-Sein zerstörtes Leben. Welch ein Unterfangen: ich gedenke des Lebens meines Freundes, des Schriftstellers. Hier, neben mir, auf diesem Tisch liegen seine Papiere. Notzien in einem unvorstellbaren Durcheinander, halbfertige Gedichte, Tagebücher, Buchfragmente. Und ich habe ihn gekannt, das macht es auch nicht leichter.
Ein Schriftsteller reist auf eine -weiße Insel- in spanischen Gewässern, wo er ein Buch zu Ende bringen will, an dem sein verstorbener Freund Andre Steenkamp bis unmittelbar vor seinem Tod gearbeitet hat. Doch rasch gerät er, der sich bald nach seiner Ankunft unter den Freunden des Freundes bewegt, als sei er schon lange da, in den Bann des Verstorbenen.
Ein Schriftsteller reist auf eine -weiße Insel- in spanischen Gewässern, wo er ein Buch zu Ende bringen will, an dem sein verstorbener Freund Andre Steenkamp bis unmittelbar vor seinem Tod gearbeitet hat. Doch rasch gerät er, der sich bald nach seiner Ankunft unter den Freunden des Freundes bewegt, als sei er schon lange da, in den Bann des Verstorbenen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.1996Klappernd in den Musenbetten
Darf belacht werden: Die Attitüde des jungen Cees Nooteboom
Als Cees Nooteboom noch nicht der ruhmbedeckte Reiseerzähler, der abgeklärte Augenmensch, der exemplarische Europäer und der glückliche Genießer literarischer Späterfolge war, sondern ein nervöser, von Schreib- und Lebenskrisen gebeutelter Nachwuchsdichter, verfertigte er den Roman "Der Ritter ist gestorben", der in den Niederlanden 1963 veröffentlicht wurde. Nootebooms verheißungsvolles Debüt "Das Paradies ist nebenan" lag damals acht Jahre zurück, und weitere siebzehn Jahre sollten bis zum Erscheinen der "Rituale" vergehen. Was von seinem geharnischten zweiten Anlauf als Romancier zu halten sei, erläuterte der Autor in einer reiferen Schaffensphase: "Ein komisches Buch. Ein hysterisches Buch. Ein Buch über Neurosen und Angst. Über Selbstvernichtung. Über die ewige Frage: schreiben oder leben. Später habe ich entdeckt, daß ich auf dem Holzweg war. Man muß sich selber gar nicht vernichten, um zu schreiben."
Natürlich hat sich der Verlag gehütet, diesen Warnhinweis der - erwartungsgemäß vortrefflichen - Übersetzung von Helga van Beuningen beizugeben, in der das kuriose Frühwerk nun noch geschwind am deutschen Nooteboom-Boom partizipieren soll. Der Klappentext wirbt statt dessen mit Zitaten aus der Eloge, die der niederländische Kritiker C. J. E. Dinaux, Jahrgang 1898, seinerzeit in einem Beinahe-Delirium begeisterter Einfühlung verfaßte, tief bewegt und erschüttert von dem Roman, der ihm "die Not des Schreibens so eindringlich vor Augen geführt" habe. Von der Not des Lesens ist wieder einmal nicht die Rede, doch gerade die kann sich bei diesem Buch ins Qualvolle steigern, wenn man nicht weiß, daß vieles darin aus heutiger Sicht getrost belacht werden darf.
Der Holzweg des jungen Nooteboom führt kreuz und quer über die Insel Ibiza, deren damals noch intakte Import-Boheme er offenbar gründlich kennenlernte, bevor er das ruhigere Schwester-Eiland Menorca zu seiner zweiten Heimat erkor. Als sein Ich-Erzähler, von Beruf Schriftsteller, sich in Barcelona einschifft, ist er nicht bloß reif für die Insel, sondern hat eine schwerwiegende Mission im Gepäck: Er will das Buch vollenden, das sein verstorbener Freund André Steenkamp, ebenfalls Schriftsteller, auf Ibiza über das Leben und Sterben eines dritten Schriftstellers schreiben wollte, jedoch wegen einer eskalierenden, schließlich zum Selbstmord führenden Schreibhemmung nicht zustande brachte. Die Konstruktion erinnert an das Schachtelprinzip russischer Babuschka-Puppen, aber der Autor offeriert einen anmutigeren Vergleich: die Krankenschwester auf den alten holländischen Droste-Kakaodosen, die eine Dose in der Hand hält, auf der eine Krankenschwester . . .
