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Wer träumt nicht davon, auszusteigen, wenigstens ein einziges Mal dem Gefühl zu folgen statt der Vernunft? Genau dies tut Laure. Morgen wird sie bei Francois einziehen, eine gesicherte Zukunft liegt vor ihr. Sie findet, sie ist glücklich. Den letzten Abend will sie mit Freunden verbringen. Aber sie hat den Metrostreik vergessen. Jetzt steckt sie im Stau. Unvermutet öffnet ein Mann die Beifahrertür und steigt ein. Er riecht gut, nach Tabak, nach Rasierwasser, nach Leder. Und plötzlich ist alles ganz anders. Der Alltag, ein Morgen existiert nicht mehr. Laure zieht den roten Rock an, den Francois…mehr

Produktbeschreibung
Wer träumt nicht davon, auszusteigen, wenigstens ein einziges Mal dem Gefühl zu folgen statt der Vernunft?
Genau dies tut Laure.
Morgen wird sie bei Francois einziehen, eine gesicherte Zukunft liegt vor ihr. Sie findet, sie ist glücklich. Den letzten Abend will sie mit Freunden verbringen. Aber sie hat den Metrostreik vergessen. Jetzt steckt sie im Stau. Unvermutet öffnet ein Mann die Beifahrertür und steigt ein. Er riecht gut, nach Tabak, nach Rasierwasser, nach Leder. Und plötzlich ist alles ganz anders. Der Alltag, ein Morgen existiert nicht mehr. Laure zieht den roten Rock an, den Francois nicht mag, und läßt sich einen Abend, eine Nacht mit einem Fremden ein.
Autorenporträt
Emmanuèle Bernheim, Jahrgang 1955, ist Japanologin und lebt in Paris. Sie arbeitet für das französische Fernsehen. 1993 erhielt sie den Prix Medicis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.1999

Der Geruch des Fremden
Temperatursturz: Emmanuèle Bernheims erotische Witterungslehre

In ihren vier bislang erschienenen Romanen der Französin Emmanuèle Bernheim genügte stets ein einziger Augenblick, um den Alltag der Protagonistinnen aus dem Tritt zu bringen. Jedesmal rief die plötzliche Begegnung mit einem Mann bei den vorzugsweise alleinstehenden Pariserinnen um die Dreißig in guter beruflicher Position so etwas wie eine profane Erweckung hervor. Ein bißchen Baulärm vor dem Fenster oder der Diebstahl einer fast wertlosen Handtasche werden für diese Frauen zum Auslöser, ihrer schlagartig bewußt werdenden Frustration zu entfliehen. Den Einbruch des Ungewöhnlichen in den banalen Alltag einer Frau setzte Bernheim stets mit einer unterkühlten, dennoch in atemlose Spannung versetzenden Sachlichkeit in Szene.

In Frankreich hat dieser Minimalismus der Autorin viel Lob, ihrem dritten, in sechzehn Sprachen übersetzten Roman "Sa femme" den Prix Médicis eingebracht. Hierzulande ist Bernheims nun schon fast anderthalb Jahrzehnte währender Postfeminismus avant la lettre weit weniger enthusiastisch aufgenommen worden. Daran mag die nicht eben politisch korrekte, animalische Instinkthaftigkeit beteiligt sein, von der ihre Frauenfiguren auf mitunter befremdliche Weise heimgesucht werden. Das in immer neuen Variationen auftretende, auf die bloße Physis des anderen gerichtete Begehren ist das Grundelement ihrer doppelbödigen Poetik. Der Liebe wird in diesen Büchern zwar voller Wehmut, doch stets unwiderruflich zugunsten des anatomischen Blickes, der jede Passion erkaltet, der Abschied gegeben. So auch im neuesten Roman, der freilich eher eine Erzählung ist. Er trägt im Original anstelle des aufgeregten deutschen Titels "Der rote Rock" die passendere, spröde Überschrift "Vendredi soir".

An einem fast gewöhnlichen Freitag abend, an dem die Pariser Métro streikt und der Autoverkehr auf den Boulevards nur zäh vorankommt, hat Laure soeben ihr Hab und Gut verpackt, um ihr Junggesellinnenleben zu beenden und zu ihrem Freund zu ziehen. Dieser kann jedoch aus beruflichen Gründen den letzten Abend vor dem Umzug nicht bei ihr sein. Um das zwischen ihrer alten und zukünftigen Existenz klaffende Vakuum zu überbrücken, ist Laure von Freunden zum Abendessen eingeladen worden. Auf dem Weg dorthin gerät sie in einen Stau, als plötzlich ein wildfremder, mit einer Lederjacke bekleideter Mann in ihren Wagen springt, als habe er just auf sie gewartet. Er bittet sie, ihn wegen des Métrostreikes mitzunehmen.

Schnell ist Laure von den Gerüchen, die dem Körper des Fremden entströmen - "Tabak, Leder und Rasierwasser" - wie hypnotisiert. Nach einigem Zögern entschließt sie sich, bei ihren Freunden abzusagen und den Abend mit dem Unbekannten namens Frédéric zu verbringen. Als sie ihn kurz aus den Augen verliert, streift sie schnell den roten Minirock über, der zusammen mit anderen alten Kleidungsstücken auf der Rückbank ihres Wagens liegt und eigentlich weggegeben werden sollte. Wenig später besuchen Frédéric und Laure eine Bar, küssen sich auf der Straße, nehmen ein Hotelzimmer und "machen Liebe", wie es in der deutschen Übersetzung etwas ungeschickt heißt. Am Morgen danach läßt Laure den schlafenden Frédéric zurück, ohne von ihm Abschied zu nehmen.

Den Spuk dieser Liebesnacht läßt Bernheim vor den Augen des Lesers wie einen von Laure geträumten Traum ablaufen. Geschildert wird überwiegend, was in Bildern wahrnehmbar ist. Wie in den früheren Romanen der Autorin hat zwischen den handelnden Personen die Sprache als Verständigungsmittel ausgespielt. Unterhaltungen, Liebesgeflüster oder gar Mitteilungen über das eigene Leben gestatten sich Laure und Frédéric nicht. Da sie sich dennoch nicht von der Seite weichen, bleibt die gegenseitige Erfahrung nahezu ausschließlich auf ihre Sinne verwiesen. Zwangsläufig begünstigt ein derart auf Witterung und Beobachtung beschränktes Verhalten das Wuchern von Vermutungen und Annahmen. Wer der andere ist, kann anhand verräterischer Zeichen nur gedeutet werden.

Tatsächlich sind die Bernheimschen Liebhaber, ob männlich oder weiblich, im wahrsten Sinn des Wortes Schnüffler, akribische, mit dem Sensorium lauernder Tiere ausgestattete Detektive. An untrüglichen Indizien sind sie freilich ebensowenig interessiert wie daran, sich durch Fragen Gewißheit zu verschaffen. Weil ihnen selbst niemand je auf die Spur kommen und ihre Anonymität gewahrt bleiben soll, geben sie sich mit einem Gegenüber zufrieden, das wenig mehr als ein Trugbild ist. Auch Laure nimmt Witterung auf, beäugt Frédéric ausführlich und begnügt sich bei der Frage, wer er sei, mit insgeheimen Mutmaßungen. Solche rein äußerlichen Annäherungen finden in der Intimität des Liebesaktes nicht etwa ihr Ende, sondern ihren Höhepunkt.

Wenn Laure nahezu jeden Quadratzentimeter von Frédérics Körper erkundet, am Geruch und Geschmack seiner Finger Nikotin und Seife unterscheidet, sein salziges Nabelinneres schmeckt, sind das zwar Zärtlichkeiten. Vor allem jedoch handelt es sich um Identifizierungsmaßnahmen, die in Ermangelung sowohl sprachlicher als auch emotionaler Möglichkeiten die Psychologie der Liebe ganz und dar durch die Physiologie der Sinne ersetzen. Laures Zunge ist denn auch weniger Lustorgan als Sensor, der die fleischliche Struktur von Frédérics Mundhöhle fast klinisch untersucht. Die Unheimlichkeit solcher Expeditionen evoziert Bernheim derart geschickt, daß es kaum Wunder nähme, wenn sie jenseits der Epidermis fortgesetzt und schließlich in einem Lustmord enden würden.

Beziehungen gehen Bernheims Paare grundsätzlich nur unter der Voraussetzung unhintergehbarer Fremdheit ein. Ihr notorischer Selbstschutz, die Sinne zu öffnen, die Herzen aber verschlossen zu halten, zeigt sich im jüngsten Prosastück deutlicher denn je. Von den früher stattgefundenen Versuchen des Zusammenlebens bleibt nun, da die Angst vor der Verwirrung der Gefühle panisch geworden ist, nichts als die Versuchung einer Nacht. Für ein Leben, das so streng unter dem Vorbehalt des Konjunktivs stattfindet, ist der Fluchtweg ins Imaginäre unverzichtbarer Aufschub. Die Hölle, das ist für dieses Liebespaar immer der andere.

Wie stets nutzt Bernheim sowohl die Technik des nouveau roman als auch manche Existentialismen geschickt für ihre Pathologie der zeitgenössischen Liebe. Das sich auf die bloße Außenhaut von Ding und Mensch richtende Verfahren des nouveau roman birgt allerdings - gerade für eine auch als Drehbuchautorin tätige Schriftstellerin - die Gefahr allzu routinierter Glätte. Daß die Wahrnehmungen der Protagonistin, die mit subjektiver Kamera gedrehten Bildern ähneln, ihr fast mechanisch von der Hand gehen, ist unübersehbar. Wer derart wirkungsvoll Spannung herstellen kann wie Emmanuèle Bernheim, sollte beim nächsten Mal vor dem zwischen den Zeilen angedeuteten Verbrechen um der größeren Komplexität der Figuren willen nicht länger zurückschrecken. THOMAS MEDICUS

Emmanuèle Bernheim: "Der rote Rock". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Verena Nolte. Klett-Cotta, Stuttgart 1999. 109 S., geb., 28,- DM.

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