»Max Scharnigg schreibt kluge, magische, lichtdurchflutete, einzigartige Geschichten.« Mariana Leky
Ein verliebter Stilkolumnist, der sich einen einzigen Fehltritt leistet. Ein mysteriöser Anschlag, der in Wirklichkeit ein Leben rettet. Und eine Frau, die sich plötzlich daran erinnert, wer sie einmal sein wollte. Geschichten von Liebe und Unbehagen - in einer Zeit, die grundsätzlich eine Zumutung ist.
Ein verliebter Stilkolumnist, der sich einen einzigen Fehltritt leistet. Ein mysteriöser Anschlag, der in Wirklichkeit ein Leben rettet. Und eine Frau, die sich plötzlich daran erinnert, wer sie einmal sein wollte. Geschichten von Liebe und Unbehagen - in einer Zeit, die grundsätzlich eine Zumutung ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2018Da sind sogar die Bombenlegerinnen irgendwie süß
Ein giftiger Fisch im Paradies: Max Scharniggs Roman "Der restliche Sommer" lässt einen Stilkolumnisten alter Schule auf die neue Welt los
Max Scharnigg, Redakteur für Stilfragen beim Magazin der "Süddeutschen Zeitung", hat schon einige Bücher geschrieben, derentwegen man ihn einfach lieben muss. Die Helden, oft Autoren wie du und ich, sind still verträumt, skurril, sonderbar, aber jedenfalls grundsympathisch und auf heitere Weise lebensklug. Der Stil ist elegant und witzig, der soziologische Erkenntnisgehalt größer als bei einem Fuder Suhrkamp-Bändchen über Authentizität als Ware und Bobo-Attitüden als Performancekunst. Die Leser lieben Scharnigg für seinen zärtlichen Humor, und selbst die Kritiker schwärmen von "zum Knutschen kauzigen" Figuren.
Solche Komplimente machen einen unbestechlichen Zeitgeist-Beobachter natürlich unruhig, und so rechnet Scharnigg in seinem neuen Roman vergleichsweise knallhart mit der watteweichen Zärtlichkeit der Welt ab. Schluss mit Hygge und Heiterkeit: Das Leben ist kein Puppenhaus, Stilkritik kein Pappenstiel, Lifestyle-Satire kein Ponyhof. Da draußen lauern Terroristen, die echte Bomben werfen und das leichte Geplauder der Schöngeister und Witzbolde zur Makulatur, wenn nicht zu einem Verbrechen machen.
Paul, Gentleman und allseits geschätzter Stilkolumnist, ahnt, dass seine Dreiteiler, seine männlich gepflegte Ironie und seine Betrachtungen über Windsorknoten und Smartphone-Etikette Auslaufmodelle sind. Wir leben im Zeitalter von "Terrorjournalismus", MeToo-Debatten und Youtube-Blogs. Pauls Redakteur verlangt weniger "Wischiwaschi" und eine deutlich jüngere und weiblichere Ansprache. Freche Mädchen formulieren es noch frecher: "Alter weißer Mann erklärt den entzückten Biomolchen in den Retrovierteln, wie sie Hofknicks machen und sich die Frauen auch weiterhin gefügig halten. Ganz bittere Männertümelei, ganz sexistischer Brainfuck, immer schön breit in den Arsch des Wohlstandsprekariats geschmiert".
Als "Deutschlands Benimmpapst Nummer eins" mitten im Sommerurlaub in seiner stilvollen portugiesischen Strand-Cabana die Kündigungsmail seines Chefs bekommt, ist er wenig überrascht, aber doch leicht gekränkt. Nachfolgerin wird ausgerechnet seine Ex-Frau Sonja, eine Trennungstherapeutin, die als Autorin eines Kummerbüchleins dahinkümmerte, aber nach einem Radiointerview über ihre Eheerfahrungen plötzlich groß herauskommt als Königin feministischer Hashtags, Bleib-du-selbst-Kränzchen und Vertreterin der "neuen urbanen Weiblichkeit". Die Moderatorin, höhnt Scharnigg über Sonjas Hausfrauen-Blockbuster, "machte hier zum Glück genau das Geräusch, das man an dieser Stelle erwartete, eine schwesterliche, wohlwollende Brummkaskade, die Spuren von Satinbettwäsche enthielt".
Pauls aktuelle Freundin Sara übernimmt unterdessen, mindestens für den restlichen Sommer, von der nierenkranken Wirtin die Kneipe am Hafen und gibt so ihrem unaufhaltsamen Abstieg von der Hoffnungsträgerin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums zur global gescheiterten Performancekünstlerin erstmals so etwas wie Sinn und Erdung. Saras Ex-Freund Tin Hasenglock wiederum ist ein Nerd, der für seine Flirt-Startup-App Harpf.com erst das Schulterklopfen der Lokalzeitung und dann Millionen erhielt. Jetzt liegt er im Krankenhaus, zum Glück: Nach einem Bombenanschlag leicht verletzt, entfernte man ihm gerade noch rechtzeitig einen Tumor im Darm. Nebenan liegt Tove, eine militante Achtzehnjährige, die das Patriarchat in die Luft sprengen will, nachdem sie beim Praktikum in der Biobäckerei zwei Finger verlor, und erklärt Tin die Welt.
So ist Scharnigg nun einmal: Bei ihm sind sogar die Bombenlegerinnen irgendwie süß und die Dystopien wie Geheimtipps für schnuckelige Sommerferien zu zweit. "Der restliche Sommer" spielt in einer nahen Zukunft, die man nicht übermäßig fürchten muss. Senioren und Nostalgiker wohnen in schicken "Retrovierteln" mit naturbelassenem Glockengeläut, Zeitungen, Kopfsteinpflaster und Telefonzellenattrappen. Die Menschen kaufen online nutzlos pfiffige Trostspender wie den mitdenkenden Hornhautentferner oder den ergonomischen Pommes-Schneider, damit sie die gefährliche Welt jenseits ihres Heims gar nicht mehr betreten müssen.
Stilvoll geht die Welt zugrunde. Die guten Zeitungen sterben aus, die besten Schreiber ziehen sich auf die hinteren Seiten oder unter den Feuilletonstrich zurück. Aber noch gibt es verschwiegene Bars unter Palmen, wo man es auch als Benimmpapst auf verlorenem Posten aushalten, schöne Wörter wie "bürgerliche Dämmerung" und "Glücksgelöt" erfinden und am Ende in Würde abtreten kann. Ein Tritt in ein giftiges Petermännchen gibt Paul Gelegenheit, dem Tod eine letzte "stimmige", makellos tragisch-heroische Kolumne über die Kunst des Sterbens abzutrotzen: "Wer so stirbt, als würde er leben, hat dem Tod seinen Stachel genommen."
Der abgehalfterte Oberlehrer triumphiert so über die agilen "Lebensfürstinnen" und Kummerkastentanten, der Stilkolumnist macht noch aus seinem Abgang eine gelungene Schlusspointe. Letale Selbstironie macht Paul, den seichten Strandläufer und Sommerfrischler, am Ende doch noch zum giftigen Fisch im Paradies. In seinem dritten Roman ist Max Scharnigg, ohne seine bezaubernde kindliche Verspieltheit aufzugeben, ziemlich erwachsen und beinahe todernst geworden.
MARTIN HALTER
Max Scharnigg: "Der restliche Sommer". Roman.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2018. 240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein giftiger Fisch im Paradies: Max Scharniggs Roman "Der restliche Sommer" lässt einen Stilkolumnisten alter Schule auf die neue Welt los
Max Scharnigg, Redakteur für Stilfragen beim Magazin der "Süddeutschen Zeitung", hat schon einige Bücher geschrieben, derentwegen man ihn einfach lieben muss. Die Helden, oft Autoren wie du und ich, sind still verträumt, skurril, sonderbar, aber jedenfalls grundsympathisch und auf heitere Weise lebensklug. Der Stil ist elegant und witzig, der soziologische Erkenntnisgehalt größer als bei einem Fuder Suhrkamp-Bändchen über Authentizität als Ware und Bobo-Attitüden als Performancekunst. Die Leser lieben Scharnigg für seinen zärtlichen Humor, und selbst die Kritiker schwärmen von "zum Knutschen kauzigen" Figuren.
Solche Komplimente machen einen unbestechlichen Zeitgeist-Beobachter natürlich unruhig, und so rechnet Scharnigg in seinem neuen Roman vergleichsweise knallhart mit der watteweichen Zärtlichkeit der Welt ab. Schluss mit Hygge und Heiterkeit: Das Leben ist kein Puppenhaus, Stilkritik kein Pappenstiel, Lifestyle-Satire kein Ponyhof. Da draußen lauern Terroristen, die echte Bomben werfen und das leichte Geplauder der Schöngeister und Witzbolde zur Makulatur, wenn nicht zu einem Verbrechen machen.
Paul, Gentleman und allseits geschätzter Stilkolumnist, ahnt, dass seine Dreiteiler, seine männlich gepflegte Ironie und seine Betrachtungen über Windsorknoten und Smartphone-Etikette Auslaufmodelle sind. Wir leben im Zeitalter von "Terrorjournalismus", MeToo-Debatten und Youtube-Blogs. Pauls Redakteur verlangt weniger "Wischiwaschi" und eine deutlich jüngere und weiblichere Ansprache. Freche Mädchen formulieren es noch frecher: "Alter weißer Mann erklärt den entzückten Biomolchen in den Retrovierteln, wie sie Hofknicks machen und sich die Frauen auch weiterhin gefügig halten. Ganz bittere Männertümelei, ganz sexistischer Brainfuck, immer schön breit in den Arsch des Wohlstandsprekariats geschmiert".
Als "Deutschlands Benimmpapst Nummer eins" mitten im Sommerurlaub in seiner stilvollen portugiesischen Strand-Cabana die Kündigungsmail seines Chefs bekommt, ist er wenig überrascht, aber doch leicht gekränkt. Nachfolgerin wird ausgerechnet seine Ex-Frau Sonja, eine Trennungstherapeutin, die als Autorin eines Kummerbüchleins dahinkümmerte, aber nach einem Radiointerview über ihre Eheerfahrungen plötzlich groß herauskommt als Königin feministischer Hashtags, Bleib-du-selbst-Kränzchen und Vertreterin der "neuen urbanen Weiblichkeit". Die Moderatorin, höhnt Scharnigg über Sonjas Hausfrauen-Blockbuster, "machte hier zum Glück genau das Geräusch, das man an dieser Stelle erwartete, eine schwesterliche, wohlwollende Brummkaskade, die Spuren von Satinbettwäsche enthielt".
Pauls aktuelle Freundin Sara übernimmt unterdessen, mindestens für den restlichen Sommer, von der nierenkranken Wirtin die Kneipe am Hafen und gibt so ihrem unaufhaltsamen Abstieg von der Hoffnungsträgerin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums zur global gescheiterten Performancekünstlerin erstmals so etwas wie Sinn und Erdung. Saras Ex-Freund Tin Hasenglock wiederum ist ein Nerd, der für seine Flirt-Startup-App Harpf.com erst das Schulterklopfen der Lokalzeitung und dann Millionen erhielt. Jetzt liegt er im Krankenhaus, zum Glück: Nach einem Bombenanschlag leicht verletzt, entfernte man ihm gerade noch rechtzeitig einen Tumor im Darm. Nebenan liegt Tove, eine militante Achtzehnjährige, die das Patriarchat in die Luft sprengen will, nachdem sie beim Praktikum in der Biobäckerei zwei Finger verlor, und erklärt Tin die Welt.
So ist Scharnigg nun einmal: Bei ihm sind sogar die Bombenlegerinnen irgendwie süß und die Dystopien wie Geheimtipps für schnuckelige Sommerferien zu zweit. "Der restliche Sommer" spielt in einer nahen Zukunft, die man nicht übermäßig fürchten muss. Senioren und Nostalgiker wohnen in schicken "Retrovierteln" mit naturbelassenem Glockengeläut, Zeitungen, Kopfsteinpflaster und Telefonzellenattrappen. Die Menschen kaufen online nutzlos pfiffige Trostspender wie den mitdenkenden Hornhautentferner oder den ergonomischen Pommes-Schneider, damit sie die gefährliche Welt jenseits ihres Heims gar nicht mehr betreten müssen.
Stilvoll geht die Welt zugrunde. Die guten Zeitungen sterben aus, die besten Schreiber ziehen sich auf die hinteren Seiten oder unter den Feuilletonstrich zurück. Aber noch gibt es verschwiegene Bars unter Palmen, wo man es auch als Benimmpapst auf verlorenem Posten aushalten, schöne Wörter wie "bürgerliche Dämmerung" und "Glücksgelöt" erfinden und am Ende in Würde abtreten kann. Ein Tritt in ein giftiges Petermännchen gibt Paul Gelegenheit, dem Tod eine letzte "stimmige", makellos tragisch-heroische Kolumne über die Kunst des Sterbens abzutrotzen: "Wer so stirbt, als würde er leben, hat dem Tod seinen Stachel genommen."
Der abgehalfterte Oberlehrer triumphiert so über die agilen "Lebensfürstinnen" und Kummerkastentanten, der Stilkolumnist macht noch aus seinem Abgang eine gelungene Schlusspointe. Letale Selbstironie macht Paul, den seichten Strandläufer und Sommerfrischler, am Ende doch noch zum giftigen Fisch im Paradies. In seinem dritten Roman ist Max Scharnigg, ohne seine bezaubernde kindliche Verspieltheit aufzugeben, ziemlich erwachsen und beinahe todernst geworden.
MARTIN HALTER
Max Scharnigg: "Der restliche Sommer". Roman.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2018. 240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Beinahe todernst begegnet der Autor dem Rezensenten. Das wundert Martin Halter dann doch. Max Scharnigg kannte er zwar als unbestechlichen Zeitgeistbeobachter, aber vor allem als witzig und elegant, gesegnet mit zärtlichem Humor. Und nun? Knallhart geht es laut Halter zu im neuen Roman, in dem der Autor in die nahe Zukunft blickt, wo Nostalgiker in "Retrovierteln" wohnen, während draußen die bürgerliche Welt langsam zugrundegeht. Dass Scharnigg seine kindliche Verspieltheit trotzdem nicht aufgegeben hat, freut Halter ehrlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Max Scharnigg brilliert sprachlich, wenn er das Gefühlsleben seiner Akteure beschreibt.« stern 20180719