DIE ERSTE UMFASSENDE GLOBALGESCHICHTE DES KAPITALISMUS
Der Kapitalismus hat in den letzten 500 Jahren eine Welt hervorgebracht, die ökonomisch hochgradig verflochten ist und zugleich hochgradig asymmetrisch. In seiner brillanten Globalgeschichte des Kapitalismus schildert der renommierte Historiker Friedrich Lenger diese Entwicklungen, die von den Indigenen Amerikas bis zu den bengalischen Seidenwebern niemanden unberührt ließen. Diese Geschichte handelt von wachsendem Wohlstand und krasser Armut, von Unfreiheit und Gewalt und der Gefährdung unseres Planeten, für die wir heute den Preis zahlen.
Bestechend luzide und mit stupenden Kenntnissen erzählt Friedrich Lenger in diesem Buch vom globalen Siegeszug des Kapitalismus. Er erklärt seine Dynamik, die immer nur von außen begrenzt wurde, seine Krisen und die Ungleichheiten, die er in den vergangenen 500 Jahren produziert hat. Dazu gehören auch der ungleiche Verbrauch fossiler Ressourcen sowie Umweltzerstörungen, diein den Regionen dieser Welt sehr unterschiedlich zu spüren sind. Und so gleichgültig sich Handels- und Industriekapitalisten gegenüber der Natur erwiesen, so gleichgültig waren sie gegenüber menschlichem Leid. Millionen von Sklaven, die bis tief ins 19. Jahrhundert hinein auf den Plantagen Amerikas arbeiteten, sind nur ein Beispiel für die Vereinbarkeit von unfreier Arbeit und kapitalistischer Wirtschaft. Dieses Buch muss lesen, wer die Welt von heute und die Probleme verstehen will, von deren Lösung unsere Existenz abhängt.
Jenseits des Eurozentrismus: Die erste umfassende Globalgeschichte des Kapitalismus
Eine Geschichte von Ungleichheit, Unfreiheit und der Gefährdung unseres Planeten Analytisch brillant - ein Meisterwerk Wer die heutige Welt verstehen will, der lese dieses Buch
Der Kapitalismus hat in den letzten 500 Jahren eine Welt hervorgebracht, die ökonomisch hochgradig verflochten ist und zugleich hochgradig asymmetrisch. In seiner brillanten Globalgeschichte des Kapitalismus schildert der renommierte Historiker Friedrich Lenger diese Entwicklungen, die von den Indigenen Amerikas bis zu den bengalischen Seidenwebern niemanden unberührt ließen. Diese Geschichte handelt von wachsendem Wohlstand und krasser Armut, von Unfreiheit und Gewalt und der Gefährdung unseres Planeten, für die wir heute den Preis zahlen.
Bestechend luzide und mit stupenden Kenntnissen erzählt Friedrich Lenger in diesem Buch vom globalen Siegeszug des Kapitalismus. Er erklärt seine Dynamik, die immer nur von außen begrenzt wurde, seine Krisen und die Ungleichheiten, die er in den vergangenen 500 Jahren produziert hat. Dazu gehören auch der ungleiche Verbrauch fossiler Ressourcen sowie Umweltzerstörungen, diein den Regionen dieser Welt sehr unterschiedlich zu spüren sind. Und so gleichgültig sich Handels- und Industriekapitalisten gegenüber der Natur erwiesen, so gleichgültig waren sie gegenüber menschlichem Leid. Millionen von Sklaven, die bis tief ins 19. Jahrhundert hinein auf den Plantagen Amerikas arbeiteten, sind nur ein Beispiel für die Vereinbarkeit von unfreier Arbeit und kapitalistischer Wirtschaft. Dieses Buch muss lesen, wer die Welt von heute und die Probleme verstehen will, von deren Lösung unsere Existenz abhängt.
Jenseits des Eurozentrismus: Die erste umfassende Globalgeschichte des Kapitalismus
Eine Geschichte von Ungleichheit, Unfreiheit und der Gefährdung unseres Planeten Analytisch brillant - ein Meisterwerk Wer die heutige Welt verstehen will, der lese dieses Buch
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Ein überzeugendes Buch über die Verflechtungen des kapitalistischen Systems mit der Klimakrise liest Rezensent Ingo Arend mit diesem Band des Gießener Professors Friedrich Lenger: Während Greta Thunberg beispielsweise eine schnellstmögliche Abschaffung des Kapitalismus fordere, mache Lenger klar, dass das so einfach nicht geht. Er beginnt mit seiner Geschichte dieses Wirtschaftssystems schon im 13. Jahrhundert und macht über die Linien von Vasco da Gama, industrieller Revolution und Imperialismus für Arend deutlich, wie sich die heutige Situation entwickeln konnte. "Akribisch und umfassend" ist diese wenig positive Bilanz, die dem Kritiker aber deutlich macht, wie entscheidend "Zwang und Gewalt" für Entwicklung und Fortbestand des Kapitalismus sind - er kann die Lektüre nur empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2023Mit Marx ist die Sache nicht gegessen
Friedrich Lenger legt eine beeindruckende Globalgeschichte des Kapitalismus vor
Zu den vielen jungen Bands, die sich jahrein, jahraus mühen, den britischen Pop-Olymp zu erklimmen, zählte in den Zweitausenderjahren auch ein Quintett mit dem sperrigen Namen The Strange Death of Liberal England, eine Referenz an den Besteller George Dangerfields aus dem Jahr 1935, in dem der Autor unter anderem Suffragetten und Gewerkschaften für den Abstieg des Empires verantwortlich gemacht hatte. Ob es am Namen lag oder am fehlenden Glück, nach zwei Alben war Schluss. Als finale Fanfare wählte die Band 2010, auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise, eine Abwandlung der elften Feuerbach-These von Marx: "Come on you young philosophers / And show me where your heart is".
Am Herzblut mangelt es den zahlreichen Geschichten über und vom Kapitalismus, die seither entstanden sind, nicht, und der Bekenntniswille kommt oft schon im Titel zum Ausdruck: in der nicht unkritischen und doch bewundernden "Relentless Revolution", die Joyce Appleby im selben Jahr wie die britische Band veröffentlichte, als Marx-Engels-Zitat in Thomas Pikettys "Le Capital au XXIe siècle" von 2013 oder in den "Freaks of Fortune", mit denen der junge amerikanische Historiker Jonathan Levy im folgenden Jahr seine Darstellung des Geschäfts mit dem finanziellen Risiko in den USA überschrieb. Auch die Gesamtdarstellung des emeritierten Frankfurter Wirtschaftshistorikers Werner Plumpe (F.A.Z. vom 24. Juni 2019) verhehlte bei aller bisweilen umständlichen Gelehrtheit nicht, dass es sich im Kern um eine Verteidigungsschrift handelte - wer sich von dem bei Wilhelm Hauff entliehenen Titel "Das Kalte Herz" anderes erhofft hatte, wurde enttäuscht.
Nun wird man weder Plumpe noch den in Gießen lehrenden Historiker und Sombart-Biographen Friedrich Lenger als "young philosophers" bezeichnen wollen. Lenger legt in der Spätphase seiner Karriere ein Großwerk vor, das in mancher Hinsicht wie eine Erwiderung auf den Frankfurter Kollegen wirkt: in seinem merklich globaler angelegten Zuschnitt, in der Rezeption zahlreicher Autorinnen jenseits der üblichen Verdächtigen an europäischen und nordamerikanischen Universitäten, vor allem aber in der akademisch zurückhaltend formulierten, indes nicht weniger grundsätzlichen Kritik an seinem Gegenstand, die in Vorwort und Schlussbetrachtungen vorgetragen wird. Globale Ungleichheit und ökologische Verwüstung erscheinen bei Lenger nicht als Kehrseite einer dank Wohlstandsmehrung glänzenden Medaille, sondern als deren Kennzeichen. Optimistische Lektüre, so viel sei vorweggenommen, bietet der Band daher nicht. Nach über fünfhundert Seiten bleibt der Eindruck, dass das vom amerikanischen Ökonomen Dani Rodrik gezeichnete Trilemma unauflösbar ist: Von den drei zentralen Zielvorgaben unserer Zeit - nationalstaatliche Souveränität, hyperglobalisierte Wirtschaft und demokratischer Anspruch - sind nie mehr als zwei miteinander vereinbar. Schlichte Lösungsvorschläge, wie sie Lenger spöttisch bei Wolfgang Streeck und Ann Pettifor diagnostiziert, haben demnach keine Aussicht, jene historisch begründete "imperiale Lebensweise" reicher Westeuropäer und Nordamerikaner zu beenden, die soziale wie ökologische Kosten an den Rest der Welt weiterreicht.
