38,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in über 4 Wochen
  • Gebundenes Buch

Im Juni 1926 war Rom Schauplatz eines spektakulären gesellschaftlichen Ereignisses. Gefeiert wurde eine »faschistische Hochzeit«, Trauzeuge Mussolini inklusive. Vor den Altar traten Lilliana Weinman, gefeierte amerikanische Opernsängerin aus einer jüdischen Industriellenfamilie, und Attilio Teruzzi, hochdekorierter Kriegsveteran, Teilnehmer beim Marsch auf Rom, mitleidloser Anführer der Schwarzhemden und Archetyp des »neuen starken Mannes«. Aber bald schon fühlte sich der virile Gatte von der Unabhängigkeit seiner Frau in der Ehre verletzt und forderte die Scheidung - nur dachten seine Frau…mehr

Produktbeschreibung
Im Juni 1926 war Rom Schauplatz eines spektakulären gesellschaftlichen Ereignisses. Gefeiert wurde eine »faschistische Hochzeit«, Trauzeuge Mussolini inklusive. Vor den Altar traten Lilliana Weinman, gefeierte amerikanische Opernsängerin aus einer jüdischen Industriellenfamilie, und Attilio Teruzzi, hochdekorierter Kriegsveteran, Teilnehmer beim Marsch auf Rom, mitleidloser Anführer der Schwarzhemden und Archetyp des »neuen starken Mannes«. Aber bald schon fühlte sich der virile Gatte von der Unabhängigkeit seiner Frau in der Ehre verletzt und forderte die Scheidung - nur dachten seine Frau und die katholische Kirche gar nicht daran, dem zuzustimmen. Die Zwangsehe wird für den Aufsteiger Teruzzi zusehends zum Problem, kündigen sich am Horizont doch die ersten antisemitischen Gesetze des faschistischen Staates an.Mit Seitenblicken auf Literatur, Mode, Stadtwelten und Liebesverhältnisse entfaltet die renommierte Historikerin Victoria de Grazia ein opulentes, fesselnd erzähltes Gesellschaftsepos, das das kulturelle Klima der Epoche greifbar werden lässt. Sie zeigt, wie Mussolinis Bewegung ihre Revolution bis in die zwischenmenschlichen Beziehungen forcierte. Und sie macht die Bedingungen für Aufstieg und Fall des »perfekten Faschisten« anschaulich: die Entwicklung eines Mannes des Mittelmaßes in einer Zeit der Extreme.
Autorenporträt
Victoria de Grazia ist Professorin Emerita für Geschichte an der Columbia University in New York und eine der international profiliertesten Forscherinnen zur Analyse von Soft Power in autoritären Systemen sowie zur Gender- und Arbeitergeschichte. Die Themen ihrer Bücher reichen von den Überzeugungsmechanismen des Faschismus bis hin zur Anziehungskraft der US-amerikanischen Konsumgesellschaft.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Carsten Hueck warnt mit der US-Historikerin Victoria de Grazia vor einem gefühligen Typus, der dem Faschismus dient, sobald die Zeit reif ist. Am Beispiel des gänzlich uncharismatischen Antihelden und Mussolini-Freund Attilio Teruzzi erzählt die Autorin laut Hueck in Geschichten detail- wie kenntnisreich die Geschichte des italienischen Faschismus. Ihr Buch hat für Hueck den besonderen Reiz großer Plastizität, in der viel Fachwissen steckt und eine untrügliche moralische Haltung. Ein fulminantes Sachbuch, beteuert er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2024

Ein ganz normaler Faschist

Liebe, Macht, Moral: Die amerikanische Historikerin Victoria de Grazia erzählt die Geschichte des italienischen Faschismus aus der Perspektive einer gescheiterten Ehe.

Von Karen Krüger

Zu ihrer Hochzeit bekamen Lilliana Weinman, jüdisch-amerikanische Operndiva, und Attilio Teruzzi, Faschist und wichtiges Mitglied in Mussolinis Kabinett, einen Haufen Geschenke. Das bemerkenswerteste, wenn auch nicht geschmackvollste, kam von Benito Mussolini und war eine antike silberne Schmuckschatulle, die in den Farben der Trikolore mit Rubinen, Smaragden und Bergkristallen besetzt war. Das Paar hatte die Crème de la Crème aus Politik und Kultur als Trauzeugen für seine Heirat gewonnen. Teruzzi, schwarzes Hemd, Medaillen, faschistisches Käppi auf dem Kopf, wurde von keinem Geringeren als dem Duce und einem bedeutenden General begleitet und seine Braut, die in ihrem Kleid aus pinkfarbenem Crêpe Georgette majestätisch wirkte, vom amerikanischen Botschafter und von Tullio Serafin, früher Chefdirigent der Scala, der zur Met in New York gewechselt war.

