Produktdetails
- Verlag: Scherz
- ISBN-13: 9783502105220
- ISBN-10: 3502105227
- Artikelnr.: 24815513
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.1998Noch ein Winter auf Mallorca
Ganz in Weiß: Maria Nurowska und ihr russischer Geliebter
Die "brillante" polnische Schriftstellerin Maria Nurowska habe "ein eindringliches und leidenschaftliches Buch" geschrieben, verheißt der Klappentext des Romans "Der russische Geliebte". Darin erzählt sie, wie die polnische Professorin der Literaturwissenschaft Julia Grundzinska und der russische Doktor der historischen Wissenschaften Aleksander (Sascha) Razumski in Paris ein Liebes- und nach einigen Komplikationen ein Ehepaar wurden.
Zu den Komplikationen gehört, daß Julia um die Fünfzig ist und aus ihrer ersten, kurzen und eher lieblosen Beziehung eine Tochter hat, Ewa; während Sascha um die Dreißig ist und eine junge Geliebte hat, Nadja, eine Friseuse aus Moskau. Vor allem wird es kompliziert, weil Julia wenig selbstbewußt ist und Komplexe hat; Sascha hingegen tritt fordernd auf: das Abziehbild eines leidenschaftlichen Mannes.
Damit ist das Auf und Ab in Bett und Buch erzählstrategisch programmiert; da es weder neu noch außergewöhnlich ist, muß es nicht nacherzählt werden. Ebensowenig wie das Füllmaterial, das die Geschichte fettmachen und vernetzen soll. Manchmal ist das banales Book- und Name-Dropping: ",Sie haben vielleicht das Buch ,Die Männer und die Frauen' gelesen? Das Gespräch Françoise Girouds mit Bernard-Henri Levy. Hier war das ein Bestseller.' - ,Nein, habe ich nicht gelesen.'" Oder es handelt sich um banales Zeitkolorit, eingeführt über Saschas Freund, den Pressefotografen George, der über die Massaker in Bosnien berichtet, was man in jeder Zeitung lesen kann; hier wie dort die gleiche Sprachschludrigkeit. So ungenießbar wie dieser Satz sind viele Sätze in diesem Buch.
Das mag an der Übersetzung liegen. Ich fürchte aber, das Original ist nicht besser. Zu ungenau sind die Figuren, zu schmonzettenhaft die Leidenschaften, zu kitschig die Seelenbilder gemalt. Noch die anläßlich einer Reise Julias und Saschas nach Mallorca beziehungsreich aufgetischte Anspielung auf die Liebesgeschichte des jüngeren Chopin mit der etwas älteren George Sand wirkt nur komisch, zumal George Sand provozierend exzentrisch und mit einem abwechslungsreichen Liebesleben ausgestattet war - das Gegenbild zur verklemmten Julia des Buches.
Durch alles muß der Leser hindurch, bevor er ans Happy-End gelangt. Denn daß Sascha und Julia trotz der seelischen Konvulsionen zusammenfinden, hebt die Erzählstrategin Nurowska bis zum Schluß auf. Erst dann entläßt sie ihre Erzählerin aus der Rahmenhandlung ins zweifelhafte Glück. Geschlagene elf Stunden und fünf Minuten, von Seite 14 bis Seite 249 des Buches, muß Julia in der Wartehalle des Pariser Flughafens Orly ausharren, um über das, was in Paris zwischen ihr und Sascha geschah, für den Leser nachzudenken. Wer sie mitfühlend begleitet, das Buch also liest, hofft natürlich, Julia sitze hier, um diese Pariser Affäre hinter sich zu bringen und, nachdem ihr Flug nach Warschau aufgerufen wird, dort wieder das zu treiben, was sie gelernt hat: Literaturwissenschaft.
Aber da haben sich die Leser mächtig getäuscht. Denn als "ich meinen Paß durchs Fensterchen reiche, spüre ich gleichzeitig, wie mich jemand zurückzerrt. Ich drehe den Kopf. Es ist Sascha. ,Julia, ich bitte dich . . .'" Schnitt.
Der Roman schließt mit einem erzählstrategisch fast genialen Einfall: Julia schreibt aus Moskau einen Brief an ihre Tochter. Offensichtlich hat Julia, von Sascha überwunden, den Flug nach Warschau verpaßt und den nächsten Flieger nach Moskau genommen. In diesem Brief berichtet Julia von der Wende und dem Ende der Geschichte: "Die Eheschließung ergab sich aus praktischen Gründen. Hier ist Moskau, nicht Paris, und für Sascha als einem (sic) Mann mit Position, noch dazu ruhmbekränzt, schickt es sich nicht, mit einer Geliebten, einer Ausländerin, die noch dazu bedeutend älter ist, unter einem Dach zu leben." HEINZ LUDWIG ARNOLD
Maria Nurowska: "Der russische Geliebte". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Karin Wolff. Scherz Verlag, München 1998, 254 S., geb., 36,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ganz in Weiß: Maria Nurowska und ihr russischer Geliebter
Die "brillante" polnische Schriftstellerin Maria Nurowska habe "ein eindringliches und leidenschaftliches Buch" geschrieben, verheißt der Klappentext des Romans "Der russische Geliebte". Darin erzählt sie, wie die polnische Professorin der Literaturwissenschaft Julia Grundzinska und der russische Doktor der historischen Wissenschaften Aleksander (Sascha) Razumski in Paris ein Liebes- und nach einigen Komplikationen ein Ehepaar wurden.
Zu den Komplikationen gehört, daß Julia um die Fünfzig ist und aus ihrer ersten, kurzen und eher lieblosen Beziehung eine Tochter hat, Ewa; während Sascha um die Dreißig ist und eine junge Geliebte hat, Nadja, eine Friseuse aus Moskau. Vor allem wird es kompliziert, weil Julia wenig selbstbewußt ist und Komplexe hat; Sascha hingegen tritt fordernd auf: das Abziehbild eines leidenschaftlichen Mannes.
Damit ist das Auf und Ab in Bett und Buch erzählstrategisch programmiert; da es weder neu noch außergewöhnlich ist, muß es nicht nacherzählt werden. Ebensowenig wie das Füllmaterial, das die Geschichte fettmachen und vernetzen soll. Manchmal ist das banales Book- und Name-Dropping: ",Sie haben vielleicht das Buch ,Die Männer und die Frauen' gelesen? Das Gespräch Françoise Girouds mit Bernard-Henri Levy. Hier war das ein Bestseller.' - ,Nein, habe ich nicht gelesen.'" Oder es handelt sich um banales Zeitkolorit, eingeführt über Saschas Freund, den Pressefotografen George, der über die Massaker in Bosnien berichtet, was man in jeder Zeitung lesen kann; hier wie dort die gleiche Sprachschludrigkeit. So ungenießbar wie dieser Satz sind viele Sätze in diesem Buch.
Das mag an der Übersetzung liegen. Ich fürchte aber, das Original ist nicht besser. Zu ungenau sind die Figuren, zu schmonzettenhaft die Leidenschaften, zu kitschig die Seelenbilder gemalt. Noch die anläßlich einer Reise Julias und Saschas nach Mallorca beziehungsreich aufgetischte Anspielung auf die Liebesgeschichte des jüngeren Chopin mit der etwas älteren George Sand wirkt nur komisch, zumal George Sand provozierend exzentrisch und mit einem abwechslungsreichen Liebesleben ausgestattet war - das Gegenbild zur verklemmten Julia des Buches.
Durch alles muß der Leser hindurch, bevor er ans Happy-End gelangt. Denn daß Sascha und Julia trotz der seelischen Konvulsionen zusammenfinden, hebt die Erzählstrategin Nurowska bis zum Schluß auf. Erst dann entläßt sie ihre Erzählerin aus der Rahmenhandlung ins zweifelhafte Glück. Geschlagene elf Stunden und fünf Minuten, von Seite 14 bis Seite 249 des Buches, muß Julia in der Wartehalle des Pariser Flughafens Orly ausharren, um über das, was in Paris zwischen ihr und Sascha geschah, für den Leser nachzudenken. Wer sie mitfühlend begleitet, das Buch also liest, hofft natürlich, Julia sitze hier, um diese Pariser Affäre hinter sich zu bringen und, nachdem ihr Flug nach Warschau aufgerufen wird, dort wieder das zu treiben, was sie gelernt hat: Literaturwissenschaft.
Aber da haben sich die Leser mächtig getäuscht. Denn als "ich meinen Paß durchs Fensterchen reiche, spüre ich gleichzeitig, wie mich jemand zurückzerrt. Ich drehe den Kopf. Es ist Sascha. ,Julia, ich bitte dich . . .'" Schnitt.
Der Roman schließt mit einem erzählstrategisch fast genialen Einfall: Julia schreibt aus Moskau einen Brief an ihre Tochter. Offensichtlich hat Julia, von Sascha überwunden, den Flug nach Warschau verpaßt und den nächsten Flieger nach Moskau genommen. In diesem Brief berichtet Julia von der Wende und dem Ende der Geschichte: "Die Eheschließung ergab sich aus praktischen Gründen. Hier ist Moskau, nicht Paris, und für Sascha als einem (sic) Mann mit Position, noch dazu ruhmbekränzt, schickt es sich nicht, mit einer Geliebten, einer Ausländerin, die noch dazu bedeutend älter ist, unter einem Dach zu leben." HEINZ LUDWIG ARNOLD
Maria Nurowska: "Der russische Geliebte". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Karin Wolff. Scherz Verlag, München 1998, 254 S., geb., 36,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main