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Als Marjorie Courtenay-Latimer am 23. Dezember 1938 im Hafen von East London, Südafrika, den schönsten Fisch sah, der ihr jemals zu Gesicht gekommen war, spürte sie sofort, daß es mit diesem Fisch eine ganz besondere Bewandtnis haben mußte. Marjorie Courtenay-Latimer hatte einen Quastenflosser in den Netzen der Fischer entdeckt, ein Tier, von dem die Forschung einige fossile Überreste kannte und das ebenso wie die Dinosaurier als ausgestorben galt. Die Nachricht dieser Entdeckung ging um die Welt. Meeresbiologen machten sich auf, ein weiteres Exemplar zu fangen, Regierungen lagen in…mehr

Produktbeschreibung
Als Marjorie Courtenay-Latimer am 23. Dezember 1938 im Hafen von East London, Südafrika, den schönsten Fisch sah, der ihr jemals zu Gesicht gekommen war, spürte sie sofort, daß es mit diesem Fisch eine ganz besondere Bewandtnis haben mußte. Marjorie Courtenay-Latimer hatte einen Quastenflosser in den Netzen der Fischer entdeckt, ein Tier, von dem die Forschung einige fossile Überreste kannte und das ebenso wie die Dinosaurier als ausgestorben galt. Die Nachricht dieser Entdeckung ging um die Welt. Meeresbiologen machten sich auf, ein weiteres Exemplar zu fangen, Regierungen lagen in erbittertem Streit um die Forschungsrechte an dem Fisch und einige Forscher behaupteten, einen lebenden Quastenflosser könne es gar nicht geben, denn es sollte noch einmal 14 Jahre dauern, bis ein zweites Exemplar dieses Tieres gefangen wurde. Spannend und bewegend wie in einem Roman schildert Samantha Weinberg die Entdeckung des Fisches und die Geschichte der Menschen, die, verzaubert von der Existenz des Tieres, ihr Leben der Suche und Erforschung dieser wunderlichen Kreatur widmeten und bis heute widmen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Verdient das so ein Fisch, frage ich euch
Mit dem Quastenflosser rauten die Eingeborenen ihre Fahrradschläuche auf / Von Klaus Harms

In den Tagen nach Neujahr 1939 bekam der südafrikanische Chemieprofessor und Hobby-Ichthyologe James Leonard Brierley Smith die Skizze eines Fisches zugeschickt, die der Absender, eine junge Wissenschaftlerin namens Marjorie Courtenay-Latimer, selbst nicht zu bestimmen vermochte. Das Tier kam Smith seltsam bekannt vor. Und nach einigem Nachdenken wusste Smith auch, warum: Diesen seltsamen Fisch mit den gelappten Flossen, dem gepanzerten Rumpf und dem doppelt ausgebildeten Schwanz kannte er aus einer mit Archäologie befassten Fachzeitschrift. Das dort beschriebene Fossil war mehr als hundert Millionen Jahre alt, ein Crossopterygier, also ein urtümlicher Fisch, der als längst ausgestorben galt. Nun aber hatte er auf seinem Schreibtisch das Bild eines offenbar frisch gefangenen Exemplars liegen.

Um Neujahr ist in Südafrika Hochsommer, und Fisch ist eine leicht verderbliche Ware. Verzögerungen im Postverkehr der Feiertagszeit hatten dazu geführt, dass Smith von der Entdeckung erst erfuhr, als der Fisch längst ausgestopft war, vor allem die kostbaren Innenorgane waren schon auf der Mülldeponie gelandet (was Smith nicht hinderte, seine Kollegin umgehend dorthin zum Nachforschen zu schicken - vergeblich). Doch anhand des Knochenbaus und anderer anatomischer Merkmale konnte Smith nachweisen, dass es verblüffende Übereinstimmungen mit Crossopterygier-Fossilien gab. Kein Zweifel, diese "Neuentdeckung" war aus uralten Zeiten bekannt. Smith taufte das Tier nach der Forscherin, die ihm die Skizze geschickt hatte, und nach dem südafrikanischen Fluss, vor dessen Mündung es gefangen wurde: Latimeria chalumnae.

Das Tier war ein Quastenflosser, Vertreter einer Familie, die man lange ausgestorben glaubte. Latimeria ist das Lehrbuchbeispiel eines "lebenden Fossils", und die Entdeckung von Smith gilt als die größte zoologische Sensation des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Entdeckung des Quastenflossers ist das Buch von Samantha Weinberg gewidmet, das gleichzeitig in englischer und deutscher Sprache erschienen ist. Es zeichnet die spannungsreiche Geschichte von jenen Neujahrstagen 1939 bis heute nach. Die Autorin hat zahlreiche Quellen herangezogen und viele Forscher befragt, unter anderem Marjorie Courtenay-Latimer selbst, heute eine flotte Mittneunzigerin. Bis jetzt sind lediglich einige Dutzend Exemplare von Latimeria für die Wissenschaft geborgen worden. Nicht um jeden Fang, aber immerhin um die spektakulärsten von ihnen ranken sich Geschichten und Geschichtchen. Samantha Weinberg beschreibt sie in einem unterhaltenden Stil. Gelegentlich gleitet sie ins Anekdotische ab, bisweilen wird sie melodramatisch, speziell die Beschreibung "in Würde sterbender" (sprich: kläglich verendender) Tiere ist unerträglich.

Die Autorin orientiert sich an den Biografien der wichtigen Quastenflosserforscher, und bei der Lektüre fühlt man sich gelegentlich wie weiland J. L. B. Smith: Man hat den Eindruck, Altbekanntes vor sich zu haben. Der Déjà-vu-Eindruck täuscht nicht. Denn die Geschichte des Quastenflossers ist ja oft genug erzählt worden, am besten natürlich von Smith selbst, dessen Buch "Vergangenheit steigt aus dem Meer" 1957 auf Deutsch erschienen ist. Leider bleibt die Wissenschaft bei Samantha Weinberg ein wenig auf der Strecke. Die Geschichte des Quastenflossers beginnt ja nicht erst 1939, sondern mehrere hundert Jahrmillionen zuvor. Ständig wird an die Bedeutung von vorzeitlichen Quastenflossern als den Urahnen der landlebenden Wirbeltiere erinnert, aber die Hintergründe dieser Einschätzung werden allzu knapp zusammengefasst. Die Erkenntnis, dass Latimeria chalumnae ein in die Tiefen des Meeres zurückgewanderter Nachfahre von Süßwasserbewohnern ist, sucht man im Buch vergebens - gerade das ist aber für das Verständnis der Evolution der Landwirbeltiere, deren Vorfahren dem Süßwasser entstammen, wichtig. Latimeria stellt die Ichthyologie heute zu den Actinistia, als einzig rezente Gattung. Unter den nahe verwandten Rhipidistia wird die Stammgruppe der landlebenden Wirbeltiere vermutet.

Bevor diese Erkenntnisse als gesichert in die Zoologie eingehen konnten, musste natürlich mehr über den Quastenflosser erfahren werden. J. L. B. Smith setzte seine gesamte Energie daran, ein zweites, vollständiges Exemplar zu bekommen, aber die Fischer vor den Küsten des südlichen und südwestlichen Afrikas wie auch Madagaskars fingen Latimeria nicht noch einmal ein.

Es sollte vierzehn Jahre dauern, bis der Wissenschaft ein zweites Exemplar ins Netz ging. Gefangen wurde es vor den Komoren. Smith schmuggelte, den Fisch in halbwegs gut erhaltenem Zustand nach Südafrika, ihn dort zu untersuchen und zu präparieren - sehr zum Unwillen der französischen Kolonialherren auf den Komoren. Nachdem rasch klar geworden war, dass dieser Archipel die Heimat von Latimeria chalumnae war, wurde der Fisch zum französischen Eigentum erklärt, ausländische Wissenschaftler, allen voran Smith, waren von der weiteren Forschung ausgeschlossen. Bei der Schilderung der Bergung dieses zweiten Quastenflossers, auch nach heutigen Maßstäben eine wahre Räuberpistole, läuft die Autorin zu Hochform auf.

"Gombessa" nannten die Fischer auf den Komoren den Quastenflosser. Gelegentlich wurde einer gefangen, mit seinem öligen Fleisch, das zu Durchfällen reizt, war er für den Verzehr ungeeignet. Die Schuppen wurden zum Aufrauen von defekten Fahrradschläuchen verwendet. Seit sich jedoch das wissenschaftliche Interesse auf den Quastenflosser richtete und eine Belohnung auf den Fang eines Tieres ausgesetzt war, die dem Durchschnittsverdienst von fünf Jahren Fischfang entsprach, setzte die Jagd auf den Quastenflosser ein. Dennoch wurden nie mehr als ein Dutzend Tiere pro Jahr erbeutet. Inzwischen ist Latimeria chalumnae auch in den Gewässern Madagaskars gesichtet worden. Nördlich des indonesischen Eilands Sulawesi, 10 000 Kilometer von den Komoren entfernt, wurde eine zweite Population entdeckt. Nach derzeitigem Kenntnisstand konnte bislang zwar erst ein dortiger Fisch für die Ichthyologen geborgen werden, aber die durch ihn gewonnenen Daten sind ausreichend, ihn ebenfalls als Quastenflosser zu klassifizieren. Wie auf den Komoren war er auf Sulawesi einigen Fischern längst bekannt: Sie nannten ihn "rajah laut", den König des Meeres.

Kein Fisch hat je einen Fang überlebt, es gibt keine Nachzüchtungen in Aquarien. Demzufolge weiß man auch über Verhalten und Vermehrung des Quastenflossers noch wenig. Immerhin haben die Unterwasserexpeditionen von Hans Fricke vom Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie Antwort auf eine Reihe von Fragen gegeben. Dennoch hat man keine genauen Vorstellungen über die Größe der Population vor den Komoren; man hat auch nie einen Jungfisch gesehen. Latimeria chalumnae steht auf der Washingtoner Artenschutzliste; obwohl genaue Daten nicht existieren, gilt der Bestand an Quastenflossern als gefährdet. Das Öl aus dem primitiven Rückgrat von Latimeria hat in die chinesische Medizin Einzug gehalten, was es zum begehrten Schwarzmarktartikel macht. Vermutlich werden rund zweitausend Dollar für einen Fisch bezahlt.

Quastenflosser, die an die zwei Meter Länge und mehr als hundert Kilogramm Gewicht erreichen können und somit eigentlich unübersehbar sein sollten, blieben jahrtausendelang im Dunkel der Ozeane. Latimeria ist also ein Mahnmal dafür, dass die Menschheit den Planeten längst noch nicht lückenlos erforscht hat. Sicher, die Zeit der großen Naturforscher ist vorbei, aber große Entdeckungen gibt es auch an der Schwelle zum 21. Jahrhundert noch zu machen. Samantha Weinbergs Buch ist interessant zu lesen, weil es aktuell ist und sich aus besten Quellen speist. Viele der Quastenflosserenthusiasten, die in diesem Buch zu Wort kommen, sind in ihrer Jugend von J. L. B. Smith' "Vergangenheit steigt aus dem Meer" beeinflusst worden. Vielleicht wird sich als größter Nutzen von Samantha Weinbergs Werk erweisen, dass eine neue Generation von zukünftigen Ichthyologen in die Bibliotheken eilen und Smith' Buch lesen wird; auch für interessierte Laien ist es die ideale Ergänzung.

Samantha Weinberg: "Der Quastenflosser". Die abenteuerliche Geschichte der Entdeckung eines seit siebzig Millionen Jahren vermeintlich ausgestorbenen Tieres. Aus dem Englischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck. Argon Verlag, Berlin 1999. 271 S., Abb., geb., 38,- DM.

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