Wie die Menschheit in dieser Lage gelandet ist, erklärt Lengers weltumspannende Geschichte des Kapitalismus, die eine Zeitspanne von mehr als einem halben Jahrtausend abdeckt und immer wieder zwischen Makro- und Mikroebene, zwischen theoretischer Debatte und konkreten Entwicklungen wechselt. Lenger schlüsselt auf, wie sich aus weit gespannten, frühmodernen Handelsnetzwerken jene globalen Wertschöpfungsketten entwickelten, die heute Schokolade, T-Shirts und Smartphones unter die Konsumenten bringen. Der profitable Gewürzhan-del, den portugiesische und niederländische Händler auf den Molukken betrieben (und dessen Monopol sie mit genozidaler Gewalt gegen die einheimische Banda-Bevölkerung durchsetzten), wird ebenso beschrieben wie die Persistenz unfreier Arbeit und tief verankerte Pfadabhängigkeiten, welche rohstoffextraktive Wirtschaften an das Wohl und Wehe internationaler Marktpreise binden.
Den Ursachen der "great divergence" (Kenneth Pomeranz) zwischen Europa und seinen Siedlerkolonien einerseits und dem Rest der Welt andererseits sowie nicht zuletzt der Frage, wann diese Entwicklung begann (Lenger neigt aufgrund der Verbindung gewerblicher Reallohnentwicklung mit Effizienzanreizen zu einer "Spätdatierung" auf das neunzehnte Jahrhundert), wird ebenso kundig nachgegangen wie dem von Marx bis Appleby diskutierten Punkt, warum gerade England bei der Industrialisierung voranging und im Zusammenspiel mit seinen Kolonien Handels-, Finanz- und politische Machtbeziehungen schuf, die als "Anglo-World" (James Belich) bis in die Gegenwart fortwirken. Lange Linien verbinden die Etablierung der gigantischen niederländischen und britischen Ostindiengesellschaften mit heutigen Riesen à la Walmart, Foxconn und Amazon und werfen ähnliche Fragen nach Souveränität und Arbeitsbeziehungen auf.
Der Gewinn eines solch breiten Zugriffs liegt auf der Hand. Nicht nur fördert Lenger immer wieder überraschende Fakten zutage, etwa die Kombination brutaler Sklavenarbeit mit fortgeschrittener Maschinisierung, welche die Betriebsabläufe auf karibischen Zuckerplantagen im siebzehnten Jahrhundert prägte, oder den Umstand, dass das ölreiche Venezuela noch Ende der 1970er-Jahre ein Pro-Kopf-BIP aufwies, das dem der Bundesrepublik nicht nachstand (wiewohl die Einkommensverteilung deutlich ungleicher war). Der diachrone Blick führt auch zu terminologischer Schärfe, beispielhaft in Lengers überzeugender Erklärung, warum das Etikett der "Sklavenarbeit" an der Vernichtungsabsicht weiter Teile des nationalsozialistischen Zwangsarbeitereinsatzes vorbeigeht. Am moralischen Urteil ändert dies indes wenig: "Mit kapitalistischer Unternehmensführung kompatibel waren beide."
