Produktdetails
- Ausgewählte Dramen und Epen
- Verlag: Olms Wissenschaft
- Seitenzahl: 628
- Deutsch
- Abmessung: 230mm
- Gewicht: 980g
- ISBN-13: 9783487103297
- Artikelnr.: 26919447
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.1998Kühn dem kühnen Feind begegnen
Eine unvermutete Entdeckung: Friedrich de la Motte Fouqués "Parcival" nach Wolfram von Eschenbach · Von Peter Wapnewski
Man weiß im Umriß, wie es steht um Wirkung und Wirkungsgeschichte des "Parzival". Sein Autor Wolfram von Eschenbach stand in hohem Ansehen bei Zeitgenossen und Nachfahren, und sein berühmtestes Epos zählte, wie aus der ungewöhnlich großen Zahl von über achtzig Handschriften ersichtlich, zu den beliebtesten Dichtungen seiner Zeit. Sogar der Buchdruck hat sich - bei J. Mentelin in Straßburg - im Jahre 1477 seiner noch angenommen, ein letzter Reflex des sich über dreihundert Jahre hinziehenden lebhaften Interesses, bis die Antike zum Maß aller Dinge wurde und das Mittelalter und seine Dichtung im Zeitalter von Renaissance und Humanismus dunklem Vergessen anheimfielen.
Dann aber nimmt die enzyklopädische Neugier der (späten) Aufklärungszeit sich der alten deutschen Texte - zögernd - wieder an. Johann Jacob Bodmer übersetzt Partien des "Parzival" in dem - für die poetische Erzählform kanonisch gültigen - Maß des Hexameters, und die erste Ausgabe des alten höfischen Romans ist Bodmers Schüler Christian Heinrich Myller zu verdanken. Sie erschien im ersten Band von dessen "Sammlung deutscher Gedichte aus dem zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert" (1784). Es handelt sich um jenes Buch, das von Friedrich, dem Schüler Voltaires und König der Preußen, mit harschen Worten verworfen wurde, weil nach seinem herrscherlichen Urteil der Herausgeber "viel zu vorteilhaft" vom Wert des Gebotenen denke.
Im Jahre 1833 lieferte dann Karl Lachmann mit der bis zum heutigen Tage gültigen kritischen Ausgabe des Textes seinen Beitrag zur Gründung des Faches Germanistik, das seine Entstehung und sein rüstiges Gedeihen vor allem der Mittelalter-Begeisterung der Romantik verdankt. Seit jener Zeit bewegt der "Parzival" als Dichtung wie als Lichtgestalt kontinuierlich das Interesse des Bildungsbewußtseins, sich niederschlagend in Editionen und Übersetzungen - und auch in künstlerischer Anverwandlung etwa durch Gerhart Hauptmann im Jahre 1914 und Albrecht Schaeffer im Jahre 1922; vor allem aber durch das "Bühnenweihfestspiel" Richard Wagners, das in flirrenden Tönen, rauschhaften Klängen und pathetischem Chorgesang seinen Helden zum Protagonisten einer neuen diffusen Religiosität ernennt. In unseren Tagen wagten sich schließlich Dieter Kühn (1986), Tankred Dorst (1990) und Adolf Muschg (1993) an das Werk einer Wiederbelebung. Sie alle wußten nichts von der voluminösen Tat eines Vorgängers: des preußischen Barons aus hugenottischem Stamm Friedrich de la Motte Fouqué.
Denn dessen "Parcival" wartete sein Schicksal ab - in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin. Diesen verborgenen Schatz - ein Manuskript von 508 Seiten (vier weitere sind verloren) nunmehr durch den erstmaligen Druck ans Licht gehoben zu haben, ist das Verdienst eines Editorengremiums von vier jüngeren Wissenschaftlern und des Georg Olms Verlags, der das Gesamtwerk Fouqués in mittlerweile mehr als zwei Dutzend Bänden neu herausgibt.
Es war Arno Schmidt, dem man den Rang eines Taufpaten dieses anspruchsvollen Unternehmens zuerkennen muß und der in seiner eigenwilligen Monographie "Fouqué und einige seiner Zeitgenossen" (zuerst 1958) energisch auf die Verpflichtung hinwies, die ein solches Erbstück auferlegt. Dies zumal, da er Fouqué "die größte Breitenwirkung von allen Romantikern" nachsagt. Eine Wirkung, die sich vor allem der Verarbeitung altgermanisch-nordischer wie mittelalterlicher Sagen- und Dichtungsstoffe verdankt, jedoch auch seinen Märchenwesen und Elementargeistern und ihren schaurigen und rührenden Schicksalen. Seine "Undine" lebte sogar weiter bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, dank E. T. A. Hoffmann und Lortzing, dank Giraudoux und Ashton-Henze.
Fouqué aber zahlte solche gefällige Breitenwirkung damit, daß er schließlich zu jenen Dichtern gehörte, die ihren eigenen Ruhm und ihr eigenes Werk überleben. Als er seinen "Parcival" verfaßte (1831/1832, binnen eines halben Jahres), da hatte die Romantik sich schon von sich selbst verabschiedet, und es dominierten der heftige Impetus des "Neuen Deutschland", die historisierende Zierlichkeit eines Victor von Scheffel oder die chronikalische Fiktion eines Walter Scott.
Fouqué - kein Kind des Glücks. Die erste Ehe bald geschieden, eine kurze militärische Laufbahn. Die geliebte zweite Frau stirbt 1831, ihr Grab ist es, das ihn zur Abfassung des Epos von Parzival verpflichtet. Aber damals rührt sich in ihm wohl schon das Bewußtsein, ein Unzeitgemäßer zu sein. Indessen: Des Ruhmes der Nachwelt ist würdig nur, wer auch seine Mitwelt bewegt - oder, wie es im Zwiegespräch des Dichters mit seinem "Meister Wolfram" heißt: "Der Künstler, der auf seine Zeit nicht wirkt, / Hat ferner Nachwelt Kranz gewiß verwirkt . . ." - eine Maxime, die Meister Wolfram prompt durch ein "vollkommen richtig" belohnt.
Fouqués Leistung kann nur würdigen, wer die Voraussetzungen seines Unternehmens bedenkt. Er kannte das Original Wolframs lediglich aus dem Druck Myllers. Und während heute ein Student der Germanistik in Jahren der Mühe sich Schritt um Schritt des Mittelhochdeutschen zu bemächtigen versucht, hat Fouqué sich als Autodidakt den wahrlich schwierigen Text angeeignet, auf seine Weise ihn verstanden. Und verwandelt ihn nun in ein ausladendes Gebilde, in ein poetisches Monstrum der gemischten Gattungen: Erzählend, dialogisierend, dramatisch, lyrisch, lebende Bilder entwerfend; wechselnd das Versmaß, einmal dreihebig, dann fünf- oder sechshebig die Zeilen, nach Sonetten-Bauart gereimt, dann wieder ungereimt, Prosa und freie Rhythmen und Hexameter; dazu Szenenanweisungen - und zuweilen klingt es auch herüber wie aus den Chorgesängen des "Zweiten Faust".
Das Konzept: Der einsame Dichter, sich als "Meister Friedrich" gewandend, wird vom Geist des großen Vorbildes Wolfram von Eschenbach heimgesucht. Hier wird er als "Meister Wolfram" bezeichnet - welche Standesbezeichnung dem ritterstolzen Dichter gewiß nicht behagt hätte, aber Fouqué hat sich eben angeschlossen an die Tradition der Meistersinger, die Wolfram der Ahnengalerie der "Zwölf alten Meister" zuschlugen.
So bemächtigt sich denn "Meister Friedrich" des märchenbunten, geschichtsträchtigen, sagenhaften Stoffes, hier erweiternd und dort kürzend und eigenmächtig die Charaktere gemäß seiner Vorstellung verwandelnd. Die Dichtung zugleich zu einem Protokoll ihrer Erarbeitung machend und im Zwiegespräch mit "Meister Wolfram" sich kontrollierend und seine Arbeitsweise nach Tagebuchart reflektierend.
