Den Brand des Reichstages am 27. Februar 1933 nutzten die Nazis virtuos, um ihre Diktatur zu errichten. Aber haben sie ihn deshalb auch selbst angesteckt? Darüber wird seit 75 Jahren erbittert gestritten. Wer in dem Holländer Marinus van der Lubbe den alleinigen Täter sieht, wird von jenen, die an eine Verschwörung der Nazis glauben, als 'Anhänger der Gestapo-Theorie' geschmäht. Unter Einbeziehung des nach der Wiedervereinigung zugänglichen Archivmaterials schildert Kellerhoff unvoreingenommen die historischen Ereignisse und die Hintergründe der späteren Debatten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2008Feuerfee und Komitee
Mit letzter Sicherheit ist die Frage nach der Urheberschaft des Reichstagsbrandes nicht zu klären, wenn auch sehr viel für jene "Alleintäterthese" spricht, die Fritz Tobias 1959 aufstellte. Damals äußerte der Ministerialrat und Hobbyhistoriker berechtigte quellenkritische Zweifel an der unmittelbar nach dem Feuer vom 27. Februar 1933 geäußerten Vermutung, dass die Nationalsozialisten die Täter gewesen seien. Sven Felix Kellerhoff schildert lebendig den Kriminalfall mit den weitreichenden Folgen. Das Reichstagsgebäude war übrigens Marinus van der Lubbes viertes Ziel. Zuvor hatte er sich an einer Baracke des Wohlfahrtsamtes in Neukölln, am Roten Rathaus und am Berliner Schloss versucht. Ausführlich geht der Autor auf den Prozess ein, der mit der Verurteilung van der Lubbes zum Tode und dem Freispruch für vier mitangeklagte prominente Kommunisten endete, sowie auf die Kontroversen der Nachkriegszeit. Diese befeuerte das 1968 von Edouard Calic gegründete Luxemburger Komitee mit vermeintlichen "Dokumenten", um aus volkspädagogischen Gründen die "Schuld der Nazis" am Reichstagsbrand herauszustellen und alle Kritiker solcher Schuldzuweisung als "Reinwäscher Hitlers" zu diffamieren. Der Tobias-Sekundant Hans Mommsen drischt nun im Vorwort noch einmal auf seine Altkontrahenten Karl Dietrich Bracher und Walther Hofer ein, als ob sich so der rote Hahn auf den längst klassischen Dachfirst der Zeitgeschichtsschreibung setzen ließe. (Sven Felix Kellerhoff: Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls. be.bra-Verlag, Berlin 2008. 160 S., 14,90 [Euro].)
RAINER BLASIUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit letzter Sicherheit ist die Frage nach der Urheberschaft des Reichstagsbrandes nicht zu klären, wenn auch sehr viel für jene "Alleintäterthese" spricht, die Fritz Tobias 1959 aufstellte. Damals äußerte der Ministerialrat und Hobbyhistoriker berechtigte quellenkritische Zweifel an der unmittelbar nach dem Feuer vom 27. Februar 1933 geäußerten Vermutung, dass die Nationalsozialisten die Täter gewesen seien. Sven Felix Kellerhoff schildert lebendig den Kriminalfall mit den weitreichenden Folgen. Das Reichstagsgebäude war übrigens Marinus van der Lubbes viertes Ziel. Zuvor hatte er sich an einer Baracke des Wohlfahrtsamtes in Neukölln, am Roten Rathaus und am Berliner Schloss versucht. Ausführlich geht der Autor auf den Prozess ein, der mit der Verurteilung van der Lubbes zum Tode und dem Freispruch für vier mitangeklagte prominente Kommunisten endete, sowie auf die Kontroversen der Nachkriegszeit. Diese befeuerte das 1968 von Edouard Calic gegründete Luxemburger Komitee mit vermeintlichen "Dokumenten", um aus volkspädagogischen Gründen die "Schuld der Nazis" am Reichstagsbrand herauszustellen und alle Kritiker solcher Schuldzuweisung als "Reinwäscher Hitlers" zu diffamieren. Der Tobias-Sekundant Hans Mommsen drischt nun im Vorwort noch einmal auf seine Altkontrahenten Karl Dietrich Bracher und Walther Hofer ein, als ob sich so der rote Hahn auf den längst klassischen Dachfirst der Zeitgeschichtsschreibung setzen ließe. (Sven Felix Kellerhoff: Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls. be.bra-Verlag, Berlin 2008. 160 S., 14,90 [Euro].)
