»Mit Mengiste beginnt in der Literatur eine neue Zeitrechnung.« Zoë Beck
Als Mussolini 1935 in Äthiopien einfällt, trifft er auf einen unerwarteten Widerstand: Krankenpflegerinnen, Köchinnen, Dienstmägde. Bereit, sich mit ihren Brüdern und Vätern gegen die Faschisten zu behaupten. Die junge Hirut, eine Waise in den Diensten eines Offiziers von Kaiser Selassie, ist eine von ihnen. Als Selassie sich ins englische Exil flüchtet, droht Äthiopien mit seinem Anführer auch die Hoffnung zu verlieren. Und ausgerechnet Hirut findet einen Weg, das Land zu inspirieren. An der Seite des Schattenkönigs, einem armen Musikanten, der dem Kaiser zum Verwechseln ähnlich sieht, rettet sie ihre Heimat vor der Selbstaufgabe und wird kurz zur Herrin ihres Schicksals.
Als Mussolini 1935 in Äthiopien einfällt, trifft er auf einen unerwarteten Widerstand: Krankenpflegerinnen, Köchinnen, Dienstmägde. Bereit, sich mit ihren Brüdern und Vätern gegen die Faschisten zu behaupten. Die junge Hirut, eine Waise in den Diensten eines Offiziers von Kaiser Selassie, ist eine von ihnen. Als Selassie sich ins englische Exil flüchtet, droht Äthiopien mit seinem Anführer auch die Hoffnung zu verlieren. Und ausgerechnet Hirut findet einen Weg, das Land zu inspirieren. An der Seite des Schattenkönigs, einem armen Musikanten, der dem Kaiser zum Verwechseln ähnlich sieht, rettet sie ihre Heimat vor der Selbstaufgabe und wird kurz zur Herrin ihres Schicksals.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Hubert Spiegel hat Respekt vor Maaza Mengistes Roman, der drastische Darstellung des Abessinienkriegs und mythisierende Beschreibung einer weiblichen Ermächtigung (der äthiopischen Amazonen im Kampf gegen Mussolini) in einem sein will und dabei für den Rezensenten neben der Fähigkeit der Autorin, einen detailreichen archaischen Handlungs- und Figurenreigen zu entwerfen, doch vor allem eines beweist: Dass auch Heldinnen nicht davor geschützt sind, in einer in pathetischer Sprache erzählten Geschichte aus Blut und Patriotismus aufzutreten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2021Auch in Abessinien kämpften Amazonen
Bis zum Hals in einer Melange aus Pathos, Kitsch und Patriotismus: Maaza Mengistes archaisches Kriegsepos "Der Schattenkönig".
Von Hubert Spiegel
Als Italien 1935 in Abessinien einmarschierte und in einen brutalen Krieg verwickelte, sah die Welt zu, wie ein Mitglied des Völkerbundes ein anderes Völkerbundsmitglied überfiel und damit einen historischen Endpunkt sowie einen Ausgangspunkt markierte. Denn mit dem Abessinienkrieg entfesselte Mussolini nicht nur den letzten kolonialen Eroberungskrieg der Moderne, sondern begann auch den ersten Krieg eines faschistischen Regimes zur Eroberung eines neuen "Lebensraums".
Dabei schreckte der Angreifer vor nichts zurück und beging zahllose Kriegsverbrechen. Im bis dahin größten Luftkrieg der Geschichte setzte das italienische Militär Giftgas ein, tötete Zivilisten, machte Feldlazarette dem Erdboden gleich, vergewaltigte zahllose Frauen, exekutierte Mönche, Pilger und kirchliche Würdenträger und ermordete gezielt junge, gut ausgebildete Angehörige der Eliten. Zwischen 330 000 und 760 000 Menschen kamen auf abessinischer Seite ums Leben. Eine offizielle Entschuldigung Italiens durch das Staatsoberhaupt erfolgte erst 1997.
Vor diesem historischen Hintergrund entfaltet die 1971 in Addis Abeba geborene Autorin Maaza Mengiste ihr breit angelegtes Kriegsepos "Der Schattenkönig", das auf knapp sechshundert Seiten mit zahlreichen Haupt-und Nebenfiguren mitten ins Kriegsgeschehen führt und dabei vor allem einen Aspekt vor dem Vergessen bewahren will: die Beteiligung abessinischer Frauen an den Kampfhandlungen, die historisch verbürgt ist, aber deren Ausmaße im Dunkeln liegen. Mengiste bringt mit ihrem Roman Licht in dieses Dunkel, und zwar alle möglichen Sorten von Licht, vom zarten Morgenrot bis zum Kunstlicht der grellsten Sorte.
Der Schutzumschlag der deutschen Ausgabe geizt nicht mit Superlativen: Andrew Sean Greer und Salman Rushdie werden zitiert, es fallen Begriffe wie "Meisterwerk" und "moderner Klassiker". Das wäre nicht weiter der Rede wert, wenn es sich dabei nur um die marketingüblichen Übertreibungen handeln würde. Aber Maaza Mengiste, die Äthiopien nach dem Putsch von 1974 mit ihrer Familie verlassen musste und heute in New York lebt, ist zweifellos eine Schriftstellerin mit hohen Ansprüchen und beachtlichen Fähigkeiten. Sie entwirft ein historisches Panorama, hochemotional und detailreich, mit zahlreichen Figuren, Nebenhandlungen und Leitmotiven - von den arg überstrapazierten Vaterbeziehungen der zentralen Figuren bis zur Rolle der Fotografie als Medium der Erinnerung, das mit der Figur des italienisch-jüdischen Soldaten Ettore bereits in der 1974 angesiedelten Rahmenhandlung eingeführt wird. Sie entwirft komplexe Figuren wie das junge Hausmädchen Hirut und ihre bitterböse Herrin Aster, die später ebenso wie Hirut zu einer Kriegsheldin wird, selbstverständlich gegen den Willen ihres Ehemannes Kidane, der selbst Truppen aufstellt und als "Dejazmach" angesprochen wird, als Beschützer des kaiserlichen Zeltes. Aber der Kaiser, Haile Selassie I., lebt nicht mehr in einem Zelt, sondern im Palast, wo er schwermütig schuldbeladenen Gedanken an seine verstorbene Tochter nachhängt und versucht, das Wesen des barbarischen Angreifers zu erkunden, indem er sich italienische Opern vorspielen lässt. Der Schattenkönig des Romantitels ist ein Doppelgänger, der in einem entscheidenden Gefecht die Rolle des im Exil lebenden Kaisers einnimmt, um dem Volk neuen Mut einzuflößen, während auf italienischer Seite mit Carlo Fucelli, dem "Schlächter von Benghazi", ein sadistischer Offizier mit Sendungsbewusstsein die Truppen anführt.
Es ist eine archaische Welt, die Maaza Mengiste schildert, mit klaren Hierarchien und überkommenen Idealen wie Gehorsam, Treue, Tapferkeit. Abessinier sind hier tollkühne Krieger und ergebene Untertanen, was für Abessinierinnen nur zum Teil gilt, wie die Autorin aus der eigenen Familiengeschichte erfahren hat, denn untertänig sind die Frauen, um derentwillen dieser Roman geschrieben wurde, wahrlich nicht. Nach dem Vorbild ihrer Ururgroßmutter, die sich freiwillig zu den kämpfenden Truppen gemeldet hat, erfindet Mengiste eine Gruppe von Kriegerinnen, denen sie einen antike Mythen aufrufenden Chor zur Seite stellt, um so dem Geschehen Archetypisches zu verleihen. Der Rückgriff auf den Mythos dient der Überhöhung und Nobilitierung des blutigen Geschehens und geht einher mit einer archaisierenden Sprache, als wäre die Geschichte weiblicher Ermächtigung in Kriegszeiten, um die es Mengiste geht, nicht schon um ihrer selbst willen erzählenswert.
Als Aster, die verwöhnte, nun geläuterte junge Adelige, ihre Schwestern in den Kampf führen will, inszeniert Mengiste die Ansprache als Apotheose einer wahren Amazonenkönigin: Wolkenfetzen schieben sich vor die Sonne wie "hochgeworfene Laken. Ein schwacher Schatten fällt auf das Plateau, gleitet weiter, und plötzlich steht Aster in ihrem blutbefleckten Umhang in strahlendem Licht. Es ist eine Verkündung. Eine göttliche Bestätigung ihrer Rechte und ihrer Macht." Und als wäre das noch nicht genug, heißt es zwei Sätze später, "dass sich ein gleißendes Licht, mächtig wie eine explodierende Bombe, auf ihre Schultern legte, um eine göttliche Botschaft zu verkünden". Man kann die Botschaft dieser und ähnlicher Zeilen, wie sie der Roman leider im Übermaß aufweist, allerdings auch anders lesen: als Erinnerung daran, dass auch große Heldinnen nicht davor gefeit sind, in einer bislang meist Männern vorbehaltenen Melange aus Pathos, Patriotismus, Kitsch, Blut und bedingungsloser Hingabe zu ertrinken.
Maaza Mengiste: "Der Schattenkönig". Roman.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2021. 576 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bis zum Hals in einer Melange aus Pathos, Kitsch und Patriotismus: Maaza Mengistes archaisches Kriegsepos "Der Schattenkönig".
Von Hubert Spiegel
Als Italien 1935 in Abessinien einmarschierte und in einen brutalen Krieg verwickelte, sah die Welt zu, wie ein Mitglied des Völkerbundes ein anderes Völkerbundsmitglied überfiel und damit einen historischen Endpunkt sowie einen Ausgangspunkt markierte. Denn mit dem Abessinienkrieg entfesselte Mussolini nicht nur den letzten kolonialen Eroberungskrieg der Moderne, sondern begann auch den ersten Krieg eines faschistischen Regimes zur Eroberung eines neuen "Lebensraums".
Dabei schreckte der Angreifer vor nichts zurück und beging zahllose Kriegsverbrechen. Im bis dahin größten Luftkrieg der Geschichte setzte das italienische Militär Giftgas ein, tötete Zivilisten, machte Feldlazarette dem Erdboden gleich, vergewaltigte zahllose Frauen, exekutierte Mönche, Pilger und kirchliche Würdenträger und ermordete gezielt junge, gut ausgebildete Angehörige der Eliten. Zwischen 330 000 und 760 000 Menschen kamen auf abessinischer Seite ums Leben. Eine offizielle Entschuldigung Italiens durch das Staatsoberhaupt erfolgte erst 1997.
Vor diesem historischen Hintergrund entfaltet die 1971 in Addis Abeba geborene Autorin Maaza Mengiste ihr breit angelegtes Kriegsepos "Der Schattenkönig", das auf knapp sechshundert Seiten mit zahlreichen Haupt-und Nebenfiguren mitten ins Kriegsgeschehen führt und dabei vor allem einen Aspekt vor dem Vergessen bewahren will: die Beteiligung abessinischer Frauen an den Kampfhandlungen, die historisch verbürgt ist, aber deren Ausmaße im Dunkeln liegen. Mengiste bringt mit ihrem Roman Licht in dieses Dunkel, und zwar alle möglichen Sorten von Licht, vom zarten Morgenrot bis zum Kunstlicht der grellsten Sorte.
Der Schutzumschlag der deutschen Ausgabe geizt nicht mit Superlativen: Andrew Sean Greer und Salman Rushdie werden zitiert, es fallen Begriffe wie "Meisterwerk" und "moderner Klassiker". Das wäre nicht weiter der Rede wert, wenn es sich dabei nur um die marketingüblichen Übertreibungen handeln würde. Aber Maaza Mengiste, die Äthiopien nach dem Putsch von 1974 mit ihrer Familie verlassen musste und heute in New York lebt, ist zweifellos eine Schriftstellerin mit hohen Ansprüchen und beachtlichen Fähigkeiten. Sie entwirft ein historisches Panorama, hochemotional und detailreich, mit zahlreichen Figuren, Nebenhandlungen und Leitmotiven - von den arg überstrapazierten Vaterbeziehungen der zentralen Figuren bis zur Rolle der Fotografie als Medium der Erinnerung, das mit der Figur des italienisch-jüdischen Soldaten Ettore bereits in der 1974 angesiedelten Rahmenhandlung eingeführt wird. Sie entwirft komplexe Figuren wie das junge Hausmädchen Hirut und ihre bitterböse Herrin Aster, die später ebenso wie Hirut zu einer Kriegsheldin wird, selbstverständlich gegen den Willen ihres Ehemannes Kidane, der selbst Truppen aufstellt und als "Dejazmach" angesprochen wird, als Beschützer des kaiserlichen Zeltes. Aber der Kaiser, Haile Selassie I., lebt nicht mehr in einem Zelt, sondern im Palast, wo er schwermütig schuldbeladenen Gedanken an seine verstorbene Tochter nachhängt und versucht, das Wesen des barbarischen Angreifers zu erkunden, indem er sich italienische Opern vorspielen lässt. Der Schattenkönig des Romantitels ist ein Doppelgänger, der in einem entscheidenden Gefecht die Rolle des im Exil lebenden Kaisers einnimmt, um dem Volk neuen Mut einzuflößen, während auf italienischer Seite mit Carlo Fucelli, dem "Schlächter von Benghazi", ein sadistischer Offizier mit Sendungsbewusstsein die Truppen anführt.
Es ist eine archaische Welt, die Maaza Mengiste schildert, mit klaren Hierarchien und überkommenen Idealen wie Gehorsam, Treue, Tapferkeit. Abessinier sind hier tollkühne Krieger und ergebene Untertanen, was für Abessinierinnen nur zum Teil gilt, wie die Autorin aus der eigenen Familiengeschichte erfahren hat, denn untertänig sind die Frauen, um derentwillen dieser Roman geschrieben wurde, wahrlich nicht. Nach dem Vorbild ihrer Ururgroßmutter, die sich freiwillig zu den kämpfenden Truppen gemeldet hat, erfindet Mengiste eine Gruppe von Kriegerinnen, denen sie einen antike Mythen aufrufenden Chor zur Seite stellt, um so dem Geschehen Archetypisches zu verleihen. Der Rückgriff auf den Mythos dient der Überhöhung und Nobilitierung des blutigen Geschehens und geht einher mit einer archaisierenden Sprache, als wäre die Geschichte weiblicher Ermächtigung in Kriegszeiten, um die es Mengiste geht, nicht schon um ihrer selbst willen erzählenswert.
Als Aster, die verwöhnte, nun geläuterte junge Adelige, ihre Schwestern in den Kampf führen will, inszeniert Mengiste die Ansprache als Apotheose einer wahren Amazonenkönigin: Wolkenfetzen schieben sich vor die Sonne wie "hochgeworfene Laken. Ein schwacher Schatten fällt auf das Plateau, gleitet weiter, und plötzlich steht Aster in ihrem blutbefleckten Umhang in strahlendem Licht. Es ist eine Verkündung. Eine göttliche Bestätigung ihrer Rechte und ihrer Macht." Und als wäre das noch nicht genug, heißt es zwei Sätze später, "dass sich ein gleißendes Licht, mächtig wie eine explodierende Bombe, auf ihre Schultern legte, um eine göttliche Botschaft zu verkünden". Man kann die Botschaft dieser und ähnlicher Zeilen, wie sie der Roman leider im Übermaß aufweist, allerdings auch anders lesen: als Erinnerung daran, dass auch große Heldinnen nicht davor gefeit sind, in einer bislang meist Männern vorbehaltenen Melange aus Pathos, Patriotismus, Kitsch, Blut und bedingungsloser Hingabe zu ertrinken.
Maaza Mengiste: "Der Schattenkönig". Roman.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2021. 576 S., geb., 25,- Euro.
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Mengiste erzählt ihre Geschichte des Abessinien-Krieges bildgewaltig und in atemlosem Tempo. Julia Raabe Die Presse am Sonntag 20211017