"Norman Manea ist ein glänzender Schriftsteller, der das Poetische noch im Ungesagten spürbar zu machen vermag." Ina Hartwig, Laudatio zum Nelly-Sachs-Preis
Das beeindruckende Spätwerk des großen rumänischen Autors Norman Manea: Kurz vor dem Fall der Mauer wird "N.M.", der Wandernde, aus Rumänien ausgewiesen. Auf der Suche nach einer neuen Heimat geht er nach Berlin zu einem alten Freund, der sich als noch immer überzeugter Kommunist offenbart. Hier möchte er nicht bleiben, und so zieht er weiter nach New York, wo seine Halbschwester wohnt. Sie beide haben als Kinder den Holocaust überlebt und ringen um ein Gleichgewicht zwischen der Vergangenheit und der Notwendigkeit, sich in einer zunehmend unsteten Gegenwart ein neues Leben aufzubauen. Kunstvoll legt Norman Manea seine eigene Geschichte mit Figuren der Weltliteratur zu einem literarischen Mosaik.
Das beeindruckende Spätwerk des großen rumänischen Autors Norman Manea: Kurz vor dem Fall der Mauer wird "N.M.", der Wandernde, aus Rumänien ausgewiesen. Auf der Suche nach einer neuen Heimat geht er nach Berlin zu einem alten Freund, der sich als noch immer überzeugter Kommunist offenbart. Hier möchte er nicht bleiben, und so zieht er weiter nach New York, wo seine Halbschwester wohnt. Sie beide haben als Kinder den Holocaust überlebt und ringen um ein Gleichgewicht zwischen der Vergangenheit und der Notwendigkeit, sich in einer zunehmend unsteten Gegenwart ein neues Leben aufzubauen. Kunstvoll legt Norman Manea seine eigene Geschichte mit Figuren der Weltliteratur zu einem literarischen Mosaik.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Fabian Wolff verehrt den rumänischen Schriftsteller Norman Manea als einen großen Vertreter der Literatur gegen die Angst und die Lügen. Er sieht in einer Reihe mit Grass, Roth, Semprun und Konrad, mit Duras, Calvino und Kis. Seinen Roman "Der Schatten im Exil" liest Wolff als Alterswerk, in dem der in der Bukowina geborene Manea fiktionalisiert auf ein Leben im Exil zurückblickt, erst in Transnistrien, dann in West-Berlin und schließlich in den USA. "Tiefer und ungreifbarer" erscheint ihm das Werk im Vergleich zu früheren Romanen, aber auch fragmentarischer und inkonsistenter in sich selbst und gegenüber anderen Texten. Ob Manea hier absichtlich von anderen Darstellungen abweicht oder ob ihm mit 87 Jahren der feste Zugriff entgleitet, kann Wolff nicht sagen. Oder er möchte es nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2023In Schlemihls Schatten
Norman Manea sucht die Heimatlosen
Das Exil beginnt beim Verlassen der Gebärmutter. Somit sind alle Menschen Exilanten qua Geburt. Der "Reisende" wundert sich bei seinem Flug aus Rumänien heraus, dass er nicht blutet. Er habe sich die Entwurzelung, die Entfesselung und die Trennung von seiner Heimat blutig vorgestellt. Wie eine Geburt. Er stellt jedoch klar, dass er an Wiedergeburt nicht glaube, auch nicht an Auferstehung. Er wolle nur weg aus dem "heiteren Fegefeuer", "weit weg, in die andere Welt, Himmel oder Hölle". Er landet im Berlin der Achtzigerjahre, im Exil, nach der Flucht vor dem Regime des Diktators Ceausescu. Ob das die richtige Entscheidung war, weiß er nicht.
Im Roman "Der Schatten im Exil" des rumänischen Autors Norman Manea hat die männliche Hauptfigur keinen Namen. Sie begegnet uns als "Passagier", "Exilant" oder "Zuhörer". Vom Moment der Flucht in den Westen an tritt der Mann vor allem als "Nomade" auf. Einen Freund namens Günther hat er in Berlin, mit dem er bis tief in die Nacht über den Kommunismus streitet, und eine Englischlehrerin sowie Liebhaberin, die ihre guten Kontakte zu einem Elitecollege in Amerika nutzt, um dem "Studenten" und angehenden "Professor" eine berufliche Perspektive im "Yankee-Land" zu ermöglichen. Dort angekommen, trifft er auch seine Halbschwester Tamar. Die inzestuöse Beziehung zu ihr war sein einziger Halt nach der Zeit im Lager. Dort haben sie ihren gemeinsamen Vater und Tamars Mutter verloren. Sie sind jüdisch, aber nicht sonderlich religiös. Und trotzdem kommt der Leser dem Namenlosen selbst nicht näher. Er begegnet ihm äußerlich und auf Distanz - so wie der Exilant von anderen wahrgenommen wird.
