Am 26. August 1996 wurde an der Côte d'Azur, in Roquebrune-Cap-Martin, nur einen Katzensprung von Le Corbusiers einstigem Feriendomizil entfernt, der Schweizer Arzt Dr. med. Peter H. Kaegi erstochen. Als die Masterstudentin Nadja Gilg den Pavillon des Centre Le Corbusier in Zürich, das letzte Werk des weltberühmten Baukünstlers, unter die Lupe nimmt, stösst sie auf Zusammenhänge, die den mysteriösen Mord in ein neues Licht rücken.In einer rasanten Szenenfolge lässt sie vor unseren Augen die Urlaubsmonate und den Tod des Jahrhundertarchitekten (1887-1965), den beharrlichen Kampf Heidi Webers für den Pavillon sowie die Erlebnisse Marie-Louise Schelberts, der Feriennachbarin Le Corbusiers, Revue passieren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.08.2019Die Männer
vom Bau
Architektur als Protagonistin: Graphic Novels über
Mies van der Rohe und Le Corbusier
VON GERHARD MATZIG
Dass der Comic über Ludwig Mies van der Rohe mit dem Bild einer nackten Frau namens „Der Morgen“ beginnt, ist kein Beitrag zum Sexismus der Moderne, sondern genial. Eine Idee, die einerseits hineinführt in das von Sexismen nicht gerade freie, auch sonst eher abgründige Leben von Mies (nomen est omen) als bedeutsamen Architekten der Moderne. Die aber andererseits auch die Missverständnisse in der Rezeption dieser Ära zur Pointe verdichtet.
Von Anfang an gelingt es dem spanischen Cartoonisten Agustín Ferrer Casas, der vor seiner Comic-Karriere Architekt war, den Leser zu fesseln. Einem der vielen Mies-Bonmots zufolge entsteht ja Architektur als Baukunst erst dann, wenn man zwei Backsteine sorgfältig zusammenfügt. In diesem Fall ist zu sagen: Die Kunst der Graphic Novel beginnt dort, wo sich Bild und Text zu jenem Ganzen verbinden, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Das heißt: Die Nackte, eine Skulptur von Georg Kolbe, die sich im 1929 zur Weltausstellung von Mies ersonnenen, ikonisch das 20. Jahrhundert überstrahlenden „Barcelona-Pavillon“ befindet, wird so richtig schön erst durch die dazugehörige Sprechblase: „SCHÖN . . .“ Sie stammt vom damaligen König von Spanien, Alfons XIII., der Alfonso León Fernando María Jaime Isidro Pascual Antonio de Borbón y Austria-Lorena heißt und auch sonst anstrengend ist. Er, der von Mies durch den Pavillon geführt wird, begreift nicht das Geringste von der Schönheit, Eleganz und Radikalität der Pavillon-Architektur.
Mit Blick auf die Nackte aber meint der König: „sehr schön, ja.“ Später sagt Mies, der seine Geschichte dramaturgisch geschickt in Rückblenden erzählt: „Der Mann verstand gar nichts.“ Dazwischen braucht Ferrer nur ein Dutzend Bilder, um die Geschichte des Architekten mit der Geschichte der Moderne und der Geschichte Deutschlands zwischen Weimarer Zeit und Nazi-Horror zu verdichten. Die Ökonomie dieser Erzählweise ist verblüffend. Sie bedient sich simpler Sätze, während sie sich der Ligne claire eines Hergés annähert. Mies würde sagen: „Weniger ist mehr.“ Dabei aber wird das Erzählen Ferrers, der die narrativen und visuellen Möglichkeiten zu nutzen weiß, die sich aus dem Zusammenspiel von Comic und Architektur ergeben, nicht nur der Komplexität moderner Architektur, sondern auch der Vielschichtigkeit einer Künstlerbiografie gerecht.
Man begreift schon beim Barcelona-Pavillon nicht nur auf Anhieb die Entwurfsprinzipien von Mies, etwa die Emanzipation der Wand vom Trag- zum Raumelement oder den fließenden Raum als osmotisches Verweben von innen und außen, sondern man ahnt auch sogleich, dass Mies nicht nur ein genialer Geist war – sondern zugleich ein mitunter mieser Typ.
Einer, der den eigenen Namen erfindet: Geboren als Ludwig Mies, Sohn eines Maurers, schnappte er sich den Namen der Mutter (Rohe) und erfand das nach Noblesse klingende „van der“ dazu. Dreister lässt sich eine düstere Ausgangslage kaum erhellen. Den Rest seiner Karriere als Herzschrittmacher der Moderne verdankte Mies seinem riesenhaften Talent, einer Neigung zum apolitischen Opportunismus – und vor allem den Frauen.
Dass Mies immer wieder zur Zigarre, zum Drink oder zum nackten Weib greift im Comic, ist folgerichtig. Der Weiberheld und Egomane, der fast alle verrät in seinem Leben, hat nicht nur hochgebaut (wie am Seagram Building zu sehen ist, das als Setting im Comic zu Audrey Hepburn in „Breakfast at Tiffany’s“ passt); er hat sich auch hochgeschlafen. Gestorben vor 50 Jahren, am 17. August 1969, war Mies van der Rohe ein großer Architekt und ein nicht ganz so großer Mensch. Dazwischen die Geschichte der Moderne souverän und anschaulich zu erzählen, ist aber auf jeden Fall ganz große Comic-Kunst.
Das erzählende Zusammenschauen von der Architektur als jener Bildkunst, die wie keine andere öffentlichkeitswirksam ist, und den kongenial populären Mechanismen der Bilderwelt im Comic gelingt auch dem Architektur-Krimi „Der Pavillon“. Auch hier ist der Zeichner, Andreas Müller-Weiss, ein studierter Architekt. Er hat sich, um die letzten Lebensmonate von Le Corbusier dramaturgisch zu fassen, einen Krimi-Plot samt „Ich-glaube-er-ist-tot“-Leichenfund (Messer in der Brust, allerdings ist es nicht die von Corbusier) ausgedacht. Wobei der Plot den Heidi-Weber-Pavillon in Zürich, mittlerweile umbenannt in Centre Le Corbusier, mit dem von Eileen Gray entworfenen und von Le Corbusier mit Wandbildern (übrigens gegen den Willen von Gray) ausgestatteten Haus „E.1027“, also mit der berühmten Maison en Bord de Mer an der Riviera, auf etwas komplizierte Weise zusammenschaltet. Ander als beim Mies-Comic erscheint beim Corbusier-Cartoon, der ebenfalls soeben veröffentlicht wurde und eine ganz eigene Bildsprache entwickelt, ein Vorab-Wissen um architekturgeschichtliche Zusammenhänge unabdingbar.
Beiden Comics gemeinsam ist aber, dass die Biografien der Architekturlegenden Mies und Corbusier kenntnisreich ausgedeutet werden. Vor allem auch dort, wo dem Licht der Moderne ein Schatten des Persönlichen zur Seite steht. War früher die Architektur im Comic, wie etwa bei den Dystopien von François Schuiten und Benoît Peeters, Teil des Settings, so wird der große Bilderlieferant der Gegenwart, die Architektur, nun selbst zum Protagonisten. Genau rechtzeitig insofern, da die Architekturgrößen der Moderne, sozusagen die alten weißen Männer am Bau, also Leute wie Corbusier oder Mies, als schillernde „Stars“ des 20. Jahrhunderts allmählich altmodisch erscheinen. Es erscheint logisch, dass sie nun im Comic reanimiert werden, in einer Bildkunst, die ebenfalls das 20. Jahrhundert als eigentliches Zuhause kennt.
Agustín Ferrer Casas: Mies van der Rohe – ein visionärer Architekt. Carlsen, 176 Seiten, 20 Euro.
Andreas Müller-Weiss: Der Pavillon – Mord an der Promenade Le Corbusier. Edition Moderne, 72 Seiten, 29 Euro.
Von Architektur versteht der
König wenig, die Nackte
aber findet er „sehr schön, ja“
Mies’ Seagram Building wurde 1958 in New York gebaut. 157 Meter hoch überragt es die andere Stil-Ikone jener Zeit, Audrey Hepburn, kaum.
Foto: Carlsen
Le Corbusier ertrank 1965 bei Cap Martin, wo er ein Ferienhaus besaß. Im Comic preist er die Horizontalität des Todes, die auch dem Meer eigen ist.
Foto: Edition Moderne
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vom Bau
Architektur als Protagonistin: Graphic Novels über
Mies van der Rohe und Le Corbusier
VON GERHARD MATZIG
Dass der Comic über Ludwig Mies van der Rohe mit dem Bild einer nackten Frau namens „Der Morgen“ beginnt, ist kein Beitrag zum Sexismus der Moderne, sondern genial. Eine Idee, die einerseits hineinführt in das von Sexismen nicht gerade freie, auch sonst eher abgründige Leben von Mies (nomen est omen) als bedeutsamen Architekten der Moderne. Die aber andererseits auch die Missverständnisse in der Rezeption dieser Ära zur Pointe verdichtet.
Von Anfang an gelingt es dem spanischen Cartoonisten Agustín Ferrer Casas, der vor seiner Comic-Karriere Architekt war, den Leser zu fesseln. Einem der vielen Mies-Bonmots zufolge entsteht ja Architektur als Baukunst erst dann, wenn man zwei Backsteine sorgfältig zusammenfügt. In diesem Fall ist zu sagen: Die Kunst der Graphic Novel beginnt dort, wo sich Bild und Text zu jenem Ganzen verbinden, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Das heißt: Die Nackte, eine Skulptur von Georg Kolbe, die sich im 1929 zur Weltausstellung von Mies ersonnenen, ikonisch das 20. Jahrhundert überstrahlenden „Barcelona-Pavillon“ befindet, wird so richtig schön erst durch die dazugehörige Sprechblase: „SCHÖN . . .“ Sie stammt vom damaligen König von Spanien, Alfons XIII., der Alfonso León Fernando María Jaime Isidro Pascual Antonio de Borbón y Austria-Lorena heißt und auch sonst anstrengend ist. Er, der von Mies durch den Pavillon geführt wird, begreift nicht das Geringste von der Schönheit, Eleganz und Radikalität der Pavillon-Architektur.
Mit Blick auf die Nackte aber meint der König: „sehr schön, ja.“ Später sagt Mies, der seine Geschichte dramaturgisch geschickt in Rückblenden erzählt: „Der Mann verstand gar nichts.“ Dazwischen braucht Ferrer nur ein Dutzend Bilder, um die Geschichte des Architekten mit der Geschichte der Moderne und der Geschichte Deutschlands zwischen Weimarer Zeit und Nazi-Horror zu verdichten. Die Ökonomie dieser Erzählweise ist verblüffend. Sie bedient sich simpler Sätze, während sie sich der Ligne claire eines Hergés annähert. Mies würde sagen: „Weniger ist mehr.“ Dabei aber wird das Erzählen Ferrers, der die narrativen und visuellen Möglichkeiten zu nutzen weiß, die sich aus dem Zusammenspiel von Comic und Architektur ergeben, nicht nur der Komplexität moderner Architektur, sondern auch der Vielschichtigkeit einer Künstlerbiografie gerecht.
Man begreift schon beim Barcelona-Pavillon nicht nur auf Anhieb die Entwurfsprinzipien von Mies, etwa die Emanzipation der Wand vom Trag- zum Raumelement oder den fließenden Raum als osmotisches Verweben von innen und außen, sondern man ahnt auch sogleich, dass Mies nicht nur ein genialer Geist war – sondern zugleich ein mitunter mieser Typ.
Einer, der den eigenen Namen erfindet: Geboren als Ludwig Mies, Sohn eines Maurers, schnappte er sich den Namen der Mutter (Rohe) und erfand das nach Noblesse klingende „van der“ dazu. Dreister lässt sich eine düstere Ausgangslage kaum erhellen. Den Rest seiner Karriere als Herzschrittmacher der Moderne verdankte Mies seinem riesenhaften Talent, einer Neigung zum apolitischen Opportunismus – und vor allem den Frauen.
Dass Mies immer wieder zur Zigarre, zum Drink oder zum nackten Weib greift im Comic, ist folgerichtig. Der Weiberheld und Egomane, der fast alle verrät in seinem Leben, hat nicht nur hochgebaut (wie am Seagram Building zu sehen ist, das als Setting im Comic zu Audrey Hepburn in „Breakfast at Tiffany’s“ passt); er hat sich auch hochgeschlafen. Gestorben vor 50 Jahren, am 17. August 1969, war Mies van der Rohe ein großer Architekt und ein nicht ganz so großer Mensch. Dazwischen die Geschichte der Moderne souverän und anschaulich zu erzählen, ist aber auf jeden Fall ganz große Comic-Kunst.
Das erzählende Zusammenschauen von der Architektur als jener Bildkunst, die wie keine andere öffentlichkeitswirksam ist, und den kongenial populären Mechanismen der Bilderwelt im Comic gelingt auch dem Architektur-Krimi „Der Pavillon“. Auch hier ist der Zeichner, Andreas Müller-Weiss, ein studierter Architekt. Er hat sich, um die letzten Lebensmonate von Le Corbusier dramaturgisch zu fassen, einen Krimi-Plot samt „Ich-glaube-er-ist-tot“-Leichenfund (Messer in der Brust, allerdings ist es nicht die von Corbusier) ausgedacht. Wobei der Plot den Heidi-Weber-Pavillon in Zürich, mittlerweile umbenannt in Centre Le Corbusier, mit dem von Eileen Gray entworfenen und von Le Corbusier mit Wandbildern (übrigens gegen den Willen von Gray) ausgestatteten Haus „E.1027“, also mit der berühmten Maison en Bord de Mer an der Riviera, auf etwas komplizierte Weise zusammenschaltet. Ander als beim Mies-Comic erscheint beim Corbusier-Cartoon, der ebenfalls soeben veröffentlicht wurde und eine ganz eigene Bildsprache entwickelt, ein Vorab-Wissen um architekturgeschichtliche Zusammenhänge unabdingbar.
Beiden Comics gemeinsam ist aber, dass die Biografien der Architekturlegenden Mies und Corbusier kenntnisreich ausgedeutet werden. Vor allem auch dort, wo dem Licht der Moderne ein Schatten des Persönlichen zur Seite steht. War früher die Architektur im Comic, wie etwa bei den Dystopien von François Schuiten und Benoît Peeters, Teil des Settings, so wird der große Bilderlieferant der Gegenwart, die Architektur, nun selbst zum Protagonisten. Genau rechtzeitig insofern, da die Architekturgrößen der Moderne, sozusagen die alten weißen Männer am Bau, also Leute wie Corbusier oder Mies, als schillernde „Stars“ des 20. Jahrhunderts allmählich altmodisch erscheinen. Es erscheint logisch, dass sie nun im Comic reanimiert werden, in einer Bildkunst, die ebenfalls das 20. Jahrhundert als eigentliches Zuhause kennt.
Agustín Ferrer Casas: Mies van der Rohe – ein visionärer Architekt. Carlsen, 176 Seiten, 20 Euro.
Andreas Müller-Weiss: Der Pavillon – Mord an der Promenade Le Corbusier. Edition Moderne, 72 Seiten, 29 Euro.
Von Architektur versteht der
König wenig, die Nackte
aber findet er „sehr schön, ja“
Mies’ Seagram Building wurde 1958 in New York gebaut. 157 Meter hoch überragt es die andere Stil-Ikone jener Zeit, Audrey Hepburn, kaum.
Foto: Carlsen
Le Corbusier ertrank 1965 bei Cap Martin, wo er ein Ferienhaus besaß. Im Comic preist er die Horizontalität des Todes, die auch dem Meer eigen ist.
Foto: Edition Moderne
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