Die weiten Bögen, die Lenger dank stupender Belesenheit schlägt, spiegeln das bewusst breite Verständnis seines Untersuchungsgegenstandes. Einig mit Plumpe darin, dass der "Kapitalismus" als analytische Kategorie aus dem Geiste der marxistischen Kapitalismuskritik geboren wurde, sich aber nicht in dieser erschöpfen kann, sieht Lenger keinen Grund, den Kapitalismus mit seiner industrialisierten Spielart gleichzusetzen. Vielmehr erkennt er in der als Investition artikulierten Zukunftserwartung den kapitalistischen Treibriemen und weiß sich darin einig mit einem Soziologen wie Jens Beckert. Dazu passt, dass im Durchschreiten der Jahrhunderte der Handelskapitalismus als eigentliche Kontinuität der Erzählung hervortritt: immer wieder aufgehalten durch Krisen, heiße und kalte Kriege sowie pandemische Krankheiten, doch letztlich robust und mit ungebrochener Tendenz zu fortschreitender globaler Integration.
Trotz oder gerade wegen der bemerkenswerten Breite der Darstellung bleiben unvermeidlich Leerstellen. Im Wünsch-dir-was des Rezensenten erscheinen vor allem drei Dimensionen unterbelichtet: Zum Ersten überrascht es, wenn weder im Kontext der Niederländischen Ostindien-Kompanie noch der amerikanischen Einflussnahme auf die Ökonomien Zentralamerikas geschildert wird, wie das Völkerrecht dazu beitrug, die Welt - in Cyrus Veesers Paraphrase Woodrow Wilsons - zu einem sicheren Ort für den Kapitalismus zu machen. Zum Zweiten gerät mit der eingangs begründeten Entscheidung gegen "Wachstum" als kategoriale Alternative auch die Wachstumskritik aus dem Blickfeld. Und drittens führt die zu Beginn so prominente Frage nach den ökologischen Folgen kapitalistischer Wirtschaft zu keiner systematischen, auf den ersten vierhundert Seiten gar nur zu einer sporadischen Betrachtung.
An der prinzipiellen Plausibilität der Erzählung gibt es jedoch wenig auszusetzen, zumal Lenger in bester wissenschaftlicher Manier seine Quellen diskutiert. Forschungsdebatten mit teils diametral entgegengesetzten Positionen werden gründlich referiert und eigene Folgerungen vorsichtig abgewogen. Die Bereitschaft, Komplexität mit Nuancierung zu begegnen, hat ihren Preis. Auf beinahe jedes Exempel folgt ein Gegenbeispiel, auf jede allgemeine Aussage eine Qualifizierung; die "dochs", "gleichwohls" und "allerdings" prägen den Text. Hinzu kommt die voraussetzungsreiche Anlage: Wer nicht weiß, welcher Colbert gemeint ist, wenn es um Kolonien im merkantilistischen Paradigma geht, was der ermordete nigerianische Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa mit Shell zu tun hat und was eigentlich ein Monopson ist, wird das Buch zur Seite legen müssen, um selbst nachzuschlagen. Lektüre für zwischendurch ist "Der Preis der Welt" daher nicht, sondern ein Band, der durchgearbeitet werden will. Für eine globale Geschichte des Kapitalismus erscheint dies indes nur billig. KIM CHRISTIAN PRIEMEL
Friedrich Lenger: "Der Preis der Welt." Eine Globalgeschichte des Kapitalismus.
C. H. Beck Verlag, München, 2023. 669 S., Abb., geb.,
38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedrich Lenger legt eine beeindruckende Globalgeschichte des Kapitalismus vor
Zu den vielen jungen Bands, die sich jahrein, jahraus mühen, den britischen Pop-Olymp zu erklimmen, zählte in den Zweitausenderjahren auch ein Quintett mit dem sperrigen Namen The Strange Death of Liberal England, eine Referenz an den Besteller George Dangerfields aus dem Jahr 1935, in dem der Autor unter anderem Suffragetten und Gewerkschaften für den Abstieg des Empires verantwortlich gemacht hatte. Ob es am Namen lag oder am fehlenden Glück, nach zwei Alben war Schluss. Als finale Fanfare wählte die Band 2010, auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise, eine Abwandlung der elften Feuerbach-These von Marx: "Come on you young philosophers / And show me where your heart is".
Am Herzblut mangelt es den zahlreichen Geschichten über und vom Kapitalismus, die seither entstanden sind, nicht, und der Bekenntniswille kommt oft schon im Titel zum Ausdruck: in der nicht unkritischen und doch bewundernden "Relentless Revolution", die Joyce Appleby im selben Jahr wie die britische Band veröffentlichte, als Marx-Engels-Zitat in Thomas Pikettys "Le Capital au XXIe siècle" von 2013 oder in den "Freaks of Fortune", mit denen der junge amerikanische Historiker Jonathan Levy im folgenden Jahr seine Darstellung des Geschäfts mit dem finanziellen Risiko in den USA überschrieb. Auch die Gesamtdarstellung des emeritierten Frankfurter Wirtschaftshistorikers Werner Plumpe (F.A.Z. vom 24. Juni 2019) verhehlte bei aller bisweilen umständlichen Gelehrtheit nicht, dass es sich im Kern um eine Verteidigungsschrift handelte - wer sich von dem bei Wilhelm Hauff entliehenen Titel "Das Kalte Herz" anderes erhofft hatte, wurde enttäuscht.
Nun wird man weder Plumpe noch den in Gießen lehrenden Historiker und Sombart-Biographen Friedrich Lenger als "young philosophers" bezeichnen wollen. Lenger legt in der Spätphase seiner Karriere ein Großwerk vor, das in mancher Hinsicht wie eine Erwiderung auf den Frankfurter Kollegen wirkt: in seinem merklich globaler angelegten Zuschnitt, in der Rezeption zahlreicher Autorinnen jenseits der üblichen Verdächtigen an europäischen und nordamerikanischen Universitäten, vor allem aber in der akademisch zurückhaltend formulierten, indes nicht weniger grundsätzlichen Kritik an seinem Gegenstand, die in Vorwort und Schlussbetrachtungen vorgetragen wird. Globale Ungleichheit und ökologische Verwüstung erscheinen bei Lenger nicht als Kehrseite einer dank Wohlstandsmehrung glänzenden Medaille, sondern als deren Kennzeichen. Optimistische Lektüre, so viel sei vorweggenommen, bietet der Band daher nicht. Nach über fünfhundert Seiten bleibt der Eindruck, dass das vom amerikanischen Ökonomen Dani Rodrik gezeichnete Trilemma unauflösbar ist: Von den drei zentralen Zielvorgaben unserer Zeit - nationalstaatliche Souveränität, hyperglobalisierte Wirtschaft und demokratischer Anspruch - sind nie mehr als zwei miteinander vereinbar. Schlichte Lösungsvorschläge, wie sie Lenger spöttisch bei Wolfgang Streeck und Ann Pettifor diagnostiziert, haben demnach keine Aussicht, jene historisch begründete "imperiale Lebensweise" reicher Westeuropäer und Nordamerikaner zu beenden, die soziale wie ökologische Kosten an den Rest der Welt weiterreicht.
Wie die Menschheit in dieser Lage gelandet ist, erklärt Lengers weltumspannende Geschichte des Kapitalismus, die eine Zeitspanne von mehr als einem halben Jahrtausend abdeckt und immer wieder zwischen Makro- und Mikroebene, zwischen theoretischer Debatte und konkreten Entwicklungen wechselt. Lenger schlüsselt auf, wie sich aus weit gespannten, frühmodernen Handelsnetzwerken jene globalen Wertschöpfungsketten entwickelten, die heute Schokolade, T-Shirts und Smartphones unter die Konsumenten bringen. Der profitable Gewürzhan-del, den portugiesische und niederländische Händler auf den Molukken betrieben (und dessen Monopol sie mit genozidaler Gewalt gegen die einheimische Banda-Bevölkerung durchsetzten), wird ebenso beschrieben wie die Persistenz unfreier Arbeit und tief verankerte Pfadabhängigkeiten, welche rohstoffextraktive Wirtschaften an das Wohl und Wehe internationaler Marktpreise binden.
