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Ellens Schwester Lydia wird auf der Straße vor der Wohnung des Romanschriftstellers Jonathan Goldmann von einem Wagen angefahren und stirbt. Da sie sich nicht erkären kann, was Lydia zu dieser Zeit an diesem Ort wollte, versucht Ellen das Geschehen aufzuklären und gerät dabei selbst in eine Welt voller Intrigen, tragikkomischer Verwechslungen und komplizierter Liebesaffären.

Produktbeschreibung
Ellens Schwester Lydia wird auf der Straße vor der Wohnung des Romanschriftstellers Jonathan Goldmann von einem Wagen angefahren und stirbt. Da sie sich nicht erkären kann, was Lydia zu dieser Zeit an diesem Ort wollte, versucht Ellen das Geschehen aufzuklären und gerät dabei selbst in eine Welt voller Intrigen, tragikkomischer Verwechslungen und komplizierter Liebesaffären.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.1999

Bittersüße Karussellfahrten
Barbara Trapidos Waldhornist bläst den Erzählmarsch

Diesmal spielt "der Sohn einer Freundin der Patentante der Schwester" die entscheidende Rolle. Durch die ersten beiden Teile der Romantrilogie war die Mutter der Stiefmutter der beiden Schwestern gewuselt, und der vermeintliche Vater der Stiefmutter sank dort in die Arme der Ex-Frau des Geliebten der echten Mutter der Schwestern: Wenn die in Oxford lebende Schriftstellerin Barbara Trapido die Fäden zieht, kann Dickens einpacken. Nach "Der Tempel des Entzückens" (englisch 1990) und "Jonglieren" (englisch 1994) erschien letztes Jahr mit "Der reisende Waldhornist" eine Fortsetzung ihrer mozartschen merry-go-rounds und shakespeareschen Partner-Rochaden - bittersüße bildungsbürgerliche Lebens- und Liebesgeschichten, die keine im Königreich so spritzig, schmalzig und schmerzlich zugleich, so unnachahmlich englisch verfaßt wie die Dame mit der deutschen Mutter und dem holländischen Vater.

In dem jüngsten Roman, der nun auf deutsch vorliegt, hat die 1942 in Südafrika geborene Autorin diese Musterehe zwischen Melodrama, Melancholie und Esprit schon dem Titel eingeschrieben. Besagte Schwester, ein rotzfreches, zungenfertiges Girlie namens Lydia, findet die romantischen "Gedichte aus den nachgelassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten" aus der Feder des deutschen "Griechen-Müllers" einfach nur "albern". Jonathan wiederum, ein arrivierter Schriftsteller und ebenjener Sohn mittleren Alters einer Freundin der Patentante, krittelt an den "kruden Charakteren" und dem "stereotypen Landambiente" der Schubert-Vorlage herum, um sich dann doch verzaubern zu lassen: "Alles dreht und hebt sich, schäumt, rotiert und mahlt" - wie im Roman selbst.

Dieser beginnt an dem gleichen Tag, an dem er 320 Seiten später enden wird, nachdem in sieben musikalisch angeordneten Kapiteln - "Ellen", "Jonathan", "Stella", "Stella", "Jonathan", "Ellen" und "Danksagung an den Bach" - die Vergangenheit der Figuren im allgemeinen und ihre letzten drei Jahre im besonderen in einem Perspektivenkarussell aus ironischen Ich-Erzählungen und flotten Dialogen herumgewirbelt wurden. Vor drei Jahren lief Lydia, ihren bravourösen Abituraufsatz über Wilhelm Müller in der Tasche, vor dem Londoner Haus Jonathans blindlings in ein Auto und starb. In derselben Stunde trennte sich die Musikstudentin Stella, die zartbesaitete Tochter des Schriftstellers, von ihrem genialen Freund und flüchtete zu einem Kommilitonen. Seither weigert sie sich, ihre Eltern zu besuchen oder an die Hochschule zurückzukehren. Und das alles hat natürlich auf verrückte Weise unauflöslich miteinander zu tun: Noch die entlegensten Details prallen in den unwahrscheinlichsten Knotenpunkten aufeinander, und auch die "jüngste" deutsche Geschichte streckt im scheinbar lockeren Nebenbei ihren Arm nach dem England der Neunziger aus. Das Karussell der Zeit kreiselt, und die Grenzen verschwimmen. Barbara Trapido ist eine augenzwinkernde Akrobatin des Sinnzusammenhangs, eine Meisterin der fröhlichen Übertreibung glücklicher und unglücklicher Zufälle, eine Könnerin der Komödie mit rabenschwarzen Scherzen, grauen Traurigkeiten und bunter Erotik.

Am Schluß, nach geradezu Hercule-Poirot-artigem Showdown im Refektorium eines edlen Oxforder Colleges (wo sonst?), zieht denn auch Pärchen um Pärchen ab. Nur die böse, fremdenfeindliche Schwägerin Jonathans steht zur Strafe alleine da, während die Mutter der beiden Mädchen, die ihre Familie schon in "Jonglieren" verlassen hat, durch den Tod ihrer jüngeren Tochter Lydia ihre eiskalte Eleganz verliert - und die Liebe ihres neuen Mannes, eines Cambridger Literatur-Dozenten. "Er hatte schließlich die Seejungfrau geehelicht. Und nicht Phaedra. Er war Lydia und mir immer als ein Mann erschienen, der sich gerne niederlegte, und er zeigte wie Madame Récamier eine große Vorliebe für die chaiselongue", zerpflückt Lydias Schwester Ellen sein Verhalten in der Krise.

Im Zerpflücken sind sie überhaupt alle groß: die Ich-Erzähler Ellen, Jonathan ("ich habe plötzlich eine unangenehme Vision von Sallys Schlafzimmer als einer dunsterfüllten Fuessli-Hexenlandschaft") und Stella (ihren zukünftigen Schwiegervater etwa nennt sie "Opus Dei", und ihre Rivalin sei, "sogar ohne ihre Kleidung", ganz ein "Harper's & Queen"-Geschöpf) genauso wie ihre Gegenspieler. Raffiniert kitzelt Barbara Trapido, Angetraute eines Oxford-Dons, mit ihren Texten zwischen Satire, Soap und Substanz die Eitelkeit ihrer Leser - bereits "Brother of the More Famous Jack", ihr 1982 veröffentlichter Erstling, entzückte die Preisrichter des Whitbread Awards.

Auch in "Der reisende Waldhornist", ihrem fünften Roman, brilliert die Autorin mit bösartigen, kleinen Spitzen. Und mit einer neuen Düsternis, die das gutartige, große Gerüst untergräbt: Zwar wird die HIV-positive Stella - vermutlich - wieder gesund, ihr reizendes Töchterchen darf seine Omi kennenlernen, Ellen trifft ihren Traummann, und alles in allem siegt die Liebe. Aber diese Hyperbel eines Happy-Ends mündet in ein Bild von Pollern, Polizeiwagen und Absperrbändern. Vom Schrecken des Todes, der im Roman allgegenwärtig ist, sind sogar die professionellen Vielschwätzer mit dem trockenen englischen Humor überfordert: So fahnden sie nach Särgen aus Manilapappe mit Hanfseilen aus einem philippinischen Fair-Trade-Kollektiv und zitieren alldieweil die bedeutsame Zeile "die Sterne stehen zu hoch" von Wilhelm Müller, der seinem unglücklich Liebenden nur das nasse Grab gelassen hat.

Es stimmt schon: Nicht jedes platte Symbol gewinnt durch genüßliches Auswalzen, nicht jede absurde Verstrickung durch noch absurdere Auflösung. Doch wenn Barbara Trapidos "reisender Waldhornist" der britischen Toskana-Fraktion zwischen Oxbridge und London den Marsch bläst, läuft der Leser gerne mit. ALEXANDRA M. KEDVES

Barbara Trapido: "Der reisende Waldhornist". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Beatrice Howeg. Berlin Verlag, Berlin 1999. 323 S., geb., 39,80 DM.

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