Mit dem Rezensionsautomaten CENSEO, der im Literaturseminar der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe unter der Leitung von Stephan Krass entwickelt wurde, steht erstmals ein Modus der Literaturkritik zur Verfügung, der allein auf dem Verfahren automatisierter Texterzeugung beruht. Folgt man den Instruktionen des Bord-Monitors dieser physisch präsenten und begehbaren Installation, erhält man zunächst eine Rezension und dann das zugehörige Gedicht. Die Umstellung der Literaturkritik auf ein generatives Verfahren ist Anlass genug, das Rezensionswesen in Geschichte und Gegenwart anhand einiger signifikanter Fälle etwas genauer zu betrachten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2012Gegenpapst
Stephan Krass baut uns den Rezensionsautomaten
"Schlag ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent." Als Goethe 1796 den Plan ausheckte, mit seinem Freund Schiller die satirische Schmäh-Schrift Xenien zu verfassen, dann hatte er als Zielscheibe vor allem den stumpfsinnigen Typus des Kritikers im Sinn. Schließlich sei genau dieser fiese Intellektuelle für das "allgemeine und revoltante Glück der Mittelmäßigkeit" verantwortlich, für die Verrohung und den Ekel im Literaturbetrieb. Wenn Goethe die Entwicklung der Kritikkultur im digitalen Zeitalter miterleben könnte, dann würde er sich in seiner Meinung vermutlich bestätigt sehen: Däumchen hoch, Däumchen runter; die Sternchenskala im Netz geht von eins bis fünf.
Diesen Umstand, den Verlust der Kritikerhoheit, haben nun einige Studenten der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe durch den Bau eines Rezensionsautomaten zu überwinden versucht. Die Maschine "Censeo", die in Karlsruhe steht, stellt über einen Zufallsgenerator syntaktisch korrekte, inhaltlich jedoch unverständliche Kritiken her. Sie sollen das demokratische Prinzip der Schwarm-Intelligenz spiegeln und gleichzeitig gerecht und vorurteilsfrei sein. Den Primärtext spuckt die Maschine erst an zweiter Stelle heraus; er wird über den Zufallsautomaten "Genero" erzeugt, ohne einen direkten Zusammenhang zum Rezensionstext erkennen zu lassen.
Stephan Krass, der das Projekt betreut und eine Betriebsanleitung (oder vielmehr: eine Art Ästhetik) zum Automaten verfasst hat, empfindet das als eminente Stärke seiner Konstruktion: "Es handelt sich um eine unbestechliche, krisensichere und weitgehend kostenneutrale Maschine." Man merkt dem Literaturwissenschaftler seine Skepsis gegenüber dem konventionellen Literaturbetrieb an und seine Freude darüber, dass die Macht des Bewertens nicht mehr in den Händen einiger Rezensionspäpste liegt.
Was Stephan Krass thematisiert, ist die Enttäuschung darüber, dass die Literaturgeschichte, die eine Geschichte des Experiments ist, "das behäbige Zentrum der eingeschliffenen Rezeptionsgewohnheiten" nicht nachhaltig verändern konnte. Die Maschine ist eine kreative Antwort darauf. Doch stimmt das Urteil überhaupt? Zugegeben: Wenn man sich die wöchentlich publizierten Bestseller-Listen anschaut, dann kann man seine Enttäuschung nachvollziehen gegenüber dem eingefahrenen Verhalten des Lesepublikums. Texte, die direkt aus dem Leben erzählen und Sprache als Medium des leichten, koketten Unterhaltens verstehen, sind Vorreiter jeder marktwirtschaftlich erfolgreichen Belletristik. Doch es gibt zahlreiche Schriftsteller, die diesen Popularisierungstrend als Herausforderung begreifen - als Möglichkeit, das Horazsche Diktum "delectare et prodesse" radikal zu modernisieren und dem Trend der Beliebigkeit durch kluge Unterhaltungskunst entgegenzuwirken. Insofern wird der vielbeschworene Tod des Kritikers nicht auch der Tod der Literatur sein. Gute Literatur wird weiterexistieren und uns auch in Zukunft überraschen. Um dagegen gewappnet zu sein, braucht es jedoch mehr als einen Zufallsgenerator. Dafür braucht es immer noch den guten alten Verstand.