Doch gibt Manea auf andere Art Einblick ins Innere seiner Hauptfigur: Schnell wird klar, dass sich der Namenlose mit Peter Schlemihl identifiziert, mit jener fiktiven Figur des Schriftstellers Adelbert von Chamisso, die einen Pakt mit dem Teufel eingeht und ihren Schatten für endlosen Reichtum verkauft, wodurch sie sich aber gesellschaftlich ausgrenzt und schließlich ihr Leben in Einsamkeit der Wissenschaft widmet. Das Reclamheft mit "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte" muss der Reisende bei einer Durchsuchung am Flughafen in Rumänien abgeben. Dort bezeichnet er es als seinen Reiseführer. Es zieht sich wie ein roter Faden durch Maneas Roman. Zunehmend distanziert sich die Hauptfigur von denen, die ihm nahestehen, er will allein sein. Bis Tamar Selbstmord begeht und der "Professor" im Delirium ausruft, dass er nun bereit sei. Offen bleibt, was die dann eintretende "wahre Erlösung" bedeutet.
Die Antwort auf diese Fragen überlässt Manea dem Leser. Wie so oft bei diesem Schriftsteller wird die Handlung weder chronologisch strukturiert noch aus nur einer Erzählperspektive geschildert. Sie macht neben anderen literarischen Texten (etwa von Thomas Mann und Robert Musil), studentischen Essays aus dem College sowie Gedichten, Briefen und Erinnerungen lediglich einen Teil des Romans aus. Es ist die Aufgabe des Lesers, diese Fragmente zusammenzusetzen. "Der Schatten im Exil" liefert eine facettenreiche Darstellung literarischer Eindrücke während und nach der Flucht, in der das Fragmentarische sinnbildlich für die Ambivalenz und Zerrissenheit im Exil steht. Nachdem der "Reisende" von "Karl und Adolf" in Berlin verfolgt wird, begegnet er anderen Heimatlosen in Amerika, die ihn auch verfolgen. Über seine Vergangenheit will er nicht sprechen, denn "wir wollen die Rollen nicht annehmen, die andere für uns geschrieben hatten". Der Namenlose ist zu stolz, um von Holocaust und Kommunismus definiert zu werden. Doch Maneas wechselnde Zuschreibungen zeigen, dass der Exilant keine eigenständige Identität findet.
Über die namenlose Hauptfigur kommt man auch dem jüdischen Autor Norman Manea näher. Denn so, wie der "Nomade" Peter Schlemihl ähnelt, scheint er auch Manea selbst zu gleichen - auch der war in einem Konzentrationslager in Transnistrien interniert und ist aus dem kommunistischen Rumänien über Berlin nach Amerika geflohen. Im Roman heißt es: "Ein Schriftsteller kann aus einem Werk den Schatten seiner selbst machen, um sich selbst dabei zu entdecken." CARLOTA BRANDIS
Norman Manea: "Der Schatten im Exil". Roman.
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Hanser Verlag, München 2023. 319 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Norman Manea sucht die Heimatlosen
Das Exil beginnt beim Verlassen der Gebärmutter. Somit sind alle Menschen Exilanten qua Geburt. Der "Reisende" wundert sich bei seinem Flug aus Rumänien heraus, dass er nicht blutet. Er habe sich die Entwurzelung, die Entfesselung und die Trennung von seiner Heimat blutig vorgestellt. Wie eine Geburt. Er stellt jedoch klar, dass er an Wiedergeburt nicht glaube, auch nicht an Auferstehung. Er wolle nur weg aus dem "heiteren Fegefeuer", "weit weg, in die andere Welt, Himmel oder Hölle". Er landet im Berlin der Achtzigerjahre, im Exil, nach der Flucht vor dem Regime des Diktators Ceausescu. Ob das die richtige Entscheidung war, weiß er nicht.
Im Roman "Der Schatten im Exil" des rumänischen Autors Norman Manea hat die männliche Hauptfigur keinen Namen. Sie begegnet uns als "Passagier", "Exilant" oder "Zuhörer". Vom Moment der Flucht in den Westen an tritt der Mann vor allem als "Nomade" auf. Einen Freund namens Günther hat er in Berlin, mit dem er bis tief in die Nacht über den Kommunismus streitet, und eine Englischlehrerin sowie Liebhaberin, die ihre guten Kontakte zu einem Elitecollege in Amerika nutzt, um dem "Studenten" und angehenden "Professor" eine berufliche Perspektive im "Yankee-Land" zu ermöglichen. Dort angekommen, trifft er auch seine Halbschwester Tamar. Die inzestuöse Beziehung zu ihr war sein einziger Halt nach der Zeit im Lager. Dort haben sie ihren gemeinsamen Vater und Tamars Mutter verloren. Sie sind jüdisch, aber nicht sonderlich religiös. Und trotzdem kommt der Leser dem Namenlosen selbst nicht näher. Er begegnet ihm äußerlich und auf Distanz - so wie der Exilant von anderen wahrgenommen wird.
Doch gibt Manea auf andere Art Einblick ins Innere seiner Hauptfigur: Schnell wird klar, dass sich der Namenlose mit Peter Schlemihl identifiziert, mit jener fiktiven Figur des Schriftstellers Adelbert von Chamisso, die einen Pakt mit dem Teufel eingeht und ihren Schatten für endlosen Reichtum verkauft, wodurch sie sich aber gesellschaftlich ausgrenzt und schließlich ihr Leben in Einsamkeit der Wissenschaft widmet. Das Reclamheft mit "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte" muss der Reisende bei einer Durchsuchung am Flughafen in Rumänien abgeben. Dort bezeichnet er es als seinen Reiseführer. Es zieht sich wie ein roter Faden durch Maneas Roman. Zunehmend distanziert sich die Hauptfigur von denen, die ihm nahestehen, er will allein sein. Bis Tamar Selbstmord begeht und der "Professor" im Delirium ausruft, dass er nun bereit sei. Offen bleibt, was die dann eintretende "wahre Erlösung" bedeutet.
Die Antwort auf diese Fragen überlässt Manea dem Leser. Wie so oft bei diesem Schriftsteller wird die Handlung weder chronologisch strukturiert noch aus nur einer Erzählperspektive geschildert. Sie macht neben anderen literarischen Texten (etwa von Thomas Mann und Robert Musil), studentischen Essays aus dem College sowie Gedichten, Briefen und Erinnerungen lediglich einen Teil des Romans aus. Es ist die Aufgabe des Lesers, diese Fragmente zusammenzusetzen. "Der Schatten im Exil" liefert eine facettenreiche Darstellung literarischer Eindrücke während und nach der Flucht, in der das Fragmentarische sinnbildlich für die Ambivalenz und Zerrissenheit im Exil steht. Nachdem der "Reisende" von "Karl und Adolf" in Berlin verfolgt wird, begegnet er anderen Heimatlosen in Amerika, die ihn auch verfolgen. Über seine Vergangenheit will er nicht sprechen, denn "wir wollen die Rollen nicht annehmen, die andere für uns geschrieben hatten". Der Namenlose ist zu stolz, um von Holocaust und Kommunismus definiert zu werden. Doch Maneas wechselnde Zuschreibungen zeigen, dass der Exilant keine eigenständige Identität findet.
Über die namenlose Hauptfigur kommt man auch dem jüdischen Autor Norman Manea näher. Denn so, wie der "Nomade" Peter Schlemihl ähnelt, scheint er auch Manea selbst zu gleichen - auch der war in einem Konzentrationslager in Transnistrien interniert und ist aus dem kommunistischen Rumänien über Berlin nach Amerika geflohen. Im Roman heißt es: "Ein Schriftsteller kann aus einem Werk den Schatten seiner selbst machen, um sich selbst dabei zu entdecken." CARLOTA BRANDIS
Norman Manea: "Der Schatten im Exil". Roman.
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Hanser Verlag, München 2023. 319 S., geb., 28,- Euro.
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"In 'Der Schatten Im Exil' treffen reale Gestalten auf Traumgestalten und das alles fügt sich ganz organisch zusammen. Schatten sprechen, Freunde schweigen, Schriftsteller im Exil begegnen sich: Nabokov und Joyce, Brecht, Brodsky und Celan. Romanfiguren finden sich: Don Quixote, der Mann ohne Eigenschaften, Monsieur Montaigne, der Kartenspieler, der reisende Herr K.. Alle sind sie besessen vom Exil und vom Schatten. [...] Manea schafft eine dichte Atmosphäre, Reales, Fiktives, Vergangenes und Gegenwärtiges fließen ineinander. Es gelingt ihm, seine Leser gefangen zu nehmen. Irgendwann fragt man sich nicht mehr, was wirklich erlebt, was geträumt, was phantasiert ist." Simone Hamm, WDR1, 11.04.23
"Norman Manea ist ein bewegender Roman über das Ich und dessen Schatten in einem Zeitalter der Verwüstung gelungen." Oliver Jens Schmitt, Falter, 22.03.23
"Norman Manea ist ein bewegender Roman über das Ich und dessen Schatten in einem Zeitalter der Verwüstung gelungen." Oliver Jens Schmitt, Falter, 22.03.23