Produktdetails
- Verlag: Edition Isele
- Seitenzahl: 211
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 374g
- ISBN-13: 9783861421634
- ISBN-10: 3861421631
- Artikelnr.: 09162158
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2000Lyrische Wunderknaben
Der "Ravensburger Kreis" feiert sein hartnäckiges Bestehen
Jede Kulturmetropole, die etwas auf sich hält, hat inzwischen ein Literaturhaus. Die literarischen Gesellschaften aber, zumal in den mittleren Städten, klagen über Publikumsschwund. So auch eine der aktivsten, der "Ravensburger Kreis" in Oberschwaben, der vielleicht schon das Zeitliche gesegnet hätte, wenn nicht der Großschriftsteller vom benachbarten Bodensee, Martin Walser, immer wieder als Arzt am Krankenbett erschienen wäre.
Der 1949 gegründete "Ravensburger Kreis" verdankt seine Entstehung dem Hunger nach Literatur in der Nachkriegszeit. Aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens ist jetzt, herausgegeben vom Schriftsteller und Vorstandsmitglied Peter Renz, eine Chronik dieser literarischen Gesellschaft erschienen. Auch wenn man manchmal einen trockenen Vorstands-Rechenschaftsbericht zu lesen meint, kann die Chronik ein hohes Maß an Beispielhaftigkeit für das Leben literarischer Gesellschaften in Deutschland beanspruchen. Die Jahresprogramme zeigen den Wechsel und den Pegelstand literarischer Strömungen an, obschon in Ravensburg natürlich die Wellen weniger hoch schlagen als etwa in Berlin oder Frankfurt.
Die ersten Lesungen blieben den Schriftstellern der "Inneren Emigration" vorbehalten, auch solchen, die sich bloß dafür hielten. Vielleicht hat deshalb der in der Schweiz lebende Schwabe Hermann Hesse nie eine Einladung angenommen. Für eine Frischzellenkur sorgten um 1960 die jungen Wortführer der "Gruppe 47". Dem Mitglied Josef W. Janker, der bei einer Gruppentagung gelesen hatte, gelang es, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger und Uwe Johnson zu einem gemeinsamen Auftritt in Ravensburg zu gewinnen; einen Zuschauerrekord verbuchte man bei der Lesung von Günter Grass im Jahr 1963. Die Heißsporne der Achtundsechziger-Bewegung blieben in Ravensburg, sofern sie überhaupt kamen, verhältnismäßig zahm; was der Chronist "wilde 60er Jahre" nennt, blieben doch eigentlich milde Jahre.
Lebensvoraussetzung einer literarischen Gesellschaft ist das unangekränkelte Selbstbewusstsein ihrer Matadoren. So versteht man die Genugtuung über Walter Jens' rhetorische Huldigung an die "Literarische Metropole des Südwestens" und manch anderes fulminante Selbstlob. Doch wartet der Bericht auch mit einigen anekdotischen Delikatessen auf.
Peter Hamm, der dem "Ravensburger Kreis" über die Jahrzehnte hinweg als Förderer treu blieb, avancierte als Siebzehnjähriger, so liest man, zum "lyrischen Wunderknaben im Weingärtner Forstamt". Kaum vorstellbar, aber durch Selbstzeugnis beglaubigt: Der Zeus unter den heutigen deutschen Verlegern, Siegfried Unseld, betrat bei seinem ersten "Lektoratsgang" zur Ravensburger Regionaldichterin Maria Müller-Gögler das Haus "klopfenden Herzens". Und ausgerechnet der schmächtige und weißhaarige Karl Krolow beschwor im Jahr 1970 mit Gedichten über die menschliche Paarung den schlimmsten Eklat herauf: "Ein reiferer Bürger (möglicherweise einer der Studienräte)" stürmte zum Lesepult und zerriss demonstrativ ein Bändchen des Dichters. So steht Kurioses neben nüchternen Bilanzen in dieser Dokumentation eines literarischen Lebens abseits kultureller Zentren, das gewiss nicht weniger Achtung verdient als die institutionalisierte Arbeit in den Literaturhäusern.
WALTER HINCK
Peter Renz (Hrsg.): "Der Ravensburger Kreis". Eine literarische Gesellschaft in Deutschland. Edition Isele, Eggingen 1999. 211 S., geb., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der "Ravensburger Kreis" feiert sein hartnäckiges Bestehen
Jede Kulturmetropole, die etwas auf sich hält, hat inzwischen ein Literaturhaus. Die literarischen Gesellschaften aber, zumal in den mittleren Städten, klagen über Publikumsschwund. So auch eine der aktivsten, der "Ravensburger Kreis" in Oberschwaben, der vielleicht schon das Zeitliche gesegnet hätte, wenn nicht der Großschriftsteller vom benachbarten Bodensee, Martin Walser, immer wieder als Arzt am Krankenbett erschienen wäre.
