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Warum sind manche Menschen so viel kreativer und unkonventioneller als andere? Warum fällt es bestimmten Menschen so viel leichter, die Ansichten ihrer Zeit in Frage zu stellen und unser Denken völlig umzuwälzen? In seiner bahnbrechenden Studie, der mehr als zwanzig Jahre Forschungsarbeit zu Grunde liegen, weist Frank J. Sulloway nach: Von allen Faktoren hat die Geschwisterrivalität den stärksten Einfluss auf die Persönlichkeit. Erstgeborene und Einzelkinder neigen zu konservativen Grundhaltungen, sind auf Status bedacht, ehrgeizig und verantwortungsvoll, die klassischen…mehr

Produktbeschreibung
Warum sind manche Menschen so viel kreativer und unkonventioneller als andere? Warum fällt es bestimmten Menschen so viel leichter, die Ansichten ihrer Zeit in Frage zu stellen und unser Denken völlig umzuwälzen? In seiner bahnbrechenden Studie, der mehr als zwanzig Jahre Forschungsarbeit zu Grunde liegen, weist Frank J. Sulloway nach: Von allen Faktoren hat die Geschwisterrivalität den stärksten Einfluss auf die Persönlichkeit. Erstgeborene und Einzelkinder neigen zu konservativen Grundhaltungen, sind auf Status bedacht, ehrgeizig und verantwortungsvoll, die klassischen Führungspersönlichkeiten. Spätergeborenen sind dagegen mit grösserer Wahrscheinlichkeit empfänglich für Neuerungen und bereit zu radikalem Denken. Mit dieser Studie entfaltete Sulloway eine völlig neue Sicht auf die Persönlichkeitsentwicklung, aber auch auf den Gang der Geschichte. In ihr finden sich zahlreiche Persönlichkeiten, die Sulloways These stützen: Von Luther, Voltaire und Darwin bis hin zu Castro, Joschka Fischer und Bill Gates. Dieses Buch, dasschon in den USA für grosses Aufsehen sorgte, wird die Psychologie, die Erziehungs- und Geschichtswissenschaft nachhaltig verändern. Es hat weitreichende Konsequenzen für den einzelnen wie für die Gesellschaft. Auch wir werden unsere Bekannten, unseren Chef oder neue Kollegen in Zukunft häufiger fragen, ob sie ältere oder jüngere Geschwister haben.
Autorenporträt
Frank J. Sulloway ist Forschungsprofessor am Department of Brain and Cognitive Science des renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technologie). Für sein Buch "Freud, Biologie der Seele" (deutsch 1982) erhielt er den Pfizer-Preis der History of Science Society.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997

Raffinierte Brüder, diese Evolutionisten
Rechenmeister unter den Historikern: Frank Sulloway verfolgt die Pfade der späten Geburt / Von Winfried Schulze

Man findet nicht leicht Bücher wie dieses. Da zeigt ein amerikanischer Professor den Historikern wieder einmal, wo es langgeht, dazu ausführlich belegt, mit Tabellen und statistischen Berechnungen aufgeputzt. Schließlich hat das Buch auch seinen familiären Gebrauchswert: Wer die friedliche Stimmung des nächsten Familientreffens torpedieren möchte, sollte über dieses Buch sprechen. Es hat eine klare These, entwickelt eine neue Theorie des historischen Wandels und wird vermutlich latente Geschwisterkämpfe neu aufbrechen lassen. Im Anhang zur amerikanischen Ausgabe enthält es einen Test, der dem Leser Aufschluß geben soll, ob er sich zum Rebellen eignet. Die deutsche Ausgabe erspart ihm diese Versuchung.

Niemand wird bestreiten, daß Sulloway ein faszinierendes Thema aufgreift. Seine These ist: "Für den Verlauf der letzten fünf Jahrhunderte erwies sich die Geburtenfolge als der zuverlässigste Prädikator für revolutionäres Engagement. Im Vergleich zu Erstgeborenen identifizieren sich Spätergeborene eher mit sozial Benachteiligten und sind in höherem Maße bereit, die herrschende Ordnung in Frage zu stellen. Aufgrund ihrer Identifizierung mit den Eltern und mit Autorität im allgemeinen neigen Erstgeborene dazu, den Status quo zu verteidigen."

Das umfangreiche Buch des am MIT arbeitenden Professors gliedert sich in drei Hauptteile und eine Zusammenfassung. Der erste Hauptteil widmet sich der statistischen Ermittlung von Innovationen in der Wissenschaft in Relation zur Stellung der jeweiligen Erfinder in ihrer Familie. Dabei ermittelt Sulloway sein erstes zentrales Ergebnis: Bei einem Spätergeborenen ist die Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu einem Erstgeborenen fünf- bis zehnmal höher, daß er eine innovative Idee entwickelt. Demgegenüber sei die Bereitschaft der Erstgeborenen zur Hinnahme konservativer Ideen doppelt so hoch wie bei Spätergeborenen. Dieses erste Ergebnis ist um so bedeutsamer, als es unabhängig von Nation, Geschlecht und Zeit gilt. Unberührt von den teilweise dramatischen Veränderungen in der Struktur der Familien zwischen der Reformationszeit und dem zwanzigsten Jahrhundert sieht der Verfasser sein Prinzip realisiert.

