Seine Stimme füllte Konzertsäle, betörte die Damenwelt, eroberte in Deutschland, Europa, Amerika ein Millionenpublikum. Joseph Schmidt, Sohn orthodoxer Juden aus Czernowitz, hat es weit gebracht. 1942 aber gelten Kunst und Ruhm nichts mehr. Auf der Flucht vor den Nazis strandet der berühmte Tenor, krank, erschöpft, als einer unter Tausenden an der Schweizer Grenze. Wird er es sicher auf die andere Seite schaffen?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2019Immer nur lächeln
Seine Stimme ließ niemanden kalt, und dieser Roman über den Tenor Joseph Schmidt tut es auch nicht: Lukas Hartmanns "Der Sänger"
Er war seit Anfang der dreißiger Jahre der bewunderte Tenor in Deutschland, in Europa überhaupt, sein Ruhm führte ihn bis nach Amerika. Joseph Schmidt war nur 1,54 Meter groß, was ihm die Karriere auf den Opernbühnen verwehrte. Doch er wurde zum Star über Soloauftritte, vor allem über den Rundfunk und seine Schallplattenaufnahmen. Sein Repertoire reicht von den klassischen Opern bis zu Schlagern, er ist ein Liebling seiner Zuhörerinnen, ein Liebhaber der Frauen im Leben auch. Geboren wurde Schmidt im März 1904 in einem Dorf nahe Czernowitz in der Bukowina, die damals zu Österreich-Ungarn gehörte und nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien fiel. Von dort aus, wo er, der Sohn deutschsprachiger orthodoxer Juden, schon als Knabe in der Synagoge sang, begann seine phänomenale Karriere. Sie war nur kurz. Weil Joseph Schmidt Jude war, wendete sich sein Geschick auf schlimme Weise, trauriger, als es eine der Partien, die er gesungen hat, hätte erahnen können. Der Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland wurde auch zu seinem Schicksal.
Der Schweizer Autor Lukas Hartmann hat einen Roman über Joseph Schmidts letzte Wochen und Tage geschrieben, das Ende seiner Flucht vor der drohenden Deportation aus Deutschland, die ihn von Berlin aus, wo er bis 1933 lebte, über Wien und Brüssel, schließlich von Frankreich in die Schweiz führte. Dort starb er im November 1942, schwer krank und zu Tode erschöpft, in einem Gasthof nahe dem Internierungslager Girenbad bei Zürich, das für illegale Flüchtlinge, die Asyl suchten, eingerichtet war. Da war er 38 Jahre alt. Sein Leben ist gut dokumentiert, darauf stützt sich auch ausdrücklich Hartmann. Doch für sein Buch, das "Der Sänger" heißt, nimmt er sich die Freiheiten der fiktionalisierten Biographie. Hartmann tut das, indem er in seinem Erzählen immer wieder zurückgreift auf die Vorgeschichte des "tiny man with the great voice", wie ihn die Amerikaner nennen, als Joseph Schmidt 1937 dort auftritt. Hartmann begibt sich für die wenigen Wochen vor seinem Ende in dessen Erinnerungen und Bereuungen, seine Eigenheiten und Wunschträume hinein, lässt so Stationen und Wegmarken dieses Lebens Revue passieren.
Das Verfahren ist stets riskant, Hartmann setzt es geschickt ein, mit Sympathie und Einfühlungsvermögen, ohne dabei der Sentimentalität zu verfallen. So flicht er, eine kluge Variante, Passagen ein aus der erdachten Perspektive anderer Personen in der Umgebung während Joseph Schmidts letzten Tagen. Da ist ein Schweizer Bürokrat, der sich an Vorschriften klammert, die dem Sänger keine Sonderbehandlung erlauben. In der Schweiz galt seit 1942, im Zuge einer "Das Boot ist voll"-Politik, ein Gesetz, das Juden nicht mehr als politische Flüchtlinge anerkannte, denen Asyl zu gewähren wäre. Und da sind zwei junge Frauen, die in der Nähe des Internierungslagers wohnen, glühende Anhängerinnen des Sängers und fern jeder Kenntnis der politischen Verstrickungen, die eine Begegnung mit ihm dort ersehnen.
Lukas Hartmann bleibt eng an der Seite seines Sängers, den er immer wieder auch sprechen lässt mit anderen Menschen, mit denen, die ihm beistehen und wohlwollen, und mit denen, die ihn schließlich wegen seines Herzleidens zum Simulanten erniedrigen, weil sie ihm nicht helfen wollen, ihn ohne weitere Untersuchung aus dem Kantonsspital in Zürich zurück nach Girenbad schicken. Nicht zuletzt aus Furcht vor dem Unrechtsregime im Nachbarland geschieht das, auch aus einer latenten antisemitischen Stimmung im eigenen Land heraus. Hartmann schont die Schweiz da nicht, aber er rechtet auch nicht, er schreibt keine kurzschlüssige, bis in die Gegenwart dehnbare Parabel. Er hält sich an ein Einzelschicksal, dessen Gewicht wahrlich stark genug ist.
Entsprechend lässt der Autor es auch aus, andere frühere Gefährten von Joseph Schmidt ins Licht zu holen, was er gut hätte tun können. Erwähnt sei, dass Joseph Schmidts letzter Triumph in Deutschland die Uraufführung des Films "Ein Lied geht um die Welt" war, die am 9. Mai im Ufa-Palast in Berlin stattfand, Joseph Goebbels war unter den begeisterten Zuschauern. Sein Partner im Film war Viktor de Kowa als sein Freund, der ihm die geliebte junge Frau wegnimmt, weil er zwar nicht die bezaubernde große Stimme hat, aber größer gewachsen ist. (Wer den Film nicht kennt, kann ihn auf Youtube anschauen.) Viktor de Kowa wird dann im August 1944 von Goebbels auf die "Gottbegnadeten-Liste" der Nationalsozialisten als unverzichtbarer Künstler gesetzt; nach dem Zweiten Weltkrieg knüpft er in Film und Fernsehen nahtlos an seine Karriere an. Am 10. Mai 1933 brennen, nicht nur in Berlin, die Bücher. Joseph Schmidt emigriert im Dezember des Jahres zunächst nach Wien. Das wird ihn aber nicht retten, auch wenn er noch auf vielen Bühnen singt, bis er im September 1942 illegal von Frankreich aus die Grenze zur Schweiz übertritt.
Lukas Hartmann hat einen kleinen Roman geschrieben, der niemand unberührt lassen kann, so wenig wie die wundervolle Stimme des Sängers das tut. Er erinnert daran, dass dieser strahlende Tenor doch einst eine Idee von Größe aus seiner Begabung schöpfen durfte, dass er schöne Anzüge und Luxus und Affären mochte und nie seine Heimat vergaß. Dass er sich, je bedrohlicher seine Situation wurde, selbst immer mehr verloren hat, gequält von der steigenden Angst um seine gefährdete Stimme, sich endlich in schmerzhafter Demut übte im freien "Gastland", das sich zu viel Zeit lässt, ihm die ersehnte Arbeitserlaubnis als Asylant zu erteilen.
Ein letztes Mal lässt Hartmann Joseph Schmidt singen am Abend vor seinem Tod, für die Wirtin des Gasthofs, in den ein menschlicher Oberleutnant, gemeinsam mit zwei Insassen, den Sterbenskranken aus Girenbad gebracht hat. Es ist ein Gebet in aramäischer Sprache, das er als Junge in der Synagoge von Czernowitz gesungen hatte. Kein Unrechtsregime und keine Kaltherzigkeit haben seine Stimme zum Verstummen bringen können, bis heute nicht. Sie ist uns allen geblieben.
ROSE-MARIA GROPP
Lukas Hartmann:
"Der Sänger". Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2019. 288 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seine Stimme ließ niemanden kalt, und dieser Roman über den Tenor Joseph Schmidt tut es auch nicht: Lukas Hartmanns "Der Sänger"
Er war seit Anfang der dreißiger Jahre der bewunderte Tenor in Deutschland, in Europa überhaupt, sein Ruhm führte ihn bis nach Amerika. Joseph Schmidt war nur 1,54 Meter groß, was ihm die Karriere auf den Opernbühnen verwehrte. Doch er wurde zum Star über Soloauftritte, vor allem über den Rundfunk und seine Schallplattenaufnahmen. Sein Repertoire reicht von den klassischen Opern bis zu Schlagern, er ist ein Liebling seiner Zuhörerinnen, ein Liebhaber der Frauen im Leben auch. Geboren wurde Schmidt im März 1904 in einem Dorf nahe Czernowitz in der Bukowina, die damals zu Österreich-Ungarn gehörte und nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien fiel. Von dort aus, wo er, der Sohn deutschsprachiger orthodoxer Juden, schon als Knabe in der Synagoge sang, begann seine phänomenale Karriere. Sie war nur kurz. Weil Joseph Schmidt Jude war, wendete sich sein Geschick auf schlimme Weise, trauriger, als es eine der Partien, die er gesungen hat, hätte erahnen können. Der Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland wurde auch zu seinem Schicksal.
Der Schweizer Autor Lukas Hartmann hat einen Roman über Joseph Schmidts letzte Wochen und Tage geschrieben, das Ende seiner Flucht vor der drohenden Deportation aus Deutschland, die ihn von Berlin aus, wo er bis 1933 lebte, über Wien und Brüssel, schließlich von Frankreich in die Schweiz führte. Dort starb er im November 1942, schwer krank und zu Tode erschöpft, in einem Gasthof nahe dem Internierungslager Girenbad bei Zürich, das für illegale Flüchtlinge, die Asyl suchten, eingerichtet war. Da war er 38 Jahre alt. Sein Leben ist gut dokumentiert, darauf stützt sich auch ausdrücklich Hartmann. Doch für sein Buch, das "Der Sänger" heißt, nimmt er sich die Freiheiten der fiktionalisierten Biographie. Hartmann tut das, indem er in seinem Erzählen immer wieder zurückgreift auf die Vorgeschichte des "tiny man with the great voice", wie ihn die Amerikaner nennen, als Joseph Schmidt 1937 dort auftritt. Hartmann begibt sich für die wenigen Wochen vor seinem Ende in dessen Erinnerungen und Bereuungen, seine Eigenheiten und Wunschträume hinein, lässt so Stationen und Wegmarken dieses Lebens Revue passieren.
Das Verfahren ist stets riskant, Hartmann setzt es geschickt ein, mit Sympathie und Einfühlungsvermögen, ohne dabei der Sentimentalität zu verfallen. So flicht er, eine kluge Variante, Passagen ein aus der erdachten Perspektive anderer Personen in der Umgebung während Joseph Schmidts letzten Tagen. Da ist ein Schweizer Bürokrat, der sich an Vorschriften klammert, die dem Sänger keine Sonderbehandlung erlauben. In der Schweiz galt seit 1942, im Zuge einer "Das Boot ist voll"-Politik, ein Gesetz, das Juden nicht mehr als politische Flüchtlinge anerkannte, denen Asyl zu gewähren wäre. Und da sind zwei junge Frauen, die in der Nähe des Internierungslagers wohnen, glühende Anhängerinnen des Sängers und fern jeder Kenntnis der politischen Verstrickungen, die eine Begegnung mit ihm dort ersehnen.
Lukas Hartmann bleibt eng an der Seite seines Sängers, den er immer wieder auch sprechen lässt mit anderen Menschen, mit denen, die ihm beistehen und wohlwollen, und mit denen, die ihn schließlich wegen seines Herzleidens zum Simulanten erniedrigen, weil sie ihm nicht helfen wollen, ihn ohne weitere Untersuchung aus dem Kantonsspital in Zürich zurück nach Girenbad schicken. Nicht zuletzt aus Furcht vor dem Unrechtsregime im Nachbarland geschieht das, auch aus einer latenten antisemitischen Stimmung im eigenen Land heraus. Hartmann schont die Schweiz da nicht, aber er rechtet auch nicht, er schreibt keine kurzschlüssige, bis in die Gegenwart dehnbare Parabel. Er hält sich an ein Einzelschicksal, dessen Gewicht wahrlich stark genug ist.
Entsprechend lässt der Autor es auch aus, andere frühere Gefährten von Joseph Schmidt ins Licht zu holen, was er gut hätte tun können. Erwähnt sei, dass Joseph Schmidts letzter Triumph in Deutschland die Uraufführung des Films "Ein Lied geht um die Welt" war, die am 9. Mai im Ufa-Palast in Berlin stattfand, Joseph Goebbels war unter den begeisterten Zuschauern. Sein Partner im Film war Viktor de Kowa als sein Freund, der ihm die geliebte junge Frau wegnimmt, weil er zwar nicht die bezaubernde große Stimme hat, aber größer gewachsen ist. (Wer den Film nicht kennt, kann ihn auf Youtube anschauen.) Viktor de Kowa wird dann im August 1944 von Goebbels auf die "Gottbegnadeten-Liste" der Nationalsozialisten als unverzichtbarer Künstler gesetzt; nach dem Zweiten Weltkrieg knüpft er in Film und Fernsehen nahtlos an seine Karriere an. Am 10. Mai 1933 brennen, nicht nur in Berlin, die Bücher. Joseph Schmidt emigriert im Dezember des Jahres zunächst nach Wien. Das wird ihn aber nicht retten, auch wenn er noch auf vielen Bühnen singt, bis er im September 1942 illegal von Frankreich aus die Grenze zur Schweiz übertritt.
Lukas Hartmann hat einen kleinen Roman geschrieben, der niemand unberührt lassen kann, so wenig wie die wundervolle Stimme des Sängers das tut. Er erinnert daran, dass dieser strahlende Tenor doch einst eine Idee von Größe aus seiner Begabung schöpfen durfte, dass er schöne Anzüge und Luxus und Affären mochte und nie seine Heimat vergaß. Dass er sich, je bedrohlicher seine Situation wurde, selbst immer mehr verloren hat, gequält von der steigenden Angst um seine gefährdete Stimme, sich endlich in schmerzhafter Demut übte im freien "Gastland", das sich zu viel Zeit lässt, ihm die ersehnte Arbeitserlaubnis als Asylant zu erteilen.
Ein letztes Mal lässt Hartmann Joseph Schmidt singen am Abend vor seinem Tod, für die Wirtin des Gasthofs, in den ein menschlicher Oberleutnant, gemeinsam mit zwei Insassen, den Sterbenskranken aus Girenbad gebracht hat. Es ist ein Gebet in aramäischer Sprache, das er als Junge in der Synagoge von Czernowitz gesungen hatte. Kein Unrechtsregime und keine Kaltherzigkeit haben seine Stimme zum Verstummen bringen können, bis heute nicht. Sie ist uns allen geblieben.
ROSE-MARIA GROPP
Lukas Hartmann:
"Der Sänger". Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2019. 288 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Lukas Hartmann entfaltet eine große poetische Kraft, voller Sensibilität und beredter Stille.« Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung