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»Eine Geschichte, vergleichbar mit einem Roman von Umberto Eco oder Dan Brown - nur, dass sie wirklich passiert ist.« De Volkskrant
Edmund Husserl war der Begründer der philosophischen Phänomenologie, einer Methode, die die Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts entscheidend prägte, - Martin Heidegger, zuerst sein Lieblingsschüler und Assistent, seit 1928 auch sein Nachfolger auf dem Freiburger Lehrstuhl. Als Husserl 1938 starb, hatte Heidegger, der inzwischen sogar Rektor der Universität Freiburg gewesen war, seinen jüdischen Mentor allerdings längst fallengelassen - er war…mehr

Produktbeschreibung
»Eine Geschichte, vergleichbar mit einem Roman von Umberto Eco oder Dan Brown - nur, dass sie wirklich passiert ist.« De Volkskrant

Edmund Husserl war der Begründer der philosophischen Phänomenologie, einer Methode, die die Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts entscheidend prägte, - Martin Heidegger, zuerst sein Lieblingsschüler und Assistent, seit 1928 auch sein Nachfolger auf dem Freiburger Lehrstuhl. Als Husserl 1938 starb, hatte Heidegger, der inzwischen sogar Rektor der Universität Freiburg gewesen war, seinen jüdischen Mentor allerdings längst fallengelassen - er war enthusiastischer Anhänger der Nazis. Husserls Witwe drohte die Deportation, dem zehntausende Seiten umfassenden philosophischen Nachlass, in dem Husserl sein Hauptwerk sah und den er in jahrzehntelanger akribischer Arbeit für spätere Benutzer vorbereitet hatte, die Auflösung oder Vernichtung. Bis ein junger flämischer Franziskanermönch, der Husserl-Fan war, für eine Studienarbeit nach Freiburg kam, die Gefahr erkannte und beschloss, zu handeln ...

Pater Herman Leo Van Breda setzt trotz Kriegswirren und -gefahren alles daran, den philosophischen Schatz für die europäische Geistesgeschichte zu retten und ins Ausland zu schaffen und auch Malvine Husserl die Flucht zu ermöglichen. Doch kaum hat er nach zahlreichen Fehlschlägen die Schriften nach Belgien geschmuggelt, und in Leuven das Husserl-Archiv gegründet, fallen die Deutschen ein ... was als Forschungsvorhaben beginnt wird zur Lebensaufgabe für Van Breda.
Autorenporträt
Toon Horsten (*1969) stieß in seiner eigenen Familie auf Van Breda und recherchierte anschließend jahrelang, um die Vorkommnisse in 'De pater en de filosoof' (2018) genau zu rekonstruieren. 
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Willi Winkler referiert lang und breit die Geschichte, die Toon Horsten in seinem "kuriosen kleinen" Buch aufschreibt. Es geht um die Rettung des gigantischen Nachlasses von Edmund Husserl durch den Geistlichen Leo Van Breda während der Nazi-Herrschaft. Eine spannende Geschichte, wie ein Krimi, aber auch voller Eitelkeiten, wie Winklers Referat erkennen lässt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.2021

Stets im Dienste des zweiten Gottes
Ein Drama in fünf Akten: Toon Horsten zeichnet detailliert und nüchtern nach, wie der Nachlass von Edmund Husserl gerettet wurde

Seinen geistigen Vater hat er nie getroffen. Der Philosoph ist vier Monate tot, als der belgische Pater Herman Leo Van Breda vor dessen Haus am Freiburger Schlossberg steht und klingelt. Es ist der 29. August 1938, Edmund Husserls Witwe Malvine empfängt ihn und lässt ihn sein Anliegen vorbringen: Van Breda will im Rahmen seiner Doktorarbeit den Nachlass Husserls sichten und ein paar unveröffentlichte Texte von ihm edieren. Sie zeigt ihm, was sie hat: rund 40 000 Seiten in Handschrift, meist notiert in der sogenannten Gabelsberger-Kurzschrift. (Dies ist wohl das Einzige, was Husserl mit Carl Schmitt gemeinsam hat.) Dazu kommen Typoskripte, Sonderdrucke, Bücher. Ein Papiergebirge. Der junge Pater ist überwältigt und spürt zugleich die Verzweiflung der alten Dame. Was ihr Mann schon drei Jahre zuvor geschrieben hat - "Jetzt ist es soweit, dass ich es wirklich nicht mehr aushalten kann" -, gilt nun erst recht, sie wird als Jüdin angefeindet, und der Nachlass ihres Mannes ist bedroht. Van Breda ist nicht als Nachwuchsforscher gefragt, sondern als Retter in der Not.

