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Klingsor, Pferdedieb oder besser: Pferdehändler aus Siebenbürgen, begibt sich auf die Wartburg, um an einem Sängerstreit teilzunehmen. Er gerät in eine ganz fremde Welt: Der Sängerstreit hat längst stattgefunden, vor einem Jahr oder vor langer Zeit oder niemals. Wachen, Ritter, Artisten, ein Tanzbär, Zöllner, Gefangene bevölkern die Burg, auf der eigenartige Gesetze herrschen. Am merkwürdigsten freilich ist der Burgherr selbst, ein Tyrann mit musischen Neigungen und philosophischen Ambitionen. Alles scheint verkehrt hier: Unrecht, Verrat und Feigheit werden mit klugen Gründen gepriesen. Hodjak…mehr

Produktbeschreibung
Klingsor, Pferdedieb oder besser: Pferdehändler aus Siebenbürgen, begibt sich auf die Wartburg, um an einem Sängerstreit teilzunehmen. Er gerät in eine ganz fremde Welt: Der Sängerstreit hat längst stattgefunden, vor einem Jahr oder vor langer Zeit oder niemals. Wachen, Ritter, Artisten, ein Tanzbär, Zöllner, Gefangene bevölkern die Burg, auf der eigenartige Gesetze herrschen. Am merkwürdigsten freilich ist der Burgherr selbst, ein Tyrann mit musischen Neigungen und philosophischen Ambitionen. Alles scheint verkehrt hier: Unrecht, Verrat und Feigheit werden mit klugen Gründen gepriesen. Hodjak erzählt immer neue schillernde Geschichten, in denen die Figuren ihre Rollen tauschen, Sinn Unsinn wird, Grausamkeit komisch. Und umgekehrt. In einer skurrilen Parabel scheint eine gar nicht so ferne Welt auf, der man nur listenreich entkommen kann, wenn sie sich denn nicht ändern läßt.
Autorenporträt
Franz Hodjak wurde 1944 in Hermannstadt, (Sibiu /Rumänien), geboren. Er lebte bis 1992 als Verlagslektor in Klausenburg (Rumänien). 1992 siedelte er nach Deutschland über. Er lebt jetzt in Usingen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2000

Das Wartburgsystem
Franz Hodjak arrangiert ein Treffen zwischen Landgraf Hermann und dem Zauberer Klingsor
Ritter, hoch- und barmherzige, glänzen in Franz Hodjaks Ritterroman Der Sängerstreit durch Abwesenheit. Es ist nicht mehr, wie es einmal war. Und dennoch. Der Sängerstreit auf der Wartburg, der im 13. Jahrhundert stattgefunden haben soll, ist in Hodjaks Buch zwar auch schon Vergangenheit. Aber lange her ist er noch nicht. In der genial erfundenen Konstellation betritt einer die Bühne, der ihn überdauert hat, und einer, der zu spät kommt: der Burgherr der Wartburg, Hermann I. Landgraf von Thüringen, und Klingsor, der Zauberer aus dem fernen Siebenbürgen.
So finden zwei zusammen, die zusammenfinden müssen und nicht zusammenkommen können. Von Dauer ist einzig die Leere, in der das Treffen stattfindet, das heißt: scheitert. Auf der ersten Seite des Romans schon ist sie mit Händen greifbar im immensen Rittersaal, den eine Bückling an Bückling reihende abtretende Dienerkreatur rückwärts durchquert, um im Nirgendwo zu verschwinden. Zurück bleiben der unberechenbare Burgherr und der sich auf seine müden, wunden Füße pissende Narr Klingsor, geflohen aus einem Land, das ihm keine Heimat war, angekommen in einem, das ihm nicht Heimat wird. In einer „wüsten Gegend” reckt sich die Hodjaksche Wartburg einem ebenso wüsten Himmel entgegen. Über allem, was unter ihm geschieht und geredet wird, steht wie ein delfinisches „Erkenne dich selbst” das höhnische „Zu spät!”. Zu einem nachgeholten „Sängerstreit” kommt es dann doch, aber weder mit „Fürstenlob” noch „Rätselspiel” wird gerungen. Er findet als Laufwettbewerb statt, in dem der das Gehen gewohnte Klingsor seinen Rivalen, den fett gewordenen Walther, der Ziellinie entgegen schleppt – um dennoch zu verlieren. Weil er nicht gewinnen kann. Ein Sieg Klingsors wäre eine Niederlage des Burgherrn. Ein wirklicher „Sängerstreit” findet dagegen in den Burgverliesen statt, wo die Gefangenen auf Tod und Leben zum endlosen Geschichtenerzählen verdammt sind. Geschichten, die nur von einem handeln: von den „Verliesen” eben. Das heißt: von der Verlassenheit.
Seine Philosophie der existentiellen Einsamkeit schärft der Burgherr zur ideologischen Waffe. Aus ihr legitimiert er seine absolute Freiheit, die Willkür und den Terror. Die Kerker beweisen seine Macht. Und wo ein Kerker ist, wird sich eine Schuld immer finden. Das nennt er: den Menschen eine „Identität” geben. Ob einer als Verbrecher im Kerker landet oder zum Zeremonienmeister ernannt wird, ist Zufall und macht keinen Unterschied. Nur Verbrecher bringen schließlich Gerechtigkeit in eine Welt, die ein ungerechter Gott erschaffen hat. Hodjaks Landgraf ist kein Atheist, das ist das Gefährliche an ihm. Er braucht Gott, um seine eigene Destruktivität kreativ einzusetzen. Die Kette der auf der Wartburg zu Werten erhobenen Unwerte ist endlos: Feindschaft, Gefangenschaft, Verlust, Unvernunft, Unrecht, Verrat, Intrige, Angst, Feigheit, Lügen, Verbrechen, Chaos, Misstrauen, Untreue, Dummheit, Zufall, Katastrophen, Tod, Unglück, Neid, Willkür und Irrtum – alles preist dieser Ritter von der negativen Gestalt.
Er ist erschreckend, erschreckend fremd – und nah. In seiner Mischung aus Fahrigkeit und blinder Treffsicherheit, kindlicher Ängstlichkeit und göttlicher Selbstüberhebung, mit bald träumenden, bald scharfsichtig zusammengekniffenen Augen ist er ein Gefangener seiner selbst. Wofür dann freilich die anderen zahlen. Er kann einem Leid tun: Er hat keinen Gegner mehr. Es mangelt auf der Wartburg an allem, was es braucht zum Leben – und zum Sterben. Sie ist das, was sie immer war: ein Luftschloss. Schauerlich ist nur zu erfahren, dass Luftschlösser nicht Traumschlösser sind, sondern tödlich – gerade weil sie nicht sterben können. Das Wartburgsystem ist zu unsterblicher Fäulnis verdammt.
„Immer wieder lehrt uns die Geschichte, dass wir aus der Geschichte nicht lernen. ” Dieses traurige Erbe trete er an. Hodjaks Roman ist eine Groteske voll zynischen Humors, der dann nicht weniger finster ist, wenn er sich in Heiterkeit flüchtet. Aber er ist auch eine politische Vision. So wie der Landgraf haben Imperatoren immer funktioniert, von Nero bis Ceausescu. Hodjak, geboren in Hermannstadt als deutschsprachiger Rumäne, 1992 dann nach Deutschland übergesiedelt, auf Klingsors Spuren gewissermaßen, weiß wovon er spricht.
Doch dann werden Hermann und Klingsor Freunde. Nicht weil Gegensätze sich anziehen und aufheben, im Gegenteil. Der Burgherr behält die Macht und Klingsor den Ekel. Der eine bleibt und der andere geht. Das drängende Angebot, die Rollen zu tauschen, lehnt Klingsor ab. Der Landgraf bleibt unerlöst. Aber wenn Klingsor die Burg verläßt, geschieht, was er selber nicht für möglich gehalten hätte. „Er drehte sich um und winkte dem Burgherrn zurück. ” Hodjaks Roman hat eine buchstäblich freundliche Seite. Dass gerade sie nicht weniger abgründig ist, macht seine Lektüre erst zu einer verstörenden Erfahrung.
SAMUEL MOSER
FRANZ HODJAK: Der Sängerstreit. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. 192 Seiten, 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2000

Ritterschlag für Tanzbären
Franz Hodjak entführt Klingsor auf die Wartburg

Es ist etwas hochgradig Hybrides und Anachronistisches an Franz Hodjaks Geschichte von Klingsor, dem siebenbürgischen Pferdedieb, und seinen Abenteuern auf einer außerhalb von Zeit und Raum schwebenden Wartburg. Nichts ist der Überlieferung geschuldet: Der Burgherr der Wartburg treibt sein komisches Unwesen allein im Auftrag einer resoluten Einbildungskraft. Franz Hodjak kommt aus Siebenbürgen - muss aber da nicht der Burgherr auch ein Diktator aus Rumänien sein? Und so wie Landgraf Hermann auf seiner Burg regiert, so selbstherrlich und wahnwitzig, möchte man an allegorische Winke fast glauben.

Hodjak, 1944 in Klausenburg geboren, lebt seit 1992 in Deutschland, hat Lyrik und Prosa veröffentlicht und ist, wie es aussieht, mit seinen Gedanken und Geschichten im Bundesgebiet nie angekommen. Der Roman lebt von starken Bildern, die nicht von dieser Welt stammen. Etwa, wenn sich Klingsor an seine Heimat mit den Worten erinnert: "Es war eine laute Gegend. Sogar der Schnee fiel polternd vom Himmel." Man fühlt sich in eine Welt versetzt, in der Werner Herzog den Brüdern Grimm gute Nacht sagt. Es gibt mächtige Einfälle in diesem Buch, aber die Romanhandlung lahmt ein wenig. Liest man das Buch gern, liest man es gern von vorne nach hinten durch, gerät man gar in einen "Sog"? Nicht wirklich. Aber man ist streckenweise beeindruckt.

Wenn man wunde Füße hat, muss man auf sie pissen, das verhindert Eiterbildung. Dies ist eine Art "running gag" des Romans. Also wird in ihm nach Herzenslust gepisst. Und geschnarcht, gerülpst, gekotzt. Und was passiert sonst? Klingsor ist zum Sängerstreit auf die Wartburg geeilt und muss erfahren, dass dieser schon vor einem Jahr stattgefunden hat. Der diese Auskunft erteilt, ist der Burgherr, ein Mann mit grausamen und musischen Zügen. "Glücksgefühle", so teilt er Klingsor mit, seien "Schwächeanfälle der Bewusstseins", und nach diesem finsteren Motto befördert der Burgherr sein Gesinde vom Leben zum Tode oder seine Gefangenen von jetzt auf gleich zu "Ehrenrittern". Klingsor solle ihm sein Leben erzählen, aber die Geschichte werde ohnehin so langweilig sein, dass er nach dem dreiundzwanzigsten Satz einschlafen werde.

Also erzählt Klingsor, von seiner Laufbahn als Totenwäscher, Glöckner und Pferdehändler im fernen Siebenbürgen, von einem Kräuterweiblein, das den Knaben aus dem betrunkenen Leib seiner Mutter herausgezogen und ihn vor dem brandschatzenden und mordenden Osmanenheer errettet hat, und davon, wie er über mancherlei Stationen von Preßburg bis Lüneburg am Ende die Wartburg erreicht hat. Kein uninteressanter Stoff, doch den Burgherren hat trotzdem der Schlaf übermannt. "Inzwischen", heißt es an einer charakteristischen Stelle des Romans, "wurden drei Burgwächter erhängt, zwei erschossen, sieben ertränkt, achtzehn zu Tode gepeitscht, vier vom Felsen heruntergestoßen, einundsiebzig verbrannt" und "zwei sollten gekreuzigt werden". In Hodjaks Roman wird viel gezählt, und seine Übertreibungen rücken die geschilderten Untaten in die Nähe einer anderen Art Ordnungsliebe. Der Burgherr will Ordnung machen mit seinem Regime, oder nein, er will Platz schaffen für eine "neue Unordnung, immer mit der gleichen Unordnung zu leben stumpft den Geist ab".

In dieser verkehrten Wartburgwelt, wo Tanzbären als oberste Ritter fungieren, scheint allein des Burgherren misstrauische Zuneigung zu dem siebenbürgischen Pferdedieb eine verlässliche Größe. Vor ihm und nur vor ihm möchte der Herr aller Grausamkeiten seine zarte Seele aussprechen. Und Klingsor darf seinerseits dem Burgherren von Siebenbürgen, der metaphysischsten Landschaft unter der Sonne, erzählen. "Es war eine kosmische Melodie", sagt Klingsor, die dort "die ganze Gegend erfüllte". Klingsors Siebenbürgen ist das verlorene Reich einer poetischen Inspiration, ein Reich, in dem selbst eine Entjungferung ein poetischer Akt war, denn "sie hatte den Hauch von etwas, das sich gegen die Ewigkeit stemmt, die auf diesem Landstrich lastete".

Während Klingsor sein großes Verklärungswerk an der siebenbürgischen Landschaft vollbringt, reden die Gefangenen auf der Wartburg allerlei blühenden Unsinn, um sich die Zeit bis zur Hinrichtung oder Beförderung zu vertreiben. Ja, der Unsinn in Hodjaks Roman blüht wirklich aus allen Ritzen, und es wird ihm eine beinahe theoretische Behandlung zuteil, wenn der Burgherr Klingsor erklärt, er müsse seinen Untergebenen Unsinniges abverlangen, denn "die absolute Treue kann nur daran gemessen werden, inwieweit die Gefolgschaft den Unsinn akzeptiert . . . Wenn es eine echte Treue gibt, dann muss sie bereit sein, dem Unsinn bis zum Ende zu folgen." Und wie der Unsinn ein Test auf die Treue, so sei die Intrige ein Test auf die Freiheit. So redet sich der Burgherr in Trance, zwischendurch straft er ein wenig, und am Ende kommt es dann auch noch zu einem Sängerstreit, aus dem Klingsor als ehrenvoller Verlierer hervorgeht, woraufhin sich der Burgherr von Klingsor mit den Worten verabschiedet, er werde ihm fehlen und es werde "wieder eine schreckliche Einsamkeit in mein Hirn einkehren". Was war nun der Sinn und was der Unsinn hinter all dem Mummenschanz? Die Welt ist furchtbar und lustig und aus dem Lot, und keine Heimat macht sie wieder heil, denn, so sagt Klingsor zum Abschied, "der Ekel ist die einzige Heimat, die ich kenne".

CHRISTOPH BARTMANN

Franz Hodjak: "Der Sängerstreit". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 192 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Samuel Moser preist das Abgründige in Hodjaks Roman, die Figurenkonstellation findet er schlechterdings genial. Das groteske Geschehen voll "zynischen Humors" löse sich nicht in Heiterkeit auf, sondern bewahre seine finstere Seite. Hervorhebenswert ist Moser die politische Dimension des Romans. Er nimmt an, dass Hodjak als deutschstämmiger Rumäne tiefere Einsichten in die Funktionsweise diktatorischer Befehlshaber "von Nero bis Ceausescu" habe als manch anderer und diese in seinem Text fruchtbar verwertet hat. Eine "verstörende Erfahrung" war die Lektüre dieses Romans für den Rezensenten.

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