"Ich war eine Dose" hieß ein epochaler Wiederverwertungs-Slogan der Weißblechindustrie. "Wer ,Der Ritter ist gestorben' nicht kennt, weiß im Grunde nicht, was für eine Art Schriftsteller ich bin", lautet ein etwas unvorsichtiges Bekenntnis von Cees Nooteboom. Wollen wir, müssen wir alles so genau wissen? Wer im Schlepptau des namenlosen Balearenfahrers den Spuren André Steenkamps gefolgt ist, wer diesen bleischwer gerüsteten, blechklappernden Don Quijote des Schreibhandwerks bis zum letzten Absinth durch Ibizas Künstlerkneipen und Musenbetten begleitet hat, der könnte fatalerweise auch in den neueren Prosawerken Nootebooms noch Spuren einer Gemütslage entdecken, die im Ritter-Epos treffend, aber humorlos als "erregtes Selbstmitleid" bezeichnet wird.
Das pathetisch vergrübelte Daseinsgefühl des Dichters, der unentwegt über die Fragwürdigkeit aller Literatur, über den Antagonismus von Schreiben und Leben meditiert und dennoch den Griffel nicht loslassen kann, hat der Niederländer später mit spielerischer Ironie und erzählerischem Raffinement genießbar gemacht; das verwirrende Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit blieb ihm ein Lieblingsthema, für das er allerlei listige, freilich auch kopflastige Variationen fand. Im vollen Ernst des Sturmes und Dranges, im metaphernrauschenden Überschwang der frühen Jahre indes wirkt die Attitüde, die man mittlerweile vornehm "selbstreferentiell" nennt, so peinigend überspannt, daß heutigen Nooteboom-Lesern schier der Spaß vergehen könnte, müßten sie sich nun immerfort den Schreibkampf und -krampf jener bedauernswerten Rittergestalt vergegenwärtigen.
Welche Stärken der Schriftsteller Cees Nooteboom entwickeln würde, läßt das Opus von 1963 überall dort erahnen, wo der hohe Ton eifernder Sinnsuche abgelöst wird von der Beschreibung sinnlich-konkreter Eindrücke im damals noch durchaus fremdartigen Spanien: die Insellandschaft, eine Militärparade, archaische Musik in Kellerlokalen, eine Leichenprozession. Werden dann aber Stierkampfszenen, deren düstere Eleganz in einer Reiseschilderung beeindruckt hätte, zwecks metaphorischer Verquickung von Tod und Eros in einen freudlosen Paarungsakt eingeblendet, schließen wir uns gern wieder dem Urteil des Verfassers an: ein komisches Buch, ein hysterisches Buch.
Wie sanft und simpel hat Nooteboom das existentielle Problem, das ihm einst verbales Kampfgetöse abnötigte, knapp zwei Jahrzehnte später in der Novelle "Ein Lied von Schein und Sein" auf den Punkt gebracht: "Schreiben, das ist so eine Sache, und wer da zuviel drüber nachdenkt, schreibt nicht mehr." Gewiß. Und ganz von fern nur hört man es noch leise, leise klappern. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Cees Nooteboom: "Der Ritter ist gestorben". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 151 S., geb., 36,- DM.
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Darf belacht werden: Die Attitüde des jungen Cees Nooteboom
Als Cees Nooteboom noch nicht der ruhmbedeckte Reiseerzähler, der abgeklärte Augenmensch, der exemplarische Europäer und der glückliche Genießer literarischer Späterfolge war, sondern ein nervöser, von Schreib- und Lebenskrisen gebeutelter Nachwuchsdichter, verfertigte er den Roman "Der Ritter ist gestorben", der in den Niederlanden 1963 veröffentlicht wurde. Nootebooms verheißungsvolles Debüt "Das Paradies ist nebenan" lag damals acht Jahre zurück, und weitere siebzehn Jahre sollten bis zum Erscheinen der "Rituale" vergehen. Was von seinem geharnischten zweiten Anlauf als Romancier zu halten sei, erläuterte der Autor in einer reiferen Schaffensphase: "Ein komisches Buch. Ein hysterisches Buch. Ein Buch über Neurosen und Angst. Über Selbstvernichtung. Über die ewige Frage: schreiben oder leben. Später habe ich entdeckt, daß ich auf dem Holzweg war. Man muß sich selber gar nicht vernichten, um zu schreiben."
Natürlich hat sich der Verlag gehütet, diesen Warnhinweis der - erwartungsgemäß vortrefflichen - Übersetzung von Helga van Beuningen beizugeben, in der das kuriose Frühwerk nun noch geschwind am deutschen Nooteboom-Boom partizipieren soll. Der Klappentext wirbt statt dessen mit Zitaten aus der Eloge, die der niederländische Kritiker C. J. E. Dinaux, Jahrgang 1898, seinerzeit in einem Beinahe-Delirium begeisterter Einfühlung verfaßte, tief bewegt und erschüttert von dem Roman, der ihm "die Not des Schreibens so eindringlich vor Augen geführt" habe. Von der Not des Lesens ist wieder einmal nicht die Rede, doch gerade die kann sich bei diesem Buch ins Qualvolle steigern, wenn man nicht weiß, daß vieles darin aus heutiger Sicht getrost belacht werden darf.