Die Rettung gerät zu einem Drama in fünf Akten, das Toon Horsten in seiner biographischen Recherche nachzeichnet. Erster Akt: Schon am 18. September 1938 wird ein Großteil der Papiere in ein Konstanzer Kloster geschafft, mit der Absicht, sie über die Schweizer Grenze zu schmuggeln und bei dem Phänomenologen und Psychiater Ludwig Binswanger unterzubringen. Dessen Ehefrau soll die Anfrage kühl abgewiesen haben: "Lassen Sie uns in Ruhe! Auch wir sind für Hitler." Eine Sackgasse. Der zweite Akt folgt vier Tage später. Van Breda nimmt den Nachtzug nach Berlin, im Gepäck drei große, insgesamt etwa hundert Kilo schwere Koffer. Sein Ziel: die belgische Botschaft in der Hauptstadt. Er findet Gehör beim stellvertretenden Botschafter, und die Koffer landen dort im Tresor. Sie sind also von der badischen Provinz in Hitlers Hauptstadt oder in Teufels Küche gelangt - ein riskanter Zug.

Dritter Akt: Im November 1938 gelingt es, die drei Koffer als Diplomatenpost nach Leuven zu schaffen, wo Van Breda sie in Empfang nimmt. Damit ist nicht nur der kostbare Nachlass vorläufig gerettet, sondern auch das Schicksal von dessen Retter besiegelt, denn sein ganzes, gar nicht so langes Leben (er starb 1974 mit 63 Jahren) wird er sich der Pflege dieser Papiere widmen. Ihm gelingt es im vierten Akt, im Frühjahr 1939 die treuen Husserl-Schüler Eugen Fink und Ludwig Landgrebe nach Leuven zu holen, wo sie sich in die editorische Arbeit stürzen. Fünfter Akt: Nachdem Van Breda Ausreisevisa für Malvine Husserl und ihre Haushälterin Josephine Näpple beschafft hat, treffen sie am 20. Juni 1939 in Belgien ein, mit sechzig Koffern und einem riesigen Container voll Hausrat und Schrifttum (der freilich bei einem Bombenangriff 1940 zerstört wird).

Der Schilderung dieser Rettungsaktion ist das erste Viertel von Horstens Buch gewidmet, und nach diesem Höhepunkt beginnen die Mühen der Ebene. Alltäglich ist an dieser Ebene freilich rein gar nichts. Landgrebe und Fink werden nach Kriegsbeginn als feindliche Ausländer interniert und kehren 1940 nach Deutschland zurück. Die Archivarbeit kommt zum Erliegen, Van Breda ist auf sich allein gestellt, versteckt Husserls Schriften vor den deutschen Besatzern, so dass sie knapp dem verheerenden Feuer entgehen, das 900 000 Bücher in der Universitätsbibliothek Leuven zerstört. Malvine Husserl schreibt über die "Nicht-Arier-Verfolgung": "Die Scheußlichkeiten sind unbeschreibbar." - "Niemand kann sich vorstellen, wie beängstigend ein Leben ist, wenn sich die traurigsten Umstände vereinigen."

Van Breda gelingt es, ein Vertrauensverhältnis zum deutschen Stadtkommandanten von Leuven, Major Reinold von Thadden, aufzubauen. Als Mitglied der Bekennenden Kirche und Bruder der von den Nationalsozialisten ermordeten Widerstandskämpferin Elisabeth stellt von Thadden Malvine Husserl unter seinen persönlichen Schutz. Van Breda sucht Kontakt mit dem niederländischen Husserl-Schüler Henk Pos, erfährt aber, dass dieser nach Buchenwald deportiert worden ist. Im April 1942 trifft er die Husserl-Schülerin Edith Stein, die in ein niederländisches Karmeliterkloster eingetreten ist; im August desselben Jahres wird sie wegen ihrer jüdischen Herkunft in Auschwitz ermordet. Im Sommer 1942 besorgt er gefälschte Pässe für Stephan Strasser und seine Familie, die als Juden aus Österreich geflohen sind und im Versteck überleben; Strasser wird einer von Van Bredas wichtigsten Mitarbeitern im Husserl-Archiv, dem er wieder Leben einhaucht - erst im "Untergrund", wie Horsten minutiös beschreibt, dann nach Kriegsende wieder offiziell.

"Allmählich normalisiert sich mein Leben jetzt wieder", schreibt Van Breda Ende 1945. Den ersten Band der neuen Werkausgabe kann er Husserls Witwe noch 1950, kurz vor ihrem Tod, überreichen. Horsten schildert, wie Van Breda ein "riesiges Netzwerk" aufbaut, Kontakte zu Maurice Merleau-Ponty, Martin Heidegger und vielen anderen etabliert, bei Bankiers, Zeitungsverlegern, staatlichen Stellen, der Unesco und "an den obskursten Stellen" Geld auftreibt. Horstens Porträt ist von Sympathie und Nüchternheit geprägt, er schildert Van Bredas Erfolge, verschweigt aber nicht den "Jähzorn" und die "Obsession", mit der er seinem zweiten "Gott" Husserl dient. Malvine Husserl charakterisiert ihn als einen "sehr klugen Mann", der "maßlos ehrgeizig" sei und "dauernd Lorbeeren" ernten wolle. Emmanuel Levinas schreibt: "Seine Güte und seine akademische Feinsinnigkeit manifestieren sich immer in diesem Lachen, in der Fröhlichkeit des zufriedenen Bauern, der weiß, dass er dem Teufel ein Schippchen geschlagen hat."

Leider erfährt man über Husserls Phänomenologie in Horstens Buch fast nichts, die inhaltlichen Gründe, die die Faszination für sein Werk rechtfertigen könnten, bleiben im Dunkeln. Doch lesenswert ist es allemal. Es bietet einen Einblick in die Maschinenräume der Ideengeschichte, in menschliche Schicksale, ohne die es Geist und Buchstaben nicht gäbe.

DIETER THOMÄ

Toon Horsten: "Der Pater und der Philosoph". Die abenteuerliche Rettung von Husserls Vermächtnis.

Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. Galiani Verlag, Berlin 2021. 288 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2021

Wunder im
Mönchsgewand
Die abenteuerliche Geschichte der Rettung des
Nachlasses von Edmund Husserl vor den Nazis
VON WILLI WINKLER
Als der Besucher das „Asyl dieses Geistes“ durch ein schmiedeeisernes Tor erreichte, betrat er „eine andere, stillere Welt“. Die Bibliothek des Philosophen befand sich in einem „knorrigen, spitzgiebeligen Ziegelsteinhaus“ und war nur über eine Holztreppe zu erklimmen, natürlich musste sie aus Holz sein. Drinnen: Eine Gelehrtenstube, wie eben vom großen Geist verlassen. Die Bücher, zwei Wände voll, gerettet. In der Kant-Ausgabe in „mikroskopisch kleiner“ Schrift Randbemerkungen; in der Erstausgabe von „Sein und Zeit“ wird der Schüler Martin Heidegger mit „Befremden und Unverständnis“ bedacht.
Sechs weitere Regalmeter beansprucht der Nachlass, in Stahlschränken sicher verwahrt: 40 000 Seiten in klassischer Gabelsberger-Kurzschrift hat der 1938 gestorbene Phänomenologe Edmund Husserl mit seinen Gedanken gefüllt, ein ungeheures Werk und bis heute nicht vollständig entziffert und veröffentlicht.
Mehr als drei Jahrzehnte ist es inzwischen her, dass der FAZ-Redakteur M. O. C. Döpfner, der heute unter dem Namen Mathias Döpfner Chef des Springer-Verlags ist, das Husserl-Archiv im niederländischen Leuven betrat und von diesem Schatz berichten konnte. Die Geschichte des Archivs, wie es in letzter Minute von einem Bettelmönch gerettet wurde und nach Leuven gelangte, erzählt Toon Horsten nun in einem kuriosen kleinen Buch. Es handelt sich um einen echten Wissenschaftskrimi, mit dem Unterschied allerdings, dass es gar keiner ist, sondern Zeitgeschichte: Die Geisteswelt des vergangenen Jahrhunderts, und wie sie aus dem Philosophenturm vertrieben wurde.
Edmund Husserl war 1928 an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität emeritiert worden, um sich einem nie vollendeten Hauptwerk zu widmen. Nach der Machtübergabe 1933 wurde er als Jude Opfer der zunehmenden Repression, betrieben auch von dem kurzzeitigen Rektor Heidegger, der aus der Neuauflage von „Sein und Zeit“ die Widmung für seinen Lehrer streichen würde. Am 22. August 1933 schreibt Heidegger an Carl Schmitt (und das altgriechische Wort für Streit und Krieg, wie unter diesen Geistesbarbaren selbstverständlich, in griechischen Buchstaben): „Aber nun stehe ich selbst mitten im pólemos; und Literarisches muß zurücktreten.“
Diesem pólemos wäre beinah auch Husserls unveröffentlichtes Spätwerk zum Opfer gefallen. Als er seine Lehrerlaubnis verlor und vom Sommersemester 1936 an auch nicht mehr im Vorlesungsverzeichnis erscheinen durfte, bot der Volkswirtschaftler Walter Eucken den Freiburger Studenten als Ausgleich die Reihe „Der Kampf der Wissenschaft“ über Sokrates, Spinoza und Galilei an, wofür er wiederum von dem neu nach Freiburg berufenen Juristen Theodor Maunz der fehlenden weltanschaulichen Grundlage geziehen wurde. Maunz rühmte sich, dass ihn „Reichsrechtsführer“ Hans Frank schriftlich für seinen „Kampf gegen das Judentum“ gelobt habe. Wie gefestigt Maunz war, bewies er in seinem Werk „Gewalt und Recht der Polizei“ (1943), in dem er dekretierte: „Der Auftrag des Führers ist schlechthin das Kernstück des geltenden Rechtssystems und seinem innersten Wesen verbunden.“
Maunz wurde nach dem Krieg schnell rehabilitiert und stieg zum Minister und zum maßgeblichen Kommentator des Grundgesetzes auf, wurde der Doktorvater von Roman Herzog und Rupert Scholz und arbeitete daneben heimlich für Gerhard Frey, den Besitzer der National-Zeitung. Hannah Arendt zitierte Maunz in der Originalausgabe von „Eichmann in Jerusalem“ als einen der „bekanntesten Verfassungsrechtler im Dritten Reich, gegenwärtig bayerischer Minister für Unterricht und Kultur“. Ihr Münchner Verleger Klaus Piper bat sie, den guten Mann für die deutsche Ausgabe wegzulassen, sie tat es.
Als Husserl starb, wagte sich neben Eucken von den Kollegen nur noch Gerhard Ritter ans Grab. Inzwischen drohte auch Husserls Witwe Malvine Gefahr, da meldete sich ein belgischer Franziskanerpater, ein, wie Horsten sich ausdrückt, „Wunder im Mönchsgewand“.
Der 27-jährige Leo Van Breda, Ordensname Herman, plante an der katholischen Universität Leuven eine Doktorarbeit über Husserls phänomenologische Reduktion. In der Hoffnung, im Nachlass Material zu finden, reiste er im August 1938 nach Freiburg, wo Husserl vier Monate zuvor gestorben war. Malvine Husserl gewährte ihm Einblick in den Nachlass, überließ ihm auch mehrere unveröffentlichte Texte und überlegte, wie sie mit seiner Hilfe in die USA auswandern könnte, wo ihre Kinder lebten.
Zunächst galt es, den Nachlass zu sichern, was die sogenannten Zeitläufte nach Kräften verhindern wollten. Im Frühjahr war bereits Österreich heim ins Reich geholt worden, jetzt erhob Hitler Anspruch auf das Sudetenland und bedrohte die Tschechoslowakei. Husserls Papiere wurden in drei Reisekoffer gepackt und sollten in der neutralen Schweiz in der Klinik des Psychoanalytikers Ludwig Binswanger versteckt werden. Eine befreundete Ordensschwester fuhr mit den Koffern von Freiburg nach Konstanz in ein Kloster und meldete sich in Kreuzlingen jenseits der Grenze, wurde aber angeblich von Binswangers Frau abgewiesen. „Auch wir sind für Hitler“, soll sie gesagt haben, was einigermaßen unwahrscheinlich ist, weil Binswanger nicht bloß Husserl verehrte, sondern auch Sigmund Freud Asyl angeboten hatte.
Die Zeit drängt, oder vielmehr die Politik, und es kommt zum Wettlauf mit den deutschen Expansionsgelüsten. Am 22. September 1938 trifft sich der britische Premier Neville Chamberlain in Bad Godesberg mit Hitler. Während die beiden über die deutsche Forderung nach Abtretung des Sudentenlandes verhandeln, reist Van Breda am gleichen Abend mit den drei Koffern von Konstanz nach Berlin, wo er sie in der belgischen Botschaft versteckt. Als im November in Deutschland die Synagogen brennen, passiert der Nachlass eines jüdischen Philosophen als Diplomatengepäck ungehindert die Grenze. Als Folge des Münchner Abkommens, dank dessen Hitler das Sudentenland annektieren darf, wird in Belgien eine Teilmobilmachung verordnet. Der Krieg kündigt sich an.
Der Pater organisiert den Umzug Malvine Husserls, die mit der Bibliothek und dem ganzen Hausrat nach Leuven kommt. Herman Van Breda ist zwar jetzt im Besitz der Papiere, aber er selber kann die Gabelsberger gar nicht lesen. Deshalb reist er nach Prag, wo ein weiterer Teil des Nachlasses liegt, aber vor allem, um Husserls ehemaligen Assistenten Ludwig Landgrebe für die Transkription anzuwerben. (Horsten erwähnt nicht, dass Landgrebes Schwager der spätere Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt ist, der im gleichen Jahr 1938 von den Eltern zu seiner Sicherheit nach Frankreich geschickt wird.) Aus Freiburg kommt Eugen Fink dazu, und die Arbeit am Text könnte beginnen, wenn nicht die Deutschen 1940 Belgien überfallen würden. Bei der Bombardierung Leidens brennt die Universitätsbibliothek aus. Der Husserl-Schatz übersteht das Feuer, der Pater hatte ihn auf verschiedene Orte verteilt; ein Teil war sogar eingemauert.
Landgrebe und Fink werden interniert, dann nach Deutschland zurückgeschickt. Malvine Husserl schwärmt vom Pater und lässt sich sogar von ihm katholisch taufen. Als er seine Dissertation verteidigt, ist sie sein Ehrengast. Sie überlebt den Krieg in einem Kloster und kehrt dann nach Freiburg zurück. Ihr Retter überreicht ihr 1950 den ersten Band der „Husserliana“.
Noch 1942 konnte Van Breda den Österreicher Stephan Strasser als Bearbeiter des Nachlasses gewinnen, und der setzt die Entzifferung während der deutschen Besatzung als Untergrundarbeit fort. Durch Strasser wird die Verbindung mit Paris geknüpft, vor allem zu Maurice Merleau-Ponty. Sartre kennt Husserl bereits aus seinem Deutschlandaufenthalt im Jahr 1933. Wichtig auch die Verbindung mit Marvin Farber in Buffalo, der Zeitschrift Philosophy and Phenomenological Research gründet.
Über Van Bredas Qualifikation als Philosoph ist in dem Buch wenig zu erfahren. Er habe an „Ideenflucht“ gelitten, heißt es. Der Krieg verhinderte, dass die Dissertation gedruckt wurde. Der Nachlass blieb das „papierene Herzstück seines Lebens und Denkens“, wie Horsten über seinen Helden schreibt, den er dabei keineswegs unkritisch schildert. So ist beiläufig zu erfahren, dass er „kein besonders guter Lehrer“ war und oft unvorbereitet zum Unterricht erschien. Fürs Lehramt war er viel zu umtriebig, er musste doch ständig Geld für sein Archiv auftreiben, für die Finanzierung der Assistenten sorgen, den Ruhm seines Meisters mehren.
Als Einwerber von Erst-, Zweit- und Drittmitteln war Van Breda ein Genie und blieb als Franziskaner Bettelmönch. Sonst war er mit dem Eremitentum allenfalls durch die braune Kutte verbunden, die er in späteren Jahren, wenn er auf Reisen ging, gern im Kloster zurückließ. So bildete er sich zum Wissenschaftsmanager fort, der – und damit rundet sich das Charakterbild des 1974 verstorbenen Paters – beizeiten sehr fordernd auftreten konnte und nicht immer zur Demut neigte. „Sie haben es doch mir zu verdanken, dass Sie so berühmt sind“, soll er den Philosophen Emmanuel Lévinas angeherrscht haben. Das war nur wenig übertrieben, und Lévinas wusste, was er und die Husserl-Gemeinde Leo Herman Van Breda zu verdanken hatten: „Seine Güte und seine akademische Feinsinnigkeit manifestierten sich immer in diesem Lachen, in der Fröhlichkeit des zufriedenen Bauern, der weiß, dass er dem Teufel ein Schnippchen geschlagen hat.“
Als Husserl 1938 starb, wagte sich
neben Eucken von den Kollegen
nur noch Gerhard Ritter ans Grab
Zu Lévinas sagte er: „Sie haben
es doch mir zu verdanken,
dass Sie so berühmt sind“
Toon Horsten: Der Pater und der Philosoph. Die abenteuerliche Rettung von Husserls Vermächtnis. Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. Galiani Verlag, Berlin 2021. 288 Seiten, 24 Euro.
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Der dokumentarische Roman lässt - wie der Plot schon vermuten lässt - dem Leser keine Sekunde Ruhe, so mitreißend ist Van Bredas Kampf um die Gedanken Husserls. Maxime Pasker Spektrum der Wissenschaft 20210907