RAINER BLASIUS
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2008Hitlers Fanal
Nur die Nazis profitierten vom Reichstagsbrand, aber vermutlich war doch Marinus van der Lubbe der Einzeltäter
Seit 75 Jahren streiten Historiker darüber, wer am 27. Februar 1933 das Feuer im Berliner Reichstag gelegt hat. Fest steht nur, dass um 21.05 Uhr die ersten Scheiben klirrten und dass um 21.30 Uhr das ganze Gebäude in Flammen stand. Zur selben Zeit war dem Personal ein seltsamer Mann in die Arme gelaufen – ungepflegt, mit wirrem Haar, „die Brust bis auf die Hosenträger nackt”. Es war der Niederländer Marinus van der Lubbe. Sein Geständnis, er habe die Tat alleine ausgedacht und ausgeführt, stieß von Anfang an auf Unglauben. Stattdessen schoben sich Nationalsozialisten und Kommunisten die Brandstiftung wechselseitig in die Schuhe. Beide Seiten setzten ganze Heere von Sachverständigen in Bewegung. Der Streit elektrisierte das In- und Ausland; und er kam nach dem Ende der Hitlerdiktatur überhaupt erst richtig in Schwung.
Der junge Historiker Sven Felix Kellerhoff hat erkennbar mehr und anderes im Sinn als alle seine Vorgänger, die sich mit dem Thema Reichstagsbrand befassten. Er erzählt „die Karriere eines Kriminalfalles” – was auch heißt: sich durch ein Labyrinth von Dichtung und Wahrheit zu kämpfen. Es sieht so aus, als ob ihm dieses anspruchsvolle Vorhaben halbwegs gelungen wäre. Der Leser profitiert von Kellerhoffs peniblem Quellenstudium. Er erfährt, wie sich das Feuer rasant ausbreitete, was die Polizei ermittelte, worüber die Sachverständigen stritten; und warum sich heute noch die Frage stellt, wem die Brandstiftung genützt hat. Nach der Antwort muss man nicht lange suchen: Nur einer profitierte. Hitler bekam Gelegenheit, seine gerade gewonnene Macht mit einem Schlag zu festigen – als Rächer der Untat. So gesehen ist es fast eine zweitrangige Frage, wer den Brand wirklich gelegt hat: die Nazis (zwölf eingeschworene SA-Leute, wie eine Tatversion behauptet) oder andere – die Kommunisten? Van der Lubbe?
Wer auch immer – das eigentliche Drama begann am Tag danach. Kellerhoff dokumentiert, wie Hitler, Göring und Goebbels blitzschnell die Gunst der Stunde nutzten, um eine Vernichtungskampagne gegen die politischen Gegner zu beginnen. Das Feuer war die Geburtsstunde der NS-Diktatur – und das Startsignal für eine Schreckensherrschaft, die schon in dieser frühen Phase ihr wahres Gesicht zeigte. Im Buch wird das entscheidende Kabinettsprotokoll zitiert: „Der Reichskanzler” habe, heißt es da, für eine „rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD” plädiert und gesagt, der „psychologisch richtige Moment” dafür sei nun gekommen.
Einen Tag nach dem Brand lag eine Eilverordnung „zum Schutz von Volk und Staat” auf dem Tisch; sie setzte wesentliche Bürgerrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft. In der ersten Nacht wurden 130 kommunistische Funktionäre und prominente Linke festgenommen, unter ihnen der Dichter Erich Mühsam und der Publizist Carl von Ossietzky. Göring ließ 2000 SA- und SS-Leute zur Unterstützung der Polizei aufmarschieren. Seine Hilfsschergen verhafteten politische Gegner und verschleppten sie in die Keller unter ihren Sturmlokalen oder an andere geheime Orte, wo sie geschlagen und misshandelt wurden. Allein in Preußen kamen 7784 Menschen in „Schutzhaft”. In Berlin gab es 150 „wilde KZs”.
Hitler war nicht mehr aufzuhalten. Erst rief er die „nationalsozialistische Revolution” aus. Dann verabschiedete am 23. März 1933 der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit das berüchtigte Ermächtigungsgesetz. Die Sitzung besiegelte das Ende der Weimarer Republik. Einzig die SPD stimmte dagegen. „Damit war”, so Kellerhoff, „die Voraussetzung für den ,Führerstaat‘ geschaffen.” Ohne den Reichstagsbrand wäre es den Nazis kaum gelungen, in wenigen Wochen die Fundamente des Staates zu schleifen und eine Drohkulisse aufzubauen, die alle Opponenten das Fürchten lehrte.
Unmittelbar nach dem Brand setzte der Kampf um die Deutungshoheit ein. Kellerhoff merkt an, „dass es fast gleichzeitig zwei Prozesse gab”. Er meint das deutsche Strafverfahren vor dem Reichsgericht in Leipzig (Anklage: 235 Seiten) und den „Gegenprozess” der Antifaschisten in London. Auch dort gab es eine Anklageschrift, das „Braunbuch” der Exil-KPD (383 Seiten), das zeitgleich in vielen Sprachen erschienen war. Der Prozess in Leipzig endete anders, als es sich die Nazis vorgestellt hatten. Das Reichsgericht verurteilte zwar Marinus van der Lubbe zum Tode, sprach aber die mitangeklagten Kommunisten Ernst Torgler (Fraktionsvorsitzender der KPD) und Georgi Dimitroff (Mitglied der Moskauer Kominternzentrale) zum Ärger Hitlers frei.
Nach dem Ende der NS-Diktatur entstanden in Intervallen immer neue „Schulen”, denen eines gemeinsam war: Sie bekämpften sich bis aufs Messer und sie zehrten von den 1933 entstandenen Dokumentationen. Es war ein skandalträchtiger Stoff, den sie da vorfanden – wie geschaffen für Fälschungen, für Meineide, dicke Wälzer und Fehden unter Professoren.
Kellerhoff kommt nicht zu einem sensationellen, sondern zu einem bescheidenen, eher banalen Resultat. Der Autor hält nun für erwiesen, dass weder die Nazis noch die Kommunisten das Feuer gelegt haben, sondern der holländische Sonderling allein. Er stützt sich dabei auf die Vernehmungsprotokolle vom ersten Ortstermin am 28. Februar 1933: Da habe van der Lubbe „fast jeden einzelnen Brandherd, den er gelegt hatte”, detailliert beschrieben. Kellerhoff verschweigt nicht, dass in Leipzig „vier von fünf befragten Sachverständigen ausgeschlossen hatten, dass ein einzelner Brandstifter eine solche Feuersbrunst entfachen konnte”. Doch er stützt sich auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse: 1933 sei das heute als „Backdraft” bekannte und gefürchtete „Phänomen” der Rauchgasexplosion noch nicht erforscht gewesen.
Gleichwohl verblüfft das Ende des Buches. Kellerhoff hätte sich mit dem imponierenden Tableau seiner Pro- und Contra-Quellen begnügen und die Schuldfrage offen lassen können. Doch er wagt einen kühnen Schluss: „Nach 75 Jahren Streit steht am Ende eine einfache Wahrheit: Marinus van der Lubbe war ein Einzeltäter.” ROLF LAMPRECHT
SVEN FELIX KELLERHOFF: Der Reichstagsbrand – Die Karriere eines Kriminalfalls. Be.bra Verlag, Berlin 2008. 160 Seiten, 14,90 Euro.
Wie gerufen kam den Nationalsozialisten – unabhängig von der wahren Täterschaft – der Reichstagsbrand am Abend des 27. Februar 1933. Und sie machten gar kein Hehl daraus, dass die Zeit rechtsstaatlicher Verfahren nun vorbei sei. Bereits am 28. Februar wurden mit der Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat” die wesentlichen Grundrechte außer Kraft gesetzt.
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Nur die Nazis profitierten vom Reichstagsbrand, aber vermutlich war doch Marinus van der Lubbe der Einzeltäter
Seit 75 Jahren streiten Historiker darüber, wer am 27. Februar 1933 das Feuer im Berliner Reichstag gelegt hat. Fest steht nur, dass um 21.05 Uhr die ersten Scheiben klirrten und dass um 21.30 Uhr das ganze Gebäude in Flammen stand. Zur selben Zeit war dem Personal ein seltsamer Mann in die Arme gelaufen – ungepflegt, mit wirrem Haar, „die Brust bis auf die Hosenträger nackt”. Es war der Niederländer Marinus van der Lubbe. Sein Geständnis, er habe die Tat alleine ausgedacht und ausgeführt, stieß von Anfang an auf Unglauben. Stattdessen schoben sich Nationalsozialisten und Kommunisten die Brandstiftung wechselseitig in die Schuhe. Beide Seiten setzten ganze Heere von Sachverständigen in Bewegung. Der Streit elektrisierte das In- und Ausland; und er kam nach dem Ende der Hitlerdiktatur überhaupt erst richtig in Schwung.
Der junge Historiker Sven Felix Kellerhoff hat erkennbar mehr und anderes im Sinn als alle seine Vorgänger, die sich mit dem Thema Reichstagsbrand befassten. Er erzählt „die Karriere eines Kriminalfalles” – was auch heißt: sich durch ein Labyrinth von Dichtung und Wahrheit zu kämpfen. Es sieht so aus, als ob ihm dieses anspruchsvolle Vorhaben halbwegs gelungen wäre. Der Leser profitiert von Kellerhoffs peniblem Quellenstudium. Er erfährt, wie sich das Feuer rasant ausbreitete, was die Polizei ermittelte, worüber die Sachverständigen stritten; und warum sich heute noch die Frage stellt, wem die Brandstiftung genützt hat. Nach der Antwort muss man nicht lange suchen: Nur einer profitierte. Hitler bekam Gelegenheit, seine gerade gewonnene Macht mit einem Schlag zu festigen – als Rächer der Untat. So gesehen ist es fast eine zweitrangige Frage, wer den Brand wirklich gelegt hat: die Nazis (zwölf eingeschworene SA-Leute, wie eine Tatversion behauptet) oder andere – die Kommunisten? Van der Lubbe?
Wer auch immer – das eigentliche Drama begann am Tag danach. Kellerhoff dokumentiert, wie Hitler, Göring und Goebbels blitzschnell die Gunst der Stunde nutzten, um eine Vernichtungskampagne gegen die politischen Gegner zu beginnen. Das Feuer war die Geburtsstunde der NS-Diktatur – und das Startsignal für eine Schreckensherrschaft, die schon in dieser frühen Phase ihr wahres Gesicht zeigte. Im Buch wird das entscheidende Kabinettsprotokoll zitiert: „Der Reichskanzler” habe, heißt es da, für eine „rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD” plädiert und gesagt, der „psychologisch richtige Moment” dafür sei nun gekommen.
Einen Tag nach dem Brand lag eine Eilverordnung „zum Schutz von Volk und Staat” auf dem Tisch; sie setzte wesentliche Bürgerrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft. In der ersten Nacht wurden 130 kommunistische Funktionäre und prominente Linke festgenommen, unter ihnen der Dichter Erich Mühsam und der Publizist Carl von Ossietzky. Göring ließ 2000 SA- und SS-Leute zur Unterstützung der Polizei aufmarschieren. Seine Hilfsschergen verhafteten politische Gegner und verschleppten sie in die Keller unter ihren Sturmlokalen oder an andere geheime Orte, wo sie geschlagen und misshandelt wurden. Allein in Preußen kamen 7784 Menschen in „Schutzhaft”. In Berlin gab es 150 „wilde KZs”.
Hitler war nicht mehr aufzuhalten. Erst rief er die „nationalsozialistische Revolution” aus. Dann verabschiedete am 23. März 1933 der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit das berüchtigte Ermächtigungsgesetz. Die Sitzung besiegelte das Ende der Weimarer Republik. Einzig die SPD stimmte dagegen. „Damit war”, so Kellerhoff, „die Voraussetzung für den ,Führerstaat‘ geschaffen.” Ohne den Reichstagsbrand wäre es den Nazis kaum gelungen, in wenigen Wochen die Fundamente des Staates zu schleifen und eine Drohkulisse aufzubauen, die alle Opponenten das Fürchten lehrte.
Unmittelbar nach dem Brand setzte der Kampf um die Deutungshoheit ein. Kellerhoff merkt an, „dass es fast gleichzeitig zwei Prozesse gab”. Er meint das deutsche Strafverfahren vor dem Reichsgericht in Leipzig (Anklage: 235 Seiten) und den „Gegenprozess” der Antifaschisten in London. Auch dort gab es eine Anklageschrift, das „Braunbuch” der Exil-KPD (383 Seiten), das zeitgleich in vielen Sprachen erschienen war. Der Prozess in Leipzig endete anders, als es sich die Nazis vorgestellt hatten. Das Reichsgericht verurteilte zwar Marinus van der Lubbe zum Tode, sprach aber die mitangeklagten Kommunisten Ernst Torgler (Fraktionsvorsitzender der KPD) und Georgi Dimitroff (Mitglied der Moskauer Kominternzentrale) zum Ärger Hitlers frei.
Nach dem Ende der NS-Diktatur entstanden in Intervallen immer neue „Schulen”, denen eines gemeinsam war: Sie bekämpften sich bis aufs Messer und sie zehrten von den 1933 entstandenen Dokumentationen. Es war ein skandalträchtiger Stoff, den sie da vorfanden – wie geschaffen für Fälschungen, für Meineide, dicke Wälzer und Fehden unter Professoren.
Kellerhoff kommt nicht zu einem sensationellen, sondern zu einem bescheidenen, eher banalen Resultat. Der Autor hält nun für erwiesen, dass weder die Nazis noch die Kommunisten das Feuer gelegt haben, sondern der holländische Sonderling allein. Er stützt sich dabei auf die Vernehmungsprotokolle vom ersten Ortstermin am 28. Februar 1933: Da habe van der Lubbe „fast jeden einzelnen Brandherd, den er gelegt hatte”, detailliert beschrieben. Kellerhoff verschweigt nicht, dass in Leipzig „vier von fünf befragten Sachverständigen ausgeschlossen hatten, dass ein einzelner Brandstifter eine solche Feuersbrunst entfachen konnte”. Doch er stützt sich auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse: 1933 sei das heute als „Backdraft” bekannte und gefürchtete „Phänomen” der Rauchgasexplosion noch nicht erforscht gewesen.
Gleichwohl verblüfft das Ende des Buches. Kellerhoff hätte sich mit dem imponierenden Tableau seiner Pro- und Contra-Quellen begnügen und die Schuldfrage offen lassen können. Doch er wagt einen kühnen Schluss: „Nach 75 Jahren Streit steht am Ende eine einfache Wahrheit: Marinus van der Lubbe war ein Einzeltäter.” ROLF LAMPRECHT
SVEN FELIX KELLERHOFF: Der Reichstagsbrand – Die Karriere eines Kriminalfalls. Be.bra Verlag, Berlin 2008. 160 Seiten, 14,90 Euro.
Wie gerufen kam den Nationalsozialisten – unabhängig von der wahren Täterschaft – der Reichstagsbrand am Abend des 27. Februar 1933. Und sie machten gar kein Hehl daraus, dass die Zeit rechtsstaatlicher Verfahren nun vorbei sei. Bereits am 28. Februar wurden mit der Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat” die wesentlichen Grundrechte außer Kraft gesetzt.
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