Der 1949 gegründete "Ravensburger Kreis" verdankt seine Entstehung dem Hunger nach Literatur in der Nachkriegszeit. Aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens ist jetzt, herausgegeben vom Schriftsteller und Vorstandsmitglied Peter Renz, eine Chronik dieser literarischen Gesellschaft erschienen. Auch wenn man manchmal einen trockenen Vorstands-Rechenschaftsbericht zu lesen meint, kann die Chronik ein hohes Maß an Beispielhaftigkeit für das Leben literarischer Gesellschaften in Deutschland beanspruchen. Die Jahresprogramme zeigen den Wechsel und den Pegelstand literarischer Strömungen an, obschon in Ravensburg natürlich die Wellen weniger hoch schlagen als etwa in Berlin oder Frankfurt.
Die ersten Lesungen blieben den Schriftstellern der "Inneren Emigration" vorbehalten, auch solchen, die sich bloß dafür hielten. Vielleicht hat deshalb der in der Schweiz lebende Schwabe Hermann Hesse nie eine Einladung angenommen. Für eine Frischzellenkur sorgten um 1960 die jungen Wortführer der "Gruppe 47". Dem Mitglied Josef W. Janker, der bei einer Gruppentagung gelesen hatte, gelang es, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger und Uwe Johnson zu einem gemeinsamen Auftritt in Ravensburg zu gewinnen; einen Zuschauerrekord verbuchte man bei der Lesung von Günter Grass im Jahr 1963. Die Heißsporne der Achtundsechziger-Bewegung blieben in Ravensburg, sofern sie überhaupt kamen, verhältnismäßig zahm; was der Chronist "wilde 60er Jahre" nennt, blieben doch eigentlich milde Jahre.
Lebensvoraussetzung einer literarischen Gesellschaft ist das unangekränkelte Selbstbewusstsein ihrer Matadoren. So versteht man die Genugtuung über Walter Jens' rhetorische Huldigung an die "Literarische Metropole des Südwestens" und manch anderes fulminante Selbstlob. Doch wartet der Bericht auch mit einigen anekdotischen Delikatessen auf.
Peter Hamm, der dem "Ravensburger Kreis" über die Jahrzehnte hinweg als Förderer treu blieb, avancierte als Siebzehnjähriger, so liest man, zum "lyrischen Wunderknaben im Weingärtner Forstamt". Kaum vorstellbar, aber durch Selbstzeugnis beglaubigt: Der Zeus unter den heutigen deutschen Verlegern, Siegfried Unseld, betrat bei seinem ersten "Lektoratsgang" zur Ravensburger Regionaldichterin Maria Müller-Gögler das Haus "klopfenden Herzens". Und ausgerechnet der schmächtige und weißhaarige Karl Krolow beschwor im Jahr 1970 mit Gedichten über die menschliche Paarung den schlimmsten Eklat herauf: "Ein reiferer Bürger (möglicherweise einer der Studienräte)" stürmte zum Lesepult und zerriss demonstrativ ein Bändchen des Dichters. So steht Kurioses neben nüchternen Bilanzen in dieser Dokumentation eines literarischen Lebens abseits kultureller Zentren, das gewiss nicht weniger Achtung verdient als die institutionalisierte Arbeit in den Literaturhäusern.
WALTER HINCK
Peter Renz (Hrsg.): "Der Ravensburger Kreis". Eine literarische Gesellschaft in Deutschland. Edition Isele, Eggingen 1999. 211 S., geb., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der 1949 gegründete "Ravensburger Kreis" ist eine literarische Gesellschaft in Oberschwaben. Zum 50jährigen Jubiläum hat der Schriftsteller Vorstandsmitglied Peter Renz eine Chronik der Gesellschaft herausgegeben, die Rezensent Walter Hinck in ihrem Ton gelegentlich an einen "trockenen Vorstandsrechenschaftsbericht" erinnert. Dennoch findet er den Bericht interessant, weil er beispielhaft für das Leben der literarischen Gesellschaften in Deutschland sei. So könne man anhand der Jahresprogramme gut die wechselnden literarischen Strömungen beobachten: Erst kamen die Schriftsteller der "Inneren Emigration", dann sorgten Autoren aus der Gruppe der 47 für frischen Wind.. Insgesamt blieben die wilden 60er Jahre in Ravensburg jedoch eher "milde", meint Hinck. Dafür hat er sich über manche Anekdote amüsiert: Etwa als bei einer Lesung von Karl Krolow ein "reiferer Bürger" auf das Podium stürmt und demonstrativ ein Buch des Dichters zerreißt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH