Die muslimische Migration in Europa und der wachsende Einfluss der »Christlichen Rechten« in den USA stellen parallele Herausforderungen für den säkularen Staat auf beiden Seiten des Nordatlantiks dar, so der Befund des Soziologen Christian Joppke.Wie kann der Staat sich von Religion freihalten, ohne das Recht auf Religionsfreiheit anzutasten - insbesondere, wenn Religion gegen die Grundsätze des liberalen Staates verstößt, wie etwa gegen Menschenrechte und Gleichbehandlung? In seiner aufschlussreichen und provokativen Studie beschreibt der Autor sowohl auf politischer wie rechtlicher Ebene die Probleme, die sich westlichen säkularen Staaten durch das Comeback von »öffentlicher Religion« stellen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2018Fundamentaler Erfolg
Christian Joppke preist den säkularen Staat
Von der Rückkehr der Religion(en) und von der Herausforderung der säkularen Staaten durch den Populismus und re-politisierte Religionen ist heute oft die Rede. Gleichzeitig vom Niedergang und der Privatisierung der Religionen in säkularisierten modernen Gesellschaften. An solchen oft nebulösen Prognosen ist fast alles unklar, denn die gemeinten Sachverhalte tragen verschiedene Gesichter und beruhen auf historisch unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Studie des Soziologen und Politikwissenschaftlers Christian Joppke möchte das unübersichtliche Feld der Verhältnisse von Religion und Politik, Christentum und Islam, Säkularisierung und Politisierung systematisch und historisch ordnen.
Joppke geht das Thema aus religionssoziologischer und religionsgeschichtlicher sowie politischer und juristischer Perspektive an. Ein Schlüsselbegriff für die Trennung von Staat und Religion ist „Säkularisierung“. Der Begriff ist vieldeutig und unscharf, der Prozess äußerst komplex. Religion umfasste einst alles von der Wiege bis zur Bahre. „Die Wörter säkular und religiös setzen einander logisch voraus“, wie Joppke feststellt, aber was an der Religion sich wie „verweltlicht“, ist alles andere als eindeutig. Joppke hält sich an die These des kanadischen Philosophen Charles Taylor, demzufolge die Säkularisierung zwar im Christentum selbst beginnt, aber „die Notwendigkeit des Säkularen mit der Natur des modernen demokratischen Staates“ zusammenhängt. Der Staat bediente sich nach der französischen Revolution 1789 nicht mehr religiöser Quellen und Akteure, sondern wurde durch „das säkulare Konstrukt von Nation und Nationalismus“ zum „ideologischen Selbstversorger“, wie der Historiker Wolfgang Reinhard sagt.
Vorbereitet wurde diese feindliche Übernahme der Religion durch das Christentum selbst und zwar lange zuvor. Christian Joppke zeigt in seiner brillanten Studie, wie das Christentum die Säkularisierung seit dem Mittelalter aus sich heraus vorantrieb. Im Evangelium kommt der Staat nicht vor. Hoffnung auf Erlösung ist eine Sache des Glaubens, nicht der Politik. Mit der Monopolisierung religiöser Autorität ordneten sich die Päpste im 11. Jahrhundert die Welt und die weltliche Herrschaft unter. Der an Aristoteles geschulte Kirchenlehrer Thomas von Aquin systematisierte im 13. Jahrhundert die Verhältnisse mit der Unterscheidung von göttlichem Offenbarungsrecht und Naturrecht, also menschlicher Vernunft zugänglichem Recht. Im Unterschied zum Offenbarungsrecht Gottes ist das Naturrecht dank des rationalen Vermögens für den Menschen durchschaubar. Der damit gesetzte Rechtspluralismus war die Wiege der Säkularisierung, also der Verselbständigung weltlicher Herrschaft.
Vergeblich versuchte der Katholizismus des 19. Jahrhunderts in Teilen Europas, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und mit der Unfehlbarkeitserklärung des Papstes und antimodernen Theorien die Macht der Religion zu erneuern. Dieses „letzte Gefecht“ ging verloren, der säkulare Staat, wie ihn die USA am deutlichsten verkörpern, erwies sich als wehrhaft. Mit der doppelten Verpflichtung des liberalen und säkularen Staates auf Neutralität und mit der Garantie für freie Religionsausübung aller schufen die USA und in ihrem Gefolge alle westeuropäischen Staaten verfassungsrechtlich solide Schranken gegen An- und Übergriffe der religiösen Fundamentalisten und zugleich eine wirksame Selbstbeschränkung des eigenen politischen Handelns gegenüber Religionen.
Joppke belegt diese Erfolgsgeschichte anhand der großen verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen um Schulgebete in den USA, aber auch um Kruzifix- und Kopftuch-Urteile in Europa. Alle Angriffe von christlich-evangelikaler und islamistischer Seite auf den säkularen Staat endeten entweder mit Niederlagen oder Pyrrhussiegen der Rechten und Fundamentalisten. Diese erzielten Teilerfolge, etwa im Streit um Kruzifixe in bayerischen Behörden, aber nur um den hohen Preis, dass sie den eigenen universellen Anspruch, eine Religion und keine Sekte zu sein, relativieren und das Kreuz zum folkloristisch-kulturellem Brauchtum herabstufen mussten. Ein grandioses Buch zur rechten Zeit.
RUDOLF WALTHER
Thomas von Aquin schuf
die Grundlagen für den Aufstieg
weltlicher Herrschaft
Christian Joppke:
Der säkulare Staat auf dem Prüfstand. Religion und Politik in Europa
und den USA. Aus dem Englischen von G. Gockel und S. Schuhmacher. Hamburger Edition,
Hamburg 2018.
