München gefällt sich in der Pose der glamourösen Schönen, der nördlichsten Stadt Italiens. Entsprechend ausgeprägt ist der Hang zur Selbstinszenierung: Man liebt den schönen Schein, den die antikisierenden Bauten Klenzes aus dem 19. Jahrhundert ebenso ausstrahlen wie die Kostümierung der modischen Jeunesse dorée in den jeweils angesagten Locations.
Daneben aber behauptet sich ein eher konservativer Geist, dem die beinahe dörfliche Behäbigkeit der Prinzregentenzeit um 1900 als immer währendes Daseinsmuster gilt. Wolfgang Görl, gebürtiger Münchner, spürt in seinen Reportagen mit Vorliebe jenen Menschen nach, die nicht in den Klatschspalten der Boulevardpresse erscheinen. Er setzt sich an die Stammtische des Hofbräuhauses, die es allen anders lautenden Gerüchten zum Trotz noch immer reichlich gibt, und er besucht Kneipen, in denen die Schwabinger Revoluzzer der sechziger Jahre auf die alten Zeiten trinken oder die Giesinger Underdogs Fasching feiern. Er blickt aber auch hinter die Kulissen des berühmten Rathausglockenspiels, ergründet das legendenumwobene Wesen der Münchner Oktoberfestwirte und begibt sich in die Unterwelt der Wittelsbacher Fürstengrüfte.
Doch München ist auch Hightech-Metropole, und wo wäre das sichtbarer als in den BMW-Werkhallen, in denen die Bänder Tag und Nacht laufen? Beinahe überall zeigt sich, dass die Stadt seit je in einem merkwürdigen Zwiespalt verharrt: Mal will sie an der Spitze des Fortschritts sein, mal verbleibt sie trotzig im Althergebrachten - wie es gerade kommt.
Daneben aber behauptet sich ein eher konservativer Geist, dem die beinahe dörfliche Behäbigkeit der Prinzregentenzeit um 1900 als immer währendes Daseinsmuster gilt. Wolfgang Görl, gebürtiger Münchner, spürt in seinen Reportagen mit Vorliebe jenen Menschen nach, die nicht in den Klatschspalten der Boulevardpresse erscheinen. Er setzt sich an die Stammtische des Hofbräuhauses, die es allen anders lautenden Gerüchten zum Trotz noch immer reichlich gibt, und er besucht Kneipen, in denen die Schwabinger Revoluzzer der sechziger Jahre auf die alten Zeiten trinken oder die Giesinger Underdogs Fasching feiern. Er blickt aber auch hinter die Kulissen des berühmten Rathausglockenspiels, ergründet das legendenumwobene Wesen der Münchner Oktoberfestwirte und begibt sich in die Unterwelt der Wittelsbacher Fürstengrüfte.
Doch München ist auch Hightech-Metropole, und wo wäre das sichtbarer als in den BMW-Werkhallen, in denen die Bänder Tag und Nacht laufen? Beinahe überall zeigt sich, dass die Stadt seit je in einem merkwürdigen Zwiespalt verharrt: Mal will sie an der Spitze des Fortschritts sein, mal verbleibt sie trotzig im Althergebrachten - wie es gerade kommt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2006Münchner Raritäten
In München kann der Münchner gelegentlich schon den Blues kriegen, auch wenn er weiß, daß er in der schicksten Stadt Deutschlands wohnt, der nördlichsten Italiens, der tollsten der Welt und überhaupt. Aber manchmal fragt sich der Münchner, wo ob der ganzen Latte-Macchiato-Bars und der Prosecco-Vernissagen und der schönen Menschen in der Fußgängerzone die ganz normalen Einheimischen abgeblieben sind und die alten bayerischen Wirtschaften, die nicht nur von Touristen frequentiert werden, und dort die Stammtischler, die, ohne mit der Wimper zu zucken, schon am Vormittag ihr Bier trinken, um anschließend gepflegt zu granteln. Der Journalist Wolfgang Görl hat sich auf die Suche nach dem Münchner Urgestein gemacht und es gefunden. Sein Buch "Der Prinzregent, die Schöne und das Bier. Münchner Umtriebe" ist eine echte Raritätensammlung und eine Fundgrube für alle, die sich für das München jenseits der Klischees interessieren. Görl setzt sich an die Stammtische im Hofbräuhaus, feiert Fasching mit den Underdogs in einer Giesinger Kneipe, besucht die Wittelsbacher in ihren Grüften und beobachtet die Schäffler bei den Proben zu ihren Tanzauftritten. Die letzte Faß-Fabrik Münchens, die "die Unesco als Weltkulturerbe ausweisen müßte", ist ihm ebenso Thema wie die Fließbänder von BMW und die Geschäfte der Wiesn-Wirte. Historisch detailliert und amüsant wird der Leser über die Wirren bei der Gründung des Deutschen Museums und die Auftritte der längst ausgestorbenen Volkssänger informiert. Und die Ritter, die im Glockenspiel auf dem Rathausturm kämpfen, nimmt Görl genauso ernst wie die Mitglieder des Cowboy Clubs an der Isar oder die Jugendlichen im verrufenen Hasenbergl, dem Viertel, in dem München am Ende und gar nicht mehr glamourös ist. So entsteht ein realistisches und selbst für Alteingesessene immer wieder überraschendes Bild der bayerischen Landeshauptstadt. Den Blues kriegt man beim Lesen allerdings nicht los; im Gegenteil: Nach Lektüre der Geschichte über den letzten Bierkutscher Franz Demmel etwa, der noch bis 1970 mit dem Pferdegespann durch die Straßen fuhr, möchte man fast eine Träne verdrücken. In memoriam München, wie es nie wieder sein wird.
vero
"Der Prinzregent, die Schöne und das Bier - Münchner Umtriebe" von Wolfgang Görl. Picus Verlag, Wien 2005. 132 Seiten. Gebunden, 13,90 Euro. ISBN 3-85452-907-4.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In München kann der Münchner gelegentlich schon den Blues kriegen, auch wenn er weiß, daß er in der schicksten Stadt Deutschlands wohnt, der nördlichsten Italiens, der tollsten der Welt und überhaupt. Aber manchmal fragt sich der Münchner, wo ob der ganzen Latte-Macchiato-Bars und der Prosecco-Vernissagen und der schönen Menschen in der Fußgängerzone die ganz normalen Einheimischen abgeblieben sind und die alten bayerischen Wirtschaften, die nicht nur von Touristen frequentiert werden, und dort die Stammtischler, die, ohne mit der Wimper zu zucken, schon am Vormittag ihr Bier trinken, um anschließend gepflegt zu granteln. Der Journalist Wolfgang Görl hat sich auf die Suche nach dem Münchner Urgestein gemacht und es gefunden. Sein Buch "Der Prinzregent, die Schöne und das Bier. Münchner Umtriebe" ist eine echte Raritätensammlung und eine Fundgrube für alle, die sich für das München jenseits der Klischees interessieren. Görl setzt sich an die Stammtische im Hofbräuhaus, feiert Fasching mit den Underdogs in einer Giesinger Kneipe, besucht die Wittelsbacher in ihren Grüften und beobachtet die Schäffler bei den Proben zu ihren Tanzauftritten. Die letzte Faß-Fabrik Münchens, die "die Unesco als Weltkulturerbe ausweisen müßte", ist ihm ebenso Thema wie die Fließbänder von BMW und die Geschäfte der Wiesn-Wirte. Historisch detailliert und amüsant wird der Leser über die Wirren bei der Gründung des Deutschen Museums und die Auftritte der längst ausgestorbenen Volkssänger informiert. Und die Ritter, die im Glockenspiel auf dem Rathausturm kämpfen, nimmt Görl genauso ernst wie die Mitglieder des Cowboy Clubs an der Isar oder die Jugendlichen im verrufenen Hasenbergl, dem Viertel, in dem München am Ende und gar nicht mehr glamourös ist. So entsteht ein realistisches und selbst für Alteingesessene immer wieder überraschendes Bild der bayerischen Landeshauptstadt. Den Blues kriegt man beim Lesen allerdings nicht los; im Gegenteil: Nach Lektüre der Geschichte über den letzten Bierkutscher Franz Demmel etwa, der noch bis 1970 mit dem Pferdegespann durch die Straßen fuhr, möchte man fast eine Träne verdrücken. In memoriam München, wie es nie wieder sein wird.
vero
"Der Prinzregent, die Schöne und das Bier - Münchner Umtriebe" von Wolfgang Görl. Picus Verlag, Wien 2005. 132 Seiten. Gebunden, 13,90 Euro. ISBN 3-85452-907-4.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "echte Fundgrube" für alle, die sich für "das München jenseits der Klischees" interessieren würden, lobt Rezensent "vero" dieses Buch, das aus seiner Sicht selbst Alteingesessenen noch Überraschendes zu bieten hat. Angeregt folgt der Rezensent dem Münchenführer also an die Stammtische im Hofbräuhaus oder zu den Grüften der Wittelsbacher, lernt Münchens letzten Bierkutscher kennen und besucht BMW und die Mitglieder eines Cowboy-Clubs. Nach dem Lesen sei ihm vor Wehmut fast zum Heulen zumute, gibt "vero" mit Träne im Knopfloch zu Protokoll. So schön nämlich wie hier werde München nie wieder sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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