Museen, Bibliotheken und Archive sowie private Sammler vermissen bis heute wertvolle und einzigartige Kulturgüter, die infolge des Zweiten Weltkrieges aus dem besetzten Deutschland nach Russland verbracht worden sind. Die Bundesregierung vermutet, dass sich noch über eine Million Kunstgegenstände, einschließlich 200.000 Museumsgüter, zwei Millionen Bücher sowie Archivgut von drei Regalkilometern in Russland befinden. Seit 1989/90 nimmt der - illegale - Handel mit diesen Kulturgütern weltweit zu. Unterdessen verhandelt der deutsche Staat mit Russland über die Rückgabe des kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgutes und beruft sich dabei auf die Haager Landkriegsordnung und vertraglich eingegangene wechselseitige Rückgabeverpflichtungen. Die Sach- und Rechtslage hat daher erheblich an Bedeutung gewonnen.
Susanne Schoen untersucht, wem die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zustehen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der deutsche Staat gegenüber Russland völkerrechtlicheAnsprüche auf Rückgabe des Kulturgutes hat. In zivilrechtlicher Hinsicht haben die Eigentümer der Kulturgüter in Deutschland in der Regel ihr Eigentum weder durch Ersitzung noch durch sonstigen gutgläubigen Erwerb eines Dritten verloren. Es gibt ferner gute Argumente dafür, dass auch die Einrede der Verjährung den Eigentümern nicht mit Erfolg entgegengehalten werden kann. Die Frage, ob Museen, Bibliotheken und Archive sowie die privaten Sammler ihr Kulturgut zurückverlangen können, stellt sich nicht nur solange, wie sich das Kulturgut in Russland befindet, sondern beispielsweise auch dann, wenn dieses Kulturgut wieder in Deutschland auftaucht und durch Dritte zum Kauf angeboten wird.
Susanne Schoen untersucht, wem die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter zustehen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der deutsche Staat gegenüber Russland völkerrechtlicheAnsprüche auf Rückgabe des Kulturgutes hat. In zivilrechtlicher Hinsicht haben die Eigentümer der Kulturgüter in Deutschland in der Regel ihr Eigentum weder durch Ersitzung noch durch sonstigen gutgläubigen Erwerb eines Dritten verloren. Es gibt ferner gute Argumente dafür, dass auch die Einrede der Verjährung den Eigentümern nicht mit Erfolg entgegengehalten werden kann. Die Frage, ob Museen, Bibliotheken und Archive sowie die privaten Sammler ihr Kulturgut zurückverlangen können, stellt sich nicht nur solange, wie sich das Kulturgut in Russland befindet, sondern beispielsweise auch dann, wenn dieses Kulturgut wieder in Deutschland auftaucht und durch Dritte zum Kauf angeboten wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2004Rückgabe vereinbart
Beutekunst aus dem Zweiten Weltkrieg als Problem der deutsch-russischen Beziehungen
Susanne Schoen: Der rechtliche Status von Beutekunst. Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkrieges nach Rußland verbrachten deutschen Kulturgüter. Duncker & Humblot, Berlin 2004. 236 Seiten, 68,80 [Euro].
Schon 1943 wurden in der Sowjetunion anhand von Bestandskatalogen wichtige Kunstwerke aus deutschen Museen zum Abtransport ausgewählt. Auf ihrer Grundlage durchkämmten dann sogenannte Trophäenbrigaden die Museen im sowjetischen Besatzungsgebiet. Ihnen fielen auch viele aus dem späteren westlichen Besatzungsgebiet in den östlichen Reichsteil ausgelagerte Kunstwerke in die Hände, und sie beeilten sich, auch in Gebieten abzuräumen, deren spätere Übergabe an die Westmächte vereinbart war. Das Ausmaß dieser Plünderung ist kaum vorstellbar. 1955 und 1988 gab die Sowjetunion an die DDR nicht weniger als 1 569 176 Kunstwerke zurück, nicht ohne sich als deren mütterliche Retterin und Bewahrerin feiern zu lassen. Aber teils durch Nachforschungen, teils durch Zufall ergab sich, daß immer noch viele angeblich verschollene deutsche Kulturgüter in sowjetischen und jetzt vor allem russischen Museen und Depots unter Verschluß gehalten werden. Die Bundesregierung schätzt ihre Zahl auf über eine Million, darunter 200 000 Objekte von besonderer musealer Bedeutung, zwei Millionen Bücher sowie Archivgut von drei Regalkilometern. Dazu gehören so prominente Objekte wie der Schatz des Priamos von Troja und der Eberswalder Goldschatz. In dem Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion von 1990 und dem Deutsch-russischen Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit vom Dezember 1992 wurde eine Rückgabe der Kunstwerke vereinbart. Im Vertrauen auf diese Regelungen erfolgten erhebliche deutsche Vorleistungen. Um so brutaler trafen die deutsche Seite das russische Gesetz "Über die Kulturgüter, die im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs in die UdSSR verbracht wurden" vom April 1998 und die es gegenüber Deutschland bestätigenden Urteile des russischen Verfassungsgerichts von 1998 und 1999.
Susanne Schoen zeichnet zunächst die geschichtliche Entwicklung des Verhaltens gegenüber Kulturgütern des besiegten Feindes auf. Das sowjetische Verhalten am Ende des Zweiten Weltkriegs erscheint danach als ein Rückfall in die Barbarei. Dabei übersieht Schoen keineswegs das deutsche Verhalten gegenüber sowjetischen Kulturgütern. Sie legt nicht nur die Völkerrechtswidrigkeit der Zurückhaltung der Beutekunst dar, sondern lehnt auch einen Eigentumserwerb von Privatpersonen durch gutgläubigen Erwerb oder Ersitzung ab. Kühn, aber wohl zutreffend ist ihre These, daß die Verjährung gehemmt sei, weil es in Rußland noch kein funktionierendes Justizwesen gebe. Bei der Ausleihe zu Ausstellungszwecken könne eine rechtsverbindliche Rückgabezusage nicht erteilt werden und sei gegenüber dem Eigentümer wirkungslos. Hoffnungen auf eine Rückgabe der Beutekunst setzt Schoen in die traditionelle Deutschfreundlichkeit der russischen Bevölkerung und das Abtreten unmittelbar kriegsgeschädigter Politiker.
FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beutekunst aus dem Zweiten Weltkrieg als Problem der deutsch-russischen Beziehungen
Susanne Schoen: Der rechtliche Status von Beutekunst. Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkrieges nach Rußland verbrachten deutschen Kulturgüter. Duncker & Humblot, Berlin 2004. 236 Seiten, 68,80 [Euro].
Schon 1943 wurden in der Sowjetunion anhand von Bestandskatalogen wichtige Kunstwerke aus deutschen Museen zum Abtransport ausgewählt. Auf ihrer Grundlage durchkämmten dann sogenannte Trophäenbrigaden die Museen im sowjetischen Besatzungsgebiet. Ihnen fielen auch viele aus dem späteren westlichen Besatzungsgebiet in den östlichen Reichsteil ausgelagerte Kunstwerke in die Hände, und sie beeilten sich, auch in Gebieten abzuräumen, deren spätere Übergabe an die Westmächte vereinbart war. Das Ausmaß dieser Plünderung ist kaum vorstellbar. 1955 und 1988 gab die Sowjetunion an die DDR nicht weniger als 1 569 176 Kunstwerke zurück, nicht ohne sich als deren mütterliche Retterin und Bewahrerin feiern zu lassen. Aber teils durch Nachforschungen, teils durch Zufall ergab sich, daß immer noch viele angeblich verschollene deutsche Kulturgüter in sowjetischen und jetzt vor allem russischen Museen und Depots unter Verschluß gehalten werden. Die Bundesregierung schätzt ihre Zahl auf über eine Million, darunter 200 000 Objekte von besonderer musealer Bedeutung, zwei Millionen Bücher sowie Archivgut von drei Regalkilometern. Dazu gehören so prominente Objekte wie der Schatz des Priamos von Troja und der Eberswalder Goldschatz. In dem Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion von 1990 und dem Deutsch-russischen Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit vom Dezember 1992 wurde eine Rückgabe der Kunstwerke vereinbart. Im Vertrauen auf diese Regelungen erfolgten erhebliche deutsche Vorleistungen. Um so brutaler trafen die deutsche Seite das russische Gesetz "Über die Kulturgüter, die im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs in die UdSSR verbracht wurden" vom April 1998 und die es gegenüber Deutschland bestätigenden Urteile des russischen Verfassungsgerichts von 1998 und 1999.
Susanne Schoen zeichnet zunächst die geschichtliche Entwicklung des Verhaltens gegenüber Kulturgütern des besiegten Feindes auf. Das sowjetische Verhalten am Ende des Zweiten Weltkriegs erscheint danach als ein Rückfall in die Barbarei. Dabei übersieht Schoen keineswegs das deutsche Verhalten gegenüber sowjetischen Kulturgütern. Sie legt nicht nur die Völkerrechtswidrigkeit der Zurückhaltung der Beutekunst dar, sondern lehnt auch einen Eigentumserwerb von Privatpersonen durch gutgläubigen Erwerb oder Ersitzung ab. Kühn, aber wohl zutreffend ist ihre These, daß die Verjährung gehemmt sei, weil es in Rußland noch kein funktionierendes Justizwesen gebe. Bei der Ausleihe zu Ausstellungszwecken könne eine rechtsverbindliche Rückgabezusage nicht erteilt werden und sei gegenüber dem Eigentümer wirkungslos. Hoffnungen auf eine Rückgabe der Beutekunst setzt Schoen in die traditionelle Deutschfreundlichkeit der russischen Bevölkerung und das Abtreten unmittelbar kriegsgeschädigter Politiker.
FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Friedrich-Christian Schroeder hält sich mit einem Urteil über das Buch zurück, stimmt aber mit seiner Autorin in allen Punkten überein. Susanne Schoen nutzt den Fall der Kunstwerke und Bücher, die von der sowjetischen Armee aus Deutschland mitgenommen wurden, um allgemeine Aussagen über Beutekunst vom juristischen Blickwinkel - und über den Zustand der russischen Rechtssprechung zu machen. Zunächst, so Schroeder, betrachtet sie die Art und Weise des Abtransports der mehreren Millionen Güter und konstatiert einen "Rückfall in die Barbarei". Dann kommentiert sie die jüngeren russischen Urteile, die der Rückgabe im Weg stehen und begründet deren Völkerrechtswidrigkeit. Und: "Kühn, aber wohl zutreffend ist ihre These, dass die Verjährung gehemmt sei, weil es in Russland noch kein funktionierendes Justizwesen gebe." Ein kleine, unbeabsichtigte Ironie dieser Rezension: Als wichtigstes der "deutschen Kulturgüter", die noch immer in russischen Depots lagern, nennt der Rezensent den Schatz des Priamos von Troja.
© Perlentaucher Medien GmbH
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