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Das neue Buch Vittorio Hösles ist die seit über hundert Jahren umfassendste Analyse des philosophischen Dialogs. Der Autor stellt diese literarische Gattung und ihre Wesensgesetze dar, gestützt auf zahlreiche Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Seine poetisch-hermeneutische Studie wirft auch Licht auf die Ästhetik, Ethik und Logik des Gesprächs. Die Studie arbeitet mit einer überwältigenden Fülle historischen Materials, verfolgt aber auch systematische Interessen. In der Einführung geht es um die Sonderstellung des Dialogs innerhalb der literarischen Formen der Philosophie, um die…mehr

Produktbeschreibung
Das neue Buch Vittorio Hösles ist die seit über hundert Jahren umfassendste Analyse des philosophischen Dialogs. Der Autor stellt diese literarische Gattung und ihre Wesensgesetze dar, gestützt auf zahlreiche Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Seine poetisch-hermeneutische Studie wirft auch Licht auf die Ästhetik, Ethik und Logik des Gesprächs. Die Studie arbeitet mit einer überwältigenden Fülle historischen Materials, verfolgt aber auch systematische Interessen. In der Einführung geht es um die Sonderstellung des Dialogs innerhalb der literarischen Formen der Philosophie, um die Unterscheidung von Dialogtypen und um den Zusammenhang von Form und Inhalt. Der erste Teil erörtert die Produktion des philosophischen Dialogs. Der zentrale zweite Teil behandelt grundlegende Differenzierungen wie etwa die Funktion des Traumes, Raum, Zeit und Zahl der Personen des Gesprächs, Gesprächsformen und Gesprächsziele sowie die innere Logik, Ethik und Ästhetik der Dialoge. In einem Schlußteil zur Rezeption erfährt der Leser einiges über die Bezüge zwischen den wichtigsten philosophischen Dialogen. Vittorio Hösle stützt sich in dieser eindrucksvollen Gesamtschau nicht nur auf die wichtigsten, sondern auch auf entlegene, aber interessante und signifikante Dialoge, die die Philosophiegeschichte hervorgebracht hat. Am ausführlichsten werden Platon, Cicero, Augustinus, Hume und Diderot diskutiert, doch reicht die Reihe der behandelten Autoren von der Antike über Mittelalter und Renaissance, das Zeitalter der Aufklärung und das neunzehnte Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart (Iris Murdoch, Paul Feyerabend). Das Buch ist eine Geschichte des philosophischen Dialogs, aber auch eine Poetik dieser berühmten literarischen Gattung.
Autorenporträt
Vittorio Hösle, geb. 1960, ist Professor für Philosophie an der Universität Notre Dame, USA.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2006

Freie Fahrt für Retourkutschen
Vittorio Hösle schreibt eine Poetik des philosophischen Dialogs

Das besondere Geschäft der Philosophie: Sie setzt sich in der griechisch-europäischen Tradition mit Mythen, Weltanschauungen und anderen grundsätzlichen Wissensansprüchen auseinander und sucht diese durch neue Thesen und deren Begründungen zu korrigieren oder zu ersetzen. Im Gegensatz zu den positiven Wissenschaften wie Medizin, Geometrie oder Astronomie sind die philosophischen Werke daher vom Programm her dialektisch, jeder Kutsche darf eine Retourkutsche folgen. Philosophische Autoren zeigen, gegen welche leitenden Ideen ihre neue Lehre gerichtet ist, warum diese nicht haltbar sind, wie sie überwunden und aus der neuen Position auch erklärt werden können.

Philosophische Werke suchten daher häufig das Vorbild des juridischen Prozesses, bei dem These und Gegenthese vertreten werden und am Ende der Richtspruch erfolgt. So faßt Kant die Kritik der reinen Vernunft als einen Gerichtshof, vor dem unterschiedliche Erkenntnisansprüche vorgetragen und beurteilt werden. Hegel formalisiert das kontrastive Verfahren der Philosophie als Vernunftdialektik und entwickelt die Philosophie als Summe der Vernunftwerdung.

Philosophische Dialoge nehmen das Kontrastdenken in ihre eigene literarische Form auf und verteilen das Für und Wider auf verschiedene fiktive, manchmal auch historische Gesprächspartner. Mit dieser literarischen Form wird auch die Beziehung zum Leser geändert; während das monologisch verfaßte philosophische Werk den Leser nur implizit auffordert, die Gedanken und Beweise zu prüfen und ihnen am Ende zuzustimmen, wird der Leser des Dialogs schon im Werk selbst explizit antizipiert: Der Gesprächspartner übernimmt die kritische Rolle und stimmt zu oder verweigert seine Einstimmung und vertieft so die Problemstellung. Wie in der Malerei eine Bildform entwickelt wurde, die den Betrachter selbst in das Bild versetzt ("Der Betrachter ist im Bilde"), so realisieren philosophische Dialoge die kritische Teilnahme schon im Werk selbst. Für den wirklichen Leser entsteht damit eine neue, manchmal verwirrend schwierige Aufgabe, die Platon dadurch noch labyrinthischer gestaltet, daß er Sokrates zuweilen haltlose Thesen gegen überforderte Dialogpartner aufstellen läßt.

Die Kultur des Dialogs hat sich von Platon her ausgebreitet und im achtzehnten Jahrhundert ihren vorerst letzten Höhepunkt gefunden; hierbei wurden die Grundmuster oft variiert, wobei der Typ des römischen und italienischen Villendialogs besonders erfolgreich war, in dem sich philosophisch gebildete Redner, Philosophen und Politiker zur Erörterung eines weltanschaulichen Problems treffen und in verteilten Rollen bestimmte Schulmeinungen miteinander konfrontieren.

In Vittorio Hösle neuem Buch "Der philosophische Dialog" ist Platon die Hauptfigur, daneben treten Cicero, Hume und Diderot als wichtigste Autoren auf und dann zahlreiche andere Dialog-Philosophen von Aristoteles bis Paul Feyerabend. Die Untersuchung ist klassisch in vier Teile gegliedert; auf eine ausführliche Einleitung folgen die Darstellung der Entstehungsbedingungen von Dialogen, sodann der längste Teil, die inneren Strukturen in den verschiedenen Dialogen unter dem Titel "Das Universum des philosophischen Dialogs", und am Schluß dessen Rezeption.

Das Ziel ist einmal die historische Präsentation der großen Dialogkultur in der europäischen Philosophie, zum anderen die Herausarbeitung von, wie Hösle sie nennt, allgemeinen Kategorien wie Intersubjektivität und Subjektivität. Vielleicht sollte man eher von Gesichtspunkten sprechen, die sich durchgängig bei der Analyse der Dialoge bewähren und die der Leser erfolgreich bei seinen eigenen Dialog-Entdeckungen anwenden wird.

Es ist eine Doppelaufgabe, die Hösle sich stellt: Einerseits werden die literarischen Formen und Filiationen aufgedeckt, andererseits die philosophischen kontrastierenden Argumente entwickelt. Hösle ist sich der Spannung, die in dieser Dualität liegt, bewußt und sucht sie zu bewältigen, indem er die jeweils anstehende Aufgabe genau ankündigt. Aber die Spannung liegt noch tiefer und treibt an die Grenze des Unternehmens: Die philosophischen Inhalte für sich sind in den erörterten Schriften zwar kontrastiv und dialogisch organisiert, sie können jedoch aus dem dialogischen Kontext gelöst und für sich behandelt werden. Genau dies liegt faktisch vor, wenn Argumente herausgestellt und auf ihren außerdialogischen Ursprung hin eruiert und in der Rezeption bis zur neuesten Sekundärliteratur verfolgt werden. Hier gerät die Erörterung konsequent aus dem Dialogthema in ein allgemein philosophisches, das sich in unterschiedlichen literarischen Formen darstellen läßt.

"Das Universum des philosophischen Dialogs" teilt die Erörterung in verschiedene Segmente; es gibt einzelne Dialoge und Dialoggruppen, sie unterscheiden sich nach dem realen oder nur möglichen Status einer eigenen Welt, sodann den Raum des Gesprächs, der öffentlich oder privat sein kann, da gibt es den Markt, das Gericht, die Villa, die Bibliothek, die Unterwelt; sodann die Zeit des Gesprächs, die der Autor wie bei Bühnenstücken wählt, die Zahl der Teilnehmer, die vom Selbstgespräch über das Zwiegespräch zu einer Vielzahl von Dialogpartnern führt, die Anfangs- und Ausgangssituation und das Ziel des Werkes. Die jeweiligen Gesichtspunkte werden exemplarisch vorgeführt, immer detailfreudig und akribisch im Kontakt mit der neuesten Forschung.

So sind wahrhafte Monographien zu den obengenannten vier Hauptautoren entstanden; erstaunlich sind die ausführlichen Darlegungen der Dialoge Diderots, weil Diderot im Gegensatz zu dem mit ihm ursprünglich befreundeten Rousseau kaum eine Chance hat, zu den Klassikern der Philosophie zu zählen. Kant hat ihn wenig geschätzt, und in den Werken finden sich zwar stimulierende Gedanken, aber kaum philosophische Begründungen. Es werden in ihnen materialistische Thesen aufgestellt, ohne daß Diderot sich den Schwierigkeiten einer derartigen Position zu stellen wüßte. Man wird seine Stärke eher in der Anthropologie und Psychologie sehen als in der Philosophie, aber hier stimmt Hösle auch sicher zu, der einen der Diderot-Exkurse mit einer entsprechenden Bemerkung schließt.

Das Buch ist gut geschrieben und wird niemals pedantisch, beweist philologischen Enthusiasmus und intime Kenntnis der Zusammenhänge auf dem gesamten Gebiet, das diese Monographie abschreitet. Der Verlag hat es zugelassen, Texte der europäischen Hauptsprachen im Original zu zitieren. Das ist löblich. Weniger löblich ist, daß meist keine Übersetzung beigefügt ist. Geht man so auf Leserfang? Nein, so sicher nicht. Wohl aber so: Zwei präzise Indices zu den Namen und den zitierten Stellen erschließen das Werk für das rasche Auffinden von Gedanken, an die man sich ungefähr, aber nicht mehr genau erinnert. Eine Maßnahme, die dialogfroh stimmt.

REINHARD BRANDT

Vittorio Hösle: "Der philosophische Dialog". Eine Poetik und Hermeneutik. Verlag C.H. Beck, München 2006. 480 S., geb., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.07.2006

Am Ende der Unterredung kommen die Löwen
Hier soll Wahrheit sein: Vittorio Hösle sucht Beglückung im philosophischen Dialog
Hier spricht Schopenhauer: „Zu unserer eigenen, ernstlichen Meditation und innigen Betrachtung der Dinge verhält sich das Gespräch mit einem Andern über dieselben wie eine Maschine zu einem lebendigen Organismus . . . Nur sich selbst versteht man nämlich ganz; Andere nur halb . . . Daher werden tiefe, philosophische Wahrheiten wohl nie auf dem Wege des gemeinschaftlichen Denkens, im Dialog, zu Tage gefördert werden.”
In unserer Zeit, in der alle über alles erst mal reden wollen, hat solch subjektive Miesepetrigkeit zunächst etwas willkommen Erfrischendes. Man mag sich ihr zur Erholung gern eine Zeitlang hingeben. Aber natürlich hat Schopenhauer nicht Recht. Oder allerhöchstens nur halb. So sehr es eine notwendige Disziplin des Denkens gibt, die dem Einzelnen nicht abgenommen werden kann, und so sehr das neuzeitliche Denken und Schreiben nur dann zu bleibenden Ergebnissen gekommen ist, wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt das Gespräch abgebrochen hat, zugunsten des Monologs am Schreibtisch: Die Alltagsweisheit des intellektuellen Lebens und die Weltweisheit in der Geschichte demonstrieren gleichwohl, dass im Fortgang des Austauschs mehr oder minder kluger Menschen ein Gewinn an Einsicht entsteht, der einsam nicht oder nur mit Mühe produziert werden kann.
Das ist eine schrittweise Näherung an die Wahrheit, die sich der Kritik und Aufmunterung, der Konkurrenz und Belehrung verdankt. Man schaue sich die Dialoge an, die zwar von Einzelnen geschrieben, aber doch literarische Abbilder solcher Gespräche sind, bei Platon oder den französischen Aufklärern - hier findet man das Gespräch gerade nicht maschinell, sondern als eben jenen „lebendigen Organismus”, den Schopenhauer ihm spielverderbend abspricht.
Wenn das aber so ist: Warum schreiben dann die Philosophen, mit kleinsten Ausnahmen, keine Dialoge mehr? Vittorio Hösle jedenfalls, der einst ein Wunderkind der deutschen akademischen Philosophie war und jetzt mit 46 Jahren an der University of Notre Dame in Indiana lehrt, nimmt Schopenhauers Einstellung als Beispiel für die Krise des philosophischen Dialogs seit dem 19. Jahrhundert. Schuld daran, so Hösle im historischen Kapitel seines neuen Buches, waren die wachsenden Zweifel an einer gemeinsam ermittelbaren Wahrheit - Zweifel, die uns zum Verdruss des Autors noch heute heimsuchen - und der „Triumph der romantischen Subjektivität”.
Hierher gehören etwa Kierkegaard, der das Scheitern der Kommunikation zum Thema machte, so auch in seinem Dialog „In Vino Veritas”, und Friedrich Schlegels „Gespräch über Poesie”, das nur noch aus dem Vortrag vorbereiteter Reden besteht.
Doch schon vorher gab es ein Auf und Ab des philosophischen Dialogs. Nach Platon, dem ewigen Vorbild des Genres, kommen in der Antike Aristoteles - er trat in seinen heute verlorenen Dialogen, anders als sein Lehrer, selbst als Gesprächspartner auf - und die hellenistischen Villengespräche Ciceros. In Spätantike und Mittelalter geht es weiter, unter anderem mit den Autoren Augustin, Anselm, Llull, Cusanus und Abaelard. In der Renaissance, als Carlo Sigonio und Torquato Tasso theoretische Werke über die Kunst des Dialogs schrieben, nahm er einen Aufschwung bis zum 18. Jahrhundert. Als einen der Gründe macht Hösle die Flucht vor der Zensur aus: Im Dialog kann man Thesen vorführen, für die man als Autor nicht einstehen muss.
Zwischendurch gibt es im 17. Jahrhundert, zur Zeit der großen Entwürfe, einen gewissen Niedergang der Form, denn „der Geist des Systems ist nicht leicht mit demjenigen des Dialogs zu verbinden”. Schön akzentuiert Hösle, wie extrem undialogisch Descartes’ Meditationen sowohl gedacht als auch ausgeführt sind. Und doch haben Hobbes, Malebranche und Leibniz auch Dialoge hinterlassen. In der Aufklärung kommt es zur Wiederbelebung, bei Diderot oder bei David Hume, der den hübschen Merkspruch prägt, der philosophische Dialog verbinde „die zwei größten und reinsten Freuden des menschlichen Lebens, Wissenschaft und Geselligkeit” („study and society”). Anders hält es Immanuel Kant, in dessen Charakter als Verfasser sich Hösle folgendermaßen einfühlt: „Für jemanden, der die Lüge für kategorisch verboten hält, wäre vermutlich selbst die temporäre Verstellung unerträglich gewesen, die ein Schriftsteller auf sich nimmt, wenn er als ein anderer spricht.”
Von einander lernen wollen
Nur 45 Seiten, ein Zehntel des Textes, nimmt dieses Kapitel über die Geschichte des philosophischen Dialogs ein; und wenn es auch viele interessante Beobachtungen enthält, so zeigt es zugleich, was Hösle nicht leistet: Eine Engführung von Geistesgeschichte, Schrifttum und gesellschaftlichem Wandel kommt nicht zustande. Zwar mag man sich füglich hüten, die Texte der Philosophie allzu direkt mit den äußeren Bedingungen zu verzahnen, denen die Eliten ihrer Zeit sich zu stellen hatten - aber ein wenig Verknüpfung mit den gleichzeitigen Umbrüchen von Politik und Öffentlichkeit hätte man sich schon gewünscht.
Ist nicht die geschwundene Popularität des philosophischen Dialogs, bei aller Eigenbewegung der Geistesgeschichte, auch durch den Wegfall einer vorbürgerlichen, vorindustriellen Begrenzung zu erklären? Und ist nicht auch eine Abkehr von der Tradition im Spiel, wenn man nicht mehr mit dem platonischen Format nachahmend in Konkurrenz treten will?
Hösle formuliert selbst ein Ideal: „Nur in universalistischen Kulturen, die einem meritokratischen Aristokratismus Platz gewähren und in denen ausgewählte Menschen einander dadurch Respekt erweisen, dass sie voneinander zu lernen suchen, wird gehaltvolles Gespräch aufblühen.” Welche unheilbaren Verletzungen jedoch die Dynamik der Moderne jenem Ideal zugefügt hat, scheint der Autor zu übersehen - sonst würde er nicht mit einer gewissen Naivität in seinem Vorwort die Hoffnung ausdrücken, dass er mit diesem Buch „neue Formen dieses Genres inspirieren” möchte.
Es ist wohl die ungeheure Belesenheit des Verfassers - von welcher der Leser in diesem Buch viele schöne Früchte genießt -, die ihn die Perspektive einnehmen lässt, er stehe mit den Großen der Philosophie in einem überzeitlichen Gespräch. Jedenfalls will der Rest des Buches, wie sein Untertitel anzeigt, nicht von Entwicklungen erzählen, nicht von Epochen und Umständen. Was man stattdessen bekommt, ist eine Mischung aus literarischer Typologie des philosophischen Dialogs und eingearbeiteten systematischen Bemerkungen zum theoretischen Gehalt seiner Manifestationen.
Das funktioniert so, dass Hösle in drei Hauptteilen zur „Produktion”, zum „Universum” und zur „Rezeption des philosophischen Dialogs” verschiedene Beschreibungskriterien durchgeht und an den vielfältigen Texten veranschaulicht. Immer wieder wird dabei plausibel gemacht, wie eng Ästhetik und Systematik, Schriftstellersein und Denkersein in der Philosophiegeschichte zusammenhängen, gerade bei Dialogen.
Da werden direkte und erzählte Dialoge unterschieden (schon bei Platon gibt es beides) oder ihr variierender Realismus. So haben manche Dialoge nicht mehrere Menschen, sondern personifizierte Abstrakta als Gesprächspartner, wie die Philosophie in Boethius’ „Trost der Philosophie”, oder eine halbreale Spiegelung des Selbst - in Fichtes „Bestimmung des Menschen” ist es „Der Geist”, in Augustins „Soliloquia” die Ratio, und in Rousseaus „Rousseau juge de Jean-Jacques” gibt es eine regelrechte Persönlichkeitsspaltung.
Man erfährt hier auch, dass Giacomo Leopardi einen „Dialogo della natura e di un islandese” geschrieben hat, in dem die Unbeugsamkeit der Natur gegenüber dem Menschen diskutiert und am Ende der Isländer von Löwen aufgefressen wird. Andere Abschnitte gelten dem „Raum”, der „Zeit”, den „Ausgangsbedingungen”, dem „Ziel”, der „Ethik” oder der „Logik des Gesprächs”. Besonders unter den drei letztgenannten Überschriften schlägt das Beharren des Autors auf der wechselseitigen Unterstellung von Vernunft und auf der Nützlichkeit von Kategorien bei der Suche nach der Wahrheit durch; seine Gegnerschaft zu postmodernem Irrationalismus hat Hösle auch in früheren Arbeiten zum Ausdruck gebracht.
So ist es mehr als Beschreibung, wenn Sätze wie diese fallen: „Ziel einer guten Unterredung ist . . . die gemeinsame Erkenntnis der Wahrheit. Wo dieser Zweck aufgegeben wird, werden Gespräche pathologisch und der andere unweigerlich zum Objekt.” - „Wer nicht den ernsthaften Willen hat, konsistent zu sein, ist kein interessanter Gesprächspartner.”
Eine Beleidigung der Intelligenz
Dieser Wahrheitstrieb Vittorio Hösles führt unweigerlich auf die Deutung des nach wie vor wichtigsten Dialog-Corpus, nämlich der Schriften Platons. Es ist eine Kernfrage der Platon-Interpretation, ob die Dialogform und die Aporien der frühen Dialoge einen Verzicht auf dogmatische Festlegung bedeuten; diese Sichtweise hat eine lange Tradition, die in den letzten Jahrzehnten durch die literaturtheoretische Betonung der „Offenheit” der Texte verlängert worden ist. Davon hält Hösle, ein Bewunderer Platons und Anhänger der so genannten Tübinger Schule der „ungeschriebenen Lehre”, überhaupt nichts: „Jemanden wie Platon von allen Wahrheitsansprüchen ,befreien‘ zu wollen ist eine Beleidigung seiner Intelligenz.” Trotz aller „außerordentlichen literarischen Leistung” dürfe man in den veröffentlichten Texten, so die Warnung der Schriftkritik im „Phaidros”, nicht „das Zentrum seiner philosophischen Existenz” erkennen.
Von einem gelungenen philosophischen Dialog wird uns „ein besonders intensives und beglückendes Erleben philosophischer Wahrheit ermöglicht”, schreibt Vittorio Hösle. Er hat darüber ein reiches und gelehrtes Buch verfasst, aber besagtes Glück wird darin seltener erfahren, als es aus dem Einzelnen extrapoliert werden muss. Das Buch ist an Ort und Stelle immer so voll, dass ihm der rhetorische Zug nach vorn fehlt. Aber macht es nicht in jedem Fall Lust auf die Lektüre der wunderbaren Texte, von denen es handelt? Doch, Sokrates, beim Zeus, gar sehr.
JOHAN SCHLOEMANN
VITTORIO HÖSLE: Der philosophische Dialog. Eine Poetik und Hermeneutik. Verlag C. H. Beck, München 2006. 494 Seiten, 34,90 Euro.
Der Wahrheit bis zuletzt verpflichtet: Jacques-Louis David: Der Tod des Sokrates. 1787.
Francis G. Mayer/CORBIS
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Vittorio Hösles Studie brilliere nicht nur mit Sachkenntnis, freut sich Rezensent Reinhard Brandt, sie zeige darüber hinaus "philologischen Enthusiasmus" und sei nicht zuletzt gut geschrieben. En passant habe der Autor auch veritable Monografien zu seinen vier Hauptphilosophen Platon, Cicero, Hume und Diderot geschrieben. Bemerkenswert in dieser Galerie, meint der Rezensent, sei einzig Diderot, da er eher als Anthropologe denn als Philosoph von Interesse sei. Aus einer Bemerkung des Autors könne man allerdings auf eine gleichartige Einschätzung schließen. Im Übrigen bewege sich Vittorio Hösle immer auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Großes Lob erhalten Autor und Verlag für viele Zitate in den Originalsprachen, die wiederum leider oft nicht übersetzt seien. Zu guter letzt erwähnt der Rezensent noch die beiden überaus hilfreichen und genauen Register zu Personen und Quellen.

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