Seit Adam Nicolson als Junge die unbesiedelten Shiant Islands vor der schottischen Küste besuchte, ist er von Seevögeln fasziniert. Die Inselgruppe ist bekannt für ihre markanten Klippen, die große Kolonien von Papageientauchern, Trottellummen und Dreizehenmöwen beherbergen. Viele Seevögel legen zeit ihres Lebens unglaubliche Distanzen zurück, immer einem inneren Kompass folgend, der sich nach Signalen aus der Natur richtet, manche so subtil wie der Geruch von meilenweit entferntem Plankton. Seit jeher haben diese Vögel die Fantasie der Menschen beflügelt. Sie sind die einzige Art der Schöpfung, die auf dem Meer, in der Luft und an Land zu Hause ist. Bisher konnte der Mensch sie immer nur an ihren Brutplätzen beobachten, weshalb sie lange als Botschafter einer mythischen Welt jenseits des Horizonts galten. Erst in jüngster Zeit bekommen wir eine Vorstellung davon, wie es ihnen ergeht, wenn sie draußen auf See sind ...So wie Seevögel Grenzgänger zwischen erlebten und imaginären Welten sind, überwindet Adam Nicolson die Kluft zwischen Wissenschaft und Literatur. In seinem faszinierenden, brillant erzählten Band zeigt er, dass Seevögel unsere Mitspieler im Drama des Lebens sind - und zugleich Metaphern für das, was wir sind und sein können.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Günther Wessel hat große Freude an Adam Nicolsons Buch über Seevögel. Der Autor verbindet wissenschaftliche Fakten und eigene Beobachtungen mit Bezügen zu Dichtung und Mythen zu einem grandiosen Stück Nature Writing, meint Wessel. Lebendig, anschaulich und enthusiastisch findet der Rezensent die Beschreibungen im Band. Der von Nicolsons Begeisterung schnell angesteckte Leser erfährt laut Wessel, welche gigantischen Distanzen der Albatros zurücklegt, wie tief Lummen tauchen und wie sich Eissturmtaucher orientieren. Als Mahnung, den Umgang mit diesen Tieren zu überdenken, begreift Wessel das Buch auch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2021Acht Millionen Kilometer in achtzig Jahren
Ein Blick in eine andere Welt: Adam Nicolson befasst sich eingehend mit dem Leben der Meeresvögel
Wer die Ornithologie als Hobby entdeckt, konzentriert sich meistens zuerst auf Singvögel. Die über den Rasen trippelnde Amsel ist uns genauso geläufig wie das neugierige Rotkehlchen. Nur wenige würden auf die Idee kommen, mit Limikolen oder Reihern einzusteigen. Oder mit Seevögeln. Zum einen sind sie nicht einfach zu bestimmen. Heranwachsende Silber-, Mittelmeer-, Mantel- und Heringsmöwen auseinanderzuhalten braucht Übung. Auch junge Spatel-, Schmarotzer- und Falkenraubmöwen sehen für jemanden, der nur einen flüchtigen Blick riskiert, mehr oder weniger gleich aus. Zum anderen sind diese Vögel weit weg von allem, was uns vertraut erscheint. Die hohen Breiten und subpolaren Meere sind ihre Komfortzone. "Je heimatferner wir uns fühlen mögen, desto heimischer sind sie." So formuliert es der englische Autor Adam Nicolson in seinem Buch "Der Ruf des Seevogels".
Als er acht Jahre alt war, reiste sein Vater mit ihm zu den Shiant Islands. Die unbewohnte Inselgruppe gehört zu den Äußeren Hebriden Schottlands und besitzt einen herben Charme: Steilküsten und Steinstrände, Grashänge und Regen. Ein unwirtlicher Ort. Und doch tobte dort das Leben. Der kleine Adam wurde von dreihunderttausend Vögeln begrüßt. Sie sausten über seinen Kopf hinweg und ließen sich aus nur einem Meter Entfernung studieren: "Es war ein Blick in eine andere Welt." Aus dem Jungen von damals ist inzwischen ein vierundsechzigjähriger Mann geworden, doch die Faszination für Basstölpel, Dunkle Sturmtaucher, Trottellummen und Kormorane hat kein Stück nachgelassen. Sie ist vielmehr zu einer wahren Leidenschaft geworden.
Befasst man sich eingehender mit diesen Tieren, verwundert das nicht. So gibt es "keine fliegenden Meeressäuger, keine Seefledermäuse, keine Seeinsekten, keine fliegenden Krabben oder Lufthummer" - aber Meeresvögel. Von den etwa zehntausend bekannten Vogelarten haben sich nur dreihundertfünfzig auf die offene See spezialisiert. Ihr Leben unterscheidet sich grundlegend von dem eines Zaunkönigs oder einer Stockente. Während der gefiederte Besucher im Garten vielleicht zwei Jahre alt wird, gleitet ein Wanderalbatros achtzig Jahre lang über die Ozeane und legt dabei acht Millionen Kilometer zurück. Außerdem sind Seevögel oft monogam, wobei sich beide Eltern an der Jungenaufzucht beteiligen. Häufig legen die Weibchen nur ein Ei (Blaumeisen bringen es auf siebzehn Eier), und das auch erst nach vielen Jahren.
Diese überschaubaren Verhältnisse stehen in krassem Kontrast zu den Massenversammlungen, die Seevögel zur Brutsaison anberaumen. Allein an den Küsten um Neufundland finden sich jeden Sommer 35 Millionen Exemplare ein, um für Nachwuchs zu sorgen. Neben solchen bemerkenswerten Zahlen wartet Nicolsons Abhandlung mit Grafiken, Fotos und Forschungserkenntnissen auf. Der Autor berichtet, warum Papageientaucher sich von der Farbe Orange angezogen fühlen und welche unglaublichen Daten ein GPS-Sender auf dem Rücken eines Eissturmvogels lieferte.
Die zehn Kapitel, in denen es nicht nur über die Biologie und die kulturgeschichtliche Bedeutung der Tiere, sondern auch über unseren schonungslosen Umgang mit ihnen manches zu lernen gibt, bringt Nicolson oft mit einer poetischen Sprache in Form: subjektiv, empfindsam, streckenweise leider raunend und in metaphysischen Kitsch abdriftend. So imposant Seevögel auch sind, dass sie Genialität verkörpern und die "Schönheit und das Mysterium des Seins vor Augen führen", darf bezweifelt und als rhetorischer Flitter abgetan werden. Davon abgesehen, ist Adam Nicolson eine differenzierte Darstellung gelungen, die auch Kenner der Materie beeindrucken wird. KAI SPANKE
Adam Nicolson: "Der Ruf des Seevogels". Aus dem Leben von Papageientauchern, Tölpeln und anderen Meeresreisenden.
Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Liebeskind Verlag, München 2021. 368 S., Abb., geb., 36,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Blick in eine andere Welt: Adam Nicolson befasst sich eingehend mit dem Leben der Meeresvögel
Wer die Ornithologie als Hobby entdeckt, konzentriert sich meistens zuerst auf Singvögel. Die über den Rasen trippelnde Amsel ist uns genauso geläufig wie das neugierige Rotkehlchen. Nur wenige würden auf die Idee kommen, mit Limikolen oder Reihern einzusteigen. Oder mit Seevögeln. Zum einen sind sie nicht einfach zu bestimmen. Heranwachsende Silber-, Mittelmeer-, Mantel- und Heringsmöwen auseinanderzuhalten braucht Übung. Auch junge Spatel-, Schmarotzer- und Falkenraubmöwen sehen für jemanden, der nur einen flüchtigen Blick riskiert, mehr oder weniger gleich aus. Zum anderen sind diese Vögel weit weg von allem, was uns vertraut erscheint. Die hohen Breiten und subpolaren Meere sind ihre Komfortzone. "Je heimatferner wir uns fühlen mögen, desto heimischer sind sie." So formuliert es der englische Autor Adam Nicolson in seinem Buch "Der Ruf des Seevogels".
Als er acht Jahre alt war, reiste sein Vater mit ihm zu den Shiant Islands. Die unbewohnte Inselgruppe gehört zu den Äußeren Hebriden Schottlands und besitzt einen herben Charme: Steilküsten und Steinstrände, Grashänge und Regen. Ein unwirtlicher Ort. Und doch tobte dort das Leben. Der kleine Adam wurde von dreihunderttausend Vögeln begrüßt. Sie sausten über seinen Kopf hinweg und ließen sich aus nur einem Meter Entfernung studieren: "Es war ein Blick in eine andere Welt." Aus dem Jungen von damals ist inzwischen ein vierundsechzigjähriger Mann geworden, doch die Faszination für Basstölpel, Dunkle Sturmtaucher, Trottellummen und Kormorane hat kein Stück nachgelassen. Sie ist vielmehr zu einer wahren Leidenschaft geworden.
Befasst man sich eingehender mit diesen Tieren, verwundert das nicht. So gibt es "keine fliegenden Meeressäuger, keine Seefledermäuse, keine Seeinsekten, keine fliegenden Krabben oder Lufthummer" - aber Meeresvögel. Von den etwa zehntausend bekannten Vogelarten haben sich nur dreihundertfünfzig auf die offene See spezialisiert. Ihr Leben unterscheidet sich grundlegend von dem eines Zaunkönigs oder einer Stockente. Während der gefiederte Besucher im Garten vielleicht zwei Jahre alt wird, gleitet ein Wanderalbatros achtzig Jahre lang über die Ozeane und legt dabei acht Millionen Kilometer zurück. Außerdem sind Seevögel oft monogam, wobei sich beide Eltern an der Jungenaufzucht beteiligen. Häufig legen die Weibchen nur ein Ei (Blaumeisen bringen es auf siebzehn Eier), und das auch erst nach vielen Jahren.
Diese überschaubaren Verhältnisse stehen in krassem Kontrast zu den Massenversammlungen, die Seevögel zur Brutsaison anberaumen. Allein an den Küsten um Neufundland finden sich jeden Sommer 35 Millionen Exemplare ein, um für Nachwuchs zu sorgen. Neben solchen bemerkenswerten Zahlen wartet Nicolsons Abhandlung mit Grafiken, Fotos und Forschungserkenntnissen auf. Der Autor berichtet, warum Papageientaucher sich von der Farbe Orange angezogen fühlen und welche unglaublichen Daten ein GPS-Sender auf dem Rücken eines Eissturmvogels lieferte.
Die zehn Kapitel, in denen es nicht nur über die Biologie und die kulturgeschichtliche Bedeutung der Tiere, sondern auch über unseren schonungslosen Umgang mit ihnen manches zu lernen gibt, bringt Nicolson oft mit einer poetischen Sprache in Form: subjektiv, empfindsam, streckenweise leider raunend und in metaphysischen Kitsch abdriftend. So imposant Seevögel auch sind, dass sie Genialität verkörpern und die "Schönheit und das Mysterium des Seins vor Augen führen", darf bezweifelt und als rhetorischer Flitter abgetan werden. Davon abgesehen, ist Adam Nicolson eine differenzierte Darstellung gelungen, die auch Kenner der Materie beeindrucken wird. KAI SPANKE
Adam Nicolson: "Der Ruf des Seevogels". Aus dem Leben von Papageientauchern, Tölpeln und anderen Meeresreisenden.
Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Liebeskind Verlag, München 2021. 368 S., Abb., geb., 36,- Euro.
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