TOMASZ KURIANOWICZ
Stephan Krass: "Der Rezensionsautomat". Kleine Betriebsanleitung für Kritiker und Leser.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011. 153 S., br., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stephan Krass baut uns den Rezensionsautomaten
"Schlag ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent." Als Goethe 1796 den Plan ausheckte, mit seinem Freund Schiller die satirische Schmäh-Schrift Xenien zu verfassen, dann hatte er als Zielscheibe vor allem den stumpfsinnigen Typus des Kritikers im Sinn. Schließlich sei genau dieser fiese Intellektuelle für das "allgemeine und revoltante Glück der Mittelmäßigkeit" verantwortlich, für die Verrohung und den Ekel im Literaturbetrieb. Wenn Goethe die Entwicklung der Kritikkultur im digitalen Zeitalter miterleben könnte, dann würde er sich in seiner Meinung vermutlich bestätigt sehen: Däumchen hoch, Däumchen runter; die Sternchenskala im Netz geht von eins bis fünf.
Diesen Umstand, den Verlust der Kritikerhoheit, haben nun einige Studenten der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe durch den Bau eines Rezensionsautomaten zu überwinden versucht. Die Maschine "Censeo", die in Karlsruhe steht, stellt über einen Zufallsgenerator syntaktisch korrekte, inhaltlich jedoch unverständliche Kritiken her. Sie sollen das demokratische Prinzip der Schwarm-Intelligenz spiegeln und gleichzeitig gerecht und vorurteilsfrei sein. Den Primärtext spuckt die Maschine erst an zweiter Stelle heraus; er wird über den Zufallsautomaten "Genero" erzeugt, ohne einen direkten Zusammenhang zum Rezensionstext erkennen zu lassen.
Stephan Krass, der das Projekt betreut und eine Betriebsanleitung (oder vielmehr: eine Art Ästhetik) zum Automaten verfasst hat, empfindet das als eminente Stärke seiner Konstruktion: "Es handelt sich um eine unbestechliche, krisensichere und weitgehend kostenneutrale Maschine." Man merkt dem Literaturwissenschaftler seine Skepsis gegenüber dem konventionellen Literaturbetrieb an und seine Freude darüber, dass die Macht des Bewertens nicht mehr in den Händen einiger Rezensionspäpste liegt.
Was Stephan Krass thematisiert, ist die Enttäuschung darüber, dass die Literaturgeschichte, die eine Geschichte des Experiments ist, "das behäbige Zentrum der eingeschliffenen Rezeptionsgewohnheiten" nicht nachhaltig verändern konnte. Die Maschine ist eine kreative Antwort darauf. Doch stimmt das Urteil überhaupt? Zugegeben: Wenn man sich die wöchentlich publizierten Bestseller-Listen anschaut, dann kann man seine Enttäuschung nachvollziehen gegenüber dem eingefahrenen Verhalten des Lesepublikums. Texte, die direkt aus dem Leben erzählen und Sprache als Medium des leichten, koketten Unterhaltens verstehen, sind Vorreiter jeder marktwirtschaftlich erfolgreichen Belletristik. Doch es gibt zahlreiche Schriftsteller, die diesen Popularisierungstrend als Herausforderung begreifen - als Möglichkeit, das Horazsche Diktum "delectare et prodesse" radikal zu modernisieren und dem Trend der Beliebigkeit durch kluge Unterhaltungskunst entgegenzuwirken. Insofern wird der vielbeschworene Tod des Kritikers nicht auch der Tod der Literatur sein. Gute Literatur wird weiterexistieren und uns auch in Zukunft überraschen. Um dagegen gewappnet zu sein, braucht es jedoch mehr als einen Zufallsgenerator. Dafür braucht es immer noch den guten alten Verstand.
TOMASZ KURIANOWICZ
Stephan Krass: "Der Rezensionsautomat". Kleine Betriebsanleitung für Kritiker und Leser.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011. 153 S., br., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Tomasz Kurianowicz sieht die "kleine Betriebsanleitung", die Stephan Krass zu dem von ihm an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe betreuten Projekt eines Rezensionsautomaten verfasst hat, auch als Ausdruck einer "Enttäuschung". Indem der "Censeo" genannte Automat nämlich mittels eines textautomatischen Verfahrens eine Kritik schon vor dem Primärtext ausspuckt, wird nicht zuletzt über das eingefahrene Rezeptionsverhalten des Publikums reflektiert, erfahren wir. Das ist aber in den Augen des Rezensenten vielleicht etwas zu schwarzgesehen, weil er doch zu erkennen meint, dass die Literatur trotz des konstatierten "Tod des Kritikers" nicht sterben wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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