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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.07.2011

DAS HÖRBUCH
Auf dem Gutshof
Was man sieht und hört: Ein
Hörspiel nach Peter Weiss
Es hat lange gedauert, bis Peter Weiss für seinen „Mikroroman“ einen Verleger fand: 1952 vollendete er „Der Schatten des Körpers des Kutschers“, erst acht Jahre später erschien das Buch im Suhrkamp Verlag. Es wurde ein Erfolg. Die Kritik pries die Konsequenz der Sprache, die Radikalität der minutiösen Beschreibung. Für ein Hörspiel bietet dieser Klassiker der Nachkriegsliteratur sich nicht unbedingt an. Es fehlt an konventioneller Handlung, an Dialogen. Der Erzähler schildert die Oberfläche, benennt, was er sieht und hört auf einem Gutshof, weit entfernt von der Stadt. „Durch die halboffene Tür sehe ich den lehmigen, aufgestampften Weg und die morschen Bretter um den Schweinekofen. Der Rüssel des Schweines schnuppert in der breiten Fuge, wenn er nicht schnaufend und grunzend im Schlamm wühlt. Außerdem sehe ich noch ein Stück der Hauswand, mit zersprungenem, teilweise abgebröckeltem gelblichen Putz, ein paar Pfähle, mit Querstangen für die Wäscheleinen, und dahinter, bis zum Horizont, feuchte, schwarze Ackererde.“
Nach Tier und Landschaft geraten Menschen in den Blick, eine Familie etwa, deren ältester Sohn verprügelt wird, eine Haushälterin, der Kutscher und einige mehr. Aber nahe kommt der abgesonderte Erzähler seiner Umgebung nicht. Am Ende sieht er die Schatten des Kutschers und der Haushälterin sich auf dem Küchentisch vereinigen. Er bleibt Beobachter. Beinahe pedantisch notiert er seine Wahrnehmungen. Jeder Ausschnitt der Wirklichkeit gewinnt sinnliche Präsenz, aber es gibt keine umfassenden Zusammenhänge, in denen die Beobachtungen Bedeutung bekämen.
Michael Farin lässt für sein Hörspiel nach Peter Weiss fünf Sprecher den Text vortragen. Sie nehmen sich die Zeit, die es braucht, dieser gedehnten Prosa gerecht zu werden, die ein eigenes Tempo vorgibt, in der kein Wort überhört werden will, weil keines bloß so dahingesagt ist. So konzentriert und eindringlich wie hier wird selten gesprochen, man spürt beim Hören, wie die fragmentarische Welt in der Beschreibung entsteht. Spielereien, auch die akustische Füllung der Lücken, hat sich Farin versagt. Wenn es heißt „dies sind die Geräusche“, dann werden diese nicht Klang, sondern bleiben Wort. Würde man Schwein und Mensch, Wind und Bretterquietschen hören, würde der Text naturalistisch, läppisch wirken. Ihn untermalt allein Musik von Zeitblom. Sie ist karg, zurückgenommen und legt dem Hörer doch nahe, zu deuten, Zusammenhänge herzustellen, das Geschilderte symbolisch zu verstehen, als verweise jedes Detail auf ein Allgemeines. Sie erzeugt eine eigene Atmosphäre, dramatisiert, pointiert, verwirrt – und das tut dem Text nicht gut. Er ist ein Schattenbild der Wirklichkeit, kein künstlerisches Rätsel.
JENS BISKY
PETER WEISS: Der Schatten des Körpers des Kutschers. Hörspielbearbeitung und Regie: Michael Farin. Musik: Zeitblom. Mit Jochen Noch, Tobias Lelle, Paul Herwig, Volker Bruch, Nico Holonics. Hörverlag, München 2011. 1 CD, 77 Minuten, 14,95 Euro.
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