Der Holzweg des jungen Nooteboom führt kreuz und quer über die Insel Ibiza, deren damals noch intakte Import-Boheme er offenbar gründlich kennenlernte, bevor er das ruhigere Schwester-Eiland Menorca zu seiner zweiten Heimat erkor. Als sein Ich-Erzähler, von Beruf Schriftsteller, sich in Barcelona einschifft, ist er nicht bloß reif für die Insel, sondern hat eine schwerwiegende Mission im Gepäck: Er will das Buch vollenden, das sein verstorbener Freund André Steenkamp, ebenfalls Schriftsteller, auf Ibiza über das Leben und Sterben eines dritten Schriftstellers schreiben wollte, jedoch wegen einer eskalierenden, schließlich zum Selbstmord führenden Schreibhemmung nicht zustande brachte. Die Konstruktion erinnert an das Schachtelprinzip russischer Babuschka-Puppen, aber der Autor offeriert einen anmutigeren Vergleich: die Krankenschwester auf den alten holländischen Droste-Kakaodosen, die eine Dose in der Hand hält, auf der eine Krankenschwester . . .
"Ich war eine Dose" hieß ein epochaler Wiederverwertungs-Slogan der Weißblechindustrie. "Wer ,Der Ritter ist gestorben' nicht kennt, weiß im Grunde nicht, was für eine Art Schriftsteller ich bin", lautet ein etwas unvorsichtiges Bekenntnis von Cees Nooteboom. Wollen wir, müssen wir alles so genau wissen? Wer im Schlepptau des namenlosen Balearenfahrers den Spuren André Steenkamps gefolgt ist, wer diesen bleischwer gerüsteten, blechklappernden Don Quijote des Schreibhandwerks bis zum letzten Absinth durch Ibizas Künstlerkneipen und Musenbetten begleitet hat, der könnte fatalerweise auch in den neueren Prosawerken Nootebooms noch Spuren einer Gemütslage entdecken, die im Ritter-Epos treffend, aber humorlos als "erregtes Selbstmitleid" bezeichnet wird.
Das pathetisch vergrübelte Daseinsgefühl des Dichters, der unentwegt über die Fragwürdigkeit aller Literatur, über den Antagonismus von Schreiben und Leben meditiert und dennoch den Griffel nicht loslassen kann, hat der Niederländer später mit spielerischer Ironie und erzählerischem Raffinement genießbar gemacht; das verwirrende Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit blieb ihm ein Lieblingsthema, für das er allerlei listige, freilich auch kopflastige Variationen fand. Im vollen Ernst des Sturmes und Dranges, im metaphernrauschenden Überschwang der frühen Jahre indes wirkt die Attitüde, die man mittlerweile vornehm "selbstreferentiell" nennt, so peinigend überspannt, daß heutigen Nooteboom-Lesern schier der Spaß vergehen könnte, müßten sie sich nun immerfort den Schreibkampf und -krampf jener bedauernswerten Rittergestalt vergegenwärtigen.
Welche Stärken der Schriftsteller Cees Nooteboom entwickeln würde, läßt das Opus von 1963 überall dort erahnen, wo der hohe Ton eifernder Sinnsuche abgelöst wird von der Beschreibung sinnlich-konkreter Eindrücke im damals noch durchaus fremdartigen Spanien: die Insellandschaft, eine Militärparade, archaische Musik in Kellerlokalen, eine Leichenprozession. Werden dann aber Stierkampfszenen, deren düstere Eleganz in einer Reiseschilderung beeindruckt hätte, zwecks metaphorischer Verquickung von Tod und Eros in einen freudlosen Paarungsakt eingeblendet, schließen wir uns gern wieder dem Urteil des Verfassers an: ein komisches Buch, ein hysterisches Buch.
Wie sanft und simpel hat Nooteboom das existentielle Problem, das ihm einst verbales Kampfgetöse abnötigte, knapp zwei Jahrzehnte später in der Novelle "Ein Lied von Schein und Sein" auf den Punkt gebracht: "Schreiben, das ist so eine Sache, und wer da zuviel drüber nachdenkt, schreibt nicht mehr." Gewiß. Und ganz von fern nur hört man es noch leise, leise klappern. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Cees Nooteboom: "Der Ritter ist gestorben". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 151 S., geb., 36,- DM.
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