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Die Vergangenheitsbewältigung ist auch nach dem Systemwechsel weder in Russland, den GUS-Staaten noch in Moskaus ehemaligen Satellitenstaaten - mit Ausnahme der DDR - ein Thema. Die Täter der roten Verbrechen können in den Nachfolgestaaten unbehelligt leben und sogar wieder hohe politische Ämter übernehmen. Alles deutet darauf hin, dass die Wende in den Staaten des ehemaligen kommunistischen Machtbereiches nach einem geheimen Drehbuch, einem »Masterplan« ablief: Gemäß Gorbatschows Deal mit den Westmächten, den Machtverlust der ehemaligen kommunistischen Eliten u. a. durch einen Freibrief zur…mehr

Produktbeschreibung
Die Vergangenheitsbewältigung ist auch nach dem Systemwechsel weder in Russland, den GUS-Staaten noch in Moskaus ehemaligen Satellitenstaaten - mit Ausnahme der DDR - ein Thema. Die Täter der roten Verbrechen können in den Nachfolgestaaten unbehelligt leben und sogar wieder hohe politische Ämter übernehmen. Alles deutet darauf hin, dass die Wende in den Staaten des ehemaligen kommunistischen Machtbereiches nach einem geheimen Drehbuch, einem »Masterplan« ablief: Gemäß Gorbatschows Deal mit den Westmächten, den Machtverlust der ehemaligen kommunistischen Eliten u. a. durch einen Freibrief zur Plünderung des Staatsvermögens zu kompensieren - der Preis dafür, dass die Wende in Form einer »sanften Revolution« stattfinden konnte. Der Machtwechsel in der Ukraine hat jedoch gezeigt, dass die Legitimität der neuen Machthaber, die der Westen vorbehaltlos akzeptierte, in ihren Ländern früher oder später in Frage gestellt werden könnte.

Mit einem Vorwort des ungarischen Staatsministers a. D. Imre Pozsgay.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2006

Es geht auch um sehr viel Geld
Wenig bekannte Hintergründe des Kräftemessens in Ungarn / Von Georg Paul Hefty

Das gegenwärtige Geschehen in Ungarn läßt sich unter kurzfristigen, aber auch unter langfristigen Auspizien betrachten. Natürlich geht es seit Wochen um die spontane Empörung zahlloser Bürger über das Eingeständnis des Ministerpräsidenten Gyurcsány, daß seine Regierung vor der Wahl nicht die Wahrheit gesagt habe. Eine Stufe hintergründiger und langfristiger ist die Absicht vieler Leute, auch solcher, die nicht zu den Demonstrationen mal schnell nach Budapest fahren können, den "Lügen-Politiker" loszuwerden - in der Hoffnung, damit werde auch sein Sanierungsprogramm erledigt sein, auch wenn danach aufgrund der Parlamentsmehrheit wieder ein Sozialist Regierungschef würde. Absichtsvoller sind die Demonstranten, die nicht gegen Gyurcsány und die Sozialisten auf die Straße gehen, sondern für den Oppositionsführer Orbán und dessen Parteienbündnis aus Fidesz und Christlich-Demokratischer Volkspartei. Sie wollen nicht den Amtsinhaber allein, sondern die ganze Regierung und die sie tragende Koalition aus Sozialisten und Linksliberalen stürzen. Im ersten Anlauf folgten sie der erklärten Zielsetzung Orbáns, eine "Expertenregierung" zu erzwingen, wobei unklar blieb, ob diese parteiübergreifend oder überparteilich sein sollte. Im zweiten Anlauf wollten sie aber schon die eigene Partei in die Regierung bringen, entweder durch eine neue Koalition oder durch Wahlen. Damit endet die Perspektive der Bürger.

Weiter allerdings denken die Parteiführer beider Seiten. Der Machtkampf zwischen dem amtierenden Ministerpräsidenten Gyurcsány und dem Regierungschef der Jahre 1998 bis 2002, Orbán, hat wenig mit einem Disput über die erlaubten oder unerträglichen politischen Mittel zu tun. Tatsächlich geht es um viel Geld, über das beide verfügen wollen: nicht als persönliches Gehalt, sondern als Subventionsmasse der öffentlichen Hand. Es geht darum, wer die achttausend Milliarden Forint, rund dreißig Milliarden Euro, verwalten darf, die in dieser und der nächsten Wahlperiode des ungarischen Parlaments aus EU-Quellen in das Land strömen werden. Auch unter der Voraussetzung, daß die Hände der Regierenden sauber bleiben, verheißt das Verteilungsrecht über die nur im großen und ganzen zweckgebundenen Mittel eine ungeheure Macht - und die entsprechende Machtlosigkeit der Opposition.

Das Volumen ist für Ungarn neu, nicht aber die Frage der Verteilung von Finanzmitteln und damit letztlich des Vermögens. Joseph Pozsgai, der seit Jahrzehnten Ungarn und Osteuropa beobachtet, ist der Frage nachgegangen, wie es nach der Wende von 1989 zu großen wirtschaftlichen Machtballungen gekommen ist, die auffallend oft in den Händen jener liegen, die schon in kommunistischer Zeit die Strippen zogen. Der Verfasser vertritt die Auffassung, daß die weitgehende Gewaltlosigkeit des größten Umsturzes seit dem Zweiten Weltkrieg auf die vorherige lautlose Einigung über die Aufteilung dessen zurückzuführen sei, was bis dahin als Staatsvermögen oder kollektives Eigentum galt. An dieser Einigung seien in erster Linie die damals allein mächtigen und handlungsfähigen kommunistischen Parteiführungen, insbesondere deren geheimdienstliche Kader, beteiligt gewesen. Ziel sei es gewesen, die guten Happen unter sich aufzuteilen und das, was sie wegen der Kapitalarmut nicht selbst nutzen konnten, nutzbringend zu veräußern.

Diese Politik hat nach Pozsgai zu einer starken Schicht von Neureichen geführt, die Entwicklung einer ausreichend breiten Mittelklasse behindert und mehr Leute ohne günstige Aussichten zurückgelassen, als nötig gewesen wäre. Die Nachwenderegierungen waren zu unerfahren, um das Wirtschaftsleben zu lenken. Die Abhängigkeit von Beratern verstärkte die Probleme. So habe die Ungarische Nationalbank in den neunziger Jahren zum Zwecke der Inflationsbekämpfung eine Hochzinspolitik verfolgt, welche die kapitalarmen Unternehmen in den Konkurs getrieben habe. "So kamen auch technisch gut ausgerüstete Betriebe zu Schleuderpreisen auf den Markt." Einige Unternehmer aber hätten sich "bedenkenlos mit teuren Krediten versorgt, als hätten sie gewußt, daß sie ihre Schulden nicht zurückzahlen müßten". Tatsächlich seien die Schulden "dieser Auserwählten" "im Rahmen der sogenannten Bankenkonsolidierung zweimal einfach abgeschrieben" worden.

Pozsgai beleuchtet das wirtschaftspolitische Geschehen im ehemaligen Ostblock bis in das 21. Jahrhundert hinein. Einzelbefunde und Einzelschilderungen lassen sich auf andere Orte übertragen. Natürlich sind in allen Ländern die Landschaften, gemessen an den sozialistischen Brachen, oft prächtig erblüht, aber die einen unter den Bauern wurden dabei zu Gutsherren, die anderen zu Knechten.

Der Verfasser hat keine Voraussage auf die Verteilung von EU-Subventionen getroffen, er hat auch nicht den persönlichen Aufstieg und das Vermögen einzelner Personen aufgespießt, die heute wichtige Politiker sind. Seine Darstellung erklärt vielmehr die Explosivität der Gesellschaft etwa in Ungarn und die Unerbittlichkeit des politischen Kampfes zwischen den Lagern, deren Führer in dem Rufe stehen, daß ihre Leidenschaft nicht ausschließlich dem Gemeinwesen und dem Parlamentarismus gilt.

Joseph Pozsgai, Der Preis der Wende - Gorbatschows Masterplan für den Systemwechel. Olzog Verlag, München 2006, 246 Seiten, 24,90 Euro.

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