Sulloway sieht im Darwinschen Grundgedanken der Auslese im Evolutionsprozeß auch das Prinzip der Geschwisterkonflikte in der Familie. Es erkläre die Strategien der Spätergeborenen, sich das Wohlwollen der Eltern zu erringen. Ein Brief Darwins von 1864 dient ihm als Beleg für die Grundthese: "Was aber ist die Primogenitur für ein schrecklicher Plan, die natürliche Zuchtwahl zu zerstören." Primogenitur steht hier für die Erstgeborenen, die Zuchtwahl aber für die Spätergeborenen, die sich anpassen und deshalb innovativer sein müssen.

Der zweite Teil des Buches konzentriert sich auf die Dynamik innerhalb der Familie und damit auf die Fülle der Impulse, die die Entwicklung der Kinder im Zusammenhang der Familie beeinflussen. Sulloway - der Verfasser einer Darwin-Biographie - vergleicht die konkurrierenden Kinder geradewegs mit biologischen Arten, die sich Entwicklungsnischen verschaffen müssen, um zu überleben. In dem sich entwickelnden Netz von Verhaltensstrategien gründet Sulloway seine Analyse des kindlichen Anpassungsprozesses an die Lebensbedingungen in der Familie. Wer ihm den Vorwurf mache, ein deterministisches Menschenbild zu entwerfen, solle bedenken, daß alles dies auf der Grundlage freiwilliger Entscheidungen und damit selbstbestimmt geschehe. Auch bewirkten diese kindlichen Handlungsstrategien die Entstehung neuer Eigenschaften und seien damit letztlich ein Beleg für die Offenheit der hier untersuchten Prozesse.

Der dritte Teil erweitert den Blick auf die Gesellschaft als Rahmen der Geschwisterstrategien. Natürlich kommt Sulloway hier mit marxistischen Erklärungsversuchen in Konflikt, die die Zugehörigkeit zu einer Schicht oder Klasse als entscheidendes Bewegungsmoment betrachten. Auch hier dient ihm die Debatte um Darwin als Ausgangspunkt, deren von Marxisten konstatierte Paradoxie (Oberschichtmitglied aus Cambridge begründet materialistische Entwicklungstheorie) ihn dazu führt, die gesamte Gruppe der Gegner und Anhänger Darwins nach ihrer Geburtsfolgeposition durchzumustern. Auch hier kommt er zu dem Ergebnis, daß es eher die Konflikte in den Familien als die zwischen den Familien seien, die Radikalität begünstigen.

Es ist der große Vorzug des Buches, daß der Verfasser nicht bei der statistischen Auswertung von etwa sechstausend Lebensläufen und 28 wissenschaftlichen Revolutionen stehenbleibt, sondern seine Rechenergebnisse auf die Geschichte anwendet. Damit wird das Buch für Historiker interessant: Sie will Frank Sulloway eigentlich herausfordern. "Als Quelle für Daten über das menschliche Verhalten ist die Geschichte einzigartig", schreibt er, "als Fachdisziplin jedoch zeigt sie große Schwächen auf der Ebene der Theoriebildung und vor allem bei der Hypothesenprüfung." Freilich will er an die Geschichte nicht wie an Biologie oder Chemie herangehen, obwohl sie diesen Veränderungswissenschaften "erstaunlich ähnlich" sei. Historiker scheuten sich, die Ergebnisse der Verhaltenswissenschaften als Grundlage ihrer Arbeit zu akzeptieren, während es für Sulloway denkbar ist, "Charles Darwin als den größten Historiker aller Zeiten zu bezeichnen".

Der Verfasser wendet sein Instrumentarium auf zwei konkrete historische Vorgänge an: auf die Reformation und auf die Französische Revolution. Sieht man sich diese beiden Abschnitte genauer an, finden sich 27 Seiten über die Reformation und knappe zwanzig Seiten über die Französische Revolution. Die Analyse verblüfft zunächst durch die Behauptung, die Ausbreitung der Reformation gehöre in das Gebiet mikrohistorischer Forschung. Für Luther und Melanchthon ergibt sich freilich der unbefriedigende Status des Erstgeborenen. Für die Bereitschaft, den neuen Glauben anzunehmen, hätten die Reformationshistoriker acht Merkmale ermittelt, die vom Alter und sozialen Status der Beteiligten über die Städte, die Fürsten, die politische Macht, die humanistische Bildung und die Schichtzugehörigkeit bis zum Einfluß der Region reichen. Dies sei freilich zu schwierig zu integrieren; daher will der Autor statt dessen eine Gruppe von 718 Persönlichkeiten der Reformationsepoche aller Bekenntnisse und aus allen Schichten untersuchen. Das Ergebnis wird nicht mehr verblüffen: signifikant höhere Anteile für Spätergeborene unter den Anhängern der Reformation.

Auch die Analyse der Reformationstheologen und der "Märtyrer der Reformation" bestätigt die Grundthese. Aus Luther macht unser Spezialist jetzt einen virtuellen Erstgeborenen, der solche besonderen biographischen Voraussetzungen mit sich bringe, daß die Wahrscheinlichkeit zur Unterstützung der Reformation bei ihm signifikant höher werde als bei anderen Erstgeborenen. Das ist gut zu wissen. Auch die Tatsache, daß Kaiser Ferdinand I. (ein Viertgeborener) wegen seiner spanischen Kindheit zu einem "funktional Erstgeborenen" gemacht wird, soll das Vertrauen in die gebotene Theorie stärken.

Aber just hier liegt die Schwäche der Argumentation Sulloways. Er beginnt sein Reformationskapitel mit den in der Historie üblichen komplizierten Fragen nach den Bedingungen für die Ausbreitung der Reformation, bemerkt dann, daß diese Fragen zu schwierig seien, und stellt folglich seine einfachen Fragen an ein Sample von kreuz und quer zusammengesuchten Personen, die freilich die schwierigsten Fragen nicht beantworten. Natürlich ist die Durchmusterung der 718 Persönlichkeiten der Reformationsepoche gewiß nicht falsch und als solche durchaus interessant, nur ist es leider nicht die Antwort auf die Frage, die die Forschung interessiert.

Dieses Verfahren scheint auch die Seiten über die Französische Revolution zu durchziehen. Natürlich kann hier der Verfasser nicht das gesamte Personal durchmustern. Er konzentriert sich deshalb auf die Auseinandersetzung mit der marxistischen Historiographie und kommt wieder zu dem Ergebnis, daß nicht Klassenzugehörigkeit zu den politischen Differenzierungsprozessen vor allem seit August 1792 geführt habe, sondern die Geschwisterdifferenz. Kurz zusammengefaßt, nimmt Sulloway an, daß immer mehr "Liberale" und Spätergeborene in die Nationalversammlungen gekommen seien. Die Feuillantiner, die sich im Sommer 1791 von den Jakobinern abspalteten, bestünden zu einem hohen Anteil aus Spätergeborenen, ebenso wie die meisten Gemäßigten der "plaine" im Nationalkonvent. Der Sieg der Bergpartei habe dann wieder die Erstgeborenen an die Macht gebracht, auch der Wohlfahrtsausschuß sei von Erstgeborenen dominiert gewesen. "Mit dem Fortschreiten der Revolution spaltete sich Fraktion um Fraktion ab, und zwar jeweils entlang den Linien der Geburtenfolge."

Es liegt auf der Hand, daß damit eine gänzlich neue Theorie der Französischen Revolution in ihrer radikalen Phase formuliert ist. Natürlich hat auch die bisherige Forschung Familienkonflikte und Differenzen von Brüderpaaren berücksichtigt, aber Sulloways Modell geht weit darüber hinaus. Seine eindrucksvolle Theorie hat nur einen Nachteil: Sie existiert hinter dem Rücken der Akteure, sie wird niemals als Konfliktpunkt genannt, an keiner Stelle ist sie Gegenstand einer Strategiedebatte. Würde Sulloway - um die Sache überspitzend zu verdeutlichen - mit Zahlen belegen können, daß sich die Parteibildung der Revolution nach Links- oder Rechtshändern vollzöge, so hätte er gewiß formal recht, nur würde es wenig erklären, da die Quellen nichts über den Streit über die Schreibhand aussagen.

Seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts häufen sich die Versuche, die Geschichte "in den Rang einer Wissenschaft zu erheben", weil offensichtlich der epistemologische Status der "ars historica" - wie man sie im sechzehnten Jahrhundert nannte - viele ihrer Adepten nicht befriedigte. Johann Gustav Droysen kämpfte gegen Henry Thomas Buckle, Karl Lamprecht unterlag bei seinem Versuch, die "Völkerpsychologie" zum wissenschaftlichen Rückgrat der Geschichte zu machen. Auch die Versuche, seit den zwanziger Jahren ökonometrische Methoden zu nutzen oder in der Bevölkerungsgeschichte mit mathematischen Methoden zu arbeiten, führten immer das Versprechen des wissenschaftlich Überlegenen mit sich. Alle diese Diskussionen haben das methodische Instrumentarium der Geschichtswissenschaft geschärft. Sie haben freilich nicht das Problem beheben können, dem Sulloway ausweicht: Der Historiker muß komplexe Vorgänge deuten, in denen es selten um einen Faktor geht, sondern um die angemessene Würdigung einer ganzen Reihe von Einflüssen.

Freilich soll bei solcher Kritik nicht übersehen werden, daß Sulloways Analyse überraschende Tatbestände ermittelt hat. Gerade für die Wissenschaftsgeschichte scheint mir der Datenbestand erwägenswert zu sein. Daher freut es den Rezensenten, daß er selbst - wie offensichtlich auch Sulloway - ein Spätergeborener ist.

Frank J. Sulloway: "Der Rebell der Familie". Geschwisterrivalität, kreatives Denken und Geschichte. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber. Siedler Verlag, Berlin 1997. 592 S., 40 Abb., geb., 59,80 DM.

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