Die Verehrung Józef Piłsudskis († 1935) erlebte unter dem Einfluß der Solidarność seit den 1980er Jahren eine derartige Renaissance, daß der erste Marschall Polens noch immer einen zentralen Platz im historischen Bewußtsein vieler Polen einnimmt. Die Wurzeln hierfür liegen im Piłsudski-Kult zwischen 1926 und 1939, der nicht nur die Essenz der Ideologie des herrschenden Regimes der Sanacja bildete, sondern dadurch auch zu einem zentralen Element der politischen Kultur der Zweiten Republik wurde. Im Mittelpunkt dieser Studie, die auf einschlägigen Archivmaterialien aus Polen und den USA basiert, steht - nach einer einleitenden Erörterung des Kult-Begriffs auf theoretischer Ebene und einer biographischen Skizze Piłsudskis - die Analyse der Entwicklung und Ausprägung des Piłsudski-Kultes mit seinen Komponenten Mythos, Rituale und Symbole. Dabei werden zunächst der Ablauf der Begräbnisfeierlichkeiten als Auftakt des Totenkultes und die vollkommene Institutionalisierung der Verehrung durch das Oberste Gedächtniskomitee nachvollzogen, danach die Vermittlungsformen - Historiographie und Publizistik, Bildungswesen, politische Symbole, Denkmäler und Feiern - sowie die Elemente des Mythos erörtert und die wichtigsten Förderer des Kultes vorgestellt. Im Anschluß daran werden die Charakteristika und Funktionen dieses Kultes untersucht und - auf der Grundlage typologischer Überlegungen - der Versuch einer Einordnung in den Kontext anderer politischer Kulte unternommen. Abschließend wird die Rezeptionsgeschichte des Kultes kurz skizziert. Insgesamt wird deutlich, daß der Piłsudski-Kult zwischen 1926 und 1939 der Selbstdarstellung des Staates nach innen und außen diente, woraus sich weitere, vor allem legitimatorische, identitätsstiftende und integrative Funktionen für den polnischen Staat ergaben.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Weit holt der Rezensent Helmut Altrichter aus, bis zu Jan (den er Arno nennt) Assmanns Theorien zum "kulturellen Gedächtnis", um sich dann langsam dem Gegenstand der Autorin, dem polnischen General Jozef Pilsudski, zu nähern - der eben, als Mythos" eines Staatsgründungs-Heros, vielfach in Anspruch genommen wird. Pilsudskis Bedeutung für die polnische Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg zeichnet er nach, nicht ohne seinen laxen Umgang mit demokratischen Grundsätzen zu erwähnen. Der Kult setzte, so Altrichter, bereits zu Lebzeiten ein, fand mit seinem Tod einen ersten Höhepunkt, ein "Gedächtniskomitee" sorgte für die Aufstellung hunderter Denkmäler, die Anbringung von Gedenktafeln. Schwer ist zu sagen, was der Rezensent direkt aus dem Buch referiert, was er selbst dazutut. Über das Buch ist seine Meinung klar geteilt: er lobt es als "wahre Fundgrube", beklagt aber einen Mangel an Präzision und Argumentationsschärfe.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH