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In sämtlichen islamischen Staaten ist seit Jahren eine starke Re-Islamisierungsbewegung zu beobachten, eine Entwicklung, die der französische Arabist Professor Kepel als Bedrohung für die westliche Gesellschaft betrachtet. Am Beispiel Ägyptens beschreibt er, wie diese Bewegung entstand; er porträtiert ihren Gründer Sayid Qutb und erklärt, warum ein derart radikales politisches Modell für viele Moslems so attraktiv ist.

Produktbeschreibung
In sämtlichen islamischen Staaten ist seit Jahren eine starke Re-Islamisierungsbewegung zu beobachten, eine Entwicklung, die der französische Arabist Professor Kepel als Bedrohung für die westliche Gesellschaft betrachtet. Am Beispiel Ägyptens beschreibt er, wie diese Bewegung entstand; er porträtiert ihren Gründer Sayid Qutb und erklärt, warum ein derart radikales politisches Modell für viele Moslems so attraktiv ist.
Autorenporträt
Gilles Kepel, geboren 1955, studierte Soziologie und Arabistik, ist Professor für Politische Studien am Institut d'Etudes Politique in Paris und hatte zahlreiche Gastprofessuren inne. Er gilt als einer der renommiertesten Forscher zum Thema des islamischen Fundamentalismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.1995

Das Heer der Unzufriedenen
Über den extremistischen Islamismus am Beispiel Ägyptens

Gilles Kepel: Der Prophet und der Pharao. Das Beispiel Ägypten: Die Entwicklung des muslimischen Extremismus. Aus dem Französischen von Gabriele Deja. Piper Verlag, München und Zürich 1995. 304 Seiten, 39,80 Mark.

Gilles Kepels Buch zum Islamismus in Ägypten hat viele Vorzüge und einige gewichtige Nachteile. Es ist nach drei Jahren Forschung in Ägypten entstanden. Kepel war nicht auf Informationen aus zweiter Hand und Vermutungen angewiesen, sondern konnte die Texte, um die es hier geht, in der Originalsprache lesen. Es geht um Texte? Als Leser wird man bei Kepels wissenschaftlichem Ansatz nicht wie üblich mit globalen Charakterisierungen "des Islam" belästigt, sondern folgt unter anderem einer abgewogenen Darlegung der historischen Entwicklung des theoretischen Islamismus, die textnah anhand wichtiger Schriften der verschiedenen Spielarten der "Bewegung" geschieht. In die Analyse eingewoben sind biographische Angaben und gut gestreute Hintergrundinformationen. Aus ihnen erschließt sich beispielsweise, warum der ägyptische Islamismus in den mittelägyptischen Städten Assiut und Minia - Zentren des Terrors, die in Nachrichtensendungen gern zu Oberägypten gezählt werden - besonders ausgeprägt ist. Miserable Studienbedingungen an ausufernden Universitäten, um die herum unterprivilegierte Studenten vom Land in nicht minder katastrophalen Massensiedlungen ihren Traum vom Anschluß an die Moderne schon bald aufgeben müssen, scheinen sich mit Lokalpatriotismus zu ergänzen: Der populäre Sadat-Mörder Khalid al Islambuli stammt aus Assiut; er hatte die mittlerweile klassischen "Wegzeichen" des Assiuters Sayyit Qutb gelesen; in Assiut und Minia leben überdurchschnittlich viele Kopten (etwa 20 Prozent der Bevölkerung, was die Islamisten provoziert); aus der Gegend von Assiut kommt unter anderen auch Schukri Mustafa, der die "Gemeinschaft der Muslime" initiiert hat und, in westlichen Kategorien "strikt protestantisch", alle Vermittlung zwischen dem Koran und den Gläubigen ablehnt.

Schon seit längerer Zeit ist der algerische Islamismus der FIS ins Zentrum des Interesses gerückt, und die im allgemeinen staatstreue Haltung der sunnitischen Rechtsgelehrten Ägyptens (Ulama) hält die Extremisten ganz anders als die schiitischen Mullahs immer wieder zurück. Doch die Anfänge des organisierten Islamismus und seine theoretische Basis liegen im demokratischsten Staat Arabiens, Ägypten. 1928 gründete Hassan al Banna in Ismailia am Suez-Kanal die "Muslimbrüderschaft". Ausgangspunkt der Analyse Kepels sind die erwähnten "Wegzeichen" des theoretischer orientierten Banna-Schülers Sayyid Qutb, heute ein in allen islamischen Ländern bekannter Märtyrer, der 1966, als Nasser regierte, gehängt wurde. Doch zuvor hatte er in dessen Internierungslagern jahrelang Zeit, sich auf der Basis des Koran mit dem aktuellen ägyptischen Staat auseinanderzusetzen und "das Lager" als Sinnbild für den nasseristischen Staat zu begreifen. Qutbs vernichtendes Urteil, daß Ägypten sich im Zustand der "Barbarei" befinde (Jahiliyya), da das islamische Gesetz der Scharia nicht gelte, und daher den vom Islam abgefallenen Staatsführern kein Gehorsam zu leisten sei, bestimmt den Islamismus noch heute. Es bewirkt, daß er sich kaum je nationalistisch, sondern internationalistisch gebärdet, was ihn nicht ungefährlicher macht.

Hier setzen die Bedenken gegen Kepels Buch ein. Nicht "neu", wie der Verlag in leisem Etikettenschwindel behauptet, sondern eine erweiterte Neuauflage des Mitte der achtziger Jahre zuerst erschienenen französischen Originals, versucht es den Islamismus von innen heraus zu verstehen, was von Vorteil ist. Doch bei seinem Bemühen, die gedanklichen Wege der radikalen Fundamentalisten nachvollziehbar zu rekonstruieren, schießt Kepel über sein Ziel hinaus, wenn er, etwa in seiner unterschwelligen Polemik gegen den zum Schluß größenwahnsinnigen und volksvergessenen "Pharao" Sadat, den Terrorismus der ihn mordenden Gruppe "Al-Jihad" verstehbar zu machen sucht. Diese habe die traditionelle Problematik des ägyptischen Islamismus, die Scheu vor der Tat, überwunden. Auch die von der "Studentenbewegung" Jama'at islamyyia in Ergänzung zum hilflosen Staat eingeleiteten Verbesserungen der universitären Rahmenbedingungen reichen kaum aus, ihnen den beabsichtigten extremistischen Regierungsumsturz zuzugestehen. Und der vergleichsweise gemäßigte, nur auf "Predigt" statt "Kampf" setzende Islamismus der Muslimbrüder um die Zeitschrift "Al-Dawa" täuscht nicht über deren offenen Antisemitismus.

Doch Kepels induktives Vorgehen, das die präsentierten Fakten erst allmählich zu Ergebnissen bündelt, scheint, wie er richtig anmerkt, gerade im Fall von Themen um den Islam generell sinnvoll. Die produktive Desorientierung des westlichen Lesers, die Kepel anstrebt, soll diesen davor bewahren, bei seinen im allgemeinen derben Vereinfachungen zu bleiben. Das Problem, wie "der Westen" mit dem arabischen Extremismus umgehen soll, bleibt indes offen. Doch eines steht fest: Eine Lösung der Bindung von Politik an Religion, die in Mitteleuropa seit Beginn der Neuzeit Hunderte von Jahren in Anspruch nahm und im traditionellen Islam überhaupt nicht gedacht wurde, scheint höchstens möglich, wenn die Politiker ihre Aufgaben erfüllen und den Extremisten das berühmte "Heer der Unzufriedenen" nicht zur Verfügung stellen. Doch damit sind wir bei Fragen der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. HANS-PETER KUNISCH

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