Dabei wirkt er die aktuellen Farbtöne seiner Zeit höchst aufschlußreich hinein in einen altertümelnden Bilderteppich, und so begegnen wir denn unverhofft August Wilhelm Schlegel wie Fichte (der Fouqué einst das "Du" anbot), begegnen Gneisenau und Klopstock, Friedrich August Bürger wie Lavater sowie Iffland und den Brüdern Stolberg; und - natürlich - dem soeben verstorbenen Goethe. Es mag sich das Ganze auf den ersten Blick als ein Konglomerat willkürlich gemischter Stilformen und Stimmungsbilder darstellen. Aber der Dichter richtet, wie Tilman Spreckelsen in seinem Nachwort einleuchtend darlegt, sein Instrumentarium sehr bedacht und bewußt auf ein poetisches Entsprechungssystem ein. Das heißt, die einzelnen Stilelemente sind die jeweilige formale Entsprechung des Dargestellten (wie es sich modellhaft ereignet im Helena-Akt des "Zweiten Faust").
Es ist der Geist der Erzählung in Gestalt von "Meister Wolfram", der dafür sorgt, daß die ungefüge Masse des Stoffs den Geist des Autors nicht erdrückt, und so treibt er seinen (und Schlegels) Schüler immer wieder an: "Frisch! Rühre deine Zither, und hinein!" Als Probe greife ich aus dem voluminösen Ergebnis solcher Ermunterung die Selbstreflexion Parcivals auf seinem ersten Weg zur Gralsburg heraus, da er sich der Lehren des weisen Gurnemanz reflektierend erinnert:
Frauen dienen, Arme seegnen
Mit der Spendung reichem Licht,
Kühn dem kühnen Feind begegnen -
"Ei", denkt er, "das fehlt mir nicht!
Das vollbring ich sonder Zagen
Allzumal als freud'ges Spiel.
Doch es hieß: Du sollst nicht fragen!
Und ich frag ein Bischen viel.
Das, das mag mich schlimm bethören.
Wie begegn' ich solchem Stooß?
Ach, und merk! Im Ueberhören
Sprang mir gleich 'ne Frage los!
Ja, vor'm Fragen muß ich zagen . . ."
So geht es fort, und Vers laicht Vers und Reim laicht Reim, und fortzeugend reiht sich Wort an Wort, die Formgewandtheit des Dichters wird zur rhetorischen Routine und gereicht dem Unternehmen nicht immer zum Vorteil, es wäre eine gewisse Raffung und Straffung seiner Wirkung gewiß dienlich gewesen. Aber es war Fouqué schon während der Arbeit ahnungsweise deutlich, daß schwerlich ein Verlag das Risiko des Drucks würde übernehmen wollen. Er fühlte sich - und war - démodé. "Viel ungedruckte(n) Manuskripte sehn mich schmerzlich fragend an", heißt es in einem Brief an den preußischen Kronprinzen Friedrich vom 22. Oktober 1831. Er heiratete nach dem Tode der geliebten Frau Caroline noch einmal. Zuweilen in Halle, schließlich in Berlin lebend, starb er dort im Jahre 1843.
Sein Schüler Eichendorff, dem Meister dessen naive Verherrlichung des mittelalterlichen Ritterwesens kritisch vorhaltend, gedenkt seiner mit dem noblen Wort: "Friede und Achtung seinem Andenken, wie allen, die es redlich meinen." Redlich auch haben es die Herausgeber des dickleibigen Bandes nicht nur gemeint, sondern gehalten. Soweit man ohne Einsicht in das Autograph ein Urteil abgeben kann, sind die Transkription und der ihr folgende Druck von großer Genauigkeit und Sorgfalt. Immer wieder wurde eine Abschrift mit der anderen kollationiert, und jegliche Abweichung von der Handschrift, auch wo sie nichts ist als bare Selbstverständlichkeit, ist in peinlicher Akribie vermerkt. Auch hilft zum Verstehen einzelner Stellen ein Kommentar, der natürlich nicht das Rätsellabyrinth Wolframs klärt, wohl aber diese und jene Anspielung Fouqués, und dazu verschlüsselte Begriffe offenlegt.
"Die Gestalt des Meister Friedrich darf dabei natürlich nicht mit Fouqué verwechselt werden", mahnt das Nachwort. Verwechselt gewiß nicht, wohl aber weitgehend gleichgesetzt. Der Prolog verkündet so persönlich wie unmißverständlich den Auftrag, den der Dichter am Grabe der geliebten Gattin Caroline empfängt, das individuelle wird zum epischen Ich:
Was jetzt ich duld' in tiefer Trau'r
Umschattung: -
Fühlt' ich's nicht vor in Glückes
MittagStrahl? -
Drum jetzt nicht gilt's Verzweiflung. Nur Ermattung.
Und trostreich senkt sich in mein
LeidenThal
Die holde Mus', und spricht: "wir
wollen spielen.
Ein festlich Spiel' ehrt frommes
TodtenMal". -
Schon faß' ich Pfeil und Bogen,
frisch zu zielen . . .
Ein festliches Spiel in dunkler Lebensphase: Es mag dem Trauernden, dem von seiner Zeit nach den ersten großen Erfolgen (vor allem des dreibändigen Romans "Der Zauberring" von 1813) in den Schatten der Nichtachtung gerückten Dichter aufgeholfen haben. Und den Gewinn, den die Literaturgeschichte diesem Selbsttröstungsakt verdankt, benennt im letzten Satz das Nachwort, wenn es resümierend die Experimentierfreude eines Autors rühmt, "die unter den Parzival-Nachdichtungen seit Wolfram von Eschenbach nicht ihresgleichen findet".
Friedrich de la Motte Fouqué: "Der Parcival". Als Erstdruck herausgegeben von Tilman Spreckelsen, Peter Henning Haischer, Frank Rainer Max, Ursula Rautenberg. "Ausgewählte Dramen und Epen, Band VI". Hrsg. von Christoph F. Lorenz. Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 1997. 628 S., geb., 148,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine unvermutete Entdeckung: Friedrich de la Motte Fouqués "Parcival" nach Wolfram von Eschenbach · Von Peter Wapnewski
Man weiß im Umriß, wie es steht um Wirkung und Wirkungsgeschichte des "Parzival". Sein Autor Wolfram von Eschenbach stand in hohem Ansehen bei Zeitgenossen und Nachfahren, und sein berühmtestes Epos zählte, wie aus der ungewöhnlich großen Zahl von über achtzig Handschriften ersichtlich, zu den beliebtesten Dichtungen seiner Zeit. Sogar der Buchdruck hat sich - bei J. Mentelin in Straßburg - im Jahre 1477 seiner noch angenommen, ein letzter Reflex des sich über dreihundert Jahre hinziehenden lebhaften Interesses, bis die Antike zum Maß aller Dinge wurde und das Mittelalter und seine Dichtung im Zeitalter von Renaissance und Humanismus dunklem Vergessen anheimfielen.
Dann aber nimmt die enzyklopädische Neugier der (späten) Aufklärungszeit sich der alten deutschen Texte - zögernd - wieder an. Johann Jacob Bodmer übersetzt Partien des "Parzival" in dem - für die poetische Erzählform kanonisch gültigen - Maß des Hexameters, und die erste Ausgabe des alten höfischen Romans ist Bodmers Schüler Christian Heinrich Myller zu verdanken. Sie erschien im ersten Band von dessen "Sammlung deutscher Gedichte aus dem zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert" (1784). Es handelt sich um jenes Buch, das von Friedrich, dem Schüler Voltaires und König der Preußen, mit harschen Worten verworfen wurde, weil nach seinem herrscherlichen Urteil der Herausgeber "viel zu vorteilhaft" vom Wert des Gebotenen denke.
Im Jahre 1833 lieferte dann Karl Lachmann mit der bis zum heutigen Tage gültigen kritischen Ausgabe des Textes seinen Beitrag zur Gründung des Faches Germanistik, das seine Entstehung und sein rüstiges Gedeihen vor allem der Mittelalter-Begeisterung der Romantik verdankt. Seit jener Zeit bewegt der "Parzival" als Dichtung wie als Lichtgestalt kontinuierlich das Interesse des Bildungsbewußtseins, sich niederschlagend in Editionen und Übersetzungen - und auch in künstlerischer Anverwandlung etwa durch Gerhart Hauptmann im Jahre 1914 und Albrecht Schaeffer im Jahre 1922; vor allem aber durch das "Bühnenweihfestspiel" Richard Wagners, das in flirrenden Tönen, rauschhaften Klängen und pathetischem Chorgesang seinen Helden zum Protagonisten einer neuen diffusen Religiosität ernennt. In unseren Tagen wagten sich schließlich Dieter Kühn (1986), Tankred Dorst (1990) und Adolf Muschg (1993) an das Werk einer Wiederbelebung. Sie alle wußten nichts von der voluminösen Tat eines Vorgängers: des preußischen Barons aus hugenottischem Stamm Friedrich de la Motte Fouqué.
Denn dessen "Parcival" wartete sein Schicksal ab - in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin. Diesen verborgenen Schatz - ein Manuskript von 508 Seiten (vier weitere sind verloren) nunmehr durch den erstmaligen Druck ans Licht gehoben zu haben, ist das Verdienst eines Editorengremiums von vier jüngeren Wissenschaftlern und des Georg Olms Verlags, der das Gesamtwerk Fouqués in mittlerweile mehr als zwei Dutzend Bänden neu herausgibt.
Es war Arno Schmidt, dem man den Rang eines Taufpaten dieses anspruchsvollen Unternehmens zuerkennen muß und der in seiner eigenwilligen Monographie "Fouqué und einige seiner Zeitgenossen" (zuerst 1958) energisch auf die Verpflichtung hinwies, die ein solches Erbstück auferlegt. Dies zumal, da er Fouqué "die größte Breitenwirkung von allen Romantikern" nachsagt. Eine Wirkung, die sich vor allem der Verarbeitung altgermanisch-nordischer wie mittelalterlicher Sagen- und Dichtungsstoffe verdankt, jedoch auch seinen Märchenwesen und Elementargeistern und ihren schaurigen und rührenden Schicksalen. Seine "Undine" lebte sogar weiter bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, dank E. T. A. Hoffmann und Lortzing, dank Giraudoux und Ashton-Henze.
Fouqué aber zahlte solche gefällige Breitenwirkung damit, daß er schließlich zu jenen Dichtern gehörte, die ihren eigenen Ruhm und ihr eigenes Werk überleben. Als er seinen "Parcival" verfaßte (1831/1832, binnen eines halben Jahres), da hatte die Romantik sich schon von sich selbst verabschiedet, und es dominierten der heftige Impetus des "Neuen Deutschland", die historisierende Zierlichkeit eines Victor von Scheffel oder die chronikalische Fiktion eines Walter Scott.
Fouqué - kein Kind des Glücks. Die erste Ehe bald geschieden, eine kurze militärische Laufbahn. Die geliebte zweite Frau stirbt 1831, ihr Grab ist es, das ihn zur Abfassung des Epos von Parzival verpflichtet. Aber damals rührt sich in ihm wohl schon das Bewußtsein, ein Unzeitgemäßer zu sein. Indessen: Des Ruhmes der Nachwelt ist würdig nur, wer auch seine Mitwelt bewegt - oder, wie es im Zwiegespräch des Dichters mit seinem "Meister Wolfram" heißt: "Der Künstler, der auf seine Zeit nicht wirkt, / Hat ferner Nachwelt Kranz gewiß verwirkt . . ." - eine Maxime, die Meister Wolfram prompt durch ein "vollkommen richtig" belohnt.
Fouqués Leistung kann nur würdigen, wer die Voraussetzungen seines Unternehmens bedenkt. Er kannte das Original Wolframs lediglich aus dem Druck Myllers. Und während heute ein Student der Germanistik in Jahren der Mühe sich Schritt um Schritt des Mittelhochdeutschen zu bemächtigen versucht, hat Fouqué sich als Autodidakt den wahrlich schwierigen Text angeeignet, auf seine Weise ihn verstanden. Und verwandelt ihn nun in ein ausladendes Gebilde, in ein poetisches Monstrum der gemischten Gattungen: Erzählend, dialogisierend, dramatisch, lyrisch, lebende Bilder entwerfend; wechselnd das Versmaß, einmal dreihebig, dann fünf- oder sechshebig die Zeilen, nach Sonetten-Bauart gereimt, dann wieder ungereimt, Prosa und freie Rhythmen und Hexameter; dazu Szenenanweisungen - und zuweilen klingt es auch herüber wie aus den Chorgesängen des "Zweiten Faust".
Das Konzept: Der einsame Dichter, sich als "Meister Friedrich" gewandend, wird vom Geist des großen Vorbildes Wolfram von Eschenbach heimgesucht. Hier wird er als "Meister Wolfram" bezeichnet - welche Standesbezeichnung dem ritterstolzen Dichter gewiß nicht behagt hätte, aber Fouqué hat sich eben angeschlossen an die Tradition der Meistersinger, die Wolfram der Ahnengalerie der "Zwölf alten Meister" zuschlugen.
So bemächtigt sich denn "Meister Friedrich" des märchenbunten, geschichtsträchtigen, sagenhaften Stoffes, hier erweiternd und dort kürzend und eigenmächtig die Charaktere gemäß seiner Vorstellung verwandelnd. Die Dichtung zugleich zu einem Protokoll ihrer Erarbeitung machend und im Zwiegespräch mit "Meister Wolfram" sich kontrollierend und seine Arbeitsweise nach Tagebuchart reflektierend.
Dabei wirkt er die aktuellen Farbtöne seiner Zeit höchst aufschlußreich hinein in einen altertümelnden Bilderteppich, und so begegnen wir denn unverhofft August Wilhelm Schlegel wie Fichte (der Fouqué einst das "Du" anbot), begegnen Gneisenau und Klopstock, Friedrich August Bürger wie Lavater sowie Iffland und den Brüdern Stolberg; und - natürlich - dem soeben verstorbenen Goethe. Es mag sich das Ganze auf den ersten Blick als ein Konglomerat willkürlich gemischter Stilformen und Stimmungsbilder darstellen. Aber der Dichter richtet, wie Tilman Spreckelsen in seinem Nachwort einleuchtend darlegt, sein Instrumentarium sehr bedacht und bewußt auf ein poetisches Entsprechungssystem ein. Das heißt, die einzelnen Stilelemente sind die jeweilige formale Entsprechung des Dargestellten (wie es sich modellhaft ereignet im Helena-Akt des "Zweiten Faust").
Es ist der Geist der Erzählung in Gestalt von "Meister Wolfram", der dafür sorgt, daß die ungefüge Masse des Stoffs den Geist des Autors nicht erdrückt, und so treibt er seinen (und Schlegels) Schüler immer wieder an: "Frisch! Rühre deine Zither, und hinein!" Als Probe greife ich aus dem voluminösen Ergebnis solcher Ermunterung die Selbstreflexion Parcivals auf seinem ersten Weg zur Gralsburg heraus, da er sich der Lehren des weisen Gurnemanz reflektierend erinnert:
Frauen dienen, Arme seegnen
Mit der Spendung reichem Licht,
Kühn dem kühnen Feind begegnen -
"Ei", denkt er, "das fehlt mir nicht!
Das vollbring ich sonder Zagen
Allzumal als freud'ges Spiel.
Doch es hieß: Du sollst nicht fragen!
Und ich frag ein Bischen viel.
Das, das mag mich schlimm bethören.
Wie begegn' ich solchem Stooß?
Ach, und merk! Im Ueberhören
Sprang mir gleich 'ne Frage los!
Ja, vor'm Fragen muß ich zagen . . ."
So geht es fort, und Vers laicht Vers und Reim laicht Reim, und fortzeugend reiht sich Wort an Wort, die Formgewandtheit des Dichters wird zur rhetorischen Routine und gereicht dem Unternehmen nicht immer zum Vorteil, es wäre eine gewisse Raffung und Straffung seiner Wirkung gewiß dienlich gewesen. Aber es war Fouqué schon während der Arbeit ahnungsweise deutlich, daß schwerlich ein Verlag das Risiko des Drucks würde übernehmen wollen. Er fühlte sich - und war - démodé. "Viel ungedruckte(n) Manuskripte sehn mich schmerzlich fragend an", heißt es in einem Brief an den preußischen Kronprinzen Friedrich vom 22. Oktober 1831. Er heiratete nach dem Tode der geliebten Frau Caroline noch einmal. Zuweilen in Halle, schließlich in Berlin lebend, starb er dort im Jahre 1843.
Sein Schüler Eichendorff, dem Meister dessen naive Verherrlichung des mittelalterlichen Ritterwesens kritisch vorhaltend, gedenkt seiner mit dem noblen Wort: "Friede und Achtung seinem Andenken, wie allen, die es redlich meinen." Redlich auch haben es die Herausgeber des dickleibigen Bandes nicht nur gemeint, sondern gehalten. Soweit man ohne Einsicht in das Autograph ein Urteil abgeben kann, sind die Transkription und der ihr folgende Druck von großer Genauigkeit und Sorgfalt. Immer wieder wurde eine Abschrift mit der anderen kollationiert, und jegliche Abweichung von der Handschrift, auch wo sie nichts ist als bare Selbstverständlichkeit, ist in peinlicher Akribie vermerkt. Auch hilft zum Verstehen einzelner Stellen ein Kommentar, der natürlich nicht das Rätsellabyrinth Wolframs klärt, wohl aber diese und jene Anspielung Fouqués, und dazu verschlüsselte Begriffe offenlegt.
"Die Gestalt des Meister Friedrich darf dabei natürlich nicht mit Fouqué verwechselt werden", mahnt das Nachwort. Verwechselt gewiß nicht, wohl aber weitgehend gleichgesetzt. Der Prolog verkündet so persönlich wie unmißverständlich den Auftrag, den der Dichter am Grabe der geliebten Gattin Caroline empfängt, das individuelle wird zum epischen Ich:
Was jetzt ich duld' in tiefer Trau'r
Umschattung: -
Fühlt' ich's nicht vor in Glückes
MittagStrahl? -
Drum jetzt nicht gilt's Verzweiflung. Nur Ermattung.
Und trostreich senkt sich in mein
LeidenThal
Die holde Mus', und spricht: "wir
wollen spielen.
Ein festlich Spiel' ehrt frommes
TodtenMal". -
Schon faß' ich Pfeil und Bogen,
frisch zu zielen . . .
Ein festliches Spiel in dunkler Lebensphase: Es mag dem Trauernden, dem von seiner Zeit nach den ersten großen Erfolgen (vor allem des dreibändigen Romans "Der Zauberring" von 1813) in den Schatten der Nichtachtung gerückten Dichter aufgeholfen haben. Und den Gewinn, den die Literaturgeschichte diesem Selbsttröstungsakt verdankt, benennt im letzten Satz das Nachwort, wenn es resümierend die Experimentierfreude eines Autors rühmt, "die unter den Parzival-Nachdichtungen seit Wolfram von Eschenbach nicht ihresgleichen findet".
Friedrich de la Motte Fouqué: "Der Parcival". Als Erstdruck herausgegeben von Tilman Spreckelsen, Peter Henning Haischer, Frank Rainer Max, Ursula Rautenberg. "Ausgewählte Dramen und Epen, Band VI". Hrsg. von Christoph F. Lorenz. Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 1997. 628 S., geb., 148,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main