347 Seiten, 35 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Christian Joppke preist den säkularen Staat
Von der Rückkehr der Religion(en) und von der Herausforderung der säkularen Staaten durch den Populismus und re-politisierte Religionen ist heute oft die Rede. Gleichzeitig vom Niedergang und der Privatisierung der Religionen in säkularisierten modernen Gesellschaften. An solchen oft nebulösen Prognosen ist fast alles unklar, denn die gemeinten Sachverhalte tragen verschiedene Gesichter und beruhen auf historisch unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Studie des Soziologen und Politikwissenschaftlers Christian Joppke möchte das unübersichtliche Feld der Verhältnisse von Religion und Politik, Christentum und Islam, Säkularisierung und Politisierung systematisch und historisch ordnen.
Joppke geht das Thema aus religionssoziologischer und religionsgeschichtlicher sowie politischer und juristischer Perspektive an. Ein Schlüsselbegriff für die Trennung von Staat und Religion ist „Säkularisierung“. Der Begriff ist vieldeutig und unscharf, der Prozess äußerst komplex. Religion umfasste einst alles von der Wiege bis zur Bahre. „Die Wörter säkular und religiös setzen einander logisch voraus“, wie Joppke feststellt, aber was an der Religion sich wie „verweltlicht“, ist alles andere als eindeutig. Joppke hält sich an die These des kanadischen Philosophen Charles Taylor, demzufolge die Säkularisierung zwar im Christentum selbst beginnt, aber „die Notwendigkeit des Säkularen mit der Natur des modernen demokratischen Staates“ zusammenhängt. Der Staat bediente sich nach der französischen Revolution 1789 nicht mehr religiöser Quellen und Akteure, sondern wurde durch „das säkulare Konstrukt von Nation und Nationalismus“ zum „ideologischen Selbstversorger“, wie der Historiker Wolfgang Reinhard sagt.
Vorbereitet wurde diese feindliche Übernahme der Religion durch das Christentum selbst und zwar lange zuvor. Christian Joppke zeigt in seiner brillanten Studie, wie das Christentum die Säkularisierung seit dem Mittelalter aus sich heraus vorantrieb. Im Evangelium kommt der Staat nicht vor. Hoffnung auf Erlösung ist eine Sache des Glaubens, nicht der Politik. Mit der Monopolisierung religiöser Autorität ordneten sich die Päpste im 11. Jahrhundert die Welt und die weltliche Herrschaft unter. Der an Aristoteles geschulte Kirchenlehrer Thomas von Aquin systematisierte im 13. Jahrhundert die Verhältnisse mit der Unterscheidung von göttlichem Offenbarungsrecht und Naturrecht, also menschlicher Vernunft zugänglichem Recht. Im Unterschied zum Offenbarungsrecht Gottes ist das Naturrecht dank des rationalen Vermögens für den Menschen durchschaubar. Der damit gesetzte Rechtspluralismus war die Wiege der Säkularisierung, also der Verselbständigung weltlicher Herrschaft.
Vergeblich versuchte der Katholizismus des 19. Jahrhunderts in Teilen Europas, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und mit der Unfehlbarkeitserklärung des Papstes und antimodernen Theorien die Macht der Religion zu erneuern. Dieses „letzte Gefecht“ ging verloren, der säkulare Staat, wie ihn die USA am deutlichsten verkörpern, erwies sich als wehrhaft. Mit der doppelten Verpflichtung des liberalen und säkularen Staates auf Neutralität und mit der Garantie für freie Religionsausübung aller schufen die USA und in ihrem Gefolge alle westeuropäischen Staaten verfassungsrechtlich solide Schranken gegen An- und Übergriffe der religiösen Fundamentalisten und zugleich eine wirksame Selbstbeschränkung des eigenen politischen Handelns gegenüber Religionen.
Joppke belegt diese Erfolgsgeschichte anhand der großen verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen um Schulgebete in den USA, aber auch um Kruzifix- und Kopftuch-Urteile in Europa. Alle Angriffe von christlich-evangelikaler und islamistischer Seite auf den säkularen Staat endeten entweder mit Niederlagen oder Pyrrhussiegen der Rechten und Fundamentalisten. Diese erzielten Teilerfolge, etwa im Streit um Kruzifixe in bayerischen Behörden, aber nur um den hohen Preis, dass sie den eigenen universellen Anspruch, eine Religion und keine Sekte zu sein, relativieren und das Kreuz zum folkloristisch-kulturellem Brauchtum herabstufen mussten. Ein grandioses Buch zur rechten Zeit.
RUDOLF WALTHER
Thomas von Aquin schuf
die Grundlagen für den Aufstieg
weltlicher Herrschaft
Christian Joppke:
Der säkulare Staat auf dem Prüfstand. Religion und Politik in Europa
und den USA. Aus dem Englischen von G. Gockel und S. Schuhmacher. Hamburger Edition,
Hamburg 2018.
347 Seiten, 35 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zu rechten Zeit kommt für Rudolf Walther dieses Buch des amerikanischen Politikwissenschaftler Christian Joppke, der darin die Geschichte der Säkularisierung nachverfolgt. Joppke beruft sich dabei viel auf die Arbeiten Charles Taylors, erkennt der Rezensent, und sieht somit im Christentum selbst die Säkularisierung angelegt, auch wenn konkret erstmals im Mittelalter die Machtansprüche der Kirche durch Überlegungen zum weltlichen Recht in Frage gestellt. Besonders gefällt dem Rezensenten, dass Joppke die USA als das große Vorbild aller säkularen Staaten betrachtet, die - trotz Schulgebete und evangelikaler Rechter - die Neutralität des Staates ebenso verkörperten wie Garantien der Religionsfreiheit. Frankreichs laizistisches Modell spielt zumindest in Walters Rezension keine Rolle.
© Perlentaucher Medien GmbH
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