hang zur Romkritik, theologische "Linientreue zur progressistisch liberalen Ideologie", ein "modernistisches" Verständnis von Offenbarung und Dogma oder den politischen Druck von "Genderideologie" und "Homo-Lobbys" kritisiert. In der jüngsten Debatte um die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten wurde der deutsche Kurienkardinal oft als innerkirchlicher Kritiker der von Papst Franziskus unterstützten Lockerung bisheriger Vorschriften wahrgenommen. Eine offene Auseinandersetzung mit den entsprechenden Stellen im Apostolischen Schreiben "Amoris Laetitia" sucht Müller in seinem Papstbuch nicht. Er lässt keinen Zweifel an seiner Loyalität zum argentinischen Pontifex, dem er sich besonders in der "Option für die Armen" und der brachialen Kapitalismuskritik verbunden weiß.
Dennoch gibt es einige Passagen, die man als Stellungnahmen zur aktuellen Diskussion lesen kann. Dazu gehört die kommentarlose Wiedergabe des eigenen Redebeitrags vor der Bischofssynode von 2015 ebenso wie die Bemerkung, dass die "inhärenten Zulassungsbedingungen zu den Sakramenten" durch den Papst "selbst mit dem höchsten Einsatz seiner Autorität" nicht veränderbar sind. Absolution und Kommunionempfang für einen Katholiken "im Stand der Todsünde" ohne hinreichende Reue könnte er nicht erlauben, "ohne sich an der Wahrheit des Evangeliums und dem Heil des so in die Irre geführten Gläubigen zu versündigen". Falls ein Papst in der zuverlässigen Auslegung des Glaubens fehlginge, so heißt es an einer anderen Stelle, "käme auf die Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche die schwere Verantwortung zu, nach dem Vorbild des hl. Paulus die ganze Wahrheit und Fülle des Evangeliums dem Papst ins Angesicht zu sagen". Das wäre deutlich mehr als die Formulierung von Dubia.
THOMAS MARSCHLER
Gerhard Kardinal Müller: "Der Papst". Sendung und Auftrag.
Herder Verlag,
Freiburg 2017. 608 S., geb., 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doch hat das Petrusamt auch seine Grenzen: Gerhard Kardinal Müller, Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, erläutert seine Auffassung von der Rolle des Papstes.
Alles fließt, sagt Heraklit, der Felsen Petri, der fließt mit." So reimte bald nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil der kritische Katholik Carl Schmitt. Fünfzig Jahre später sind Fließgeschwindigkeiten und Abtrag nicht geringer geworden. Ihnen entgegenzuwirken ist die Aufgabe der vatikanischen Glaubenskongregation. Wenn ihr aktueller Präfekt Kardinal Gerhard Kardinal Müller ein Buch über Sendung und Auftrag des Papstes publiziert, ist daher nicht in erster Linie eine Spezialstudie zu erwarten. Der Leser ahnt: Es wird um theologischen Erosionsschutz gehen.
Das bestätigt die lateinische Widmung, die der Autor seinem Werk voranstellt. Wer ein Papstbuch der "Heiligen Römischen Kirche, Mutter und Lehrmeisterin aller Kirchen" dediziert, die "durch ihren obersten Hirten lehrt und ihren Willen kundtut", spricht als Bewahrer katholischer Überzeugungen. Und er führt eine subtile Differenzierung ein: Der Papst ist für die Kirche da und hat ihr zu dienen. Der päpstliche Primat wird dadurch bestätigt und zugleich begrenzt.
Sündigen, sagten die alten Moraltheologen, kann man per defectum und per excessum - offenbar auch in der Bewertung des Papstamtes. Zwischen den Untiefen des antirömischen Affekts einerseits und des blinden Lehramtspositivismus andererseits möchten die zwölf Kapitel Müllers einen Weg bahnen. Nicht alles ist darin aus einem Guss, weil auch bereits vorliegende Texte eingearbeitet wurden, die nur mittelbar das Petrusamt betreffen. Aber die Thesen, um die es dem Verfasser geht, sind nicht zu übersehen.
Das Buch setzt persönlich, ja bekenntnishaft an. Im ersten Kapitel spricht Müller, der am kommenden Silvestertag siebzig werden wird, über seine geistliche Biographie, die mit dem Wirken von mittlerweile sieben Päpsten in zunehmender Intensität verflochten ist. Dem Genus der confessiones geschuldet ist es wohl, dass in dieser dankbaren Rückschau der tonus solemnior vorherrscht und schon Kindheitserlebnisse zum Anlass für längere dogmatische Exkurse dienen können.
Die Päpste des zwanzigsten Jahrhunderts in all ihrer Unterschiedlichkeit charakterisiert Müller als authentische Glaubenszeugen, deren Stärken er betont und über deren Schwächen er schweigt. Die eigene Lebensgeschichte wird als Ausweis jener "Hermeneutik der Kontinuität" vorgestellt, die nach Benedikt XVI. für die Identität der Kirche unverzichtbar ist. Müllers Nähe zur Theologie Benedikts, dessen Werkausgabe er betreut, wird auch in vielen anderen Punkten deutlich. Das trinitarische "Geheimnis des Seins als Liebe" am Urgrund der Wirklichkeit, die wurzelhafte Einheit von Vernunft und Glaube, das eucharistische Verständnis der Kirche, die untrennbare Einheit von Schrift, Amt und Tradition, der Ruf nach "Entweltlichung", die Kritik an der gegenwärtigen "Diktatur des Relativismus" - das alles sind Motive Joseph Ratzingers, die der Kardinal aufgreift.
In den Kernkapiteln seines Buches behandelt Müller klassische Themen katholischer Papst-Traktate. Es geht um biblische Begründung und dogmatische Relevanz des Petrusamtes sowie um die Stufen seiner theologiegeschichtlichen Entfaltung von der Väterzeit bis in die Gegenwart. "Kontinuität" ist auch hier das Leitwort der Darstellung. Wenn Müller die "Theorie vom Kontinuitätsbruch zwischen dem I. und II. Vatikanum" als "historisch dreist und ignorant", ja sogar als "häretisch" brandmarkt, bestätigt er, wie sehr die katholische Theologie weiterhin Kampf ums Konzil ist.
Der Kardinal argumentiert im Ausgang von der Fundamentalüberzeugung, dass die Entwicklung der Kirche vom beständigen Wirken des auferstandenen Christus und des von ihm verheißenen Geistes getragen ist. Im Licht dieser Prämisse wird eine innere Plausibilität des Wegs von den Aussagen über Petrus im Neuen Testament bis zum elaborierten Primatsdogma verteidigt, die durch isolierte Schrift- oder Traditionsargumente nicht zu erreichen ist und sich durch Einwände von Exegeten und Historikern nicht beeindrucken lässt.
Das Amt des Papstes, so betont Müller in vielen Variationen, kann letztlich nicht als geschichtlich kontingentes Resultat der Suche nach einer möglichst funktionalen Kirchenleitung verstanden werden, sondern ist integraler Bestandteil der übernatürlichen Offenbarung. Weil Gott sich in der historischen Gestalt des Menschen Jesus von Nazareth abschließend mitgeteilt hat, wird diese Offenbarung durch eine sichtbare Kirche sakramental vergegenwärtigt. Deren Einheit garantiert das persönliche, auf den Willen Christi selbst zurückzuführende Lehr- und Leitungsamt des Papstes.
So dezidiert äußern sich auch katholische Theologen nur noch selten. Erst recht widerspricht diese Sicht der protestantischen Option für den Vorrang der unsichtbaren Kirche der Glaubenden vor allen real existierenden Kirchentümern. Müller gibt dies in seinem Kapitel über die ökumenische Bedeutung des Papstamtes auch offen zu. Ein "Durchbruch" in der Ökumene werde "erst gelingen, wenn wir wieder zu einer gemeinsamen theologischen Erkenntnislehre finden". Ob dies jemals zu erwarten ist, sei dahingestellt.
Neben dem dogmatisch Grundsätzlichen findet man in Müllers Papstbuch auch Äußerungen zu kirchenpolitisch Aktuellem. So wird die besondere Bedeutung der Glaubenskongregation für die Ausübung des päpstlichen Lehramts mit Nachdruck in Erinnerung gerufen und ihre nachkonziliare Unterordnung unter das Staatssekretariat beklagt. Der Präfekt wird wissen, wovon er hier spricht.
Die polemische Provokation ist eingeplant, wenn Müller den deutschen Hang zur Romkritik, theologische "Linientreue zur progressistisch liberalen Ideologie", ein "modernistisches" Verständnis von Offenbarung und Dogma oder den politischen Druck von "Genderideologie" und "Homo-Lobbys" kritisiert. In der jüngsten Debatte um die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten wurde der deutsche Kurienkardinal oft als innerkirchlicher Kritiker der von Papst Franziskus unterstützten Lockerung bisheriger Vorschriften wahrgenommen. Eine offene Auseinandersetzung mit den entsprechenden Stellen im Apostolischen Schreiben "Amoris Laetitia" sucht Müller in seinem Papstbuch nicht. Er lässt keinen Zweifel an seiner Loyalität zum argentinischen Pontifex, dem er sich besonders in der "Option für die Armen" und der brachialen Kapitalismuskritik verbunden weiß.
Dennoch gibt es einige Passagen, die man als Stellungnahmen zur aktuellen Diskussion lesen kann. Dazu gehört die kommentarlose Wiedergabe des eigenen Redebeitrags vor der Bischofssynode von 2015 ebenso wie die Bemerkung, dass die "inhärenten Zulassungsbedingungen zu den Sakramenten" durch den Papst "selbst mit dem höchsten Einsatz seiner Autorität" nicht veränderbar sind. Absolution und Kommunionempfang für einen Katholiken "im Stand der Todsünde" ohne hinreichende Reue könnte er nicht erlauben, "ohne sich an der Wahrheit des Evangeliums und dem Heil des so in die Irre geführten Gläubigen zu versündigen". Falls ein Papst in der zuverlässigen Auslegung des Glaubens fehlginge, so heißt es an einer anderen Stelle, "käme auf die Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche die schwere Verantwortung zu, nach dem Vorbild des hl. Paulus die ganze Wahrheit und Fülle des Evangeliums dem Papst ins Angesicht zu sagen". Das wäre deutlich mehr als die Formulierung von Dubia.
THOMAS MARSCHLER
Gerhard Kardinal Müller: "Der Papst". Sendung und Auftrag.
Herder Verlag,
Freiburg 2017. 608 S., geb., 29,99 [Euro].
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