Lorenzo de Medici (1449-1492) ist wohl das berühmteste Mitglied der florentinischen Bankiersfamilie - als »der Prächtige« ist er in die Geschichte eingegangen. In enger Anlehnung an die historischen Quellen und auf der Basis der neuesten Forschungen entwirft Ingeborg Walter ein Bild jener Zeit und läßt über die Person Lorenzo de Medici hinaus die Lebensform und Mentalität der italienischen Renaissance lebendig werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2003Florenz war nur mit Sensationen zu regieren
Sinnliche Geschichten, wunderbar neu erzählt: Ingeborg Walter inszeniert Lorenzo de'Medici
Mitunter ziert sein Porträt die Umschläge von Machiavelli-Ausgaben: lauernde schmale Augen über einer eingedrückten Nase und einem mächtigen Kinn - eine "abstoßende, verkniffene Verbrecherphysiognomie", fand Aby Warburg. Sonst lernt man Lorenzo de'Medici kennen, wenn man in Florenz den Reiseführer aufschlägt: vor dem Palazzo Medici, von dem aus er die Republik dreiundzwanzig Jahre lang, bis zu seinem Tod 1492, als ungekrönter Fürst regierte; vor Gozzolis grandiosem Fresko in der Hauskapelle, das den Zehnjährigen im Zug der Heiligen Drei Könige zeigt; vor der Sakristeitüre im Dom, hinter die er sich am 26. April 1478 retten konnte, während sein Bruder mitten in der Messe dem Mordanschlag der Pazzi zum Opfer fiel; vor der Pazzi-Kapelle neben Santo Croce, die kein Grab enthält, weil er daraufhin alle Mitglieder der feindlichen Familie vertreiben oder hinrichten ließ; vor Kunstwerken in den Uffizien und im Bargello, die er anregte; vor Ghirlandaios Humanistenporträts in Santa Maria Novella oder dem Fresko in Santa Trinita, auf dem der gleiche Meister ihn und seine Familie dargestellt hat - im Auftrag jenes Sassetti, der die Medici-Bank skrupellos herunterwirtschaftete. Schließlich vor dem Kloster San Marco, von dem aus Savonarola den Sturz des Medici-Regimes predigte, und in der Grabkapelle jener Kirche, die Lorenzos Namen trägt.
Wer diesen Namen hört, denkt nicht an Politik und Parteien, sondern an schöne Orte und beglückende Bilder, an eine Kunst, deren überragende Qualität Fragen nach ihrem "historischen Hintergrund" sonderbar belanglos scheinen läßt. Ingeborg Walter erklärt diesen Effekt als Erfolg politischen Kalküls. Gezielt mußte sich Lorenzo de'Medici zur Kunst-Figur stilisieren, um die Republik regieren zu können. Nur dann, so wußte der Kaufmannssohn, würden seine Mitbürger seine usurpierte Macht ertragen, wenn er sie überzeugen könne, daß er sie weder besitze noch erstrebe, daß er seinen Reichtum vielmehr allein dem Ruhm der Stadt und der Ehre ihrer Bewohner opfere. Und so stiftete, baute, inszenierte er, wirkte er als Patron der Musen, wurde er zu einem Virtuosen in der Kunst, politische Ambitionen in ästhetischen Sensationen zu verbergen. Doch eben weil seine Strategie so gut gelang, ruinierte sie ihn.
Denn zu Lorenzos Zeit sank die Konjunktur, stiegen die Not und die Spannungen in der Stadt dramatisch an. Je besser es ihm glückte, die wachsende Zahl seiner inneren Gegner durch populistisch-mafiotische Manöver von der Herrschaft fernzuhalten, desto exklusiver konnte man ihm die Schuld an der allgemeinen Misere anlasten und desto mehr wuchs der Haß auf die Pracht, die den Neid gerade beschwichtigen sollte. Als Savonarola, Lorenzos Schützling, die Florentiner zur Buße aufrief, entzündeten sie Scheiterhaufen aus jenen Kunstwerken, die zum Symbol der Medici-Herrschaft geworden waren.
Oft genug ist diese Geschichte erzählt worden - mit ästhetischem Pathos oder in nüchternem Kennerton, meist im Rahmen allgemeiner Darstellungen zur Renaissance, zu Florenz oder zur Familie Medici, seit 1933 fast nur noch in englischer Sprache. In Ingeborg Walters Version jedoch klingt sie wie neu. Das liegt nicht nur an der profunden, stets dezent dissimulierenden Gelehrsamkeit, mit der die Verfasserin jede Station und jede Sphäre des Lebens ihres Helden mit aktuellen Forschungserträgen über zeitgenössische Klientelnetze, Festkultur, Frauenrollen oder Erziehungsmethoden aufhellt. Fast mehr noch begeistert ihre sprachliche Meisterschaft. Weder dramatisiert noch idealisiert sie ihr Thema. Nüchtern zeigt sie vielmehr, wie die meisten Unternehmungen und Projekte, die il Magnifico in Angriff nahm, mißlangen. Seine Entlassungen und Filialschließungen hielten den Verfall der Familienbank nicht auf. Seine politischen Heiraten (die eigene wie die seiner Kinder) waren viel zu teuer bezahlt, sein Krieg gegen den Papst dilettantisch geführt und der Frieden, den er 1480 durch seine berühmte einsame Reise in die Höhle des Löwen, des Königs von Neapel, erwirkte, eine Demütigung für Florenz.
Die auswärtigen Bündnisse, die seine politische Macht sichern sollten, fraßen deren finanzielle Basis auf. Denn natürlich zahlten seine Partner die üppigen Kredite, mit denen er sie köderte, nie zurück. Obwohl (oder weil?) er seinen Ältesten von den besten Humanisten seiner Zeit erziehen ließ, verspielte dieser sein politisches Erbe binnen zweier Jahre und mußte 1494 bei Nacht und Nebel aus der Stadt fliehen. Nur der Kardinalshut, den Lorenzo 1489 für seinen Zweitgeborenen erlangte, war ein nachhaltiger Erfolg. Als Papst Leo X. gelang es Giovanni de'Medici später, die erloschene Größe seines Hauses neu zu begründen.
Diese Mißerfolge aber beschreibt Ingeborg Walter in einer Sprache von betörender Eleganz. So wie ihr Held die Gefährdungen seiner Herrschaft durch ästhetische Symbole der Ewigkeit überspielte, schildert sie sein riskantes, rastloses und letztlich sonderbar glückarmes Leben in einer makellos geformten, klassisch hellen Sprache. Sie analysiert den Mythos Lorenzo de'Medici, indem sie ihn stilistisch inszeniert. Diese diskrete Virtuosität macht ihr Buch - wie das Leben des Lorenzo de'Medici - zum Kunstwerk. Man muß bis zu Iris Origo zurückgehen - einer Wahlitalienerin wie die Verfasserin auch -, um Renaissancebiographien von ähnlicher Stilsicherheit und ähnlicher Anregungskraft zu finden.
Auch den Verlag hat dieser Text sichtbar inspiriert. Wer den grünen Leinenband in dem prächtigen Umschlag in der Hand hält und die perfekt wie von Aldus gesetzten Seiten durchblättert, weiß wieder, was Buchkunst ist. Er wagt wieder zu lachen über all das Gerede vom Ende des gedruckten Buches. Lesen nämlich - das wußten Lorenzo und seine Zeitgenossen besser als wir - ist zuerst und zuletzt eine Sache der Sinnlichkeit.
GERRIT WALTHER
Ingeborg Walter: "Der Prächtige". Lorenzo de'Medici und seine Zeit. Verlag C. H. Beck, München 2003. 336 S., 28 Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Sinnliche Geschichten, wunderbar neu erzählt: Ingeborg Walter inszeniert Lorenzo de'Medici
Mitunter ziert sein Porträt die Umschläge von Machiavelli-Ausgaben: lauernde schmale Augen über einer eingedrückten Nase und einem mächtigen Kinn - eine "abstoßende, verkniffene Verbrecherphysiognomie", fand Aby Warburg. Sonst lernt man Lorenzo de'Medici kennen, wenn man in Florenz den Reiseführer aufschlägt: vor dem Palazzo Medici, von dem aus er die Republik dreiundzwanzig Jahre lang, bis zu seinem Tod 1492, als ungekrönter Fürst regierte; vor Gozzolis grandiosem Fresko in der Hauskapelle, das den Zehnjährigen im Zug der Heiligen Drei Könige zeigt; vor der Sakristeitüre im Dom, hinter die er sich am 26. April 1478 retten konnte, während sein Bruder mitten in der Messe dem Mordanschlag der Pazzi zum Opfer fiel; vor der Pazzi-Kapelle neben Santo Croce, die kein Grab enthält, weil er daraufhin alle Mitglieder der feindlichen Familie vertreiben oder hinrichten ließ; vor Kunstwerken in den Uffizien und im Bargello, die er anregte; vor Ghirlandaios Humanistenporträts in Santa Maria Novella oder dem Fresko in Santa Trinita, auf dem der gleiche Meister ihn und seine Familie dargestellt hat - im Auftrag jenes Sassetti, der die Medici-Bank skrupellos herunterwirtschaftete. Schließlich vor dem Kloster San Marco, von dem aus Savonarola den Sturz des Medici-Regimes predigte, und in der Grabkapelle jener Kirche, die Lorenzos Namen trägt.
Wer diesen Namen hört, denkt nicht an Politik und Parteien, sondern an schöne Orte und beglückende Bilder, an eine Kunst, deren überragende Qualität Fragen nach ihrem "historischen Hintergrund" sonderbar belanglos scheinen läßt. Ingeborg Walter erklärt diesen Effekt als Erfolg politischen Kalküls. Gezielt mußte sich Lorenzo de'Medici zur Kunst-Figur stilisieren, um die Republik regieren zu können. Nur dann, so wußte der Kaufmannssohn, würden seine Mitbürger seine usurpierte Macht ertragen, wenn er sie überzeugen könne, daß er sie weder besitze noch erstrebe, daß er seinen Reichtum vielmehr allein dem Ruhm der Stadt und der Ehre ihrer Bewohner opfere. Und so stiftete, baute, inszenierte er, wirkte er als Patron der Musen, wurde er zu einem Virtuosen in der Kunst, politische Ambitionen in ästhetischen Sensationen zu verbergen. Doch eben weil seine Strategie so gut gelang, ruinierte sie ihn.
Denn zu Lorenzos Zeit sank die Konjunktur, stiegen die Not und die Spannungen in der Stadt dramatisch an. Je besser es ihm glückte, die wachsende Zahl seiner inneren Gegner durch populistisch-mafiotische Manöver von der Herrschaft fernzuhalten, desto exklusiver konnte man ihm die Schuld an der allgemeinen Misere anlasten und desto mehr wuchs der Haß auf die Pracht, die den Neid gerade beschwichtigen sollte. Als Savonarola, Lorenzos Schützling, die Florentiner zur Buße aufrief, entzündeten sie Scheiterhaufen aus jenen Kunstwerken, die zum Symbol der Medici-Herrschaft geworden waren.
Oft genug ist diese Geschichte erzählt worden - mit ästhetischem Pathos oder in nüchternem Kennerton, meist im Rahmen allgemeiner Darstellungen zur Renaissance, zu Florenz oder zur Familie Medici, seit 1933 fast nur noch in englischer Sprache. In Ingeborg Walters Version jedoch klingt sie wie neu. Das liegt nicht nur an der profunden, stets dezent dissimulierenden Gelehrsamkeit, mit der die Verfasserin jede Station und jede Sphäre des Lebens ihres Helden mit aktuellen Forschungserträgen über zeitgenössische Klientelnetze, Festkultur, Frauenrollen oder Erziehungsmethoden aufhellt. Fast mehr noch begeistert ihre sprachliche Meisterschaft. Weder dramatisiert noch idealisiert sie ihr Thema. Nüchtern zeigt sie vielmehr, wie die meisten Unternehmungen und Projekte, die il Magnifico in Angriff nahm, mißlangen. Seine Entlassungen und Filialschließungen hielten den Verfall der Familienbank nicht auf. Seine politischen Heiraten (die eigene wie die seiner Kinder) waren viel zu teuer bezahlt, sein Krieg gegen den Papst dilettantisch geführt und der Frieden, den er 1480 durch seine berühmte einsame Reise in die Höhle des Löwen, des Königs von Neapel, erwirkte, eine Demütigung für Florenz.
Die auswärtigen Bündnisse, die seine politische Macht sichern sollten, fraßen deren finanzielle Basis auf. Denn natürlich zahlten seine Partner die üppigen Kredite, mit denen er sie köderte, nie zurück. Obwohl (oder weil?) er seinen Ältesten von den besten Humanisten seiner Zeit erziehen ließ, verspielte dieser sein politisches Erbe binnen zweier Jahre und mußte 1494 bei Nacht und Nebel aus der Stadt fliehen. Nur der Kardinalshut, den Lorenzo 1489 für seinen Zweitgeborenen erlangte, war ein nachhaltiger Erfolg. Als Papst Leo X. gelang es Giovanni de'Medici später, die erloschene Größe seines Hauses neu zu begründen.
Diese Mißerfolge aber beschreibt Ingeborg Walter in einer Sprache von betörender Eleganz. So wie ihr Held die Gefährdungen seiner Herrschaft durch ästhetische Symbole der Ewigkeit überspielte, schildert sie sein riskantes, rastloses und letztlich sonderbar glückarmes Leben in einer makellos geformten, klassisch hellen Sprache. Sie analysiert den Mythos Lorenzo de'Medici, indem sie ihn stilistisch inszeniert. Diese diskrete Virtuosität macht ihr Buch - wie das Leben des Lorenzo de'Medici - zum Kunstwerk. Man muß bis zu Iris Origo zurückgehen - einer Wahlitalienerin wie die Verfasserin auch -, um Renaissancebiographien von ähnlicher Stilsicherheit und ähnlicher Anregungskraft zu finden.
Auch den Verlag hat dieser Text sichtbar inspiriert. Wer den grünen Leinenband in dem prächtigen Umschlag in der Hand hält und die perfekt wie von Aldus gesetzten Seiten durchblättert, weiß wieder, was Buchkunst ist. Er wagt wieder zu lachen über all das Gerede vom Ende des gedruckten Buches. Lesen nämlich - das wußten Lorenzo und seine Zeitgenossen besser als wir - ist zuerst und zuletzt eine Sache der Sinnlichkeit.
GERRIT WALTHER
Ingeborg Walter: "Der Prächtige". Lorenzo de'Medici und seine Zeit. Verlag C. H. Beck, München 2003. 336 S., 28 Abb., geb., 24,90 [Euro].
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