Im Juni 1926 wurde in Rom nichts dem Zufall überlassen. Morgens fand die standesamtliche Trauung statt und nachmittags die kirchliche in der Basilica Santa Maria degli Angeli, der Hauskirche der königlichen Familie. Man wollte vorführen, dass die "neuen Männer" des Regimes sich der alten bürgerlichen Elite anpassen, indem sie Ehen nach katholischem Ritus und dem neuen Zivilgesetzbuch des faschistischen Staates schließen, dass sie, kurz gesagt, nach dem Willen Mussolinis totalitäre Politik und ihre moralischen Gefühle miteinander verbinden.

Die Choreographie, das legt die Historikerin Victoria de Grazia in ihrem Buch nahe, inszenierte Teruzzi als Mann, der mit der Eroberung der Amerikanerin einen großartigen Sieg für sich selbst und für sein Vaterland errungen hatte, und Lilliana Weinman als Primadonna, deren Platz von nun an nicht mehr auf der Bühne eines Opernhauses, sondern an der Seite eines mächtigen Mannes auf der Weltbühne der Politik sein würde. Geld war kein Problem. Lillianas Vater, ein Fabrikant aus Manhattan, hatte alles bezahlt, und keiner nahm Anstoß am jüdischen Glauben der Familie. Es kümmerte ja auch niemanden, dass Margherita Sarfatti, Mussolinis brillante Denkhilfe und Geliebte, Jüdin war - jedenfalls damals noch nicht. Die Hochzeitseinladung hatte statt der üblichen Monogramme Putten als Aufdruck und ein Spruchband, das die amerikanischen Stars and Stripes mit dem römischen Liktorenbündel samt Beil verband. Die Hochzeit war das Ereignis des Sommers, sogar die "New York Times" berichtete darüber. Keine vier Jahre später machte Teruzzi mit Lilliana Schluss - per Telegramm, heute hätte er wahrscheinlich eine Whatsapp getippt. Er versuchte die Ehe von der katholischen Kirche annullieren zu lassen - Scheidung gab es in Italien noch nicht. Aber da hatte er seine Rechnung ohne Lilliana Weinman gemacht. Sie wehrte sich, und so dauerte die Ehe noch 17 weitere Jahre an.

Das klingt wie der Plot eines historischen Romans. "Der perfekte Faschist", Victoria de Grazias gerade erschienenes Buch, ist aber keine Fiktion, sondern erzählt von einer wahren Begebenheit. Es ist die Geschichte von Attilio Teruzzi, geboren 1883, im selben Jahr wie Mussolini, der vom einfachen Soldaten zum Kolonialgouverneur, zum Abgeordneten, zum Anführer der Schwarzhemden und zum Minister für das italienische Afrika wurde, der in Berlin Gespräche mit Hitler führte, und in den Kolonien die Rassengesetze mit aller Schärfe durchsetzte. Gleichzeitig war Teruzzi der Ehemann von Lilliana Weinman, die er verließ, von der er sich aber nicht scheiden lassen konnte. Er war auch der Partner der Jüdin Yvette Blank, mit der eine Heirat unmöglich war, weil es ja noch die Ehe mit Lilliana gab. 1938 bekamen Teruzzi und Yvette Blank ein Kind, das er liebte, aber nicht rechtlich anerkennen konnte und dessen Mutter er auf die Insel Lipari in ein Internierungslager stecken ließ, um bei seinem großen Idol, dem Duce, nicht unangenehm aufzufallen. Teruzzi, dieser egozentrische, nach sexuellen Begegnungen gierige und auf eine barocke Art sentimentale Mann, hatte als Offizier eine der Legionen bei ihrem Marsch auf Rom angeführt.

Im Herbst 2022, kurz nach dem Amtsantritt von Italiens rechter Regierung, jährte sich das Ereignis zum hundertsten Mal, und es erschienen einige lesenswerte Bücher über den Faschismus. Mit de Grazias Werk hält man nun aber etwas wirklich Außergewöhnliches in den Händen. Sie hat keine klassische Biographie geschrieben, sondern eine Art sozialgeschichtliches Gruppenporträt, das Attilio Teruzzi umgeben von seinen politischen Gefährten und inmitten seiner vielen Frauen zeigt. Das Buch führt beispielhaft vor, wie in gewissen Kreisen des faschistischen Italiens, das für de Grazia "schrecklich und doch voller Herz" gewesen ist, um Macht, Moral und Liebe gerungen wurde. Hinter seinem totalitären Anspruch, so die These der Autorin, habe es sehr wohl weiterhin emotionale Bedürfnisse und die Möglichkeit zu unterschiedlichen moralischen Entscheidungen gegeben. Sie erzählt die Geschichte des Faschismus aus der Perspektive einer gescheiterten Ehe - und man will schon nach den ersten Seiten wissen, wie das Drama von Attilio und Lilliana weitergeht.

Victoria de Grazia hat einen leichten, stellenweise süffisanten Ton. Ihr Buch ist aufgebaut wie eines der Melodramen, in denen Lilliana Weinman vor Publikum brillierte, bevor sie Signora Teruzzi wurde. Es beginnt mit einem Prolog, dann folgt mit der Verlobung und Hochzeit des Soldaten und der Primadonna eine Liebesgeschichte zwischen Arm und Reich, die von Eifersucht, Hinterlist und Verrat zerstört wird. Rache und das Ringen um lebenslange Treue stehen fortan im Vordergrund - allerdings jene gegenüber dem faschistischen Regime. Am Ende stirbt jemand in den Armen seiner geliebten Frau - und der Krieg ist vorbei.

Das Buch hat also einen hohen Unterhaltungswert. Gleichzeitig weist jede einzelne seiner 512 Seiten eine enorme wissenschaftliche Dichte auf. Das gesamte Wissen aus de Grazias jahrzehntelanger Erforschung des Faschismus sowie ihre Auseinandersetzung mit der Geschichte von Emotionen, Macht und Gender sind eingeflossen. Bis zu ihrer Emeritierung war sie Professorin an der Columbia-Universität in New York. Sie hat beim italienischen Verlag Einaudi das "Dizionario del fascismo", das Wörterbuch des Faschismus, herausgebracht, und ihr Werk "How Fascism Ruled Women: Italy, 1922-1945" über faschistische Vorstellungen von Weiblichkeit wurde mehrfach ausgezeichnet. Auch in diesem Buch wird deutlich, dass der Faschismus ebenso als Widerstandsbewegung gegen bedrohte Männlichkeit gelesen werden kann.

Aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrende Soldaten wie Teruzzi sahen ihre militarisierte Männlichkeit in Italien diskreditiert. Zurück in seiner Heimatstadt Mailand, hatte er Ehre und Respekt erwartet. Doch der politische Wind wehte nun anders, und der Krieg hatte einen neuen Typ von Frau hervorgebracht. Frustriert wendete Teruzzi sich der faschistischen Bewegung zu, die ihm wenigstens erlaubte, wieder seiner Lust am Marschieren zu frönen. Für einen anderen Weg fehlte es ihm an Initiative und Vorstellungskraft; er war kein Anführer, sondern ein Mitläufer. Teruzzi sei "ein treues, mittelmäßiges Werkzeug", urteilte Mussolinis Schwiegersohn Galeazzo Ciano 1930 im "Corriere della Sera" und nannte ihn weiter "wohl mehr treu als mittelmäßig". Dafür aber habe Teruzzi "ein wunderschönes, faschistisches Gesicht". Ein paar Jahre später wurde er wegen seiner Affären "der brünftige Ochse des Reiches" genannt und später, nachdem er fast 25 Jahre lang seinen Marsch durch den Faschismus unternommen hatte, "Vampir des Imperiums", denn sein Lebensstil war ausschweifend.

Eine der Fragen, die das Buch subtil antreiben, ist auch jene, wie Teruzzi überhaupt zu einer der wichtigsten Figuren des faschistischen Italiens werden konnte. "Teruzzis persönliche Lebensentscheidungen wurden in perfekter Synchronizität mit dem historischen Moment getroffen", schreibt de Grazia an einer Stelle. Er war nicht nur daran beteiligt, Geschichte zu machen, sondern die Geschichte machte ihn auch zu dem Mann, der er war: ein perfekter Faschist, aber in gewisser Weise auch ein sehr unvollkommener - und wahrscheinlich, so legt die Autorin nahe, ein innerlich sehr aufgewühlter Mensch.

Sie nutzt den Gerichtsprozess über die Annullierung seiner Ehe, um die Grenzen der faschistischen Macht aufzuzeigen. Die Sacra Rota, das zweithöchste Gericht der römisch-katholischen Kirche, zeigte sich keinesfalls gewillt, das kanonische Recht auszuhöhlen, um Teruzzi entgegenzukommen. Dabei war auch die Persönlichkeit Lilliana Weinmans von Bedeutung. Sie hatte sich hervorragende Anwälte genommen, die gegen die Faschisten und für die Kirche waren. Als reiche, selbstbewusste und hervorragend vernetzte Amerikanerin spielte sie in vielerlei Hinsicht außerhalb von Teruzzis Liga. Sie einfach in ein Internierungslager abzuschieben, so wie er es mit der Mutter seines Kindes machte, hätte mit ihr nicht funktioniert. Nach dem Scheitern ihrer Ehe wollte sie nicht mehr mit Teruzzi zusammenleben, der gegen sie das antisemitische Stereotyp mobilisiert hatte, als Jüdin sei sie eine notorische Lügnerin. Sie stimmte der Annullierung der Ehe nicht zu, weil sie ihren Namen reinwaschen und Teruzzi bestrafen wollte: Er sollte nicht mehr heiraten und eheliche Kinder bekommen können, wie Mussolini es sich von ihm wünschte.

Ohne Lilliana Weinmans große Entschlossenheit, Teruzzi die Stirn zu bieten, hätte ihre Geschichte keine nennenswerten Spuren in den Akten hinterlassen. So aber standen de Grazia neben vielen Fotos, von denen zahlreiche Eingang in das Buch gefunden haben, und den Briefen, in denen Lilliana ihrem Vater in New York das Erlebte haarklein erzählte, auch noch kistenweise Gerichtsdokumente als Quelle zur Verfügung. Und so wurde es möglich, Teruzzis Charakter nachzuzeichnen und zu verstehen, warum er auf dem faschistischen Nährboden so gut gedeihen konnte. Es sagt viel über Italiens Umgang mit der Vergangenheit aus, dass sich die Forschung dort bisher nur wenig für ihn interessiert hat.

De Grazias Buch zeigt, wie der Faschismus mit seiner widersprüchlichen Moral auch einen Eingriff in die private Gefühlswelt bedeutete, der über das persönliche Schicksal von Lilliana Weinman hinausweist. Vor diesem Hintergrund liest sich de Grazias Werk wie eine Hommage an die Frau, die für Attilio Teruzzi erst ihre Karriere als Opernsängerin aufgab und dann von ihm ins Abseits gestellt werden sollte. De Grazia hat ihr mit ihrem Buch noch einmal die ganz große Bühne gegeben. Gleichzeitig zeigt sie, was geschehen kann, wenn Despotismus und Populismus sich frei entfalten dürfen und Figuren wie Attilio Teruzzi nach oben kommen.

Victoria de Grazia: "Der perfekte Faschist. Eine Geschichte von Liebe, Macht und Gewalt". Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Verlag Wagenbach, 512 Seiten, 38 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.05.2024

