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Dieser erste Band der zweibändigen Bismarck-Biographie des Historikers Otto Pflanze reicht von der Geburt des künftigen preußischen Ministerpräsidenten und Reichskanzlers bis ins Jahr 1875. Er schildert den dramatischen Aufstieg Preußens, Bismarcks Strategie der "Realpolitik", die Kriege mit Österreich und Frankreich, die Reichsgründung. Pflanzes Darstellung, die Summe eines Forscherlebens, vereinigt in sich ökonomische, soziale und politische Aspekte der deutschen Geschichte und setzt sie in Beziehung zu Bismarcks Person und Lebenswerk.

Produktbeschreibung
Dieser erste Band der zweibändigen Bismarck-Biographie des Historikers Otto Pflanze reicht von der Geburt des künftigen preußischen Ministerpräsidenten und Reichskanzlers bis ins Jahr 1875. Er schildert den dramatischen Aufstieg Preußens, Bismarcks Strategie der "Realpolitik", die Kriege mit Österreich und Frankreich, die Reichsgründung. Pflanzes Darstellung, die Summe eines Forscherlebens, vereinigt in sich ökonomische, soziale und politische Aspekte der deutschen Geschichte und setzt sie in Beziehung zu Bismarcks Person und Lebenswerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Der Staat war saturiert, der Gründer noch hungrig
Kriege liebt der Biograph sowenig wie sein Held: Otto Pflanzes Bismarck / Von Ernst Engelberg

Im Jahre 1990 vollendete der amerikanische Historiker Otto Pflanze - seinen Namen verdankt er deutscher und schottisch-irischer Abstammung - sein dreibändiges Werk "Bismarck and the development of Germany". Jetzt kam der erste Band der in zwei Bänden vorgesehenen deutschen Übersetzung unter dem Titel "Bismarck - Der Reichsgründer" heraus. Der deutsche Titel läßt den Leser eine biographische Arbeit erwarten.

Geistig fühlt sich der Autor Hajo Holborn verpflichtet, bei dem er an der Yale University promovierte. Wichtig ist ihm auch Diltheys Verständnis einer historischen Biographie als eines Wirkungszusammenhangs, "in welchem das Individuum Einwirkungen aus der geschichtlichen Welt empfängt, unter ihnen sich bildet und nun wieder auf diese geschichtliche Welt zurückwirkt". Der Verfasser ist bemüht, dem Leser in einem ersten Kapitel unter dem Titel "Strom der Zeit" eine Übersicht der Hauptprobleme des neunzehnten Jahrhunderts zu vermitteln. Er beschreibt darin den preußischen Staat im ökonomisch-sozialen Wandel, arbeitet die Unterschiede zwischen den Spielarten des deutschen Liberalismus wie auch des Konservatismus heraus. Dabei sind die historischen Verwurzelungen der verschiedenen Richtungen ebenso überzeugend dargelegt wie die ideologischen Ursprünge. Pflanze verweist auf die Naturrechtsbegriffe der Aufklärung und den "Rechtsstaat" der Liberalen wie auf die romantischen Vorstellungen der Konservativen.

Im Kontext der Revolution von 1848 befaßt der Autor sich vornehmlich mit Preußen und dessen Rivalität zu Österreich. Im übrigen möchte Pflanze die "Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als die Wasserscheide zwischen den großen Zeitaltern der Philosophie und der Wissenschaft" sehen, an der man sich ganz der empirischen Untersuchung zuwandte. Seine Einschätzung der deutschen Klassik und des Idealismus als "moralischer Legitimation" des preußischen Absolutismus ist allerdings zu bezweifeln. Die Angehörigen der "geistigen Elite" waren keineswegs "überwiegend unpolitisch" und an "rein bürgerlichen Freiheiten" wenig interessiert, wie Pflanze meint.

Ebensowenig haben die deutschen Philosophen "quasi vergöttlicht", was "die Herrscher des Hauses Hohenzollern (und die zeitgenössischen deutschen Fürsten) im Dienste ihrer dynastischen Interessen geschaffen hatten". Hier verfällt der Autor einer merkwürdigen Überhöhung der Hohenzollern, die sich auch bei seiner Darstellung von Bismarcks Amtsantritt als preußischer Ministerpräsident zeigt. Pflanze glaubt, daß die preußische Regierung bereits einige Monate, ehe Bismarck im September 1862 an die Macht kam, "mit der Formulierung der Außenpolitik" begann, "die er dann erstaunlich erfolgreich verfolgen sollte".

Den nachfolgenden biographischen Hauptteil des Werkes hat der Autor teils chronologisch, teils thematisch gegliedert, was die Lektüre schwierig macht. So beginnt er mit "Bismarcks Kindheit", deren Schilderung einmündet in Darlegungen über seine "zentrale Charaktereigenschaft", unter der Pflanze den "Willen zur Macht" versteht. Mit dieser Anlehnung an Nietzsche scheint der wesentliche Charakterzug Bismarcks ungenau umrissen. Ihn beherrschte vielmehr schon früh ein Drang zur Persönlichkeitsentfaltung, der Betätigung und Bestätigung erheischte. Dazu gesellte sich sein waches Interesse für Politisches. Diplomat wolle er werden, sagte er einmal. Mit Recht weist Pflanze auf Bismarcks Preußenstolz hin, der ihn erfüllte, ihn aber auch bewegte, Preußens historische Mission erst in einem gesamtdeutschen Staate realisiert zu sehen.

Pflanze schildert, wie Bismarck sich nach dem Krimkrieg mit den Brüdern Ludwig und Leopold von Gerlach auseinandersetzte und sich im Prozeß eigenen Erfahrungsgewinns von ihren religiös einengenden Vorstellungen löste. Dabei entwickelte er seine politische Strategie, die in einer Denkschrift unter dem Titel "Das kleine Buch des Herrn von Bismarck" bekannt geworden ist. Einer der Kernsätze daraus lautete: "Es gibt nichts Deutscheres als gerade die Entwicklung richtig verstandener preußischer Partikularinteressen." Otto Pflanze weist mit Recht darauf hin, daß Bismarck einer konservativen Monarchie empfahl, das Verlangen der Deutschen nach nationaler Einheit aufzunehmen und auf Kosten Österreichs zu erfüllen.

Die kapitalistische Modernisierung Preußen-Deutschlands verlangte von Bismarck, wie Pflanze erkennt, daß er diesen wirtschaftlichen Erfordernissen immer mehr nachkam bis zur bewußten Förderung der Industrialisierung. Das hielt die "Geschäftswelt" auch Bismarck zugute. Pflanze führt aus, sie habe während der Jahre 1864 und 1865 jedes Interesse am Heeres- und Verfassungskonflikt in Preußen und damit am weiteren Kampf um größere parlamentarische Kontrolle verloren. Herausragende Vertreter der Großbourgeoisie wie David Hansemann, Gustav Mevissen und Viktor von Unruh bekannten öffentlich ihren Sinneswandel; zuvor hatten sie gegen den preußischen Ministerpräsidenten opponiert, wurden sie zu Befürwortern des "politischen Realismus" Bismarcks.

Seiner Herkunft und den eigenen Überzeugungen entsprechend konnte Bismarck kein Vertreter eines bürgerlichen Parlamentarismus sein, aber auch der überkommene Absolutismus kam für ihn nicht mehr in Frage. Deshalb nennt Pflanze Bismarcks politischen Stil Bonapartismus, mit einem für die imperiale Regierungsform Napoleons III. geprägten Begriff. Darunter ist jene Form des Regierens zu verstehen, die sich stärker auf die Massen orientiert, die man zur Unterstützung der Monarchie durch sozialreformerische Maßnahmen gewinnen will. Weil diese nur halbherzig bleiben, entstehen dennoch unabhängige Arbeiterorganisationen sowohl in Form von Gewerkschaften wie in Gestalt von politischen Parteien. Auch Pflanze kommt zu dem Schluß, daß Bismarcks Kontakte mit Führern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins nur ephemere Erscheinungen sind, die man getrost als vorübergehenden Flirt bezeichnen kann.

Das war schon deshalb der Fall, weil Bismarck die gesamte preußische Führungsschicht im Blick hatte. Zusammenfassend stellt Pflanze fest: "Während des auf die Revolution von 1848 folgenden Vierteljahrhunderts legte Bismarck die Überzeugung seiner jungen Jahre ab, daß Großgrundbesitzer und Großindustrielle, Landwirtschaft und Industrie natürliche Feinde seien. Er gelangte zu dem Schluß, daß die Besitzenden ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung der Ordnung in Gesellschaft und Staat hätten. Wenn auch die Interessen der Gutsbesitzer stets sein erstes Anliegen blieben, arbeitete er doch auf eine Erweiterung der wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der preußisch-deutschen Führungsschicht hin, um darin auch dem erst jüngst zu seinem Besitz gekommenen Geschäftsmann den ihm gebührenden Platz zu verschaffen."

Die Parteienlandschaft beleuchtet Otto Pflanze in der Regel sehr genau, besonders die Spaltung der Liberalen angesichts der Bismarckschen Politik wie auch Flügelkämpfe innerhalb der Konservativen. Die Schlüsselstellung, die die Nationalliberalen von 1867 an innehatten, behandelt er besonders ausführlich. Aber er verhält sich auch anderen Klassen und Schichten gegenüber unbefangen und unvoreingenommen. So bringt er am Ende des Kapitels "Das kritische Jahrzehnt der sozialen Beziehungen" an prononcierter Stelle ein Zitat Wilhelm Liebknechts. "Was Liebknecht von dem Waldenburger Streik sagte", meint Pflanze, "gilt für die Streikbewegung der Jahre 1869 bis 1873 überhaupt: ,Das Verhalten der Behörden macht die Waldenburger Arbeiter zu Demokraten, das der Arbeitgeber zu Sozialisten.'"

Als weiteres Bindeglied zwischen Bismarck und den Liberalen behandelt der Autor den Kulturkampf, nach seiner Ansicht ein "kaleidoskopisches Bild, das sich aus jedem Blickwinkel anders darstellte". Man könne ihn "betrachten als einen Konflikt zwischen Kirche und Staat, zwischen katholischem Dogma und deutschem Idealismus, zwischen Glauben und Materialismus, Konservatismus und Liberalismus, Traditionalismus und Modernismus, Universalismus und Nationalismus, Partikularismus und Konsolidierung". Auf jeden Fall sieht Pflanze den Kulturkampf nicht auf Preußen beschränkt, sondern faßt ihn als ein "gesamtdeutsches, ja europäisches Phänomen auf", von dem Preußen und Deutschland auch ohne Bismarck betroffen gewesen wären. Nur: Bismarck gab die Richtung an, "die von anderen dann nur allzugern eingeschlagen wurde". Auf jeden Fall brachte der Kulturkampf Bismarck während der siebziger Jahre die erste bedeutende Niederlage seiner politischen Laufbahn, andere sollten folgen.

Merkwürdigerweise geht Pflanze, dessen Darlegungen mitunter allzusehr zu epischer Breite tendieren, auf die dramatischen Höhepunkte in dieser Zeit nur relativ kurz ein. Kaum daß man der achtundvierziger Revolution, die immerhin auf die Geschichte Deutschlands wie auf Bismarcks Entwicklung immense Auswirkungen hatte, in ihrem Ablauf recht gewahr wird. Immerhin liegen drei Kriege auf dem Wege zur Reichsgründung, und man erfährt bisweilen von ihnen mehr in ihrer Vorgeschichte wie in ihrer Nachwirkung, als daß man die Beteiligten in Aktion erlebte. Dadurch vergibt der Autor auch manches an innerer Dramatik des Geschehens. Das Bestreben, die Geschichte Deutschlands und die Biographie Bismarcks etwa gleichwertig zu behandeln und in Kapitel- und Abschnittseinteilungen zu sehr aufzugliedern, dürfte die erheblichen Längen der Darstellung verursachen; sie kommen dem Fachhistoriker, dem Zusammenfassungen von Fakten geboten werden, wahrscheinlich mehr zustatten als jenen Lesern, denen an der Schilderung der historischen Dynamik gelegen ist.

Was Bismarcks Biographie anbetrifft, so muß korrigiert werden, daß er sich der pietistischen Erweckungsbewegung "angeschlossen" habe. Das tat er nie; sogar in seinem Werbebrief an den pietistischen Schwiegervater wahrte er mit Geschick und Umsicht gebotene Distanz. Daß diesen Kreisen seine Frau entstammte, die er aber schon in den Brautbriefen religiös aufzulockern versuchte, ist eine andere Frage. Zwar wurde er von führenden Pietisten, wie den Brüdern Ludwig und Leopold von Gerlach, gefördert, jedoch setzte er sich mit ihnen in seiner Frankfurter Zeit bald kritisch auseinander, weil er ihre Vermischung der religiösen und der politischen Welt nicht akzeptieren konnte.

Otto Pflanze bevorzugt mitunter eine psychoanalytische Sicht auf Lebensgewohnheiten Bismarcks. Hier erscheint einiges fragwürdig. So dürfte bei den traditionellen Eßgewohnheiten der Bismarcks und der üppigen pommerschen Hausmannskost, die man bevorzugte, zu viel hineingeheimnißt sein, wenn Pflanze schreibt, daß Bismarck sich für die emotionalen Entbehrungen der Kindheit durch Völlerei entschädigte. Und wenn ausgerechnet der 35 Jahre jüngere Arzt Doktor Ernst Schweninger, den Johanna sogar gutmütig einen "bayrischen Grobian" nennt, als Elternersatz für Bismarck herhalten soll, dann darf man diese Deutung wohl bezweifeln. Otto Pflanze hat durchaus zutreffend zahlreiche nervöse Erkrankungen Bismarcks registriert und dem einen breiten Raum zugemessen. Dabei darf man aber auch nicht vergessen, daß Bismarck sich immer wieder durch aktives Zutun selbst aus Krisensituationen befreite, sei es durch nervenstärkenden Aufenthalt in den Wäldern, bei Ausritten oder auf der Jagd, sei es bei anregender und entspannender belletristischer Lektüre.

Hervorzuheben ist die Art und Weise, wie Otto Pflanze sein Werk illustriert. Die Abbildungen sind sowohl biographisch wie sozialgeschichtlich von großer Aussagekraft. Daß der Autor sich lange mit seiner Thematik befaßt hat, ist zu erkennen und anzuerkennen. Seine Arbeit umspannt einen weiten Rahmen. Mitunter wünscht man sich Straffungen und Akzentuierungen, wenn das Gleichmaß der Erörterungen die Lektüre anstrengend werden läßt. Es ist und bleibt nun einmal vornehmstes Anliegen eines jeden Historikers, viel Mühe darauf zu verwenden, daß dem Leser durch die Art der Darstellung der Zugang leichtgemacht wird.

Otto Pflanze: "Bismarck". Band 1: Der Reichsgründer. Aus dem Amerikanischen von Peter Hahlbrock. Verlag C. H. Beck, München 1997. 906 S., Abb., geb., 78,- DM.

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