Den Ursachen der "great divergence" (Kenneth Pomeranz) zwischen Europa und seinen Siedlerkolonien einerseits und dem Rest der Welt andererseits sowie nicht zuletzt der Frage, wann diese Entwicklung begann (Lenger neigt aufgrund der Verbindung gewerblicher Reallohnentwicklung mit Effizienzanreizen zu einer "Spätdatierung" auf das neunzehnte Jahrhundert), wird ebenso kundig nachgegangen wie dem von Marx bis Appleby diskutierten Punkt, warum gerade England bei der Industrialisierung voranging und im Zusammenspiel mit seinen Kolonien Handels-, Finanz- und politische Machtbeziehungen schuf, die als "Anglo-World" (James Belich) bis in die Gegenwart fortwirken. Lange Linien verbinden die Etablierung der gigantischen niederländischen und britischen Ostindiengesellschaften mit heutigen Riesen à la Walmart, Foxconn und Amazon und werfen ähnliche Fragen nach Souveränität und Arbeitsbeziehungen auf.
Der Gewinn eines solch breiten Zugriffs liegt auf der Hand. Nicht nur fördert Lenger immer wieder überraschende Fakten zutage, etwa die Kombination brutaler Sklavenarbeit mit fortgeschrittener Maschinisierung, welche die Betriebsabläufe auf karibischen Zuckerplantagen im siebzehnten Jahrhundert prägte, oder den Umstand, dass das ölreiche Venezuela noch Ende der 1970er-Jahre ein Pro-Kopf-BIP aufwies, das dem der Bundesrepublik nicht nachstand (wiewohl die Einkommensverteilung deutlich ungleicher war). Der diachrone Blick führt auch zu terminologischer Schärfe, beispielhaft in Lengers überzeugender Erklärung, warum das Etikett der "Sklavenarbeit" an der Vernichtungsabsicht weiter Teile des nationalsozialistischen Zwangsarbeitereinsatzes vorbeigeht. Am moralischen Urteil ändert dies indes wenig: "Mit kapitalistischer Unternehmensführung kompatibel waren beide."
Die weiten Bögen, die Lenger dank stupender Belesenheit schlägt, spiegeln das bewusst breite Verständnis seines Untersuchungsgegenstandes. Einig mit Plumpe darin, dass der "Kapitalismus" als analytische Kategorie aus dem Geiste der marxistischen Kapitalismuskritik geboren wurde, sich aber nicht in dieser erschöpfen kann, sieht Lenger keinen Grund, den Kapitalismus mit seiner industrialisierten Spielart gleichzusetzen. Vielmehr erkennt er in der als Investition artikulierten Zukunftserwartung den kapitalistischen Treibriemen und weiß sich darin einig mit einem Soziologen wie Jens Beckert. Dazu passt, dass im Durchschreiten der Jahrhunderte der Handelskapitalismus als eigentliche Kontinuität der Erzählung hervortritt: immer wieder aufgehalten durch Krisen, heiße und kalte Kriege sowie pandemische Krankheiten, doch letztlich robust und mit ungebrochener Tendenz zu fortschreitender globaler Integration.
Trotz oder gerade wegen der bemerkenswerten Breite der Darstellung bleiben unvermeidlich Leerstellen. Im Wünsch-dir-was des Rezensenten erscheinen vor allem drei Dimensionen unterbelichtet: Zum Ersten überrascht es, wenn weder im Kontext der Niederländischen Ostindien-Kompanie noch der amerikanischen Einflussnahme auf die Ökonomien Zentralamerikas geschildert wird, wie das Völkerrecht dazu beitrug, die Welt - in Cyrus Veesers Paraphrase Woodrow Wilsons - zu einem sicheren Ort für den Kapitalismus zu machen. Zum Zweiten gerät mit der eingangs begründeten Entscheidung gegen "Wachstum" als kategoriale Alternative auch die Wachstumskritik aus dem Blickfeld. Und drittens führt die zu Beginn so prominente Frage nach den ökologischen Folgen kapitalistischer Wirtschaft zu keiner systematischen, auf den ersten vierhundert Seiten gar nur zu einer sporadischen Betrachtung.
An der prinzipiellen Plausibilität der Erzählung gibt es jedoch wenig auszusetzen, zumal Lenger in bester wissenschaftlicher Manier seine Quellen diskutiert. Forschungsdebatten mit teils diametral entgegengesetzten Positionen werden gründlich referiert und eigene Folgerungen vorsichtig abgewogen. Die Bereitschaft, Komplexität mit Nuancierung zu begegnen, hat ihren Preis. Auf beinahe jedes Exempel folgt ein Gegenbeispiel, auf jede allgemeine Aussage eine Qualifizierung; die "dochs", "gleichwohls" und "allerdings" prägen den Text. Hinzu kommt die voraussetzungsreiche Anlage: Wer nicht weiß, welcher Colbert gemeint ist, wenn es um Kolonien im merkantilistischen Paradigma geht, was der ermordete nigerianische Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa mit Shell zu tun hat und was eigentlich ein Monopson ist, wird das Buch zur Seite legen müssen, um selbst nachzuschlagen. Lektüre für zwischendurch ist "Der Preis der Welt" daher nicht, sondern ein Band, der durchgearbeitet werden will. Für eine globale Geschichte des Kapitalismus erscheint dies indes nur billig. KIM CHRISTIAN PRIEMEL
Friedrich Lenger: "Der Preis der Welt." Eine Globalgeschichte des Kapitalismus.
C. H. Beck Verlag, München, 2023. 669 S., Abb., geb.,
38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die weiten Bögen, die Lenger dank stupender Belesenheit schlägt, spiegeln das bewusst breite Verständnis seines Untersuchungsgegenstandes."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Kim Christian Prieml
"Eine großartige und entlarvende Globalgeschichte des Kapitalismus."
Der Standard, Ruth Renée Reif
"Friedrich Lengers Meisterwerk zur Globalgeschichte des Kapitalismus [ist] eine höchst ereignisreiche Reise durch Raum und Zeit. Und in jedem Abschnitt ist Lenger stets auf der Höhe der akademischen Debatten und politischen Kontroversen."
Frankfurter Rundschau, Claus Leggewie
"Ein Buch das auf fünfhundert Seiten die 'Globalgeschichte des Kapitalismus' seit dem 15. Jahrhundert beschreibt. Die Syntheseleistung ist eindrücklich."
NZZ, Tobias Straumann
"Es macht die Stärke diese Buches aus, dass er über eine vollkommen unfassliche Mischung aus akribischstem Detailwissen und theoretischem Reflexionsvermögen verfügt (...) Das ist eine vollkommen grandiose Integration von politischer Geschichte, Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte."
Deutschlandfunk, Ingo Arend
"Ein Werk, das nur möglich ist, weil der Autor viele Jahre wissenschaftliche Detailarbeit geleistet hat."
Das Parlament, Stephan Balling
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Kim Christian Prieml
"Eine großartige und entlarvende Globalgeschichte des Kapitalismus."
Der Standard, Ruth Renée Reif
"Friedrich Lengers Meisterwerk zur Globalgeschichte des Kapitalismus [ist] eine höchst ereignisreiche Reise durch Raum und Zeit. Und in jedem Abschnitt ist Lenger stets auf der Höhe der akademischen Debatten und politischen Kontroversen."
Frankfurter Rundschau, Claus Leggewie
"Ein Buch das auf fünfhundert Seiten die 'Globalgeschichte des Kapitalismus' seit dem 15. Jahrhundert beschreibt. Die Syntheseleistung ist eindrücklich."
NZZ, Tobias Straumann
"Es macht die Stärke diese Buches aus, dass er über eine vollkommen unfassliche Mischung aus akribischstem Detailwissen und theoretischem Reflexionsvermögen verfügt (...) Das ist eine vollkommen grandiose Integration von politischer Geschichte, Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte."
Deutschlandfunk, Ingo Arend
"Ein Werk, das nur möglich ist, weil der Autor viele Jahre wissenschaftliche Detailarbeit geleistet hat."
Das Parlament, Stephan Balling