Eine böse Operette
Wie sich die jüdisch-amerikanische Primadonna Lilliana Weinman in
Italien für den Faschismus begeisterte und mit Glück doch noch davonkam.
VON WILLI WINKLER
Drei Jahre nach der Hochzeitsreise, die die Frischvermählten nach Triest, Wien, Budapest, Prag und Berlin führte und für die ihnen der Duce seinen eigenen Eisenbahnwaggon zur Verfügung gestellt hatte, sagte sich Attilio Teruzzi von seiner Frau los. Sie sei gar nicht als Jungfrau in die Ehe gegangen, betrogen habe sie ihn und belogen, und Jüdin sei sie auch noch. Die Hochzeit in Rom im Juni 1926 war ein transatlantisches Ereignis gewesen. Die Braut Lilliana Weinman stammte aus New York, eine Sängerin, die an der Scala und in der Arena di Verona unter dem Künstlernamen Lilliana Lorma Triumphe feierte. Auch der Bräutigam berechtigte zu den schönsten Hoffnungen, er war General der faschistischen Miliz und dazu noch Staatssekretär. Der italienische Staat wusste die Eheschließung mit Stil zu feiern: Während die Braut, wie die New York Times getreulich meldete, ein reich besticktes, mauvefarbenes Kleid trug, erschien ihr künftiger Gemahl mit „all seinen Tapferkeitsorden an seinem faschistischen Schwarzhemd“.
Ergriffen berichtete die Zeitung, dass das Kabinett nahezu vollzählig erschienen war, an der Spitze Ministerpräsident Benito Mussolini, der der Braut eine wunderschöne edelsteinbesetzte silberne Schmuckschatulle überreichte. „Der Gesamtwert der Geschenke wurde auf erheblich mehr als hunderttausend Dollar geschätzt.“ In einer bühnenreifen Inszenierung wurden Schönheit, Geld und Macht miteinander vermählt.
Die Geschichte, die die amerikanische Historikerin Victoria de Grazia in ihrem bis ins kleinste Detail recherchierten Buch erzählt, könnte oder müsste sogar ein Roman sein, auch eine Oper böte sich an, an gut gelaunten Tagen vielleicht sogar ein überkandideltes Musical, dabei hat sich vor hundert Jahren alles genau so, so roman- und opernhaft, so irre und so faschistisch tatsächlich zugetragen.
Isaac Weinman, der Vater der Heldin, war aus Galizien eingewandert, hatte seine Frau und die 1899 geborene Tochter nach New York nachkommen lassen, wo er mit einem Patent für elastische Hosenträger schnell reich geworden war. Eine klassische amerikanische Erfolgsgeschichte war das, und sie sollte weitergehen. „Der wichtigste Weg nach vorn war jedoch die Investition in die Tochter.“ Lilliana genoss eine hervorragende Ausbildung. Der Klavierunterricht begann mit fünf, es folgte eine teure private Mädchenschule, selbst das Sommercamp musste das „Harvard unter den Ferienlagern“ sein. Mit 15 wusste sie, dass sie Opernsängerin werden würde. Umberto Ferulli, der zum Umkreis von Enrico Caruso gehört hatte, wurde als Manager angestellt, auf nach Italien!
Der Plan war, dass sie ihre Ausbildung in Mailand fortsetzen würde, um dann nach fünf Jahren als Primadonna an der Met in New York zu debütieren. Die Karriere entwickelte sich prächtig. Im Juli 1922 singt die Lorma die Elsa aus dem „Lohengrin“, zwei Jahre später die Mathilde in „Wilhelm Tell“. Die Kritiker sind begeistert von Lillianas italianità. Sie sei „eine der ganz wenigen Amerikanerinnen, die es versteht, vollkommen italienisch zu werden, indem sie sich von der unbestreitbaren Überlegenheit unserer lyrischen Schule inspirieren lässt“.
Der hochdekorierte Weltkriegssoldat Attilio Teruzzi ist kaum weniger begeistert und lässt sich der Diva im Zug von Mailand nach Rom als „hoher Boss der Mailänder fascio“ vorstellen. Während sie zu weiteren Auftritten nach Ägypten reist, führt ihn eine Strafexpedition nach Sizilien, wo er die Letzten unterwerfen soll, die sich der Zentrale in Rom noch widersetzen.
Teruzzi wird noch mehr für den Diktator erledigen müssen, das kann er, denn er ist ein bewährter Schläger, ein Martin Bormann oder Ernst Röhm der italienischen faschistischen Bewegung. Für den weiteren Aufstieg fehlt ihm noch eine repräsentative Frau, die neben seiner Ordensbrust etwas hermacht.
Es versteht sich von selbst, dass Lilliana Lorma und der 17 Jahre ältere Hurenbock (eine Geliebte mit Kind muss noch schnell entsorgt werden) nicht zusammenpassen, deshalb finden sie ja zueinander. Die Sängerin ist nicht so leicht zu gewinnen, sie nimmt die Huldigungen gern entgegen, doch den ersten Antrag lehnt sie ab. Während Teruzzi um sie wirbt, wird Italien im Frühjahr 1924 von einer Gewalttat erschüttert. Der sozialistische Abgeordnete Giacomo Matteotti, der bekannteste Gegner Mussolinis, bezichtigt im Parlament die Faschisten und den Duce persönlich der Wahlfälschung und Korruption. Matteotti weiß, dass er das nicht überleben wird: Elf Tage später wird er entführt und umgebracht. Teruzzi kümmert sich im Auftrag des Chefs um Schadensbegrenzung; dieses Machtschattengewächs ist als Handlanger fürs Grobe unverzichtbar.
Lilliana kümmert sich nicht um derlei Kleinigkeiten, sie wird Teil der faschistischen Staatsinszenierung. „Ihr ganzes Leben lang hatte sie für die Bühne geübt, und hier gab es nun eine Chance, auf der Weltbühne zu glänzen.“ Stolz berichtet sie ihrem Vater, dass sie in Como zusammen mit ihrer Mutter einer Rede des Verehrers beigewohnt habe. „Wie königliche Hoheiten“ seien sie neben ihm platziert und von den zwanzigtausend Zuhörern mit Blumensträußen begrüßt worden. Es geht weiter nach Gallarate, eine „berüchtigt rote Stadt, bevor Attilio sie übernahm“, wo er „eine weitere wunderbare Rede“ hält. Die Heirat mit einem faschistischen Hierarchen ist wie eine Oper, nur noch besser: Mit den Dutzenden und Aberdutzenden roter Rosen „sah ich weit mehr als jemals zuvor wie eine Primadonna aus“.
Die Primadonna war bereits bühnenmüde, sie fürchtete die einheimische Konkurrenz. Der Abschied von der Oper fiel ihr leicht, wo die Nähe zur Macht lockte. Teruzzi war zwar in sie verliebt, aber er hatte vorsorglich prüfen lassen, ob das Vermögen der Brauteltern auch bestimmt mehr hergab als die Finanzierung der Bühnenlaufbahn ihrer Tochter. Die Auskunft war beruhigend, das Geschäft perfekt, Isaac Weinman, hieß es, sei ein „reicher amerikanischer Unternehmer“.
Damit konnte sich ein Kirchenfeind mit einer New Yorker Jüdin in der römischen Basilika Santa Maria degli Angeli nach katholischem Ritus trauen lassen. Der Duce gab mit Kennerblick seinen Segen dazu. „Englische Frauen sind hässlich, französische sind pervers, spanische bringen uns Unglück, und mit Amerika kommen wir gut zurecht. Es sind auch ein paar Dollars da, das kann nicht schaden.“
Nicht nur der verschwendungslustige Haudegen, ganz Italien war 1926 auf dieses amerikanische Geld angewiesen, und Teruzzi konnte die Vermittlerdienste seines prospektiven Schwiegervaters anbieten. Die Morgan Bank lieh denn auch Italien die hübsche Summe von 100 Millionen Dollar. Die Hochzeitsnacht beschloss er glanzvoll als Puccinis Calàf: „Tramontate, stelle! All’alba vincerò! Vincerò! Vincerò!“
Eine so moderne Ehe bringt einen ganz anderen culture clash, als ihn Henry James fünfzig Jahre zuvor in seiner Erzählung „Daisy Miller“ von 1878 beschrieben hatte. Da scheitert die reiche Amerikanerin, die als „hoffnungslos vulgär“ präsentiert wird. Lilliana ist ebenfalls reich, aber hochgebildet, der Trampel ist der Anführer der squadre, und sie verschafft ihm mit ihrem Geld auch noch kulturelles Kapital.
Selbst der Vater, der für sie in Kultur investiert hatte, akzeptiert schließlich den Abschied von der Bühne und erkennt die bessere Partie: „Unter Freunden redet man darüber, wie wunderbar Lily Weinman ist – wie viel reicher es ist, Deine ‚Ideale‘ zu haben, nicht wie New Yorker Flappers oder Jazzboys.“ Isaac Weinman wird selber ganz idealistisch zumute: „Du kannst Attilio sagen, dass ich hier ständig über Mussolini rede, und Du kannst mir glauben, die Leute hören mit beiden Ohren zu, wenn ich ihnen sage, was für ein großer Mann er ist, und bei Gott, sie bekehren sich rasch und lieben und vergöttern ihn.“
Victoria de Grazia hatte die Absicht, „mit dieser persönlichen Geschichte vielleicht eine Geschichte des Faschismus schreiben zu können“. Das wäre ein bisschen viel von dieser bizarren Paarung verlangt, aber der autoritäre Gewaltkult, mit dem bald die Eroberung eines Weltreichs fällig wird und Italien sich Deutschlands Rassenwahn anschließen wird, kündigt sich bereits an.
Der Faschismus war noch länger die neueste Mode, die ganz große Oper. Die Schauspielerin Anna Magnani gehörte eine Zeit lang ebenso zum geselligen Umgang Terruzzis wie Luchino Visconti, der dann mitten im Krieg seinen ersten Film „Ossessione“ drehen sollte. Das theatralische Gepränge faszinierte auch größere Geister als Lilliana Lorma.
Emil Ludwig, der erfolgreichste deutsche Schriftsteller der Zwischenkriegszeit, bewarb sich beim Duce als Biograf. Er bewunderte dessen „schöne Hände“ und pries ihn den deutschen Lesern als Friedensfürst an. Theodor Wolff, der Chefredakteur des liberalen Berliner Tageblatts, lobte, ganz Journalist, den Schreibtisch, „den seine Hand berührt“, und feierte Mussolinis „für die Geschichte geformte Figur“. Rudolf Borchardt sülzte gleich noch geschichtstrunkener. Im April 1933 wurde der Dichter in einer Privataudienz empfangen, überreichte seine Übersetzung der „Divina Commedia“ und erkannte in Mussolini den wiedergeborenen Goethe: „Gesammelte Willenskraft und unbedingte Festigkeit im Guten beherrschen die großen Flächen dieser in allen Übergängen gerundeten und schönen Züge, die auch einen gewaltigen Kirchenfürsten oder einen fürstlichen Dichter bezeichnen könnten.“
Die Autorin verabscheut ihren heldentenorigen Attilio Teruzzi, sie hat aber erfreulicherweise auch kein Mitleid mit Lilliana, die den Platz an der Seite eines mächtigen Politikers genoss und sich ausgiebig im faschistischen Glanz sonnte. Die Frau, die ihren Eltern von ihrem vizeköniglichen Leben an der Seite des Kolonialherrn in Bengasi vorschwärmt, erwähnt natürlich nicht, dass italienische Kampfflugzeuge die Lager der störrischen Beduinen mit Giftgas bombardierten.
Der großen Oper muss unweigerlich die Farce folgen. Während sich Lilliana länger in New York aufhält, bekommt ihr Mann Kosebriefe in die Hand, die sie vor der Heirat ihrem inzwischen entlassenen und entsprechend rachsüchtigen Agenten Ferulli geschrieben hat. Die Entdeckung reicht nicht zu einer gewissensethischen Empörung, die Innstetten bei der Entdeckung der Briefe ergriff, die Major Crampas an Effi Briest geschrieben hatte, aber der der Reinheit verpflichtete faschistische Mann ist naturgemäß außer sich und verlangt die sofortige Scheidung. Doch die Geschichte widersetzt sich mit der ihr eigenen List: Da Mussolini, um Seriosität bemüht, eben den Lateranvertrag abgeschlossen hat, der der Kirche die Verfügung über das Eherecht zurückgibt, kann sich die Jüdin ausgerechnet mit Hilfe des Vatikans dem Scheidungsbegehren widersetzen. Sie ist es, die schließlich über die faschistische Macht triumphiert. Vincerò!
In der Bilanz ist Lilliana Weinmans Bildungsreise nach Europa nicht ganz ohne Zugewinn verlaufen: Als die nach New York zurückgekehrte Witwe Teruzzis 1965 den Verlust ihres Schmucks melden musste (er war zum Glück versichert), wurde ihr in der allzeit verlässlichen New York Times bereits der Titel einer Gräfin zugeschrieben.
Mussolini gab ihr
eine wunderschöne
Schmuckschatulle
Victoria de Grazia ist emeritierte Geschichtsprofessorin der Columbia University, New York. 2021 erschien ihr Buch „Soft-Power Internationalism: Competing for Cultural Influence in the 21st-Century Global Order“. Foto: privat
Victoria de Grazia: Der perfekte Faschist. Eine Geschichte von Liebe, Macht und Gewalt. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Berlin, Wagenbach 2024. 508 Seiten,
38 Euro.
Lilliana Weinman, zwei Jahre vor ihrer aufsehenerregenden Hochzeit in Ägypten.
Foto: Verlag Klaus Wagenbach
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr