Bürgertochter, Pädagogin, Frauenrechtlerin, politische Beraterin, Mutter: Als Bankiers-Tochter geboren und in Wohlstand aufgewachsen, heiratet Lina Richter, geborene Oppenheim, gegen den Widerstand der Familie ihre große Liebe: den Philosophie-Professor und Nietzsche-Forscher Raoul Richter. Fünf Kinder werden geboren. Doch das Familienglück ist nur von kurzer Dauer, ihr Mann stirbt früh. Dann schlägt die junge Witwe einen eigenen Weg ein, engagiert sich in der Deutschen Vereinigung für Frauenstimmrecht. Im Ersten Weltkrieg wechselt sie in die Politik, arbeitet eng an der Seite des Prinzen Max von Baden, dem letzten Kanzler des Kaisers. Die Biografie verarbeitet zahlreiche bislang unveröffentlichte Quellen, darunter rund 300 Briefe, die einen detaillierten Einblick in Themen, Netzwerke, Stationen der Lina Richter geben. Angela Hartwig zeigt mit diesem Quellenmaterial, wie eine Frau an den Schaltstellen der Macht in Berlin zur Weimarer Republik als Politikberaterin agieren konnte -eine vollkommen ungewöhnliche Rolle. Das Buch wirft dabei auf die Kanzlerschaft des Prinzen Max von Baden neue Perspektiven. Daneben spiegelt sich das bunte gesellschaftliche Leben Berlins in der Korrespondenz Richters. Sie berichtet von den Salons und illustren Treffen und ist selbst inmitten der Bohème der 1920er-/1930er-Jahre. Nach dem Krieg gründet Lina Richter mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten im Außenministerium, Kurt Hahn, das reformpädagogische Internat Salem und nimmt ihren alten Beruf als Lehrerin wieder auf. Ihre linksliberalen politischen Ansichten und die jüdischen Wurzeln der Familie sind den Nazis schnell ein Dorn im Auge, sie entziehen ihr 1934 die Lehrerlaubnis. Es bleibt die Flucht nach Schottland, wo Hahn in Gordonstoun ein weiteres Internat gründet, Prinz Philipp und König Charles waren Schüler dort. Am Ende ihres Lebens kehrt Lina Richter nach Deutschland zurück und stirbt 1953 in Kiel.