Voller Selbstironie entwirft Munoz Molina das Bild einer Generation, die zwischen revolutionären Idealen und der täglichen Realität einer Diktatur nach einer eigenen Identiät sucht. "Der Putsch, der nie stattfand" ist zugleich eine vergnüglich-leichte Tragikkomödie jenseits der offiziellen Geschichte und eine melancholische Reflexion über Erinnerung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.1998Helden wie wir
Antonio Muñoz Molina plant einen Putsch · Von Paul Ingendaay
Zwei italienische Historiker haben kürzlich die nicht mehr ganz frische These wiederbelebt, die Franco-Diktatur sei eigentlich gar nicht so schlimm gewesen, wie immer behauptet werde, immerhin habe sie Spanien vor dem Kommunismus bewahrt. Sie beklagten ebenfalls, die Spanier hätten sich jahrzehntelang vor der Aufarbeitung des Bürgerkriegs gedrückt. Das ist ein erstaunlicher Vorwurf, wenn man die einschüchternde Zahl historischer Studien, Biographien und Memoiren betrachtet, die sich mit den Jahrzehnten zwischen 1936 und 1976 befassen. Auch die spanische Literatur hat ihr Teil dazu beigesteuert, von Juan Goytisolo bis zu Rafael Chirbes, der in seinem jüngst auf deutsch erschienenen Roman "Der lange Marsch" schildert, wie die Niederlage der Republikaner als schweres Erbe auf den Schultern der folgenden Generationen lastet. Wer den schmalen Roman "Der Putsch, der nie stattfand" des 1956 geborenen Antonio Muñoz Molina zur Hand nimmt, lernt in seinem unscheinbaren Helden eine weitere Facette kennen: Die Statisten, Angsthasen und Geschichtsverweigerer ergreifen das Wort.
Es gibt erste Sätze, denen die Unwirklichkeit anhaftet wie der Sardine das Öl. Mit einem solchen Satz beginnt Muñoz Molinas Roman: "Im Mai 1974 gehörte ich in Madrid einige Wochen lang einer Verschwörung an, die darauf abzielte, das Francoregime zu stürzen." Natürlich wissen wir es besser. Das Regime entschlief friedlich an Altersschwäche. Ebenweil wir es wissen und die Bilder des nur von medizinischen Schläuchen im Diesseits gehaltenen "Caudillo" immer noch gegenwärtig sind, kann der Roman im Schatten der verbürgten Geschichte seine ironische Demontage betreiben.
Ein namenloser junger Mann aus einem andalusischen Dorf ist mit Koffer, Schreibmaschine und großen Absichten nach Madrid gekommen. Er will ein berühmter Journalist werden. Vorerst reicht es nur für ein Zimmer in einer bescheidenen Pension, durch deren Flure Schinkengeruch weht. Die wichtigsten Dinge seines täglichen Lebens sind Essen, Metro und Zeitung; die Druckerschwärze dient dem politischen Bewußtsein. Eher läuft der junge Mann drei Kilometer zu Fuß, als auf Nachrichten aus der Welt zu verzichten. Das Detail spricht Bände: Es ist das Jahr 1974, zwanzig Monate vor Francos Tod, aber das weiß noch niemand. Bang fragt sich der Erzähler, was geschähe, wenn der Diktator hundert Jahre alt würde. Tatsächlich kommt es dessen Feinden vor, als sei der greise Repräsentant des Regimes lebendiger denn je. Nebenan, in Portugal, haben sie gerade mit Nelken eine Revolution gemacht, aber in Spanien ist es, als wartete man auf Godot.
Das ist die Haltung der Figuren und die Grundgeschwindigkeit des Romans: Man wartet. Doch Muñoz Molina durchleuchtet nicht die Gesellschaft, sondern nur das Innenleben eines ihrer harmlosesten Mitglieder. Und genau darin, im Kopf eines freundlichen Duckmäusers mit Blasenschwäche, findet eine kleine Revolution statt. Als Schreibkraft in die Wohnung eines Madrider Anwalts zitiert, wo er drei Stunden auf einem Plastikstuhl ausharrt, bevor er sich zur Toilette wagt, knüpft der Erzähler Kontakt zu einem merkwürdigen Kreis wohlhabender Leute, die in Hinterzimmern Dokumente von höchster Wichtigkeit aufsetzen.
Muñoz Molinas Stil, der gelegentlich zum Cremigen neigt und dem sicheren Übersetzer Willi Zurbrüggen geschwungene Satzgirlanden abverlangt, erfaßt diesen Eintritt ins Zauberreich mit bestechender Komik. Der unbedarfte Dorfjunge, der sonst die Kichererbsen mit dem Löffel in den Mund schaufelt, wird im Séparée eines Restaurants mit Hühnerbrust, Cognac und Zigarren traktiert. Die Botschaften, die er dort in seine Maschine tippt, sind brisant: Sein Brotherr Ataúlfo, ein rundlicher Weltmann mit scharfem Urteil, entpuppt sich als Hirn einer anarchistischen Organisation.
Ataúlfo ist kein fanatischer Sektierer, sondern ein unbeugsamer Demokrat, der von Francos Staat nicht nur politische Freiheiten fordert, sondern das uneingeschränkte Recht auf Genuß. Tag für Tag lebt er vor, was er darunter versteht: Gourmetkost, anständigen Whisky und eilfertig bremsende Taxis, die ihn in Nachtbars und Bordelle bringen. Sein Sekretär läßt sich indessen vom Parfüm der diensthabenden Damen betäuben und liest Hegel. Eine erregende zweite Welt tut sich vor ihm auf, und es reicht ihm, als Zeuge dabeizusein. Doch als Ataúlfo ihn in die Verschwörungspläne einweiht, ist das Urteil darüber gesprochen.
Denn der Held hat nicht nur Mühe, das Wasser zu halten, er kann auch kein Geheimnis bewahren. Und dieses Geheimnis versetzt ihn in höchste Erregung: "Hochmütig, beinah mitleidig dachte ich an die Neumalklugen, die mit ihren spärlichen Bärten undden Büchern von Poulantzas und Roland Barthes unter dem Arm auf dem Campus herumliefen und sich als militante Intellektuelle gaben, dachte mit jener Blasiertheit an sie, mit der man sich einem exklusiven Geheimclub zugehörig weiß; mir fielen die alten Freunde ein, die immer noch in meinem Dorf schmachteten und nicht einmal ahnten, was ich wußte, wie nahe das Ende der Diktatur war, gerade jetzt, da es keinerlei Hoffnung zu geben schien, und ich hatte große Lust, sie alle anzurufen, ihnen anonyme Botschaften zu schicken, die sie zum Durchhalten ermunterten." So wandert das Geheimnis an seinen Zimmergenossen Ramonazo weiter, einen behaarten Maoisten, und von dessen Mund hinaus in die Welt.
Ein Schimmer des Märchenhaften liegt aber darum, und es fragt sich, ob das Geheimnis wirklich das war, für das der Held es halten wollte. Der Autor deutet an, spart aus und sprüht reichlich Kunstnebel zwischen die Panzerdivisionen und Fallschirmspringerbrigaden, die den Aufstand anzetteln sollen, und bevor er allzuviel hinzudichten muß, zieht er vor der ganzen Aktion rasch den Vorhang zu. Die revolutionäre Verbindung von Hedonismus und Anarchie, aus der die Dritte Spanische Republik geschmiedet werden sollte, wird zum "Putsch, der nie stattfand".
Antonio Muñoz Molina war in seiner Jugend ein stürmischer Linker, und mit seinem frühen Roman "Beatus ille oder Tod und Leben eines Dichters" (deutsch 1989) hat auch er sich an den obligatorischen Geschichtslektionen der postfranquistischen Literatur beteiligt. Es läßt auf einige Entspanntheit schließen, wenn er jetzt die Ideale des studentischen Milieus in ironisches Licht taucht, den wirklichkeitsfernen Radikalismus ebenso wie die "befreite Sexualität", der sich Ramonazo mit sportlicher Ausdauer verschrieben hat. Jede Ideologie schafft sich eine Ge genideologie, die zu ihr paßt, und dazwischen bleibt wenig Platz.
Deshalb können die Ereignisse des Jahres 1974 nur aus der allerprivatesten Rückschau erzählt werden: Daran hängt die Konstruktion dieses leichthändigen, präzise gearbeiteten Romans. Eine träumerische Erinnerung ruft die wenigen Monate auf, in denen der Held glauben durfte, an einem glorreichen Kapitel der spanischen Geschichte mitzuschreiben. Es hätte heißen können: "Wie meine Schreibmaschine und ich dazu beitrugen, die Demokratie zu erringen". Daß es nichts damit wurde, ist die Voraussetzung für die Leuchtkraft, mit der ein kleiner Partikel Zeit den flauen Rest überstrahlt. Flau, weil der Erzähler am Ende ängstlich die Flucht ergreift; weil er sich in sein andalusisches Dorf zurückzieht, heiratet und Kinder bekommt; und weil er achtzehn Jahre später immer noch den Schwiegervater fürchtet.
Doch ist er keineswegs derselbe geblieben. Gereifte Schusseligkeit hat nichts mit der Unerfahrenheit des Provinzjungen zu tun, vor dessen benommenen Augen für eine Sekunde der seidene Morgenmantel einer schönen Frau auseinandergeglitten ist. Muñoz Molinas klandestiner Sekretär weiß jetzt mehr, denn er bewahrt "wie in einem doppelten Boden" sein Geheimnis: daß er glanzvolle Möglichkeiten hatte, von denen heute niemand mehr etwas ahnt. Und wenn er am Ende von den Türen spricht, "die sich einem im Leben verschließen und nie wieder öffnen", ist der Traurigkeit möglicherweise jene heimliche Erleichterung beigemischt, wie sie nur die Helden des Rückzugs empfinden. Sie wäre der beste Beweis für ein demokratisches Gemeinwesen, denn sie würde bedeuten, daß ein Durchschnittsbürger des neuen Staates an seinen folgenlosen Träumereien genug haben darf.
Antonio Muñoz Molina: "Der Putsch, der nie stattfand". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Willi Zurbrüggen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 155 S., geb., 34,- DM.
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Antonio Muñoz Molina plant einen Putsch · Von Paul Ingendaay
Zwei italienische Historiker haben kürzlich die nicht mehr ganz frische These wiederbelebt, die Franco-Diktatur sei eigentlich gar nicht so schlimm gewesen, wie immer behauptet werde, immerhin habe sie Spanien vor dem Kommunismus bewahrt. Sie beklagten ebenfalls, die Spanier hätten sich jahrzehntelang vor der Aufarbeitung des Bürgerkriegs gedrückt. Das ist ein erstaunlicher Vorwurf, wenn man die einschüchternde Zahl historischer Studien, Biographien und Memoiren betrachtet, die sich mit den Jahrzehnten zwischen 1936 und 1976 befassen. Auch die spanische Literatur hat ihr Teil dazu beigesteuert, von Juan Goytisolo bis zu Rafael Chirbes, der in seinem jüngst auf deutsch erschienenen Roman "Der lange Marsch" schildert, wie die Niederlage der Republikaner als schweres Erbe auf den Schultern der folgenden Generationen lastet. Wer den schmalen Roman "Der Putsch, der nie stattfand" des 1956 geborenen Antonio Muñoz Molina zur Hand nimmt, lernt in seinem unscheinbaren Helden eine weitere Facette kennen: Die Statisten, Angsthasen und Geschichtsverweigerer ergreifen das Wort.
Es gibt erste Sätze, denen die Unwirklichkeit anhaftet wie der Sardine das Öl. Mit einem solchen Satz beginnt Muñoz Molinas Roman: "Im Mai 1974 gehörte ich in Madrid einige Wochen lang einer Verschwörung an, die darauf abzielte, das Francoregime zu stürzen." Natürlich wissen wir es besser. Das Regime entschlief friedlich an Altersschwäche. Ebenweil wir es wissen und die Bilder des nur von medizinischen Schläuchen im Diesseits gehaltenen "Caudillo" immer noch gegenwärtig sind, kann der Roman im Schatten der verbürgten Geschichte seine ironische Demontage betreiben.
Ein namenloser junger Mann aus einem andalusischen Dorf ist mit Koffer, Schreibmaschine und großen Absichten nach Madrid gekommen. Er will ein berühmter Journalist werden. Vorerst reicht es nur für ein Zimmer in einer bescheidenen Pension, durch deren Flure Schinkengeruch weht. Die wichtigsten Dinge seines täglichen Lebens sind Essen, Metro und Zeitung; die Druckerschwärze dient dem politischen Bewußtsein. Eher läuft der junge Mann drei Kilometer zu Fuß, als auf Nachrichten aus der Welt zu verzichten. Das Detail spricht Bände: Es ist das Jahr 1974, zwanzig Monate vor Francos Tod, aber das weiß noch niemand. Bang fragt sich der Erzähler, was geschähe, wenn der Diktator hundert Jahre alt würde. Tatsächlich kommt es dessen Feinden vor, als sei der greise Repräsentant des Regimes lebendiger denn je. Nebenan, in Portugal, haben sie gerade mit Nelken eine Revolution gemacht, aber in Spanien ist es, als wartete man auf Godot.
Das ist die Haltung der Figuren und die Grundgeschwindigkeit des Romans: Man wartet. Doch Muñoz Molina durchleuchtet nicht die Gesellschaft, sondern nur das Innenleben eines ihrer harmlosesten Mitglieder. Und genau darin, im Kopf eines freundlichen Duckmäusers mit Blasenschwäche, findet eine kleine Revolution statt. Als Schreibkraft in die Wohnung eines Madrider Anwalts zitiert, wo er drei Stunden auf einem Plastikstuhl ausharrt, bevor er sich zur Toilette wagt, knüpft der Erzähler Kontakt zu einem merkwürdigen Kreis wohlhabender Leute, die in Hinterzimmern Dokumente von höchster Wichtigkeit aufsetzen.
Muñoz Molinas Stil, der gelegentlich zum Cremigen neigt und dem sicheren Übersetzer Willi Zurbrüggen geschwungene Satzgirlanden abverlangt, erfaßt diesen Eintritt ins Zauberreich mit bestechender Komik. Der unbedarfte Dorfjunge, der sonst die Kichererbsen mit dem Löffel in den Mund schaufelt, wird im Séparée eines Restaurants mit Hühnerbrust, Cognac und Zigarren traktiert. Die Botschaften, die er dort in seine Maschine tippt, sind brisant: Sein Brotherr Ataúlfo, ein rundlicher Weltmann mit scharfem Urteil, entpuppt sich als Hirn einer anarchistischen Organisation.
Ataúlfo ist kein fanatischer Sektierer, sondern ein unbeugsamer Demokrat, der von Francos Staat nicht nur politische Freiheiten fordert, sondern das uneingeschränkte Recht auf Genuß. Tag für Tag lebt er vor, was er darunter versteht: Gourmetkost, anständigen Whisky und eilfertig bremsende Taxis, die ihn in Nachtbars und Bordelle bringen. Sein Sekretär läßt sich indessen vom Parfüm der diensthabenden Damen betäuben und liest Hegel. Eine erregende zweite Welt tut sich vor ihm auf, und es reicht ihm, als Zeuge dabeizusein. Doch als Ataúlfo ihn in die Verschwörungspläne einweiht, ist das Urteil darüber gesprochen.
Denn der Held hat nicht nur Mühe, das Wasser zu halten, er kann auch kein Geheimnis bewahren. Und dieses Geheimnis versetzt ihn in höchste Erregung: "Hochmütig, beinah mitleidig dachte ich an die Neumalklugen, die mit ihren spärlichen Bärten undden Büchern von Poulantzas und Roland Barthes unter dem Arm auf dem Campus herumliefen und sich als militante Intellektuelle gaben, dachte mit jener Blasiertheit an sie, mit der man sich einem exklusiven Geheimclub zugehörig weiß; mir fielen die alten Freunde ein, die immer noch in meinem Dorf schmachteten und nicht einmal ahnten, was ich wußte, wie nahe das Ende der Diktatur war, gerade jetzt, da es keinerlei Hoffnung zu geben schien, und ich hatte große Lust, sie alle anzurufen, ihnen anonyme Botschaften zu schicken, die sie zum Durchhalten ermunterten." So wandert das Geheimnis an seinen Zimmergenossen Ramonazo weiter, einen behaarten Maoisten, und von dessen Mund hinaus in die Welt.
Ein Schimmer des Märchenhaften liegt aber darum, und es fragt sich, ob das Geheimnis wirklich das war, für das der Held es halten wollte. Der Autor deutet an, spart aus und sprüht reichlich Kunstnebel zwischen die Panzerdivisionen und Fallschirmspringerbrigaden, die den Aufstand anzetteln sollen, und bevor er allzuviel hinzudichten muß, zieht er vor der ganzen Aktion rasch den Vorhang zu. Die revolutionäre Verbindung von Hedonismus und Anarchie, aus der die Dritte Spanische Republik geschmiedet werden sollte, wird zum "Putsch, der nie stattfand".
Antonio Muñoz Molina war in seiner Jugend ein stürmischer Linker, und mit seinem frühen Roman "Beatus ille oder Tod und Leben eines Dichters" (deutsch 1989) hat auch er sich an den obligatorischen Geschichtslektionen der postfranquistischen Literatur beteiligt. Es läßt auf einige Entspanntheit schließen, wenn er jetzt die Ideale des studentischen Milieus in ironisches Licht taucht, den wirklichkeitsfernen Radikalismus ebenso wie die "befreite Sexualität", der sich Ramonazo mit sportlicher Ausdauer verschrieben hat. Jede Ideologie schafft sich eine Ge genideologie, die zu ihr paßt, und dazwischen bleibt wenig Platz.
Deshalb können die Ereignisse des Jahres 1974 nur aus der allerprivatesten Rückschau erzählt werden: Daran hängt die Konstruktion dieses leichthändigen, präzise gearbeiteten Romans. Eine träumerische Erinnerung ruft die wenigen Monate auf, in denen der Held glauben durfte, an einem glorreichen Kapitel der spanischen Geschichte mitzuschreiben. Es hätte heißen können: "Wie meine Schreibmaschine und ich dazu beitrugen, die Demokratie zu erringen". Daß es nichts damit wurde, ist die Voraussetzung für die Leuchtkraft, mit der ein kleiner Partikel Zeit den flauen Rest überstrahlt. Flau, weil der Erzähler am Ende ängstlich die Flucht ergreift; weil er sich in sein andalusisches Dorf zurückzieht, heiratet und Kinder bekommt; und weil er achtzehn Jahre später immer noch den Schwiegervater fürchtet.
Doch ist er keineswegs derselbe geblieben. Gereifte Schusseligkeit hat nichts mit der Unerfahrenheit des Provinzjungen zu tun, vor dessen benommenen Augen für eine Sekunde der seidene Morgenmantel einer schönen Frau auseinandergeglitten ist. Muñoz Molinas klandestiner Sekretär weiß jetzt mehr, denn er bewahrt "wie in einem doppelten Boden" sein Geheimnis: daß er glanzvolle Möglichkeiten hatte, von denen heute niemand mehr etwas ahnt. Und wenn er am Ende von den Türen spricht, "die sich einem im Leben verschließen und nie wieder öffnen", ist der Traurigkeit möglicherweise jene heimliche Erleichterung beigemischt, wie sie nur die Helden des Rückzugs empfinden. Sie wäre der beste Beweis für ein demokratisches Gemeinwesen, denn sie würde bedeuten, daß ein Durchschnittsbürger des neuen Staates an seinen folgenlosen Träumereien genug haben darf.
Antonio Muñoz Molina: "Der Putsch, der nie stattfand". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Willi Zurbrüggen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 155 S., geb., 34,- DM.
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Die Romane und Erzählungen von Muñoz Molina haben den «swing» und den Sog lateinamerikanischer Prosa. Süddeutsche Zeitung