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Religiöses Deuten der Wirklichkeit und ihr künstlerisches Gestalten eignen schon den Naturreligionen, wie wir sie im griechischen Raum am besten in der Kunst Altkretas kennen. Die ethischen Religionen fragen nach dem Gesetz, wie es im griechischen geometrischen Stil sichtbar wird. Auf Homers Deutung der Mythen aus inneren Erfahrungen folgt die Zusammenfassung der Sagen in Epen, die der archaischen Kunst zugrunde liegen und dann im 5. Jahrhundert v. Chr. ihre überdauernde Gestaltung in der klassischen Tragödie und Bildkunst gefunden haben.

Produktbeschreibung
Religiöses Deuten der Wirklichkeit und ihr künstlerisches Gestalten eignen schon den Naturreligionen, wie wir sie im griechischen Raum am besten in der Kunst Altkretas kennen. Die ethischen Religionen fragen nach dem Gesetz, wie es im griechischen geometrischen Stil sichtbar wird. Auf Homers Deutung der Mythen aus inneren Erfahrungen folgt die Zusammenfassung der Sagen in Epen, die der archaischen Kunst zugrunde liegen und dann im 5. Jahrhundert v. Chr. ihre überdauernde Gestaltung in der klassischen Tragödie und Bildkunst gefunden haben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.1999

Groß ist die Diana der Epheser
Größer aber ist der Herr: Der Archäologe Karl Schefold zieht die theologische Summe

Karl Schefold war der Doyen der deutschen klassischen Archäologen und Kunsthistoriker und selbst manchem Laien bekannt, beispielsweise durch die frühen Rowohlt-Enzyklopädien über die griechische und römische Kunst als religiöses Phänomen oder "Die Bedeutung der griechischen Kunst für das Verständnis der Evangelien". Kurz vor seinem Tod hat der Basler Emeritus seine Summa vorgelegt, die weniger eine Summa archaeologica als eine Summa theologica ist. Heutzutage, da Hegelsche Gesamtschauen kein zeitgemäßes Genre mehr sind, ein erstaunlich unzeitgemäßes Unternehmen. Was will Schefold?

Die Inhalte der griechischen und römischen Kunst samt der ihr folgenden christlichen Themen will er nicht zeigen, das sei in Kunstgeschichte und Archäologie immer schon gemacht worden. Statt dessen will er die Formgeschichte als eine Geschichte der religiösen Phänomene darstellen. Verfahre man so, meint er, bekomme man einen religiösen Leitfaden durch die Entwicklung der antiken Kunst an die Hand, der von der Religionsgeschichte unabhängig ist beziehungsweise die eigentliche Religionsgeschichte überhaupt erst ausmacht. In der Frömmigkeit der Griechen und Römer sieht Schefold die Fragen und in Leben und Leiden des Erlösers die christliche Antwort, die er bisweilen auch die welthistorische nennt.

Diesen Korrespondenzen zwischen den Frömmigkeitsentwürfen einer Zeit vor Christus und erfüllten Antworten der Zeit nach Christus geht Schefold nach. Wenn seine Konstruktion einen Sinn haben soll, dann muß die christozentrische Kunst etwas sein, das beides aufnimmt und zu einer Synthese bringt: die immanente Wahrheit der griechischen Kunstwerke und das "Transzendieren" der römischen - ein Transzendieren auf den Fleisch gewordenen Logos zu. Da der Logos das "Immanenteste" ist, das es je gegeben habe, stehe die griechische Kunst unter dem Immanenzgesichtspunkt der christlichen näher. Unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz hingegen sei die römische Kunst die geschwisterliche, da sie der christlichen Kunst die organisatorischen Formen vorgebe. Was zuvor römisch-staatliche Kunst war, wurde kirchliche Kunst.

Auf diesem Fundament der Theorie bauen ihre sämtlichen Stockwerke auf. Man kann es von zwei Seiten her lesen: Entweder ist alles göttliche Vorherbestimmung, oder das Christentum denkt die Stilphänomene der antiken Kunst zu Ende. Schefold verbindet beide Lesarten. Er ist, wohlgemerkt, Archäologe. Als solcher deklariert er, ohne mit der Wimper zu zucken, ganze Jahrhunderte zur Vorstufe. An der Eigenständigkeit historischer Phänomene ist er nicht interessiert, einzelne Kunstwerke haben für ihn lediglich Verweischarakter.

Mitunter ist es schwer zu ertragen, wie Schefold mit seinem Universalschlüssel operiert. Was die Griechen betrifft, befindet er sich in wunderbarer Übereinstimmung mit der zweihundert Jahre alten Tradition deutscher Archäologie, Geisteswissenschaften und Philosophie, die die deutsche Wesensverwandtschaft mit dem Griechentum gegenüber den "römischen" Franzosen zur antinapoleonischen Doktrin erhoben. Die Hauptströmung (zu der Goethe, anders als Schefold meint, nicht gehört) von Winckelmann bis Gadamer wertete die griechische Kunst als Seinsoffenbarung.

Was die römische Kunst angeht, wiederholt Schefold die alte Ansicht, sie sei "flach" gewesen und habe im Dienst der Politik gestanden (als hätte die Kunst zur Zeit des Perikles das nicht getan). Weil römische Kunst politisch mächtig gewesen sei, habe sie in einem solchen Maß für institutionelle Festigkeit gesorgt, daß darauf schließlich auch die römische Kirchenorganisation aufgebaut werden konnte. In der römischen Literatur macht Schefold eine geheime Christologie aus: In der ganzen römischen Kunst lebe die Hoffnung, und im Christentum komme sie zu sich. Unchristliche Leser mögen über dieser Form der Typologie verzweifeln und sie für mittelalterliches Denken halten. Das wäre freilich ein Irrtum: Mittelalterliche Disziplinen lebten zwar von der Präfiguration des Christus, aber das war eine Präfiguration der Inhalte, nicht der Formen.

Für christliche und unchristliche Leser gleichermaßen erstaunlich ist der Umstand, daß die Evangelien-Wahrheit so vorgetragen wird wie im späten Pietismus: ein lieber Gott, ein lieber Heiland, ein inniges Gebetsgegenüber ist ihr Kern. Nicht der Krach um den Obersten der Dämonen wird problematisiert, nicht Erniedrigung und Verrat, die so schwer in die Geschichte vom Triumph des Gottessohns zu integrieren sind, nicht die elende Instrumentalisierung, die der transzendente Gott erfährt, indem er seinen Sohn zum Opfer bringt, nicht die daraus folgende Gegenüberstellung von jüdischen Mördern und christlichen Opferern.

Von den blutigen und bis heute im Konfessionenstreit nachwirkenden Konflikten der frühen Kirche steht bei Schefold kein Wort. Unerwähnt bleibt, daß das frühe Christentum sich mit seiner Kunst in Nischen flüchtete, um dort seine Vorstellungen vom Paradies einer grausigen Märtyrerwirklichkeit entgegenzusetzen. Statt dessen gelangen wir über die "edelsten" Symbole - als ob es so etwas gäbe: es gibt Symbole, aber nicht edle und weniger edle - der antiken Welt zum "Herrn". Daß Schefold von Christus als dem "Herrn" spricht, zeigt, daß es sich bei seinem Text tatsächlich um ein Bekenntnis- und Verkündigungsbuch handelt.

Daß es auch in der Zeit des Herrn "furchtbare äußere Zusammenbrüche" und "Katastrophen" gibt, ist ihm allerdings nicht verborgen geblieben. Meint er die Kreuzzüge, meint er Auschwitz? Nein: "Wenn der Mensch das Antlitz der Schöpfung mit Wohn- und Nutzbauten von unerhörter Häßlichkeit wie noch nie geschändet hat; wenn er von Erfindung zu Erfindung rast und nach dem äußeren Glück statt nach dem Heil fragt, so ist dies ein Abfall von Gott, der ohnegleichen ist." Ja, wenn das das Schlimmste ist, was Menschen einander angetan haben - häßliche Architektur zu fabrizieren -, möchte es noch hingehen. Daß die Form ein religiöses Phänomen sei, wie Schefold schreibt, möchte man dick unterstreichen. Nur ist dies religiöse Phänomen in der römischen Formensprache nicht damit zu fassen, daß man sagt, die Römer transzendierten. Nur wenn man nah an die Phänomene heran- und tief in die Interpretation einzelner Stücke hineingeht, wird erkennbar, daß auch in der römischen Kunst jede Neuerung ein fragiler Versuch der Collage jahrhundertealter religiöser Erfahrungen ist, der zu sowohl politischer wie ästhetischer Synthese zwingt.

Und die Griechen? Die Hauptgegenstände der griechischen Skulptur sind bis in späte Zeit hinein Götter und Halbgötter. Die Form, die sie in der griechischen Kunst erfahren, bringt sie in einen Kanon, der sie daran hindert, sich in dämonischem Furor gegenseitig umzubringen. Die Schaffung einer Welt von Gestalten, die nebeneinander plaziert werden können, obgleich sie einander mitunter einen Pfeil durchs Herz schießen: das ist schon eine enorme religiöse Ordnungsleistung. Apollon ist, ehe er in der Skulptur gebändigt wird, ja wirklich der Pestpfeileschicker, der unheimliche Gott im Hinterhalt, der Wölfische. Und nun steht dieser Schreckensgott plötzlich als edle Gestalt lässig auf seinen Bogen gelehnt, und der Wolf liegt als Begleithündchen zu seinen Füßen: Was für eine Wandlung.

Aber Schefold kennt die Kategorie der Wandlung nicht. Die Nachahmung der antiken Kunst, die Berufung auf die Antike - bis zum Ersten Weltkrieg gehörte Plutarch zu den meistzitierten Autoren im britischen Parlament - ist keine Fortsetzung, sondern eine Übersetzung, Verwandlung. Schefold hat kein Vokabular der Übersetzung, der Verwandlungen. "Transzendieren" ist keine solche Kategorie. "Abstraktion" wäre ein besserer Ausdruck. Die pompejanische Malerei etwa ist in einen Stil-Manierismus, einen Abstraktionsvorgang hineingetrieben worden, bis die Bilder am Ende buchstäblich als Bilder an der Wand erscheinen.

Es muß Schefold mit Bitternis erfüllt haben, daß die Einheit der klassischen Antike zu seinen Lebzeiten zerfallen ist, daß die humanistische Einheit unterging und die klassische Antike in der französischen Archäologenschule von Jean Pierre Vernant zu einem darwinistischen Spektakel wurde. Nun sucht er sie dadurch wiederherzustellen, daß er den christlichen Geistwind, der erst nach der antiken Welt wehte, schon durch den Formenkanon der griechischen, hellenistischen und römischen Antike wehen läßt. Das ist sein Vermächtnis.

CAROLINE NEUBAUR

Karl Schefold: "Der religiöse Gehalt der antiken Kunst und die Offenbarung". Unter Mitarbeit von Mirjam T. Jenny. Philipp von Zabern Verlag, Mainz 1998. 580 S., Abb., geb., 68,- DM.

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